Index
20/05 Wohn- und MietrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Keine Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen des Richtwert- und Mietrechtsgesetzes betreffend das Mietzinsbegrenzungssystem; keine Gleichheitswidrigkeit der je nach Bundesland unterschiedlichen Richtwerte; rechtspolitischer Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers angesichts des Zieles der Gewährleistung von leistbarem Wohnen nicht überschritten; keine Unsachlichkeit des für das Land Wien vorgesehenen relativ niedrigen Richtwertes im Hinblick auf die Wohnungssituation im Land Wien, die stärkere Angewiesenheit der Bevölkerung auf erschwinglichen Wohnraum sowie die vergleichsweise hohe Miet- bzw niedrige Eigentumsquote; keine Verletzung des Eigentumsrechts und der Erwerbsausübungsfreiheit; teils Abweisung, teils Zurückweisung der Parteianträge mangels Präjudizialität bzw unrichtiger Abgrenzung des AnfechtungsumfangesRechtssatz
Abweisung der Parteianträge, soweit sie sich gegen §16 Abs1 bis Abs4 MietrechtsG (MRG) idF BGBl I 100/2014 bzw BGBl I 161/2001, gegen das RichtWG (RichtWG) idF BGBl I 25/2009 bzw BGBl I 12/2016 sowie gegen die Kundmachungen des BM für Justiz über die Änderung der Richtwerte, BGBl II 93/2010, BGBl II 82/2012 und BGBl II 55/2014, richten.
Im Übrigen Zurückweisung der Anträge.
Untrennbarer Zusammenhang zwischen §16 Abs2 MRG und §1 Abs1 RichtWG (Definition des sachlichen Anwendungsbereiches des RichtWG) sowie zwischen §16 Abs2 MRG und dem RichtWG als Ganzes; untrennbarer Zusammenhang auch der einzelnen Bestimmungen des RichtWG untereinander, insbesondere von §5 Abs1 (Richtwerte für die einzelnen Bundesländer) und Abs2 RichtWG (Ermächtigung zur Kundmachung der geänderten Richtwerte).
Mitanfechtung sämtlicher für den betreffenden Zeitraum des jeweiligen Mietverhältnisses relevanter Kundmachungen des BM für Justiz gemäß §5 Abs2 RichtWG, welche als Rechtsverordnungen zu qualifizieren sind (vgl G673/2015 ua, V25/2016 ua, E v 12.10.2016), erforderlich und zulässig.
Anfechtung des RichtWG als Ganzes notwendig.
Bei einer allfälligen Aufhebung der zulässigerweise angefochtenen Bestimmungen des RichtWG verblieben - unter Berücksichtigung des Wegfalles der bereits materiell derogierten Bestimmungen des §1 Abs2, §3 und §4 RichtWG (infolge gesetzlicher Festlegung der Richtwerte in §5 Abs1 RichtWG durch BGBl I 50/2008, 1. MILG - Mietrechtliches InflationslinderungsG) - nur §2 RichtWG (Definition der mietrechtlichen Normwohnung) und der II. Abschnitt des RichtWG (Inkrafttreten, Vollzugsklausel, Übergangsbestimmungen) - mithin ein weitgehend jedes normativen Inhaltes entkleideter und sohin unanwendbarer Torso.
Außer-Kraft-Treten der Richtwertverordnungen, BGBl 140-148/1994, mit Erlassung der ihrer gesetzlichen Grundlage derogierenden Bestimmung des §5 Abs1 RichtWG im Zuge von BGBl I 50/2008.
Im Falle einer Aufhebung von §5 RichtWG idF BGBl I 25/2009 bzw BGBl I 12/2016 würden die Richtwertverordnungen in den entsprechenden Fassungen - ungeachtet der Frage, ob ein Wiederaufleben in einer solchen Konstellation denkbar ist und unbeschadet des Umstandes, dass diese Verordnungen mit einem auf die Vergangenheit beschränkten zeitlichen Anwendungsbereich weiterhin in Geltung stehen - auf Mietzinsvereinbarungen, welche nach dem mietrechtlichen Wirksamwerden des 1. MILG geschlossen wurden, nicht mehr anwendbar sein.
Da die Richtwertverordnungen sowie die Kundmachungen des BM für Justiz bis einschließlich BGBl II 61/2007 sohin weder in den Ausgangsverfahren präjudiziell sind noch auf Grund eines möglichen "Wiederauflebens" in untrennbarem Zusammenhang mit den (zulässigerweise) angefochtenen Bestimmungen stehen, erweist sich der Antrag insoweit als zu weit gefasst.
Anträge auf Aufhebung des §16 MRG insgesamt zu weit gefasst.
Die Bestimmungen des §16 Abs5 bis Abs12 MRG sind insoweit selbstständig, als sie einen von den Bestimmungen des §16 Abs1 bis Abs4 MRG isolierbaren Anwendungsbereich aufweisen; kein untrennbarer Zusammenhang. Fehlende Präjudizialität hins §16 Abs5 MRG ("Kategorie D"-Wohnungen).
Der Umstand, dass Verweisungen in den übrigen Absätzen bei einer allfälligen Aufhebung zum Teil ins Leere gehen, bildet noch keinen Grund für die Annahme eines untrennbaren Zusammenhangs.
Kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Das RichtWG wurde mit dem 3. WohnrechtsänderungsG (BGBl 800/1993) erlassen. Ausweislich der Materialien zum "Richtwertsystem" wurde damit das Ziel verfolgt, "die Erschwinglichkeit der Wohnung, insbesondere für einkommensschwächere Gruppen, zu gewährleisten" und - in diesem Zusammenhang - der seinerzeitigen Mietzinsentwicklung entgegenzuwirken. Es sollte dabei unter Bedachtnahme auf regionale Unterschiede eine spürbare Preisdämpfung bewirkt werden. Mit der Einführung des Richtwertmietzinses wurde sohin das öffentliche Interesse an leistbarem Wohnraum verfolgt.
Die unterschiedliche Höhe der Richtwerte resultierte aus den von den Ländern zur Verfügung gestellten, voneinander abweichenden Daten betreffend die Grund- sowie förderbaren Baukosten, wobei gerade die Unterschiede in Bezug auf die förderungsrechtliche Situation in den Ländern im Jahr 1992 maßgeblich waren.
Die Übernahme der zunächst mittels Verordnung festgelegten Richtwerte in das Gesetz ist nicht unsachlich. Vielmehr liegt es im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, den Richtwert auf die eine oder andere Weise - also mit Gesetz oder aber mit Verordnungsermächtigung - zu regeln und von einem einmal gewählten System wieder abzugehen. Mit dem im Rahmen von BGBl I 50/2008 (1. MILG) erfolgten Systemwechsel hat der Gesetzgeber daher den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Da durch das 1. MILG die Richtwerte nicht neu ermittelt, sondern lediglich die vormals geltenden Beträge valorisiert und in das Gesetz übernommen - insoweit also bloß fortgeschrieben - wurden, kann von einem willkürlichen Vorgehen in diesem Zusammenhang nicht die Rede sein.
Die Festsetzung von unterschiedlich hohen Richtwerten für die einzelnen Länder ist für sich genommen nicht unsachlich - und zwar selbst dann nicht, wenn sich die Höhe der Richtwerte nicht proportional zu den tatsächlichen Baukosten bzw Marktverhältnissen in den jeweiligen Ländern verhält. Der Gleichheitsgrundsatz zwingt zu keiner Regelung, die für Vermieter in Bezug auf die Mietzinsbegrenzung in allen Ländern eine gleichmäßige Belastung schafft. Es steht dem Gesetzgeber daher grundsätzlich offen, eine die Mietzinsbildung begrenzende Regelung zu schaffen, die im Ergebnis zu regionalen Unterschieden im Hinblick auf den gesetzlich höchstzulässigen Mietzins führt, solange diese Regelung nicht unsachlich ist - etwa, weil sie dem Vermieter unverhältnismäßige Lasten auferlegt, die durch das Allgemeininteresse nicht mehr gerechtfertigt werden können.
In Zusammenschau mit dem vom Gesetzgeber durch das Richtwertsystem seit jeher verfolgten öffentlichen Interesse, nämlich der Dämpfung der Mietzinsentwicklung mit dem Ziel, die Erschwinglichkeit von Wohnraum zu gewährleisten, erweist sich die Regelung des §5 RichtWG in den angefochtenen Fassungen BGBl I 25/2009 sowie BGBl I 12/2016 daher insgesamt als sachlich.
Soweit §5 RichtWG im Übrigen einen niedrigeren Richtwert für das Land Wien als in den meisten anderen Ländern vorsieht, verstößt die Bestimmung auch aus diesem Grund nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Vielmehr kann ein niedrigerer Richtwert für das Land Wien durch die von der Bundesregierung aufgezeigten Unterschiede im Tatsächlichen gerechtfertigt werden. So vermögen insbesondere die Wohnungssituation im Land Wien im Allgemeinen und die stärkere Angewiesenheit der Bevölkerung auf erschwinglichen Wohnraum sowie die vergleichsweise hohe Miet- bzw niedrige Eigentumsquote im Besonderen eine abweichende Behandlung innerhalb der Grenzen der Sachlichkeit zu rechtfertigen.
Kein Verstoß gegen das Eigentumsrecht.
Die Eigentumsbeschränkung liegt im öffentlichen Interesse, berührt nicht den Wesensgehalt des Grundrechts und verstößt auch nicht in anderer Weise gegen einen bindenden Verfassungsgrundsatz.
Die angefochtenen Bestimmungen betreffend die Festsetzung der Höhe der Richtwerte für die einzelnen Länder sind zur Erreichung des gesetzgeberischen Zieles, nämlich der Gewährleistung von leistbarem Wohnen, jedenfalls geeignet und auch erforderlich.
Der Eingriff durch die zwingende Vorgabe von Richtwerten erweist sich im Übrigen als verhältnismäßig.
Die Behauptung der Antragsteller, dass es den Eigentümern nicht möglich sei, das Eigentum in angemessenem Zustand zu erhalten, ist weder näher substantiiert noch deckt sich eine solche Annahme mit der allgemeinen Lebenserfahrung. Insoweit kann den pauschal vorgetragenen Bedenken nicht gefolgt werden.
Im Lichte der Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (vgl EGMR 19.12.1989, Fall Mellacher, Appl 10522/83, 11011/84, 11070/84, zum früheren Kategoriemietzinssystem) erweisen sich auch die Bedenken gegen das Richtwertsystem an sich als nicht zutreffend. Dieses Ergebnis wird durch die Einsicht bestätigt, dass das Richtwertsystem ein für den Vermieter insgesamt gegenüber dem Kategoriemietzinssystem mit Vorteilen verbundenes System der Mietzinsbegrenzung darstellt. Der für Mietverträge, die nach dem 28.02.1994 abgeschlossen werden, maßgebliche Richtwertmietzins ist nämlich "nach unten hin" durch die Kategoriesätze des §15a Abs3 MRG begrenzt, weshalb der im Einzelfall zu errechnende Richtwertmietzins nur über dem Kategoriemietzins liegen kann.
Der Gesetzgeber hat den ihm offenstehenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum in Bezug auf die Einschränkung der Eigentumsnutzung in Zusammenhang mit der gesetzlichen Mietzinsbegrenzung sohin nicht überschritten.
Auch keine Verletzung der Freiheit der Erwerbsbetätigung.
Kein Eingehen auf die geltend gemachten Bedenken iZm Art14 EMRK iVm Art1 1. ZPEMRK (Differenzierung zwischen "Neubauwohnungen", welche nach dem Jahr 1953 errichtet wurden, und "Gründerzeithäusern"), da diese ihren Sitz in einer Bestimmung haben, die nicht angefochten wurde (§1 Abs4 Z1 MRG).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Mietenrecht, Richtwert, Eigentumsbeschränkung, Erwerbsausübungsfreiheit, Derogation materielle, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, VfGH / Parteiantrag, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / PräjudizialitätEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:G428.2016Zuletzt aktualisiert am
06.09.2018