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92/01 Luft- und WeltraumfahrtNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch Versagung der Genehmigung der Errichtung und des Betriebes einer dritten Piste für den Flughafen Wien-Schwechat wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage; Einbeziehung des umfassenden Umweltschutzes bei der Interpretation und Bewertung der nach dem Luftfahrtgesetz wahrzunehmenden öffentlichen Interessen zwar geboten, jedoch kein absoluter Vorrang von Umweltschutzinteressen; fehlerhafte Feststellungen betreffend die Zunahme der CO2-Emissionen; willkürliche Heranziehung nicht unmittelbar anwendbarer Rechtsquellen bzw einfachgesetzlicher, für Emissionen durch Luftfahrzeuge nicht anwendbarer Vorschriften für die Bewertung der festgestellten Emissionen; grobe Verkennung der Rechtslage durch Miteinbeziehung der Interessen "Klimaschutz" und "Bodeninanspruchnahme" in die InteressenabwägungRechtssatz
§71 LFG (LuftfahrtG) ist zur Vermeidung unsachlicher Ergebnisse so zu interpretieren, dass die sonstigen öffentlichen Interessen iSd §71 Abs1 litd leg cit und die öffentlichen Interessen iSd §71 Abs1 lita, b und c sowie Abs2 leg cit gegeneinander abzuwägen sind, dh eine Interessenabwägung durchzuführen ist.
Seit dem Inkrafttreten des BVG Umweltschutz im Jahr 1984 (seit 2013 findet sich dessen Inhalt in §3 BVG Nachhaltigkeit) sind die in Betracht kommenden "sonstigen öffentlichen Interessen", die nach dem LFG wahrzunehmen und bei der Interessenabwägung gemäß §71 leg cit zu berücksichtigen sind, auch im Lichte dieser Staatszielbestimmung auszulegen.
Es ist verfassungsrechtlich geboten, den umfassenden Umweltschutz sowohl bei der Interpretation der näher in Betracht kommenden abwägungsrelevanten Interessen, die nach dem LFG wahrzunehmen sind, als auch bei der nachfolgenden Gewichtung dieser Interessen miteinzubeziehen, wenn die als maßgeblich festgestellten Interessen einen Bezug zum Umweltschutz aufweisen. Durch die genannte Staatszielbestimmung werden die zu berücksichtigenden Interessen nicht über den Kreis jener nach dem LFG wahrzunehmenden Interessen hinaus und auch nicht der Bezugsrahmen von Emissionen oder Auswirkungen erweitert, die nach dem LFG zu untersuchen sind.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung in nicht nachvollziehbarer Weise seinen Feststellungen neben Werten von CO2-Emissionen, die sich aus den Start- und Landevorgängen von Luftfahrzeugen ergeben (LTO-Emissionen) auch solche des internationalen Luftverkehrs (Emissionen während des Fluges, sog "Cruise-Emissionen") zugrunde gelegt, die es zur Gänze dem Vorhaben der erstbeschwerdeführenden Partei (Flughafen Wien AG) zurechnet, und damit in Verkennung der Rechtslage seine Entscheidung mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Vollzugsfehler belastet.
Darüber hinaus hat das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung dadurch mit Verfassungswidrigkeit belastet, dass es für die Bewertung der festgestellten Emissionen und in weiterer Folge auch bei seiner Interessenabwägung in nicht nachvollziehbarer Weise Bezugsgrößen heranzieht, die nicht unmittelbar anwendbaren Rechtsquellen bzw einfachgesetzlichen Vorschriften entnommen sind, die für andere Sektoren (als den Luftfahrtsektor) gelten bzw ausdrücklich CO2-Emissionen von Luftfahrzeugen ausnehmen.
Keine unmittelbare Anwendbarkeit des Kyoto-Protokolls bzw des Übereinkommens von Paris; Genehmigung beider völkerrechtlicher Verträge unter Erfüllungsvorbehalt.
Das KSG (KlimaschutzG) trägt zur Umsetzung der Effort-Sharing-Decision bei, mit der die Mitgliedstaaten zu Emissionsreduktionen für Sektoren außerhalb des Emissionshandels verpflichtet werden; die Effort-Sharing-Decision ist jedoch auf den Luftverkehr nicht anwendbar.
Die Umsetzung der unionsrechtlichen Grundlagen der Treibhausgasemissionszertifikate in nationales Recht erfolgte durch das EZG 2011 (EmissionszertifikateG 2011); das Gesetz nimmt die Luftfahrzeugbetreiber in die Pflicht, während Flughäfen die Emissionen von Treibhausgasen, die von Luftfahrzeugen ausgehen, nach dem EZG 2011 nicht zugerechnet werden.
Für die Vorgehensweise des Bundesverwaltungsgerichtes, in einem Verfahren nach §71 LFG Normen, die zum einen aus nicht unmittelbar anwendbaren völkerrechtlichen Übereinkommen stammen und die zum anderen für Emissionen durch Luftfahrzeuge nicht anwendbar sind, als Bezugsgrößen für die Beurteilung von Auswirkungen angenommener Emissionen heranzuziehen, besteht keine Rechtsgrundlage, sodass Willkür vorliegt.
Indem das Bundesverwaltungsgericht auch die Interessen "Klimaschutz" und "Bodeninanspruchnahme" - die keine Entsprechung in den Bestimmungen des LFG finden - in seine Abwägungsentscheidung miteinbezieht, verkennt es die Rechtslage grob und belastet damit die angefochtene Entscheidung mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Vollzugsfehler.
Das Bundesverwaltungsgericht hat bei der Auslegung des §71 LFG Willkür geübt, indem es bei der Abwägungsgewichtung nicht-normativen Akten und Wünschen des Nationalrates über die Ausübung der Vollziehung auf der Grundlage von Art52 Abs1 B-VG sowie dem in Art4 Z2 NÖ LV 1979 erwähnten Umwelt- bzw Klimaschutz entscheidungsrelevante Bedeutung beimisst.
Nach der Kompetenzverteilung des B-VG können Staatszielbestimmungen in Landesverfassungen der Bundesländer nur im Bereich des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder gemäß Art15 B-VG Wirkung entfalten. Für die Auslegung des LFG kann Art4 Z2 NÖ LV 1979 demzufolge nicht herangezogen werden.
Art37 GRC ist im vorliegenden Fall - abgesehen davon, dass seine Bedeutung als Grundsatz in Verfahren vor einem mitgliedstaatlichen Gericht begrenzt ist - kein über das BVG Nachhaltigkeit hinausgehender Inhalt beizumessen.
Kostenzuspruch an die erstbeschwerdeführende Partei; ein Kostenzuspruch an die zweitbeschwerdeführende Partei (Land Niederösterreich) kommt - obwohl auch sie obsiegt hat - schon deshalb nicht in Betracht, weil diese und das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall Organe desselben Rechtsträgers sind.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Luftfahrt, Umweltschutz, EU-Recht, Landesverfassung, VfGH / KostenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:E875.2017Zuletzt aktualisiert am
06.09.2018