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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
B-VG Art136 Abs2Leitsatz
Aufhebung von Bestimmungen des BFA-VerfahrensG über die verkürzte Frist für Beschwerden gegen negative Entscheidungen über die Zuerkennung und Aberkennung des Status eines Asylberechtigten und eines subsidiär Schutzberechtigten im Falle einer damit verbundenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme mangels Erforderlichkeit einer vom VwGVG abweichenden RegelungRechtssatz
Aufhebung der Wortfolge "2, 4 und" sowie des Satzes "Dies gilt auch in den Fällen des §3 Abs2 Z1, sofern die Entscheidung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist." in §16 Abs1 BFA-VerfahrensG - BFA-VG idF BGBl I 24/2016.
Zulässigkeit der Gesetzesprüfungsverfahren.
Entscheidungen wie die in den Anlassverfahren vor dem VfGH bzw dem Bundesverwaltungsgericht, die über den Status des Asylberechtigten bzw des subsidiär Schutzberechtigten ebenso absprechen wie über die Nicht-Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 und über die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 FremdenpolizeiG 2005 (FPG), stützen sich nicht isoliert auf §3 Abs2 Z1 BFA-VG, sondern auch hinsichtlich der Nicht-Erteilung des Aufenthaltstitels auf §3 Abs2 Z2 BFA-VG und hinsichtlich der Rückkehrentscheidung auf §3 Abs2 Z4 BFA-VG.
Dass in diesem Fall für alle genannten Entscheidungen eine verkürzte Beschwerdefrist vor dem Bundesverwaltungsgericht von zwei Wochen gegen den Bescheid des BFA gilt, ergibt sich somit sowohl aus dem ersten wie auch aus dem zweiten Satz des §16 Abs1 BFA-VG. Der VfGH hat daher - ebenso wie das Bundesverwaltungsgericht - nicht nur den zweiten Satz des §16 Abs1 BFA-VG, sondern auch die in Prüfung gezogene Wortfolge "2, 4 und" im ersten Satz des §16 Abs1 BFA-VG anzuwenden.
Die in Prüfung gezogenen Teile des §16 Abs1 BFA-VG bewirken, dass die Beschwerdefrist bei allen negativen Entscheidungen über die Zuerkennung und Aberkennung des Status eines Asylberechtigten und eines subsidiär Schutzberechtigten, sofern sie mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden sind, zwei Wochen beträgt. Mit der damit gegenüber der vierwöchigen Beschwerdefrist des §7 Abs4 VwGVG bewirkten Verkürzung wird erreicht (und kann auch nur erreicht werden), dass das Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über den - bis dahin vorläufigen - Aufenthaltsstatus des Fremden um höchstens zwei Wochen verkürzt wird.
Dem steht gegenüber, dass der Gesetzgeber für diese Verfahren keine besonderen gesetzlichen Vorkehrungen für eine (wesentliche) Beschleunigung des weiteren Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht und seiner Entscheidung getroffen hat (vgl schon VfSlg 20041/2016).
Entscheidungen, mit denen der Antrag auf internationalen Schutz negativ entschieden und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden wurde, betreffen den Fremden in seiner Rechtsstellung, sodass einer effektiven Wahrnehmung seiner verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtsschutzmöglichkeiten vor dem Bundesverwaltungsgericht durch den Fremden erhebliche Bedeutung zukommt. Vor diesem Hintergrund sind aber allgemeine effizienzsteigernde Maßnahmen wie die Zuständigkeitskonzentration oder Maßnahmen gegen Verfahrensverzögerungen wie das bedingte Neuerungsverbot (des §20 Abs1 BFA-VG) allein nicht ausreichend, um eine Verkürzung der verwaltungsgerichtlichen Beschwerdefrist als unerlässlich zu erweisen. Denn es ist im Lichte des Art136 Abs2 B-VG wesentlich, dass die Verfahrensbeschleunigung "sämtliche Stadien des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens" erfassen muss. Das bedingt, dass einer Verkürzung der Beschwerdefrist auf Seiten des Fremden entsprechende gesetzliche Maßnahmen zur Beschleunigung der Entscheidungsfindung vor dem Bundesverwaltungsgericht gegenüberstehen müssen, die, wie insbesondere die Regelung entsprechend verkürzter Entscheidungsfristen, auch jenen Bereich betreffen, den der Gesetzgeber und in der Folge die zuständige Vollziehung aufgrund ihrer Organisationsverantwortung zu gewährleisten haben.
Dabei ist von Bedeutung, dass es sich hier "um Sachentscheidungen handelt, die mitunter die Klärung schwieriger Sachverhaltsfragen, die Durchführung einer Beweiswürdigung durch das Gericht und die Erörterung von Teils schwierigen Rechtsfragen erfordern" (VfSlg 20040/2016). Unerlässlich im Sinne der Rechtsprechung des VfGH sind Verkürzungen von Rechtsmittelfristen in solchen Fällen daher nur dann, wenn sie - gleichsam auf der "anderen Seite" - mit besonderen organisations- und verfahrensrechtlichen Maßnahmen einhergehen, die auch eine entsprechend rasche Entscheidung gewährleisten.
Vor diesem Hintergrund ist auch das für sich gewichtige öffentliche Interesse an der ehestmöglichen Klärung des Aufenthaltsstatus des Fremden schon aus diesem Grund nicht in der Lage, die Verkürzung der zweiwöchigen Beschwerdefrist als erforderlich im Sinne von Art136 Abs2 B-VG zu erweisen.
§16 Abs1 BFA-VG erfasst grundsätzlich alle Anträge auf internationalen Schutz, sofern sie mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden sind. Die Bestimmung muss daher im Hinblick auf ihren umfassenden Anwendungsbereich für alle erfassten Konstellationen erforderlich sein.
Ausspruch gem Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind.
(Anlassfall E502/2017, E v 11.10.2017, Aufhebung des angefochtenen Beschlusses; siehe auch E2715/2016, E v 26.09.2017, E3016/2017, E v 11.10.2017, uva, Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Asylrecht, Fremdenrecht, Verwaltungsverfahren, Verwaltungsgerichtsverfahren, Fristen, Rechtsschutz, Bedarfsgesetzgebung, Bedarfskompetenz, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Aufhebung WirkungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:G134.2017Zuletzt aktualisiert am
20.03.2019