TE Vwgh Erkenntnis 2000/9/21 98/20/0341

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Veröffentlicht am 21.09.2000
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des UO in Graz, geboren am 23. Jänner 1963, vertreten durch Dax - Klepeisz - Kröpfl, Rechtsanwaltspartnerschaft, 7540 Güssing, Hauptplatz 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. Juni 1998, Zl. 200.687/0-V/15/98, betreffend § 7 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Nigeria, gegen die seinem Asylantrag nicht stattgebende Entscheidung des Bundesasylamtes gemäß § 7 AsylG abgewiesen.

In der Begründung ihres Bescheides verwies die belangte Behörde zunächst auf das im Bescheid des Bundesasylamtes wiedergegebene Vorbringen des Beschwerdeführers.

Im Bescheid des Bundesasylamtes wird das Vorbringen des Beschwerdeführers dahingehend zusammengefasst, dass er seit Gründung der "National Democratic Coalition" im Jahr 1994 deren Mitglied sei. Diese Partei habe sich für den durch das Militär unter Führung von General Abacha abgesetzten und in der Folge inhaftierten Sieger der Parlamentswahlen des Jahres 1993 "Abiola" und für die Demokratisierung in Nigeria eingesetzt. Anfang 1997 sei es in vielen Teilen Nigerias zu Bombenanschlägen gekommen, wobei die Mitglieder der "NADECO" bzw. die der "Campaign for Democracy" von den "Truppen des General Abacha als Attentäter verfolgt" worden seien. Obwohl er "glaube, dass die Mitglieder dieser beiden Parteien nichts mit den Anschlägen zu tun haben, kam es zu Verhaftungen". Da der Beschwerdeführer befürchtet habe, als Mitglied der "NADECO" verhaftet und inhaftiert zu werden, sei er geflüchtet. Die Bombenanschläge seien in Lagos und in anderen Städten verübt worden. Es sei diesbezüglich in der Zeitung verbreitet worden, dass "auf Grund der Erhebungen" Mitglieder der "NADECO" bzw. "CD" mit diesen Anschlägen in Verbindung stünden.

Die belangte Behörde führte dazu aus, der Beschwerdeführer habe durch Verlassen seines Heimatlandes "somit verhindern" wollen,

"in die im Zusammenhang mit den verübten Sprengstoffattentaten gestandene Ermittlungstätigkeit einbezogen zu werden, ohne dass bereits konkrete behördliche Schritte gegen seine Person unternommen worden wären. Das Bestreben des Staates, strafbare Handlungen aufzuklären, kann aber so wie das staatliche Ahndungsrecht im Allgemeinen nicht als Verfolgungshandlung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention gewertet werden. Dass die begangenen Bombenanschläge für die Regierung lediglich einen Anlass dargestellt hätten, um sämtliche Mitglieder der NADECO auf Grund ihrer politischen Gesinnung zu verfolgen, ist aus nachstehenden Gründen aber nicht glaubhaft: Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme erklärte der Berufungswerber selbst, 'er glaube, dass die Mitglieder der NADECO und der Campaign for Democracy nichts mit den Anschlägen zu tun hätten'. Dies bedeutet, dass der Berufungswerber nur vermutet, dass die Mitglieder der NADECO für die Bombenattentate nicht verantwortlich gewesen wären. Wenn sich aber sogar der Berufungswerber, der selbst Mitglied der NADECO ist, bezüglich dieses Umstandes nicht sicher ist, kann auch nicht Verfolgungsmotivation von Seiten der Regierung angenommen werden, wenn diese ihre Ermittlungstätigkeit auf Mitglieder der 'NADECO' erstreckt."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Nach § 7 AsylG ist Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) droht und keiner der im Art. 1 Abschnitt C oder F FlKonv genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt. Gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv (i.d.F. des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1994) ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Der Beschwerdeführer hat bereits in erster Instanz seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung darauf gestützt, dass er als Mitglied der "NADECO" wegen der zahlreich stattgefundenen Sprengstoffanschläge verhaftet werden könnte, weil in den Medien verbreitet worden sei, dass laut "den Erhebungen" Mitglieder seiner Partei an den Sprengstoffanschlägen beteiligt gewesen wären. In der Berufung hat der Beschwerdeführer sein Vorbringen noch dahingehend präzisiert, dass die konkrete Gefahr bestanden habe, "dass sämtliche Mitglieder meiner Partei beschuldigt" würden, "politische Attentate verübt zu haben und verfolgt wurden".

Die belangte Behörde hat das Vorbringen des Beschwerdeführers grundsätzlich nicht als unglaubwürdig qualifiziert. "Dass die begangenen Bombenanschläge für die Regierung lediglich einen Anlass dargestellt hätten, um sämtliche Mitglieder der NADECO auf Grund ihrer politischen Gesinnung zu verfolgen", sei aber nach Auffassung der belangten Behörde nicht als glaubhaft anzusehen. Allerdings erweist sich die für diese Schlussfolgerung im angefochtenen Bescheid gegebene Begründung als nicht nachvollziehbar:

Die belangte Behörde hat ihre Schlussfolgerung nämlich ausschließlich damit begründet, der Beschwerdeführer selbst habe nur die Vermutung wiedergeben können, dass Mitglieder der NADECO und der CD nichts mit den Anschlägen zu tun hätten. Nach Auffassung der belangten Behörde könne bei dieser Sachlage eine "Verfolgungsmotivation" der Regierung, die ihre Ermittlungstätigkeit auf Mitglieder der NADECO erstreckt habe, nicht als gegeben angesehen werden. Mit diesen Ausführungen der belangten Behörde wird aber der vom Beschwerdeführer angegebenen Furcht, als Mitglied der NADECO verhaftet zu werden, grundsätzlich nicht widersprochen, wobei der Beschwerdeführer seine Angaben mit der Kenntnis über gegen ihn eingeleitete Ermittlungsschritte begründet hat, weil sich "Sicherheitsbeamte" nach ihm erkundigt hätten. Das der Schlussfolgerung der belangten Behörde offensichtlich zugrundeliegende Argument, da tatsächlich auch Mitglieder der NADECO an den Sprengstoffanschlägen beteiligt gewesen sein könnten, sei die Verfolgung sämtlicher Mitglieder der NADECO nicht auf Gründe der Konvention zurückzuführen, ist einerseits deshalb nicht schlüssig, weil die Beteiligung einzelner Mitglieder einer Organisation an einem strafrechtlichen Delikt und die damit verbundene Strafverfolgung noch nicht ausschließen, dass andere Mitglieder dieser Organisation aus diesem Anlass wegen ihrer politischen Gesinnung verfolgt werden, zumal die Bombenanschläge im Zusammenhang mit den Zielen der politisch-oppositionellen Bewegung stehen bzw. in einem solchen Kontext von der Regierung aufgefasst werden können. Andererseits hat der Beschwerdeführer bei seiner Befragung nur nicht ausschließen können, dass Mitglieder seiner Organisation daran beteiligt gewesen sein könnten, Genaueres aber nicht anzugeben vermocht. Ohne jegliche Sachverhaltsermittlung kann demnach nicht von vornherein ausgeschlossen werden, die Regierung könnte selbst bei Vorliegen einer solchen Beteiligung von Mitgliedern der NADECO aus diesem Anlass generell die Vernichtung der Parteistruktur anstreben. Selbst wenn also Mitglieder der NADECO Sprengstoffanschläge verübt haben sollten, so könnte bei entsprechendem politischen Willen der Machthaber ein solcher Umstand Gelegenheit bieten, auch gegen andere Mitglieder dieser Partei - seien sie nun an den Sprengstoffanschlägen beteiligt gewesen oder nicht - mit Maßnahmen in einer asylrelevanten Intensität vorzugehen. Dass Derartiges nicht beabsichtigt gewesen sei, lässt sich den Bescheidausführungen nicht nachvollziehbar entnehmen. Diese Frage bleibt in Wahrheit im bekämpften Bescheid unbeantwortet, weil sich die belangte Behörde damit nicht weiter auseinander gesetzt hat. Auf Grundlage des von der belangten Behörde nicht als unglaubwürdig qualifizierten Vorbringens des Beschwerdeführers hätte sie aber - insbesondere angesichts der in wesentlichen Punkten unschlüssigen Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Bescheides - dieses zum Anlass nehmen müssen, aktuelle Ermittlungen zur Zielsetzung, Struktur und zur allgemeinen Verfolgungssituation der Mitglieder der NADECO in Nigeria anzustellen, insbesondere dazu, ob und inwieweit die vom Beschwerdeführer angesprochene Attentatserie mit Sprengstoffanschlägen in den internationalen Berichten dokumentiert erscheint, sowie dazu, ob und welche Konsequenzen die Regierung daraus gezogen hat und welche Maßnahmen in diesem Zusammenhang ergriffen wurden.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 21. September 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1998200341.X00

Im RIS seit

04.12.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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