TE OGH 2017/9/27 1Ob26/17f

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Veröffentlicht am 27.09.2017
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.Dr. A***** P*****, 2. S***** P*****, 3. S***** P*****, und 4. F***** P*****, alle ohne Beschäftigungsangabe, alle vertreten durch die Aigner Rechtsanwalts-GmbH, Wien, gegen die beklagte Partei B***** PLC, *****, Vereinigtes Königreich, vertreten durch die Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG, Wien, wegen (insgesamt) 36.966,97 EUR sA und Rechnungslegung (Streitwert 5.000 EUR) über den Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 30. November 2016, GZ 1 R 149/16p-19, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 18. Juli 2016, GZ 58 Cg 203/12d-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den zu 3 Ob 28/17i gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

Text

Begründung:

Die Beklagte ist eine Bank mit Sitz in London und einer Zweigniederlassung in Deutschland. Sie ist Emittentin einer bestimmten Schuldverschreibung, die institutionelle Investoren zeichneten und ihrerseits am Sekundärmarkt unter anderem an Verbraucher in Österreich weiter verkauften. Der Wert des Zertifikats richtet sich nach einem Index, der aus einem Portfolio von mehreren Zielfonds gebildet wird, sodass der Wert des Zertifikats unmittelbar mit diesem Portfolio verknüpft ist. Dieses Portfolio sollte von einer GmbH errichtet und verwaltet werden. Die Emission der Zertifikate erfolgte auf Grundlage eines Basisprospekts vom 22. 9. 2005 und eines Konditionenblatts vom 20. 12. 2005 samt Anhängen. Auf Antrag der Beklagten erfolgte auch eine Notifikation des Basisprospekts in Österreich. Das öffentliche Angebot zur Zeichnung lief vom 20. 12. 2005 bis zum 24. 2. 2006; am 31. 3. 2006 erfolgte die Emission. Die abwickelnde Clearingstelle dieses Erwerbs war eine AG mit Sitz in Frankfurt am Main; dort ist auch die Globalurkunde des Zertifikats hinterlegt.

Die Kläger stützten ihre Ansprüche einerseits auf die Anleihebedingungen, andererseits auf vertraglichen, vorvertraglichen und deliktischen Schadenersatz. Sie hätten die Wertpapiere am Sekundärmarkt erworben und das Investment nicht abgeschlossen, wenn sich die Beklagte rechtskonform verhalten hätte. Diese sei allerdings ihren sich aus den Anleihebedingungen ergebenden Verpflichtungen nicht nachgekommen und habe insbesondere nicht für einen liquiden Markt gesorgt. Der Beklagten sei auch das konstruktionsbedingt erhöhte operative Risiko bewusst gewesen; sie habe dies jedoch zu Lasten der Anleger in Kauf genommen. Auch die späteren Verkäufe der Zeichner am Sekundärmarkt an österreichische Verbraucher seien von der Beklagten beabsichtigt und geplant gewesen. Hinsichtlich der Zuständigkeit des angerufenen Erstgerichts beriefen sich die Kläger auf Art 15 Abs 1 lit c VO (EG) 44/2001 (EuGVVO) sowie auf Art 5 Nr 3 und Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO.

Die Beklagte bestritt die internationale Zuständigkeit des angerufenen Erstgerichts und beantragte hilfsweise die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht erklärte sich für international unzuständig und wies die Klage zurück. Aus einer in einem Parallelverfahren eingeholten Vorabentscheidung des EuGH ergebe sich, dass die Zuständigkeit weder auf Art 15 Abs 1 EuGVVO noch auf Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO gestützt werden könne, womit das angerufene Gericht für vertragliche Ansprüche jedenfalls international nicht zuständig sei. Es liege auch keine Zuständigkeit nach Art 5 Nr 3 EuGVVO vor, biete die Klagserzählung doch keinerlei Anknüpfungspunkt für einen Handlungsort im Zuständigkeitsgebiet des angerufenen Gerichts. Auch eine Anknüpfung über den Erfolgsort komme nicht in Betracht; die Kläger hätten nicht vorgebracht, dass sich der Schaden unmittelbar auf ihrem Konto bei einer Bank in Wien verwirklicht hätte.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, sprach – in seinem Berichtigungsbeschluss vom 30. August 2017 – aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands in Bezug auf die Drittklägerin und den Viertkläger jeweils 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt (für die übrigen Kläger hatte ein Bewertungsausspruch zu entfallen, da bereits ihr Zahlungsbegehren jeweils 5.000 EUR übersteigt), und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Die Kläger könnten sich für ihre vertraglichen Ansprüche – entgegen der Ansicht des Erstgerichts – auf den Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO berufen, der allerdings außerhalb Österreichs liege. Dass die Ablehnung des Verbrauchergerichtsstands nach Art 15 Abs 1 EuGVVO durch das Erstgericht unrichtig wäre, werde im Rekurs nicht dargetan. Ebensowenig werde im Rekurs dargelegt, warum die Rechtsansicht des Erstgerichts, nach der (auch) der Gerichtsstand nach Art 5 Z 3 EuGVVO ausscheide, unrichtig sein solle.

In ihrem Revisionsrekurs machen die Kläger im Wesentlichen geltend, es lägen Prospekthaftungsansprüche vor, die unter Art 5 Nr 3 EuGVVO fielen. Weiters liege der Erfüllungsort der vertraglichen Ansprüche in Österreich.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig. Über seine Berechtigung wird nach dem Einlangen der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu 3 Ob 28/17i zu entscheiden sein. Eine Wiedergabe der in diesem Verfahren gestellten Vorlagefragen kann hier unterbleiben, waren doch sowohl die Beklagte als auch die Klagevertreterin am genannten Verfahren beteiligt.

Das vorliegende Verfahren betrifft einen vergleichbaren Sachverhalt, weshalb sich auch dieselben Rechtsfragen stellen wie im Verfahren 3 Ob 28/17i.

Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist dieses Verfahren daher zu unterbrechen (RIS-Justiz RS0110583) und erst nach Einlangen der Vorabentscheidung fortzusetzen.

Schlagworte

Zivilverfahrensrecht,Gruppe: Internationales Privatrecht und Zivilverfahrensrecht

Textnummer

E119650

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00026.17F.0927.000

Im RIS seit

30.10.2017

Zuletzt aktualisiert am

30.10.2017
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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