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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des RA in E, geboren am 16. September 1967, vertreten durch Dr. Franz J. Rainer, Rechtsanwalt in 8970 Schladming, Hauptplatz 36, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Juli 1998, Zl. 200.063/0-I/02/98, betreffend § 7 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Pakistan, reiste seinen Angaben zufolge am 16. November 1996 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 25. November 1996 Asyl. Bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 20. Dezember 1996 begründete der Beschwerdeführer seine Flucht wie folgt:
Er sei seit 1992 Mitglied der PPP "(Pakistan People Party)". Im September 1996 sei im Wohnbezirk des Beschwerdeführers die "Muslim League" stärkste Partei geworden. Seither habe er immer wieder Schwierigkeiten mit der Polizei und mit Mitgliedern der "Muslim League" gehabt. Am 16. August 1996 habe der Beschwerdeführer an einer Demonstration in Lahore teilgenommen. Mitglieder der "Muslim League" hätten die anderen angegriffen und es sei zu Ausschreitungen gekommen. Man habe in die Luft geschossen, allerdings sei niemand verletzt worden. Mitglieder der "Muslim League" hätten den Beschwerdeführer bei der Polizei angezeigt und verdächtigt, er würde illegal eine Waffe besitzen und er hätte damit herumgeschossen. "Mitglieder der ML" wären öfters in das Geschäft des Beschwerdeführers gekommen und hätten ihn bedroht. Am 20. August 1996 sei er von der Polizei verhaftet und zur Polizeistation in Mugulpura in Lahore gebracht worden. Er sei schließlich nach Bezahlung einer Kaution nach einem Tag wieder freigelassen worden. Ihm seien die Ausschreitungen anlässlich der Demonstration vorgeworfen worden. Am 25. August 1996 sei er abermals von der Polizei verhaftet und schließlich nach 24 Stunden und Bezahlung einer Kaution wieder freigelassen worden. Er habe aber befürchten müssen, wegen seiner Zugehörigkeit zur PPP weiter verfolgt zu werden.
Das Bundesasylamt wies diesen Asylantrag ab, weil es u.a. der Auffassung war, der Beschwerdeführer sei als unglaubwürdig einzustufen.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er darauf verwies, dass im Herbst 1996 das Parlament aufgelöst und zwischenzeitig eine provisorische Regierung eingesetzt worden sei. Die Neuwahlen vom 3. Februar 1997 hätten ein vernichtendes Ergebnis für die PPP gebracht. Die "Muslim League" habe die meisten Stimmen erreicht. Schon vor den Wahlen seien Mitglieder der PPP verfolgt worden, so auch insbesondere der Beschwerdeführer "auf Grund seiner Funktion". Die Pakistan People Party sei eine demokratische Partei, deren Ziel es sei, demokratisch-rechtsstaatliche Verhältnisse herzustellen. Auf Grund des Wahlergebnisses sei zu befürchten, dass Mitglieder der Pakistan People Party noch mehr verfolgt und unter Druck gesetzt würden. Die Anfeindungen gegen den Beschwerdeführer hätten darin gegipfelt, dass durch unberechtigte Anschuldigungen ein Haftbefehl gegen ihn ergangen sei. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe seien jedoch unrichtig. Da eine Verhaftung und letztlich eine strafrechtliche Befürchtung begründet gewesen sei, sei der Beschwerdeführer geflüchtet. Wenn das Bundesasylamt meine, aus dem Umstand, dass er nach seiner Inhaftierung jeweils wieder auf freien Fuß gesetzt worden sei, die Schlussfolgerung ziehen zu können, dass der Beschwerdeführer nicht als politisch gefährdet einzustufen wäre, so sei diese Auffassung unschlüssig. Berücksichtige man die Berichte der Medien der letzten Wochen, so sei vom Gegenteil auszugehen. Diese Berichte hätten gezeigt, dass gerade Mitglieder der Pakistan People Party mit aller Vehemenz verfolgt würden. Durch das Wahlergebnis vom 3. Februar 1987 hätte sich die Situation zusätzlich verschlechtert.
Die belangte Behörde hielt dem Beschwerdeführer im Berufungsverfahren vor, dass die ihr vorliegenden Berichte ("u.a. der über Internet zugängliche Bericht von Amnesty International betreffend den Zeitraum 1.1.1996 bis 31. Dezember 1996, Amnesty International Report 1996 und 1997, Berichte des Research Directorate, Immigration and Refugee Board Government of Canada vom 26.10.1997, Seite 9, Human Rights Watch World Report 1996 und 1997") keinen Hinweis auf eine Demonstration am 16. August 1996 in Lahore aufwiesen. Weiters ergebe sich aus diesen Berichten, dass Verfolgungen gegen Mitglieder der Pakistan People Party in einer asylrelevanten Intensität nicht stattfänden. Das vom Schweizer Bundesamt für Flüchtlinge herausgegebene Länderinformationsblatt vom Juli 1997 zeige auf, dass die PML als Regierungspartei einen "pragmatisch westlich orientierten Kurs" verfolge. Auf die Aufforderung hin, zu diesen schriftlichen Erhebungsergebnissen binnen einer bestimmten Frist Stellung zu nehmen, habe der Beschwerdeführer keine Stellungnahme abgegeben.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab und traf folgende Feststellungen:
"Festgestellt wird, dass die Angaben des Asylwerbers betreffend seiner Verfolgungsgefahr hinreichend glaubhaft und begründet sind.
Ferner wird festgestellt, dass eine Verfolgung von zumindest der einfachen Mitglieder der Pakistan People Party (PPP) in Pakistan nicht stattfindet. Die Pakistan Muslim League (PML) als Regierungspartei verfolgt einen pragmatisch westlich orientierten Kurs."
Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe Bescheinigungsmittel für seine Angaben nicht vorzulegen vermocht. Der Beschwerdeführer habe fast vier Monate Zeit gehabt, um einem entsprechenden Auftrag des Gerichts nachzukommen. Dies habe er jedoch unterlassen. Der Beschwerdeführer habe nicht hinreichend glaubhaft machen können, dass ein angebliches Gerichtsverfahren gegen ihn anhängig wäre. Gegen die Schilderung des Beschwerdeführers spreche auch das problemlose Passieren der Personenkontrolle auf dem Flughafen anlässlich seiner Ausreise. Der Beschwerdeführer habe nicht glaubwürdig dargetan, dass das gegen ihn eingeleitete Gerichtsverfahren eine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention darstelle, zumal ihn das Gericht - gemäß den üblichen rechtsstaatlichen Grundsätzen und Gepflogenheiten - gegen Zahlung einer Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt habe. Im Rahmen einer Gesamtbeurteilung sei zu berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer in Widersprüche hinsichtlich des Zeitpunktes der Landung seines Flugzeuges in Wien verstrickt habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt, der Beschwerde eine Folge zu geben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die belangte Behörde hat festgestellt, "dass die Angaben des Asylwerbers betreffend seiner Verfolgungsgefahr (gemeint: nicht) hinreichend glaubhaft und begründet sind". Zu dieser "Feststellung" führt die belangte Behörde weiters aus, dass der Beschwerdeführer keine Bescheinigungsmittel vorgelegt habe, "die entgegen der dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegenden Informationen zum einen belegen, dass eine Demonstration am 16.8.1998 (gemeint: 1996) mit Schußwechsel stattfand, die in Folge zu seiner Flucht geführt haben sollte, zum anderen, daß einfache Mitglieder der PPP in Pakistan verfolgt werden". Folgte man diesen Ausführungen der belangten Behörde, so bedeutete dies, die belangte Behörde verfüge über "Informationen", wonach am 16. August 1996 keine Demonstration stattgefunden hätte und die belegten, dass "einfache Mitglieder der PPP" in Pakistan nicht verfolgt würden. Die belangte Behörde legt allerdings nicht konkret dar, um welche "Informationen" es sich dabei handle. Solle die belangte Behörde die im Bescheid angeführten Berichte meinen, so kann diesen - soweit im Akt aufliegenden - Berichten eine dahingehende Aussage nicht entnommen werden.
Abgesehen davon, dass allein aus der Nichtvorlage von "Bescheinigungsmitteln" durch den Asylwerber noch nicht geschlossen werden könnte, seine Angaben zur Flucht seien unglaubwürdig, weil auch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen selbst zur Belegung einer Verfolgungssituation hinreichend sein kann, ist die Behauptung, der Beschwerdeführer hätte keine Bescheinigungsmittel vorgelegt, aktenwidrig. Der Beschwerdeführer hat "ein Schreiben vom 28. Februar 1997 des Ali Basharat" und ein "Schreiben des Gerichtes vom 25. August 1996" vorgelegt, wonach er verhaftet und ein gerichtliches Verfahren gegen ihn eingeleitet worden sei. Folgte man den Angaben des Beschwerdeführers, so stünden die in den vorgelegten Schreiben angesprochenen Verfahrensschritte im Zusammenhang mit der vom Beschwerdeführer angegebenen Teilnahme an einer Demonstration im August 1996. Die diesbezüglich lapidaren Ausführungen der belangten Behörde, die vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente "enthielten keine Informationen, die die Feststellungen der erkennenden Behörde erschüttern konnten," lässt das grundsätzlich gegebene Erfordernis, sich mit derartigen Beweismitteln entsprechend auseinander zu setzen, vermissen. Die diesbezügliche Aussage der belangten Behörde, die "Echtheit" (gemeint: des Schriftstückes "eines Rechtsanwaltes des Obersten Gerichtes") "könnte" schon auf Grund der mit freiem Auge bereits erkennbaren unterschiedlichen Schriftzeichen verschiedener Schreibmaschinen "angezweifelt werden", lässt offen, ob die belangte Behörde die Echtheit dieser Urkunde als gegeben annahm oder nicht. Aus dieser Aussage lässt sich daher für die Beurteilung der Beweiswürdigung der belangten Behörde nichts gewinnen. Die weitere Schlussfolgerung, dieses Schriftstück "könne angesichts der o.a. Informationslage auch als Gefälligkeitsschreiben beurteilt werden", steht im Zusammenhang mit dem schon oben angeführten Mangel, dass nicht erkennbar ist, über welche "Informationslage" die belangte Behörde verfügt, die die vom Beschwerdeführer geschilderte Demonstration als nicht stattgefunden erwiese.
Abgesehen davon, dass den Ausführungen der belangten Behörde nicht klar entnehmbar ist, wodurch sich ein "einfaches Mitglied der PPP" auszeichnete, welches keine Verfolgung in Pakistan befürchten müsse, hat sich die belangte Behörde nicht damit auseinander gesetzt, ob die vom Beschwerdeführer nach seinen Angaben bekleidete Funktion als "Sekretär des Ministers für Straßenbau und Bauwesen" keine Position mehr sei, die ein "einfaches Mitglied der PPP" auszeichnete. Selbst wenn man also davon ausginge, dass ein "einfaches Mitglied" der PPP vom politischen Gegner in Pakistan nicht verfolgt würde, so besagte dies noch nicht, dass der Beschwerdeführer als zumindest zeitweiliger "Sekretär" des Ministers nicht verfolgt würde. Es ist nicht erkennbar, warum der politische Gegner darauf abstellen sollte, ob ein Mitglied der PPP auf Grund eines festen Anstellungsverhältnisses für einen Minister der PPP arbeitete oder aber nur zeitweilig und "freiwillig", um danach die Verfolgungswürdigkeit des betreffenden Mitgliedes zu beurteilen. Die Feststellung der belangten Behörde, "die Pakistan Muslim League (PML) als Regierungspartei verfolgt einen pragmatisch westlich orientierten Kurs", schließt für sich allein politisch motivierte Misshandlungen von Oppositionellen noch nicht aus. Allein deshalb, weil das vom Beschwerdeführer vorgelegte Schriftstück von einem "Rechtsanwalt des Obersten Gerichtes" stamme, ließe sich auch die Schlussfolgerung, es handle sich um ein "Gefälligkeitsschreiben", nicht begründen.
Ohne nähere Darlegungen und Feststellungen zur Vorgangsweise der Sicherheitsorgane anlässlich von Kontrollen an Flughäfen in Pakistan reicht auch der Umstand einer "problemlosen Ausreise" nicht aus, um die gesamten Angaben des Beschwerdeführers einschließlich der vorgelegten Urkunden als unglaubwürdig einzuschätzen. Auch die "Widersprüche hinsichtlich des Zeitpunktes der Landung seines Flugzeuges in Wien" vermögen angesichts der aufgezeigten, teilweise nicht nachvollziehbaren Schlussfolgerungen der belangten Behörde die Annahme der Unglaubwürdigkeit der Fluchtschilderung des Beschwerdeführers nicht zu begründen. Wenn die belangte Behörde hinsichtlich ihrer "Feststellungen zur politischen Lage in Pakistan" auf die im Akt erliegenden Urkunden verweist, so ist anzumerken, dass im Bericht von Amnesty International gerade für den Zeitraum 1. Jänner 1996 bis 31. Dezember 1996 eine erhebliche Anzahl von Fällen geschildert wird, in denen polizeilichen und gerichtlichen Organen gravierende Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Es seien danach zahlreiche Fälle von zu Unrecht erhobenen Anklagen gegen politisch Oppositionelle dokumentiert. Dass die PML als Regierungspartei gegenüber Mitgliedern der PPP derartige Praktiken nicht verfolgte, lässt sich den von der belangten Behörde beigeschafften "Informationen" betreffend den Zeitraum bis zur Bescheiderlassung nicht hinreichend entnehmen.
Letztlich lässt sich auch mit dem abschließend von der belangten Behörde herangezogenen Argument, das Vorliegen eines erforderlichen zeitlichen Zusammenhanges der Flucht des Beschwerdeführers mit der geschilderten Demonstration und den nachfolgenden Verhaftungen sei als "sehr zweifelhaft" anzusehen, nicht die Abweisung des Asylantrages begründen, weil diesen "Zweifeln" lediglich die Feststellung zu Grunde liegt, der Beschwerdeführer sei erst zwei bis drei Monate nach den von ihm geschilderten fluchtauslösenden Erlebnissen ausgereist. Abgesehen von dem relativ kurzen Zeitraum ist diesen Ausführungen der belangten Behörde entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer nach seinen Angaben während dieses Zeitraumes nicht habe unbehelligt leben können. Folgte man den Angaben des Beschwerdeführers, so lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner Tätigkeit für die PPP und der Vorfälle im August 1996 zum Zeitpunkt seiner Ausreise ca. zwei bis drei Monate später nicht mehr in seiner Freiheit bedroht gewesen wäre.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 21. September 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1998200362.X00Im RIS seit
04.12.2000