TE Vwgh Erkenntnis 2000/9/21 2000/20/0263

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Veröffentlicht am 21.09.2000
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des KO in Wien, geboren am 12. Oktober 1978, vertreten durch Dr. Armin Bammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntnerstraße 37, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Februar 2000, Zl. 215.224/0-XI/38/00, betreffend Abweisung eines Asylantrages gemäß § 7 AsylG und Feststellung gemäß § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Auf Grund der Beschwerde und des mit ihr vorgelegten angefochtenen Bescheides steht folgender Sachverhalt fest:

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am 28. Oktober 1998 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet ein und beantragte am 29. Oktober 1998 die Gewährung von Asyl. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 22. Oktober 1999 wurde dieser Antrag abgewiesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 7 AsylG abgewiesen. Die belangte Behörde stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei.

Auf Grund der für glaubwürdig erachteten Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt traf die belangte Behörde folgende Feststellungen:

Der Berufungswerber ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er war Vizepräsident der "Students Union" und organisierte am 9. Juli 1998 aus Anlass des Todes des nigerianischen Politikers Moshood ABIOLA eine erlaubte Studentendemonstration, die zunächst friedlich verlief. Später kam es jedoch zu Ausschreitungen, bei welchen Autos in Brand gesetzt und zerstört sowie Polizisten getötet und mehrere Demonstranten verletzt wurden. Der Berufungswerber sah sich nicht in der Lage, diese abzubrechen. Er nahm zwar selbst an keinen gewalttätigen Auseinandersetzungen teil, wurde jedoch - noch vor den erwähnten Todesfällen - als Verantwortlicher für die Demonstration wegen der Ausschreitungen festgenommen und zwei Tage auf einer Polizeistation fest gehalten. Aus Angst davor, für die Ausschreitungen und den damit zusammenhängenden Tod eines Polizisten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden, verließ der Berufungswerber sein Heimatland Nigeria.

Die belangte Behörde vertrat die Ansicht, dass die Furcht vor einem wegen der Demonstration möglicherweise eingeleiteten Strafverfahren keine asylrelevante Verfolgung darstelle, weil es an einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsmotive fehle. Auch eine Gefährdung im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG liege nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der Beschwerdeführer macht geltend, dass seine Angaben im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme zumindest unvollständig, wenn nicht passagenweise falsch protokolliert worden seien. Der einvernehmende Beamte habe es unterlassen, Zusammenhänge, die ihm unklar wären, durch präzise Fragestellungen zu erhellen, weil seine vorweggenommene Entscheidung bereits festgestanden sei. Die belangte Behörde hätte dem Beschwerdeführer die Möglichkeit einer sinnvollen Ergänzung seiner Einvernahme einräumen müssen und sei ihrer gemäß § 37 AVG obliegenden Verpflichtung, den wahren, wirklich entscheidungsrelevanten Sachverhalt festzustellen, nicht nachgekommen. Die Beschwerde verabsäumt es jedoch, konkrete Behauptungen darüber aufzustellen, welche Angaben einer Richtigstellung bzw. Ergänzung bedurft hätten und zu welchen eine andere Entscheidung ermöglichenden Ergebnissen die Behörde bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften hätte kommen können (vgl. dazu Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 616 f; aus neuerer Zeit nur beispielsweise die Erkenntnisse vom 20. März 1990, Zl. 89/05/0224, und vom 26. April 1991, Zl. 91/19/0057).

Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, die belangte Behörde habe völlig außer Acht gelassen, dass er im Sommer 1999 angeschossen worden sei. Dieses bereits in der Berufung erstattete Vorbringen, wonach seine Familie "Drohbriefe und Drohanrufe" bekommen habe und er selbst im letzten Sommer von einer unbekannten Person angeschossen worden sei, wobei die Kugel glücklicherweise nur sein Bein getroffen habe, ist aber nicht geeignet, in einen asylrelevanten Zusammenhang mit den Zuständen in seiner Heimat gebracht zu werden. Auch die Beschwerde legt nicht dar, durch wen und aus welchem Motiv die Schussverletzung erfolgte und es ist nicht ersichtlich, inwieweit eine Berücksichtigung des Vorbringens zu einem anderen Bescheid hätte führen können.

Nach Ansicht des Beschwerdeführers müsste es der belangten Behörde bekannt sein, dass er in seinem Heimatland trotz des Ablebens des Diktators Abacha nicht mit einem fairen Gerichtsverfahren rechnen könne.

Der Beschwerdeführer stand aber nach seinen eigenen Angaben lediglich zwei Tage wegen der gewaltsamen Ausschreitungen im Zuge der erlaubten Demonstration im Polizeigewahrsam. Es liegen keine Hinweise darauf vor, dass das von ihm befürchtete Strafverfahren tatsächlich eingeleitet worden wäre. Der Beschwerdeführer vermochte nicht darzulegen, auf Grund welcher konkreter Umstände die nigerianischen Behörden überhaupt einen Zusammenhang zwischen einem Verhalten des Beschwerdeführers und den dabei vorgekommenen, von ihm aber weder initiierten, noch gebilligten Ausschreitungen herstellen könnten. Auch ein Vorbringen dahingehend, dass ihm von den nigerianischen Behörden aus asylrelevanten Motiven die Verantwortung für die im Zuge der Demonstration verübten Straftaten lediglich unterschoben werden sollte, hat der Beschwerdeführer nicht erstattet. Es ist daher nicht ersichtlich, dass er aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Motiv Verfolgung zu befürchten hätte.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Ein zentraler Aspekt der dem § 7 AsylG zu Grunde liegenden, in der zitierten Bestimmung der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Diese Furcht muss nachvollziehbar sein und es kommt daher nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde.

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. zB das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1995, Zl. 94/20/0858). Eine tatsächlich noch gar nicht eingeleitete, sondern vom Beschwerdeführer lediglich subjektiv befürchtete Strafverfolgung wegen krimineller Ausschreitungen anderer Personen im Zuge einer erlaubten Demonstration, vermag eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus asylrelevanten Motiven nicht zu begründen. Soweit die Beschwerde vorträgt, dem Beschwerdeführer würden politisch motivierte strafbare Handlungen in Form der "Verletzungen der Rechtsgüter Leben und Eigentum anlässlich der Ausschreitungen im Rahmen der Demonstration" angelastet, entfernt sie sich von den getroffenen Feststellungen und verstößt gegen das Neuerungsverbot.

Der Beschwerdeführer weist schließlich darauf hin, dass seine Einvernahme anlässlich der polizeilichen Festnahme in Nigeria bereits am 29. Oktober 1998 stattgefunden habe und es durchaus denkbar sei, dass sein damaliger Wissensstand über die Nichteinleitung eines Strafverfahrens gegen ihn im Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde nicht mehr den Tatsachen entsprochen haben könnte. Es wäre daher an der belangten Behörde gelegen, diesbezügliche amtliche Auskünfte einzuholen.

Zwar trifft es zu, dass die Verwaltungsbehörden nach dem § 28 AsylG den maßgebenden Sachverhalt von Amtswegen vollständig zu ermitteln und festzustellen haben. Im vorliegenden Fall hatte die belangte Behörde aber keine Veranlassung Erkundigungen darüber einzuholen, ob gegen den Beschwerdeführer möglicherweise bereits ein Strafverfahren eingeleitet worden sei, weil der Beschwerdeführer nach Inhalt des Bescheides und des Vorbringen in der Beschwerde selbst bisher keinerlei hinreichend deutliche Hinweise in diese Richtung gegeben hat. Aus dem § 28 AsylG kann keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (vgl. zB das hg. Erkenntnis vom 14. Oktober 1998, Zl. 98/01/0222).

Die belangte Behörde ist auch zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass in dem von dem Beschwerdeführer lediglich befürchteten Strafverfahren wegen einer ihm möglicherweise zugeschriebenen Verantwortlichkeit für Ausschreitungen im Zuge einer von ihm organisierten, von den nigerianischen Behörden erlaubten Demonstration, keine seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in sein Heimatland entgegenstehende Gefährdung im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG zu erblicken sei.

Weil bereits der Inhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Damit erübrigt sich eine Entscheidung des Berichters über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 21. September 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:2000200263.X00

Im RIS seit

29.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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