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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des TO in Graz, geboren am 9. Juli 1976, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater , Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 30. Mai 2000, Zl. 200.108/13-V/15/00, betreffend Abweisung eines Asylantrages gemäß § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Auf Grund der Beschwerde und des mit ihr vorgelegten angefochtenen Bescheides steht folgender Sachverhalt fest:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, reiste am 19. Juli 1997 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 21. Juli 1997 Asyl. Er brachte vor, Anfang des Jahres 1997 sei es zu Kämpfen zwischen den Angehörigen der Ijaw und den Angehörigen seiner Volksgruppe, der "Itsekiri" gekommen. Neben anderen Angehörigen sei im April 1997 auch sein Vater im Verlauf der Kämpfe getötet worden. Von Militärangehörigen, die gekommen seien, um die Kämpfe zu beenden, sei schließlich ein Ausgehverbot verhängt worden. Als Angehörige des feindlichen Stammes dennoch in sein Haus eingedrungen seien und seine Freundin getötet hätten, sei der Beschwerdeführer trotz des Ausgehverbotes geflüchtet. Wegen Verletzung des Ausgehverbotes sei er von Militärangehörigen angehalten, geschlagen und drei Tage lang inhaftiert worden. Im Gefängnis sei er von anderen Häftlingen bewusstlos geschlagen worden. Er sei schließlich aus dem Gefängnis entlassen und zur Behandlung in ein Spital gebracht worden, von wo er geflüchtet sei und sein Heimatland verlassen habe.
Mit dem Bescheid vom 5. September 1997 hat das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 Asylgesetz 1991 mit der Begründung abgewiesen, dass seinen widersprüchlichen Angaben kein Glaube geschenkt werden könne.
In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung hatte der Beschwerdeführer Folgendes vorgebracht:
"Es ist zwar richtig, dass die Verhängung eines Ausgehverbotes infolge von bürgerkriegsähnlichen Zuständen ein legitimes Mittel eines Staates zu Hintanhaltung von weiteren Ausschreitungen darstellt und die Missachtung dieses Verbotes bestraft werden kann, ohne dass diese Bestrafung eine Verfolgungshandlung im Sinne der GFK darstellt. In meinem konkreten Fall wurde ich aber zur Missachtung des Ausgehverbotes gezwungen, da es Angehörigen des verfeindeten IJAW-Stammes gelang, gewaltsam in mein Haus einzudringen. Infolgedessen wurde meine Freundin ermordet und hatte ich daher keine Alternative als die Flucht und damit die Verletzung des Ausgehverbotes.
Wie der VwGH in mehreren Entscheidungen erkannt hat, ist eine Verfolgung dem Heimatstaat auch dann zuzurechnen, wenn sie zwar nicht von seinen Organen direkt gesetzt wird, der Heimatstaat aber nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, die von anderen Stellen ausgehenden Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (...).
Auf meinen konkreten Fall bezogen bedeutet dies, dass es den Angehörigen des verfeindeten IJAW-Stammes wiederholt gelang, die Ausgangssperre zu umgehen und die staatlichen Stellen nicht nur keinerlei Maßnahmen setzten, diese Übergriffe zu unterbinden, sondern selbst Ziel der Angriffe waren und nicht in der Lage waren, der Situation Herr zu werden. Unter dem Blickwinkel der oben zitierten Judikatur, ist meinem Vorbringen nicht von vornherein jegliche asylrechtliche Relevanz abzusprechen.
Wie ich weiters angab, war ich im Gefängnis und wurde ich im Zuge der Verhaftung von den Regierungstruppen und im Gefängnis von Mithäftlingen misshandelt (...). Entscheidend in diesem Zusammenhang ist, dass ich, um mein Leben zu retten, aus dem Gefängnis floh. Auf Grund dessen habe ich im Falle meiner Rückkehr damit zu rechnen, dass ich vor ein Militärtribunal gestellt werde."
Die belangte Behörde wies diese Berufung mit Bescheid vom 29. Juli 1998 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (im Folgenden: AsylG) ab.
Der dagegen erhobenen Beschwerde gab der Verwaltungsgerichtshof mit dem Erkenntnis vom 23. Juli 1999, Zlen. 98/20/0508, 0509, auf den bezüglich der weiteren Vorgeschichte verwiesen wird, Folge und hob den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.
Im nunmehr wieder offenen Berufungsverfahren hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer in der mündlichen Berufungsverhandlung vom 29. Mai 2000 nochmals Gelegenheit gegeben, seine Fluchtgründe ausführlich darzulegen. Sie stellte auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens zunächst fest, dass der Beschwerdeführer nach einer strafgerichtlichen Verurteilung vom Landesgericht Leoben am 3. Oktober 1998 zuletzt am 29. Oktober 1999 vom Landesgericht für Strafsachen Wien zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 36 Monaten verurteilt worden sei. Der Beschwerdeführer habe seine Heimat im Juni 1997 auf Grund gewaltsamer Stammesauseinandersetzungen zwischen den "Ijaws" und den "Itsekiris" verlassen. Diese Auseinandersetzungen hätten eine staatliche Ausgangssperre zur Folge gehabt. Der Beschwerdeführer sei wegen Missachtung der Ausgangssperre inhaftiert worden. Nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer konkreten Verfolgungshandlungen wegen eines in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Grundes ausgesetzt gewesen sei.
Die belangte Behörde begründete die Unglaubwürdigkeit der behaupteten Verfolgung durch Angehörige des Ijaw-Stammes mit den unterschiedlichen Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Verwaltungsverfahrens. Habe der Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren noch angegeben, er habe nicht gesehen, welche Personen in sein Haus eingedrungen seien, er vermute jedoch, dass es sich um "Ijaws" gehandelt habe, so brachte er in der mündlichen Berufungsverhandlung erstmalig vor, die "Ijaws" hätten gelobt, "mit den Tötungen aufzuhören", wenn der Beschwerdeführer an sie ausgeliefert würde. Die "Ijaws" legten es "unter allen Umständen" darauf an, den Beschwerdeführer umzubringen. Dies wisse der Beschwerdeführer aus einem Brief seiner Mutter, der sich in seiner Wohnung in Wien befände. Im Jahre 1997 wären die Zeitungen voll mit Bildberichten über den Beschwerdeführer gewesen. Diese Zeitungsartikel befänden sich bei einer Sozialarbeiterin in Graz.
Diesem Vorbringen glaubte die belangte Behörde nicht, weil der Beschwerdeführer angesichts seines dreijährigen Aufenthaltes im österreichischen Bundesgebiet auch unter Berücksichtigung seiner Haftzeiten wesentliches Beweismaterial vorgelegt hätte, wenn er tatsächlich darüber verfügte.
In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, dass selbst in dem Fall, dass der Beschwerdeführer konkreten Verfolgungshandlungen seitens der "Ijaws" ausgesetzt gewesen wäre, darin keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention erblickt werden könne, weil diese Nigeria nicht zugerechnet werden könnten. Von einer mangelnden Schutzwilligkeit oder Schutzfähigkeit Nigerias könne aber nicht ausgegangen werden, weil der Beschwerdeführer selbst angegeben habe, der Staat Nigeria habe Militärangehörige entsandt, um die öffentliche Ordnung und Sicherheit wiederherzustellen. Zu diesem Zweck sei auch eine Ausgangssperre verhängt worden. Die belangte Behörde verwies darauf, dass kein Staat in der Lage sei, seinen Staatsbürgern jederzeit allumfassenden Schutz zu gewähren.
Überdies stellte die belangte Behörde fest, dass dem Beschwerdeführer eine inländische Fluchtalternative in Nigeria offen stehe, um sich den Stammesauseinandersetzungen zu entziehen. Die dagegen erhobenen Einwendungen des Beschwerdeführers ("die Ijaws schafften es auf geheimnisvolle und mysteriöse Weise, den Berufungswerber durch ganz Nigeria zu verfolgen; die Ijaws können zwei Wochen unter Wasser bleiben, ohne zu ertrinken; kleine Kinder können eineinhalb Meter lange Fische fangen; die Ijaws durchwaten 600 km lange Flüsse") seien nach den Grundsätzen allgemeiner Lebenserfahrung nicht glaubhaft.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Beschwerde wirft der belangten Behörde vor, sie habe verabsäumt, von Amts wegen Ermittlungen über die allgemeine Menschenrechtssituation im Heimatland des Beschwerdeführers anzustellen. Wären die Ermittlungen angestellt worden, so wäre die belangte Behörde zum Schluss gekommen, dass auf Grund der noch instabilen politischen Situation im Heimatland des Beschwerdeführers die staatlichen Behörden "nicht in der Lage sind, Übergriffe von Seiten der Rebellen, bzw. wie im gegenständlichen Fall von Seiten des 'Ijaw'-Stammes hintanzuhalten."
Es ist zwar richtig, dass die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken hat, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Asylantrages notwendig erscheinen. Die Behörde hat jedoch nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen und gegebenenfalls weitere Ermittlungen vorzunehmen.
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde jedoch festgestellt, dass der Beschwerdeführer wegen Verletzung einer - letztlich zu seinem Schutz und zur Verhinderung von Stammesauseinandersetzungen angeordneten - Ausgangssperre verhaftet worden ist. Gerade die Verhängung der Ausgangssperre zeigt, dass Nigeria sowohl in der Lage als auch Willens ist, die Eskalation von Stammesauseinandersetzungen zu verhindern und insbesondere auch den Beschwerdeführer zu schützen. Tatsächlich war der Beschwerdeführer nach den Feststellungen der belangten Behörde selbst auch keiner Verfolgungen durch die Stammesangehörigen der "Ijaws" ausgesetzt. Vielmehr zeigt die Inhaftierung des Beschwerdeführers durch nigerianische Organwalter, dass der Beschwerdeführer selbst ein Verhalten gesetzt hat, das den Bemühungen Nigerias, die Stammesauseinandersetzungen nicht eskalieren zu lassen, zuwider lief. In den unterbliebenen Ermittlungen "über die allgemeine Menschenrechtssituation im Heimatland des Beschwerdeführers" kann daher kein zur Aufhebung des Bescheides führender Verfahrensmangel erblickt werden, weil die Beschwerde keine konkreten tatsächlichen Behauptungen darüber enthält, zu welchen eine andere Entscheidung ermöglichenden Ergebnissen die Behörde nach Durchführung der zusätzlichen Ermittlungen hätte kommen können (vgl. dazu Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 616 f).
Der Beschwerdeführer stützte seinen Asylantrag im Verwaltungsverfahren auf Verfolgungen durch Stammesangehörige der "Ijaws", die dem Staat Nigeria zugerechnet werden könnten. Eine Verfolgung durch staatliche Organe Nigerias selbst war bisher nicht Gegenstand des Asylverfahrens. Soweit der Beschwerdeführer daher die Einholung von medizinischen Sachverständigengutachten über die an seinem Körper noch heute sichtbaren Folgen von Misshandlungen vermisst, die ihm von Militärangehörigen zugefügt worden wären, ist nicht ersichtlich, inwieweit die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, wenn ein medizinisches Sachverständigengutachten die behaupteten Verletzungsfolgen bestätigt. Der Beschwerdeführer hat bisher nicht vorgebracht, dass ihm diese Verletzungen im Zuge der behaupteten Verfolgungen durch verfeindete Stammesangehörige zugefügt worden seien.
Im bloßen "Schlagen" durch Militärangehörige anlässlich der Verhaftung wegen Verletzung des Ausgehverbotes kann weder eine Verfolgung aus einem asylrelevanten Motiv, noch eine begründete Furcht vor "weiterer" Verfolgung durch Militärangehörige abgeleitet werden.
Den Misshandlungen im Gefängnis durch andere Häftlinge (der Beschwerdeführer behauptete, bewusstlos geschlagen worden zu sein) ist ebenfalls kein asylrelevantes Motiv zuzuordnen.
Die Beschwerde wendet sich schließlich gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde mit dem Argument, die unterschiedlichen Angaben des Beschwerdeführers wären darauf zurückzuführen, dass er im Zuge der mündlichen Berufungsverhandlung die Möglichkeit erhalten habe, alle asylrelevanten Gründe darzulegen. Die Beweiswürdigung ist aber nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges handelt bzw. darum, ob der Sachverhalt, der in diesem Denkvorgang gewürdigt wurde, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden ist. Die Schlüssigkeit der beweiswürdigenden Erwägungen unterliegt der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes, nicht aber deren konkrete Richtigkeit (vgl. dazu die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 549 f, abgedruckte hg. Judikatur). Das vorhin wiedergegebene Argument des Beschwerdeführers ist nicht geeignet, Zweifel an der Schlüssigkeit der Beweiswürdigung der belangten Behörde zu erwecken.
Die belangte Behörde war auch nicht verpflichtet, dem Beschwerdeführer eine weitere Möglichkeit zur Vorlage von Zeitungsberichten aus dem Jahre 1997 einzuräumen, weil es auf Grund der auch dem Beschwerdeführer obliegenden Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren in erster Linie seine Sache gewesen wäre, die in seinem Besitz befindlichen Urkunden rechtzeitig vorzulegen. Warum ihm dies nicht möglich gewesen sein soll, hat der Beschwerdeführer nicht vorgebracht und auch in der vorliegenden Beschwerde werden die angeblich im Besitz des Beschwerdeführers befindlichen Urkunden lediglich global bezeichnet, deren Inhalt jedoch mit keinem Wort näher konkretisiert, sodass wiederum keine Angabe darüber vorliegt, zu welchem eine andere Entscheidung ermöglichenden Ergebnis die Berücksichtigung der genannten Urkunden hätte führen können.
Die Feststellungen über eine bestehende inländische Fluchtalternative lässt die Beschwerde unbekämpft.
Weil dem Beschwerdeführer die Glaubhaftmachung einer wohl begründeten Furcht, aus asylrelevanten Motiven in Nigeria verfolgt zu werden, nicht gelungen ist, kann ihm kein Asyl gewährt werden.
Bereits der Inhalt der Beschwerde lässt erkennen, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt. Die Beschwerde war daher gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Damit erübrigt sich eine Entscheidung des Berichters über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Wien, am 21. September 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:2000200291.X00Im RIS seit
29.11.2000