RS Vfgh 2017/9/25 V70/2016

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Veröffentlicht am 25.09.2017
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60/03 Kollektives Arbeitsrecht

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z4
ArbVG §4 Abs2, §5 Abs3, §18
Satzung des Kollektivvertrags des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK-Kollektivvertragsabschluss 2013)

Leitsatz

Abweisung des - zulässigen - Parteiantrags auf Aufhebung der Satzung des Kollektivvertrags des Österreichischen Roten Kreuzes; Kollektivvertragsfähigkeit keine Voraussetzung für die Erklärung eines Kollektivvertrages zur Satzung, sondern Voraussetzung für die Antragstellung; bis dato keine Aberkennung der mit Bescheid zuerkannten Kollektivvertragsfähigkeit des Roten Kreuzes

Rechtssatz

Zulässigkeit des Parteiantrags auf Aufhebung der Verordnung des Bundeseinigungsamtes, mit der der Kollektivvertrag des Österreichischen Roten Kreuzes aus dem Jahr 2013 zur Satzung erklärt wird (ÖRK-Kollektivvertragsabschluss 2013), BGBl II 120/2013.

Das Erstgericht verneinte die Anwendung des Kollektivvertrages für das Beförderungswesen mit Personenkraftwagen für Krankentransporte wie jene der antragstellenden Gesellschaft und verpflichtete die antragstellende Gesellschaft zur Zahlung von ausstehendem (Überstunden-)Entgelt auf Basis des gesatzten Kollektivvertrages des Österreichischen Roten Kreuzes - soweit ersichtlich (ausschließlich) - aus dem Jahr 2013 (BGBl II 120/2013). Die angefochtene Verordnung ist somit als präjudiziell anzusehen.

Vor dem Hintergrund der Bedenken der antragstellenden Gesellschaft, denen zufolge es dem Österreichischen Roten Kreuz nach dem Erkenntnis des VwGH vom 04.09.2013, 2011/08/0230, an der Kollektivvertragsfähigkeit gemäß §4 Abs2 ArbVG gemangelt habe, weshalb die Voraussetzungen für die Erklärung des Kollektivvertrages des Österreichischen Roten Kreuzes zur Satzung gemäß §18 Abs1 ArbVG nicht vorgelegen seien und die Satzung BGBl II 120/2013 daher gesetzwidrig (bzw "verfassungswidrig") ergangen sei, hat die antragstellende Gesellschaft zulässigerweise die gesamte Verordnung angefochten.

Die Kollektivvertragsfähigkeit nach §4 Abs2 ArbVG stellt keine im Rahmen des Verfahrens zur Erklärung eines Kollektivvertrages zur Satzung zu prüfende Voraussetzung dar, sondern bildet vielmehr eine - in diesem Verfahren nicht mehr zu prüfende - Voraussetzung für das Antragsrecht.

Wenn, wie im Anlassfall, dem Antragsteller die Kollektivvertragsfähigkeit als freiwillige Interessenvertretung gemäß §4 Abs2 ArbVG mit Bescheid zuerkannt (und bis dato nicht aberkannt) worden ist und die materiellen Voraussetzungen des §18 Abs3 ArbVG als erfüllt anzusehen sind, liegt die Erklärung eines Kollektivvertrages zur Satzung nicht mehr im Ermessen der Behörde, sondern stellt sie eine durch den Antrag der Kollektivvertragspartei ausgelöste Rechtspflicht dar (VwGH 22.12.2009, 2009/08/0064).

Die Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit obliegt gemäß §5 Abs3 ArbVG dem Bundeseinigungsamt. Bei dem Aberkennungsbescheid des Bundeseinigungsamtes handelt es sich um einen rechtsgestaltenden Bescheid, der das Erlöschen der Kollektivvertragsfähigkeit und sämtlicher geschlossener Kollektivverträge bewirkt.

Das Bundeseinigungsamt ist dazu gehalten, in jenen Fällen, in denen Umstände - wie beispielsweise eine Entscheidung des VwGH - vermuten ließen, dass die Voraussetzungen des §4 Abs2 ArbVG nicht mehr vorliegen, von Amts wegen tätig zu werden und ein Verfahren auf Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit gemäß §5 Abs3 ArbVG einzuleiten.

Dem Österreichischen Roten Kreuz wurde auf Antrag mit Bescheid vom 27.01.1998 die Kollektivvertragsfähigkeit als freiwillige Interessenvertretung gemäß §4 Abs2 ArbVG zuerkannt und bis dato vom Bundeseinigungsamt nicht aberkannt. Mit Erkenntnis des VwGH 2011/08/0230, demzufolge die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Kollektivvertragsfähigkeit gemäß §4 Abs2 ArbVG an das Österreichische Rote Kreuz nicht vorlagen, wurde ausschließlich der negative Bescheid über den Antrag Dritter auf Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit aufgehoben; die Kollektivvertragsfähigkeit des Österreichischen Roten Kreuzes ging damit aber nicht verloren. Vielmehr wurde nach einer dem Erkenntnis des VwGH entsprechenden Statutenänderung des Österreichischen Roten Kreuzes der Antrag auf Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit vom Bundeseinigungsamt neuerlich mit Bescheid abgewiesen. Dieser Bescheid ist rechtskräftig.

Vor dem Hintergrund der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung (VwGH 22.12.2009, 2009/08/0064), der zufolge es für die Antragstellung gemäß §18 Abs1 ArbVG genügt, dass der Antragsteller als "kollektivvertragsfähige Körperschaft" Partei des zu satzenden Kollektivvertrages gewesen ist - ein Umstand, der bis zu einer allfälligen bescheidmäßigen Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit durch das Bundeseinigungsamt als gegeben anzusehen ist -, sowie der konkreten Umstände im vorliegenden Fall - dem Österreichischen Roten Kreuz wurde die Kollektivvertragsfähigkeit auch in der Folge nicht aberkannt - erweisen sich die Bedenken der antragstellenden Gesellschaft als nicht zutreffend.

Auch die Bedenken der antragstellenden Gesellschaft im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz und das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums treffen nicht zu.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Arbeitsverfassung, Kollektivvertrag, Satzung, Rotes Kreuz, VfGH / Parteiantrag, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:V70.2016

Zuletzt aktualisiert am

20.03.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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