TE Vfgh Beschluss 2017/9/28 E2821/2017 ua

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Veröffentlicht am 28.09.2017
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

VfGG §33, §34
ZPO §530 Abs1 Z7

Leitsatz

Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens und Aufhebung des Beschlusses über die Abweisung des Verfahrenshilfeantrages infolge versehentlich unrichtiger Angabe des Zustelldatums der bekämpften Entscheidung

Spruch

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.

II. Das mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 29. August 2017, E2821/2017-3, abgeschlossene Verfahren über den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird wiederaufgenommen.

III. Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 29. August 2017, E2821/2017-3, wird aufgehoben.

Begründung

Begründung

I.       Sachverhalt und Vorbringen

1.       Der Einschreiter brachte mit Schriftsatz vom 15. August 2017, aufgegeben am 16. August 2017, beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe gegen das oben bezeichnete Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 28. Juni 2017 ein. In seinem Schriftsatz gab der Einschreiter an, dieses Erkenntnis sei ihm am 3. Juli 2017 zugestellt worden.

2.       Der Verfassungsgerichtshof wies in der Folge den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wegen offenbarer Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§63 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 und §20 Abs2 VfGG) ab, weil die sechswöchige Beschwerdefrist des §82 Abs1 VfGG zum Zeitpunkt der Postaufgabe des Antrages schon verstrichen war, aber nur ein innerhalb dieser Frist gestellter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe deren Unterbrechung zu bewirken vermag (§82 Abs3 VfGG). Eine künftige Beschwerde erwiese sich daher als verspätet.

3.       Mit Eingabe vom 5. September 2017 beantragt der Einschreiter die "Wiedereinsetzung des […] Verfahrens in den vorigen Stand, da die Begründung auf eine[r] falsche[n] Information […] beruht und somit [der] Inhalt nicht den Tatsachen entspricht". Begründend führt er aus, dass er versehentlich angegeben habe, das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich sei ihm am 3. Juli 2017 zugestellt worden. Am 3. Juli 2017 sei es lediglich zu einem Zustellversuch durch die Post gekommen. Es sei eine Benachrichtigung hinterlegt worden, wonach die Abholfrist am 4. Juli 2017 beginne. Da das Ende der Frist auf einen Feiertag, den 15. August 2017, gefallen sei, habe die Frist erst am 16. August 2017 geendet, an dem der Antrag auch postalisch aufgegeben worden sei.

4.       Die Angaben des Einschreiters wurden dem Verfassungsgerichtshof vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich durch Übermittlung einer Kopie des Zustellnachweises (Rückscheines) bestätigt.

II.      Erwägungen

1.       Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen (zB VfSlg 11.041/1986, 12.306/1990, 14.695/1996, 18.050/2007, 19.152/2010), dass die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes – insbesondere auch seine Beschlüsse – endgültig sind, sofern es sich nicht um Fälle der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und der Wiederaufnahme des Verfahrens handelt. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Wiederaufnahme des Verfahrens in seinen §§33 und 34 nicht selbst regelt, hat der Verfassungsgerichtshof die entsprechenden Bestimmungen der ZPO (§§146 und 530 ff.) sinngemäß anzuwenden.

2.       Ein Wiedereinsetzungsgrund ist nach §146 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG dann gegeben, wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis (am rechtzeitigen Erscheinen bei einer Tagsatzung oder) an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Ein Verschulden der Partei an der Versäumung hindert die Bewilligung der Wieder-einsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt (vgl. VfSlg 11.267/1987). Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher nur zulässig, wenn eine Frist für die Vornahme einer Prozesshandlung tatsächlich versäumt wurde (vgl. VfSlg 11.244/1987; VfGH 5.6.2014, U2460/2013 ua.).

Da im vorliegenden Fall mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und damit ein nicht fristgebundener Antrag (vgl. VfSlg 19.442/2011; VfGH 22.2.2010, B167/10) nachgeholt werden soll, liegt keine Versäumung einer befristeten Prozesshandlung iSd §146 Abs1 ZPO vor; zumal – selbst wenn man den Antrag so deuten würde – vom Einschreiter gerade keine Versäumung einer Frist behauptet wird (vgl. VfGH 24.2.1998, B2450/97). Der Wiedereinsetzungsantrag ist daher zurückzuweisen.

3.       Der Verfassungsgerichtshof deutet das Schreiben des Einschreiters vom 5. September 2017 zu seinen Gunsten (entsprechend dem zwar nicht ausdrücklich formulierten, der Sache nach aber erkennbaren Anliegen) auch als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens (vgl. VfGH 14.3.2017, E17/2017 mwN).

Gemäß §530 Abs1 ZPO setzt die Zulässigkeit der Wiederaufnahme eines Verfahrens dessen Abschluss durch "eine die Sache erledigende Entscheidung" voraus. Eine solche liegt nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht nur dann vor, wenn der dem jeweiligen Verfahren zugrunde liegende Rechtsschutzantrag meritorisch erledigt wird, sondern – ungeachtet ihrer Bezeichnung – immer schon dann, wenn durch sie das Verfahren beendet wird (s. zB VfSlg 16.511/2002, 18.019/2006). Auch ein Beschluss, mit dem die Verfahrenshilfe abgewiesen wurde, ist einer verfahrensbeendenden Entscheidung im Sinne dieser Regelung gleichzuhalten.

3.1.    Die Bewilligung der Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens wegen Vorliegens des – hier allein in Frage kommenden – Wiederaufnahmegrundes gemäß §530 Abs1 Z7 ZPO (iVm §35 Abs1 VfGG) setzt voraus, dass "die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde". Die Wiederaufnahme findet weiters nur statt, "wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, [...] die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluß der mündlichen Verhandlung, auf welche die Entscheidung erster Instanz erging, geltend zu machen" (§530 Abs2 ZPO).

3.2.    Ausschließlich die unrichtige Angabe des dem Einschreiter zum Zeitpunkt der Einbringung bekannten Zustelldatums des angefochtenen Erkenntnisses, die – ausgehend von den unter I.3. angeführten Umständen – offenbar durch einen Schreibfehler verursacht wurde, führte zur Abweisung des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wegen offenbarer Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung, weil sich eine künftige Beschwerde als verspätet erwiese; dieser Umstand lag jedoch – objektiv gesehen – nicht vor. In einem solchen Fall ist das Hervorkommen der irrigen Datumsangabe dem Fall des Auffindens neuer Tatsachen oder Beweismittel gleichzuhalten (s. VfSlg 14.695/1996, 18.865/2009).

3.3.    Die Verwendung des "richtigen" Zustelldatums im Schriftsatz vom 15. August 2017 wäre allenfalls auch geeignet gewesen, die Abweisung des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe – aus den in diesem Beschluss genannten Gründen – zu verhindern. Es hätte dadurch eine günstigere Entscheidung ergehen können (vgl. VfSlg 18.050/2007, 19.152/2010; VfGH 24.11.2016, E2696/2016; 14.3.2017, E17/2017); auch ein die Wiederaufnahme ausschließendes Verschulden iSd §530 Abs2 ZPO liegt – auf Grund der Angaben des Einschreiters betreffend die Umstände, die zur Falschangabe des Zustelldatums in seinem Schriftsatz vom 15. August 2017 geführt haben – nicht vor (vgl. VfSlg 14.695/1996, 18.865/2009; VfGH 5.6.2014, U2460/2013 ua.). Der Antrag auf Wiederaufnahme wurde auch rechtzeitig gestellt und ist daher zulässig.

4.       Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 29. August 2017 ist daher unter sinngemäßer Anwendung des §530 Abs1 Z7 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG aufzuheben (vgl. VfSlg 19.152/2010; VfGH 24.11.2016, E2696/2016; 14.3.2017, E17/2017).

5.       Dies konnte gemäß §34 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Verfahrenshilfe, VfGH / Wiedereinsetzung, VfGH / Wiederaufnahme, Auslegung eines Antrages

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:E2821.2017

Zuletzt aktualisiert am

13.10.2017
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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