TE Vwgh Erkenntnis 2000/9/21 98/20/0466

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Veröffentlicht am 21.09.2000
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27 Abs1;
AsylG 1997 §38;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a idF 1998/I/028;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des CI in Graz, geboren am 3. April 1968, vertreten durch Dr. Mario Sollhart, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Friedrichgasse 6/V, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. September 1998, Zl. 201.244/0-V/15/98, betreffend § 7 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 2. Dezember 1996 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers vom 4. Juni 1996 abgewiesen. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria und am 4. Juni 1996 in das Bundesgebiet eingereist.

Der Beschwerdeführer gab anlässlich seiner Einvernahme am 25. Juni 1996 seine Fluchtgründe - zusammengefasst - dahingehend an, dass er seit 1993 "Mobilisierungsoffizier" der Partei "National Democratic Coalition (NADECO)" gewesen sei und als solcher die Aufgabe gehabt habe, "Organisationen und Protestkundgebungen zu organisieren". Er sei deshalb von der "SSS (State Security Service)" gesucht worden. Zuletzt sei er am 20. April 1996 in den Städten Lagos und Benin City gesucht worden. Er habe sich bis November 1995 im Haus seiner Mutter in Benin City und danach bis zum 20. April 1996 im Haus seines Vaters in Benin City aufgehalten. Ihm sei damals von seinem Onkel ("welcher General gewesen sei"), geraten worden, nach Lagos zu fahren, wo er sich bei einem Freund für die Dauer von drei Wochen bis zu seiner Ausreise aus Nigeria aufgehalten habe. Die letzte Demonstration (gemeint offenbar: an der der Beschwerdeführer teilgenommen habe) gegen die Regierung habe am 1. April 1996 stattgefunden. Auf den Vorhalt des einvernehmenden Beamten, warum er sein Heimatland nicht schon früher verlassen habe, gab der Beschwerdeführer an, dass er zunächst einen "Codenamen" gehabt habe, weshalb die Sicherheitskräfte seinen tatsächlichen Namen erst im Jahr 1994 hätten ermitteln können. In weiterer Folge hätten die Sicherheitskräfte zwar seinen Namen gewusst, nicht jedoch, wo sich sein Aufenthaltsort befunden habe. Er sei schließlich im Hause seiner Mutter gesucht worden, nicht jedoch im Hause seines Vaters. Der Beschwerdeführer gab diesbezüglich zunächst an, dort sicher gewesen zu sein. Auf weitere Frage erklärte er, "dass es nur eine Frage der Zeit gewesen sei, bis (er) im Hause (seines) Vaters entdeckt worden" wäre. Die Mitglieder der "Nadeco" seien von der Regierung "als Saboteure" betrachtet worden.

Das Bundesasylamt begründete die Abweisung des Asylantrages damit, dass es nicht glaubwürdig sei, dass der Beschwerdeführer "als Mobilisierungsoffizier der Partei 'Nadeco' von den staatlichen Organen gesucht worden" sei. Die wesentliche Begründungspassage lautet wie folgt:

"Es ist nicht glaubwürdig, dass Sie Angst vor einer Verfolgung durch die staatlichen Organe gehabt haben, Sie in Lagos und in Benin City gesucht worden sind und Sie sich trotzdem in Benin City im Hause Ihres Vaters und danach in Lagos im Hause eines Freundes aufgehalten haben. Es ist auch nicht wahrscheinlich, dass Sie von den staatlichen Organen seit dem Jahre 1993 verfolgt worden wären, Sie sich mehr als zwei Jahre im Heimatland aufgehalten haben, obwohl Ihre Identität den staatlichen Organen seit dem Jahre 1994 bekannt gewesen wäre und Sie damit rechnen hätten müssen, dass die staatlichen Organe Ihren Aufenthaltsort in Erfahrung bringen hätten können. Sie hätten von den staatlichen Organen auch bei der Demonstration am 1.4.1996 in Port Harcourt aufgegriffen werden können und es ist nicht wahrscheinlich, dass Sie sich dieser Gefahr ausgesetzt hätten, obwohl Sie seit dem Jahre 1993 von den staatlichen Organen gesucht worden wären."

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung verwies der Beschwerdeführer im Wesentlichen darauf, dass er seinen Aufenthaltsort mehrmals gewechselt habe und die nigerianischen Behörden daher nicht in der Lage gewesen seien, ihn

"kontinuierlich zu verfolgen, da diese nicht über die selben Organisationsstrukturen wie Behörden hoch industrialisierter Staaten, wie Österreich, verfügen und deshalb auch nicht mit derselben Effektivität operieren. Außerdem war es nur eine Frage der Zeit, bis mich der 'SSS' im Haus meines Vaters gefunden hätte, obwohl ich unter einer gewissen Protektion meines Onkels stand, der jedoch als General befürchten musste, im Falle des Bekanntwerdens seiner Aktivitäten, mit schwer wiegenden Konsequenzen seitens der staatlichen Organe rechnen musste. Als nun keine innerstaatliche Fluchtalternative mehr offen stand, half er mir aus Nigeria zu flüchten, wohl auch um seine Kontakte zu mir abbrechen zu können, und somit der Gefahr einer Verfolgung als Saboteur zu entgehen. Auch die Schlussfolgerung der o.a. Behörde, welche besagt, dass ich während der Demonstration am 1. April 1996 festgenommen werden hätte können, ist unzulässig. Organisatoren von Protestveranstaltungen werden sofort bei Eintreffen der Sicherheitskräfte vor Ort von Demonstrationsteilnehmern gewarnt, um so schnell wie möglich untertauchen zu können. Aus diesem Grund fällt es der Polizei äußerst schwer, die jeweiligen Veranstalter ausfindig zu machen."

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG als unbegründet ab.

Die belangte Behörde erklärte, sich der von der erstinstanzlichen Behörde getroffenen Beweiswürdigung "vollinhaltlich" anzuschließen und die entsprechenden Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid zum Inhalt des Berufungsbescheides zu erheben.

Ergänzend führte die belangte Behörde aus, angesichts der Länge des Zeitraums der Suche nach dem Beschwerdeführer sei nicht nachvollziehbar, "dass die Suche der Sicherheitsbehörden im Hause der Mutter des Berufungswerbers bis zum November 1995 nicht zum Erfolg geführt hat". Die Behauptung des Beschwerdeführers, die Sicherheitsbehörden hätten seit dem Jahr 1994 seine Identität gekannt, aber nicht gewusst, wo er sich aufgehalten habe, sei nicht mit seiner Aussage in Einklang zu bringen, "er hätte sonst immer im Hause seiner Mutter gewohnt und sich erst im November 1995 im Hause seines Vaters, von dessen Existenz die Sicherheitsbehörden nichts gewusst hätten, aufgehalten". Es sei auch widersprüchlich, wenn er behaupte, es wäre auch in Lagos nach ihm geforscht worden, weil er andererseits angegeben hätte, "er wäre am 20. April 1996 das letzte Mal gesucht worden". Es spreche auch die von ihm verwendete Formulierung "'er hätte sich in Lagos nicht sicherer gefühlt' eher für ein subjektives Empfinden des Berufungswerbers als für tatsächlich sich dort ereignet habende 'Suchaktionen' von Seiten der staatlichen Sicherheitsbehörden". Die "bloße Vermutung" des Beschwerdeführers spreche " angesichts der Größe und Einwohnerzahl dieser Stadt noch nicht dagegen, dass ihm dort nicht auch weiterhin eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung gestanden wäre".

Gegen diesen Bescheid der belangten Behörde wendet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Nach dem Art. II Abs. 2 lit. d Z 43a EGVG ist auch auf das behördliche Verfahren des unabhängigen Bundesasylsenates das AVG anzuwenden, § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage i.V.m. der Berufung geklärt erscheint. Dies ist dann der Fall, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und nach schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308). Von einer schlüssigen Beweiswürdigung im Bescheid der Behörde erster Instanz kann keine Rede sein. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers liegt zu Grunde, dass er als aktives Mitglied einer oppositionellen Partei, deren Mitglieder von den Sicherheitskräften der Regierung verfolgt würden, eine regimefeindliche Tätigkeit entwickelt habe und auf Grund seiner politischen Gesinnung bereit gewesen sei, ein beschränktes Risiko, von der "SSS" aufgegriffen zu werden, eingegangen sei. Der Beschwerdeführer war nach seinen Angaben letztlich aus Nigeria geflüchtet, weil auf Grund seiner Einschätzung das Risiko seines Aufgriffes durch die Sicherheitsbehörden zu groß geworden war.

Die Begründung der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers im Bescheid der Behörde erster Instanz besteht in Wahrheit nur darin, dass es nicht glaubhaft sei, jemand würde sich für längere Zeit in einem Land aufhalten, in dem er als Oppositioneller gesucht wird. Folgte man diesem Begründungsansatz in dieser Allgemeinheit, so bedeutete dies im Ergebnis, das Verbleiben eines Aktivisten einer verbotenen politischen Partei in seinem Heimatland führe schon dann zur Unglaubwürdigkeit seiner Angaben, wenn seine politische Gesinnung den Behörden bekannt geworden sein müsste. Dem steht entgegen, dass Personen, die sich in einer verbotenen politischen Partei aktiv engagieren, in der Regel schon dadurch eine Bereitschaft zeigen, ein gewisses (wenn auch zunächst beschränktes) Risiko eines sie treffenden asylrelevanten Nachteiles einzugehen. Der Begründungsansatz der belangten Behörde ist daher ohne Darlegung konkreter Umstände, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, der konkret Betroffene wäre nicht bereit (gewesen), auch nur ein beschränktes Risiko des Aufgriffes nach Bekanntwerden seiner Tätigkeit (hier für die NADECO) in seinem Heimatland einzugehen bzw. das Risiko des Aufgriffes wäre derart hoch gewesen, dass deshalb ein längeres Verbleiben trotz der konkreten Gefahr des Aufgriffes angesichts der letztlich doch erfolgten Ausreise als unglaubwürdig einzustufen sei, nicht hinreichend nachvollziehbar. Dass Letzteres vorläge, lässt sich den Feststellungen des Bescheides der Behörde erster Instanz nicht entnehmen. Allein der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer zunächst im Hause seiner Mutter sowie anschließend im Hause seines Vaters in Benin City und schließlich bei einem Freund in Lagos aufgehalten habe, lässt (noch) nicht die Schlussfolgerung zu, die Gefahr seines Entdecktwerdens durch die Sicherheitsbehörden sei dadurch in einem derart hohen Maß gegeben gewesen, dass seine Fluchtgründe als zur Gänze unglaubwürdig angesehen werden müssten. Diesbezüglich hätte es insbesondere einer eingehenderen Befragung des Beschwerdeführers etwa dahingehend bedurft, wo sich seine Eltern jeweils aufgehalten haben, ob und inwieweit Verwandtschaftsverhältnisse in Nigeria behördlich registriert werden, ob und inwieweit bekannt (gewesen) sei, dass seine Mutter bzw. sein Vater ein Haus in Benin City besitzen, in dem sich der Beschwerdeführer für eine beschränkte Zeit aufgehalten habe, ob der Aufenthaltsort des Beschwerdeführers den übrigen Mitgliedern der Partei bekannt gewesen sein soll etc. In diesem Zusammenhang hat der Beschwerdeführer in seiner Berufung auf eine mit "hoch industrialisierten" westlichen Staaten nicht vergleichbare Behördenstruktur Nigerias verwiesen sowie darauf, dass er in gewisser Weise unter dem "Protektorat" seines Onkels, "der General" sei, gestanden wäre. Hier wäre es vor dem Hintergrund der mangelhaften Einvernahme des Beschwerdeführers in erster Instanz und der Pflicht der belangten Behörde, eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen, Aufgabe der belangten Behörde gewesen, den Beschwerdeführer selbst eingehend zu vernehmen, zumal die von der belangten Behörde im Berufungsbescheid angenommenen Widersprüche auch auf eine oberflächliche Befragung und auf eine nicht sehr detailliert erfolgte Protokollierung zurückzuführen sein könnten. Der Beschwerdeführer wollte auch offensichtlich nicht zum Ausdruck bringen, dass die Sicherheitsbehörden bis November 1995 "im Hause seiner Mutter gesucht" hätten, sondern, dass im November 1995 (wohl erstmals) dort nach ihm gesucht worden war, worauf er seinen Aufenthaltsort gewechselt habe. Wenn die belangte Behörde weiters meint, die vom Beschwerdeführer verwendete Formulierung, er hätte sich "in Lagos nicht sicherer" gefühlt, "eher für ein subjektives Empfinden des Berufungswerbers als für tatsächlich sich dort ereignet habende 'Suchaktionen' von Seiten der staatlichen Sicherheitsbehörden" spräche, so hätte sie Zweifel über das Vorhandensein einer konkreten Verfolgungsgefahr in Lagos durch Einvernahme des Beschwerdeführers abzuklären gehabt. Abgesehen davon, dass die belangte Behörde gar nicht positiv festgestellt hat, für den Beschwerdeführer hätte in Lagos eine inländische Fluchtalternative bestanden, hat sie nicht hinreichend begründet, warum allein "aus der Größe und Einwohnerzahl dieser Stadt" eine solche Schlussfolgerung zu ziehen wäre, zumal sich der Beschwerdeführer nach seinen Angaben dort nur für die Dauer von drei Wochen aufgehalten habe.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Einvernahme des Beschwerdeführers zu einer anderen Einschätzung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben und damit zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Hinsichtlich der zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 21. September 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1998200466.X00

Im RIS seit

04.12.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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