RS Vfgh 2017/9/28 E2666/2016

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 28.09.2017
beobachten
merken

Index

82/04 Apotheken, Arzneimittel

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ApothekenG §10 Abs2 Z3, Abs6a, §46 Abs5
AEUV Art49

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Erweiterung des bei der Erteilung der Konzession zum Betrieb einer öffentlichen Apotheke festgesetzten Standortes und Abweisung der Einwendungen der Beschwerdeführerin infolge gänzlicher Nichtanwendung der negativen Bedarfsregelung weiterhin zu versorgender Personen wegen Widerspruchs zum Unionsrecht und der dadurch bewirkten Inländerdiskriminierung; inländerdiskriminierende Wirkung auf Grund des öffentlichen Interesses an der Sicherung einer ausreichenden flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln vorübergehend sachlich gerechtfertigt

Rechtssatz

Der VfGH stimmt grundsätzlich der Rechtsauffassung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich zu, dass die Bestimmungen des §10 Abs2 Z3 iVm Abs6a ApothekenG idF BGBl I 30/2016 - ausgehend vom Beschluss des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 30.06.2016, Rs C-634/16, Sokoll-Seebacher II, - im Widerspruch zu Art49 AEUV stehen, weil diese nationalen Bestimmungen eine Unterschreitung der "weiterhin zu versorgenden Personen" gemäß §10 Abs2 Z3 ApothekenG (unter die Grenze von 5.500 zu versorgenden Personen) nur dann ermöglichen, "wenn es in ländlichen und abgelegenen Regionen auf Grund besonderer örtlicher Verhältnisse im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung [...] dringend erforderlich ist".

Dies führt allerdings - gäbe es im Beschwerdesachverhalt einen Unionsrechtsbezug - nicht notwendigerweise dazu, dass die (negative) Bedarfsregelung des §10 Abs2 Z3 iVm Abs6a ApothekenG idF BGBl I 30/2016 zur Gänze unangewendet zu bleiben hat. Auf Grund des Anwendungsvorrangs des Art49 AEUV muss §10 Abs2 Z3 iVm Abs6a ApothekenG idF BGBl I 30/2016 vielmehr so angewendet werden, dass nicht nur bei besonderen örtlichen Verhältnissen in ländlichen und abgelegenen Regionen, sondern in jedem Fall die örtlichen Besonderheiten zu prüfen sind. Eben dies hat aber das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich im Beschwerdefall unterlassen, indem es die Bedarfsregelung des §10 Abs2 Z3 ApothekenG zur Gänze unangewendet ließ.

Aus dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 19.07.2012, Rs C-470/11, Garkalns, kann mitnichten gefolgert werden, das Unionsrecht gebiete, bei einem reinen Inlandssachverhalt infolge einer möglichen (verfassungswidrigen) Inländerdiskriminierung Bestimmungen des nationalen Rechtes unangewendet zu lassen. Ausgehend vom Verständnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich, dass §10 Abs2 Z3 ApothekenG verfassungswidrig sei, wäre das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich vielmehr gemäß Art89 Abs2 iVm Art135 Abs4 B-VG gehalten gewesen, beim VfGH einen Antrag nach Art140 Abs1 Z1 lita B-VG auf Aufhebung des §10 Abs2 Z3 ApothekenG wegen Verfassungswidrigkeit zu stellen. Eben dies hat das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich allerdings nicht getan.

Der VfGH sieht keinen Anlass, §10 Abs2 Z3 ApothekenG (iVm Abs6a) ApothekenG idF BGBl I 30/2016 von Amts wegen in Prüfung zu ziehen.

Der VfGH geht - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 29.03.2017, Ra 2016/10/0141) - davon aus, dass durch die Neufassung des §10 Abs6a ApothekenG nunmehr eine ausreichende gesetzliche Grundlage dafür geschaffen wurde, die in der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union geforderte Flexibilität bei der Bedarfsprüfung zu gewährleisten. Die Neufassung des §10 Abs6a ApothekenG trat am 07.12.2016, sohin innerhalb von sechs Monaten nach Verkündung des Beschlusses des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 30.06.2016, Rs C-634/15, Sokoll-Seebacher II, in Kraft.

Inländerdiskriminierende Wirkung einer Norm im Interesse eines geordneten Gesetzgebungsprozesses vorübergehend, nämlich für die Dauer einer für die Neuregelung erforderlichen Übergangszeit angesichts eines erheblichen öffentlichen Interesses sachlich gerechtfertigt und daher hinzunehmen (vgl VfSlg 19529/2011).

Auch im Beschwerdefall gibt es ein öffentliches Interesse an der Sicherung einer ausreichenden flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses (September 2016) durfte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich in Bezug auf die in dieser Form erstmals im Beschluss des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 30.06.2016, Rs C-634/15, Sokoll-Seebacher II, zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung jedenfalls nicht davon ausgehen, dass der Zeitraum, in dem eine allfällige (hier nicht weiter untersuchte) inländerdiskriminierende Wirkung nach der Rechtsprechung des VfGH hinzunehmen ist, bereits überschritten wurde, zumal seit Erlassung des Beschlusses des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 30.06.2016, Rs C-634/15, Sokoll-Seebacher II, nur etwas mehr als zwei Monate vergangen waren.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Apotheken, Bedarfsprüfung, EU-Recht, Inländerdiskriminierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:E2666.2016

Zuletzt aktualisiert am

20.03.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten