TE Vfgh Erkenntnis 2017/6/30 E2580/2016

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Veröffentlicht am 30.06.2017
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Index

27/03 Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall

Leitsatz

Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses im Anlassfall

Spruch

I. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Justiz) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Am 8. April 2013 wurde gegen die im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof beschwerdeführende Gesellschaft beim Handelsgericht Wien eine Klage wegen Unterlassung verbunden mit einem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung eingebracht. Mit Beschluss vom 8. Juli 2013 erließ das Handelsgericht Wien die begehrte einstweilige Verfügung. Die beschwerdeführende Gesellschaft erhob gegen diesen Beschluss am 28. August 2013 Rekurs. In weiterer Folge wurde für diesen Rekurs eine Pauschalgebühr von € 518,– nach TP 2 (Anmerkung 1a) des Bundesgesetzes vom 27. November 1984 über die Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren, BGBl 501/1984 (Gerichtsgebührengesetz – GGG), in der Fassung BGBl I 190/2013 bei der beschwerdeführenden Gesellschaft eingezogen.

2.       Am 21. November 2013 stellte die beschwerdeführende Gesellschaft einen Antrag auf Rückerstattung der Pauschalgebühr und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Verfassungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis VfSlg 19.666/2012 die Anmerkung 1a zu TP 2 und die Anmerkung 1a zu TP 3 GGG als verfassungswidrig aufgehoben habe. Diese Aufhebung sei am 30. Juni 2013 in Kraft getreten. Die Neuregelung betreffend die Pauschalgebühren für das Verfahren über die Erlassung einstweiliger Verfügungen in zweiter und dritter Instanz sei mit dem am 2. September 2013 kundgemachten BGBl I 190/2013 erfolgt. Da die beschwerdeführende Gesellschaft ihren Rekurs am 28. August 2013 eingebracht habe, habe nach der damaligen Rechtslage keine Pflicht zur Leistung einer Pauschalgebühr bei der Erhebung eines Rekurses gegen eine einstweilige Verfügung bestanden.

3.       Mit Bescheid vom 29. April 2014 wies der Präsident des Handelsgerichtes Wien den Antrag auf Rückerstattung der Pauschalgebühr mit der Begründung ab, dass die Neuregelung zu den Anmerkungen 1a zu TP 2 und 3 GGG mit BGBl I 190/2013 rückwirkend mit 1. Juli 2013 in Kraft getreten sei. Dadurch habe zum maßgeblichen Zeitpunkt der Einbringung des Rekurses (28. August 2013) eine Gebührenpflicht für das von der beschwerdeführenden Gesellschaft erhobene Rechtsmittel bestanden.

4.       Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der beschwerdeführenden Gesellschaft als unbegründet ab. In seinen Entscheidungsgründen führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass auf Grund der rückwirkenden Inkraftsetzung der Gebührenpflicht (ArtVI Z54 GGG) eine Rechtsgrundlage dafür bestanden habe, die Pauschalgebühr für den von der beschwerdeführenden Gesellschaft erhobenen Rekurs einzuziehen. Dies habe die beschwerdeführende Gesellschaft in ihrer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht – anders als noch im Verfahren vor dem Präsidenten des Handelsgerichtes Wien – auch nicht in Frage gestellt. Eine andere Deutung lasse auch der eindeutige Gesetzeswortlaut nicht zu. Der Anregung der beschwerdeführenden Gesellschaft, beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung der maßgeblichen Bestimmungen des Gerichtsgebührengesetzes zu beantragen, könne das Bundesverwaltungsgericht nicht folgen. Das Vertrauen der beschwerdeführenden Gesellschaft auf die Gebührenfreiheit ihres Rekurses sei nicht gegeben. Der Verfassungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis VfSlg 19.666/2012 zu erkennen gegeben, dass er mit einer Reparatur des Gesetzes rechne, zumal kein sofortiges Außerkrafttreten der Regelungen angeordnet worden sei. Auch wenn sich aus politischen Absichtserklärungen kein Vertrauensschutz ableiten lasse, sei eine Novellierung des Gerichtsgebührengesetzes absehbar gewesen, im Juni 2013 seien bereits die Beschlüsse des Nationalrates und des Bundesrates vorgelegen. Es liege kein Eingriff von erheblichem Gewicht in ein berechtigtes Vertrauen auf die Rechtslage vor, zumal die Dauer der Rückwirkung nur zwei Monate umfasse. Überdies seien besondere Umstände gegeben, welche die Rückwirkung rechtfertigten: Der Gesetzgeber habe offenbar eine unsachliche Regelung beseitigen wollen, weil nicht nachvollziehbar sei, weshalb in Verfahren betreffend die Erlassung einstweiliger Verfügungen in erster Instanz Gebühren anfielen, dies in zweiter Instanz aber nicht der Fall sein solle. Dadurch käme es zu einer Ungleichbehandlung zwischen jenen Personen, die in erster Instanz prozessierten, im Vergleich zu jenen Personen, die in zweiter oder dritter Instanz ein Verfahren führten.

5.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird. Begründend führt die beschwerdefüh-rende Gesellschaft zusammengefasst aus, dass im Zeitraum von 1. Juli 2013 bis 2. September 2013 keine Gebührenpflicht für Rechtsmittel im Verfahren über die Erlassung einstweiliger Verfügungen bestanden habe. Im Vertrauen auf diese Rechtslage habe die beschwerdeführende Gesellschaft in ihrem am 28. August 2013 eingebrachten Rekurs keine Pauschalgebühr verzeichnet, weswegen ihr diese – trotz Obsiegens im zivilgerichtlichen Verfahren – von der dort klagenden Partei nicht ersetzt werde, wodurch ein Eingriff in das Eigentum der beschwerdeführenden Gesellschaft bewirkt werde.

Alleine die Tatsache, dass bereits im Juni 2013 die entsprechenden Beschlüsse des Nationalrates und des Bundesrates vorgelegen seien, habe das Vertrauen der beschwerdeführenden Gesellschaft in die bestehende Rechtslage nicht erschüttern können: Es sei für einen Rechtsunterworfenen unzumutbar, sich über sämtliche in Planung befindliche Gesetzesvorhaben zu informieren. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sei es für die Frage des Vertrauensschutzes nicht relevant, ob eine Gesetzesänderung bereits seit einiger Zeit vorhersehbar gewesen sei. Der bloße Umstand, dass der Verfassungsgerichtshof die Anmerkungen 1a zu TP 2 und 3 GGG unter Setzung einer einjährigen Frist gemäß Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG aufgehoben habe, könne die rückwirkende Neuregelung nicht rechtfertigen. Ebenso wenig lägen besondere Umstände vor, welche die rückwirkende Einführung der Gebührenpflicht rechtfertigten. Eine allfällige Gleichheitswidrigkeit der unterschiedlichen Gebührenregelungen für die erste und zweite Instanz wäre auch mit einer Neuregelung für die Zukunft abgewendet gewesen.

6.       Das Bundesverwaltungsgericht und die belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht legten die Gerichts- bzw. Verwaltungsakten vor und sahen von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

7.       Bei der Behandlung der Beschwerde gemäß Art144 B-VG sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Wort- und Zeichenfolge ", die Anmerkung 1a zur Tarifpost 2" in ArtVI Z54 des Bundesgesetzes vom 27. November 1984 über die Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren (Gerichtsgebührengesetz – GGG), BGBl 501/1984, idF BGBl I 190/2013, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof beschloss daher am 8. März 2017 (E2580/2016-11), diese Gesetzesbestimmung von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

II.      Rechtslage

1.       Die Anmerkung 1a zu Tarifpost 2 und ArtVI Z54 des Bundesgesetzes vom 27. November 1984 über die Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren, BGBl 501/1984 (Gerichtsgebührengesetz – GGG), sind im vorliegenden Fall in der Fassung BGBl I 190/2013 maßgeblich und lauten:

"Tarifpost […]

2

[…]

Anmerkungen

[…]

1a. Die Pauschalgebühr nach Tarifpost 2 ist auch für Verfahren zweiter Instanz über die Erlassung einstweiliger Verfügungen zu entrichten; in diesem Fall ermäßigt sich die Pauschalgebühr nach Tarifpost 2 auf die Hälfte. Für Verfahren zur Erlassung einstweiliger Verfügungen nach den §§382b, 382e und 382g EO fallen keine Gebühren nach Tarifpost 2 an.

[…]

ARTIKEL VI

[…]

54. Die Anmerkung 2 zur Tarifpost 1, die Anmerkung 1a zur Tarifpost 2 und die Anmerkung 1a zur Tarifpost 3 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 190/2013 treten mit 1. Juli 2013 in Kraft, und sind anzuwenden, wenn der die Gebühren auslösende Schriftsatz nach dem 30. Juni 2013 bei Gericht einlangt oder der Beginn der Niederschrift nach diesem Zeitpunkt liegt. §2 Z1 litk, §7 Abs1 Z1a, §21 Abs4, §30 Abs3 und 3a, und die Tarifpost 13a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 190/2013 treten mit 1. Jänner 2014 in Kraft. Tarifpost 13a ist auf Rechtsmittelverfahren nicht anzuwenden, in denen das Rechtsmittel vor dem 1. Jänner 2014 bei der Behörde eingelangt ist. §31a ist auf die mit dem Bundesgesetz BGBl I Nr 190/2013 neu geschaffenen oder geänderten Gebührentatbestände mit der Maßgabe anzuwenden, dass Ausgangsgrundlage für die Neufestsetzung jeweils die für März 2011 veröffentlichte endgültige Indexzahl des von der Bundesanstalt Statistik Österreich verlautbarten Verbraucherpreisindex 2000 ist, wobei die erstmalige Neufestsetzung erst dann zu erfolgen hat, wenn der Schwellenwert des §31a zum zweiten Mal überschritten wird."

III.    Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2.       Mit Erkenntnis vom 30. Juni 2017, G55/2017, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass die Wort- und Zeichenfolge ", die Anmerkung 1a zur Tarifpost 2" in ArtVI Z54 des Bundesgesetzes vom 27. November 1984 über die Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren (Gerichtsgebührengesetz – GGG), BGBl 501/1984, idF BGBl I 190/2013, als verfassungswidrig aufgehoben wird.

3.       Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

4.       Das Bundesverwaltungsgericht wendete bei Erlassung des angefochtenen Er-kenntnisses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist offenkundig, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Gesellschaft nachteilig war.

IV.      Ergebnis

1.       Die beschwerdeführende Gesellschaft ist somit durch die angefochtene Entscheidung wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

2.       Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlassfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:E2580.2016

Zuletzt aktualisiert am

20.07.2017
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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