Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. S***** K*****, vertreten durch Mag. Hans Exner, Rechtsanwalt in Judenburg, gegen die beklagte Partei E***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gustav Etzl, Rechtsanwalt in Wien, und die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. C***** AG, *****, vertreten durch Dr. Michael Drexel, Rechtsanwalt in Graz, 2. R***** AG, *****, vertreten durch Priv.-Doz. MMag. Dr. Martin Oppitz, Rechtsanwalt in Wien, 3. H***** AG, *****, vertreten durch Fellner Wratzfeld und Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 71.641,58 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: Zug-um-Zug-Verpflichtung [7.270 EUR]) und die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 44.096,11 EUR sA), gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Handelssachen vom 29. Juni 2016, GZ 5 R 73/16s-25, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Handelsgericht vom 24. März 2016, GZ 24 Cg 53/12b-20, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revisionen der Streitteile werden zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.218,74 EUR (darin 369,79 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin hat am 15. 6. 2007 24 A*****-Genussscheine erworben und dafür bei einem Kurswert von 2.816,10 EUR inklusive Spesen 71.641,58 EUR bezahlt. Sie begehrt von der Beklagten diesen Betrag samt 4 % Zinsen seit 15. 6. 2007, in eventu Zug um Zug gegen die Übertragung der A*****-Genussscheine samt aller Rechte und Pflichten aus dem Titel des Schadenersatzes, weil die Beklagte als Abschlussprüferin der A***** Gruppe AG und der A***** AG für die Jahresabschlüsse 2000 bis inklusive 2007 zu Unrecht uneingeschränkte Bestätigungsvermerke erteilt habe. Andernfalls hätte sie diese Genussscheine nicht gekauft bzw diese Investition sofort durch Rückverkauf schadensfrei beendet. Zwei weitere Eventualbegehren betreffen die Feststellung der Haftung der Beklagten für den (Quoten-)Schaden der Klägerin aus der Veranlagung.
Die grundsätzliche Haftung der Beklagten steht nach der im – auch die Klägerin betreffenden – Musterprozess gefällten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 8 Ob 93/14f (ON 10) fest. Gegen die Klägerin war das Verfahren noch zur Frage der hypothetischen Alternativveranlagung fortzusetzen.
Soweit noch revisionsgegenständlich, berief sich die Beklagte auf das Haftungsprivileg des § 275 Abs 2 UGB. Aus den Bestätigungsvermerken der Beklagten zum Jahresabschluss der A***** Gruppe AG zum 31. 12. 2005 würden 15.819.652 EUR an nicht verjährten Forderungen geltend gemacht. Daraus resultiere eine Anspruchskürzung aus der Periode 7. 7. 2006 bis 29. 6. 2007 auf 31,61 % des Kaufpreises. Es sei ungeklärt, ob eine Aufteilung der Haftungshöchstsumme gemäß § 275 UGB nach dem Prioritätsprinzip oder anteilig nach dem Verhältnis der geltend gemachten Forderungen vorzunehmen sei. Auch werde die Zug-um-Zug-Einrede erhoben. Nur damit werde ein Spekulieren auf dem Rücken der Beklagten verhindert.
Das Erstgericht gab der Klage im Umfang von 64.477,42 EUR samt 4 % Zinsen seit 23. 2. 2016 statt und wies das Mehrbegehren ab. Da die Klägerin bei der festgestellten Alternativveranlagung 10 % ihres Kapitals verloren hätte, habe ihr die Beklagte nur 90 % des für den Kauf verwendeten Betrags zu ersetzen. Das maximale Haftungskapital gemäß § 275 Abs 2 UGB sei nach dem Prioritätsprinzip auf die Geschädigten aufzuteilen, sodass keine weitere Kürzung des Ersatzanspruchs vorzunehmen sei.
Die Beklagte bekämpfte dieses Urteil im Umfang eines Betrags von 44.096,11 EUR sowie der fehlenden Zug-um-Zug-Verpflichtung.
Das Berufungsgericht gab der Berufung insoweit Folge, als es die Beklagte verpflichtete, den Betrag von 64.477,42 EUR sA Zug um Zug gegen die Übertragung von 24 A*****-Genussscheinen samt allen Rechten und Pflichten zu zahlen. Eine quotenmäßige Aufteilung bedürfte nach der Rechtsprechung (2 Ob 171/12d) einer gesetzlichen Regelung. Das nähere Vorbringen, dass die Rechtsprechung mit der Anordnung der Auszahlung bloß der Deckungskonkursquote gemäß § 156 Abs 3 VersVG durch den Versicherer des Abschlussprüfers in Widerspruch stehe, sei in erster Instanz nicht vorgebracht worden. Für die Frage, wie der den Gesamtschaden nicht voll abdeckende Haftungshöchstbetrag des § 275 Abs 2 UGB aufzuteilen sei, müsse es auch gleichgültig sein, ob der Abschlussprüfer ausreichend haftpflichtversichert sei oder nicht. Es sei auch nicht richtig, dass die Anwendung des § 156 Abs 3 VersVG Einfluss auf die Frage habe, welcher Geschädigte seine Forderung gegen den Abschlussprüfer durchsetzen könne. Denn die in § 156 Abs 3 VersVG angeordnete anteilige Aufteilung einer unzureichenden Versicherungssumme könne der Versicherer immer vornehmen, ungeachtet dessen, ob man bei § 275 Abs 2 UGB das Prioritätsprinzip oder eine kridamäßige Aufteilung anwende. Eine kridamäßige Aufteilung hätte in Fällen wie den gegenständlichen zur Konsequenz, dass die geschädigten Anleger insgesamt den Haftungshöchstbetrag erst nach wohl jahrzehntelangen Rechtsstreiten (anteilig) ausbezahlt bekämen, was nicht im Sinn des Gesetzgebers sei.
Der Zug-um-Zug-Einwand der Beklagten sei berechtigt, weil der durch ein Fehlverhalten geschädigte Anleger, der das Finanzprodukt noch halte, einen Anspruch auf Zurückzahlung des für den Erwerb des Finanzprodukts geleisteten Kaufpreises (unter Berücksichtigung des allgemeinen Marktrisikos) nur Zug um Zug gegen die Übertragung des Finanzprodukts an den Schädiger habe. Gegen mögliche sonstige Schädiger könne die Klägerin ohnehin nicht mehr vorgehen, weil sie keinen weiteren Schaden habe. Die Unverkäuflichkeit bzw Wertlosigkeit der A*****-Genussscheine sei dafür unerheblich. Die Revision sei zur Frage der Aufteilung des den Gesamtschaden nicht deckenden Haftungshöchstbetrags des § 275 Abs 2 UGB zulässig.
Die dagegen gerichtete Revision der Klägerin ist auf die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn des Entfalls der Zug-um-Zug-Verpflichtung gerichtet. Die Beklagte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Die Revision der Beklagten strebt die Abänderung des Berufungsurteils dahin an, dass das Begehren der Klägerin, soweit es über die Zahlung eines Betrags von 20.381,31 EUR sA Zug um Zug gegen die Übergabe von 24 A*****-Genussscheinen samt allen Rechten und Pflichten hinausgehe, abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionen sind entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a ZPO) – Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts unzulässig.
I. Zur Revision der Klägerin
1. Die Klägerin strebt den unbedingten Zuspruch des noch verfahrensgegenständlichen Klagsbetrags durch Wegfall der Zug-um-Zug-Verpflichtung an. Die Entscheidung des Berufungsgerichts entspricht jedoch der höchstgerichtlichen Rechtsprechung:
2. Wie jüngst zu 8 Ob 79/16z mwN ausgeführt, hat die Zug-um-Zug-Abwicklung bei Anlegerschäden keine Sicherungsfunktion. Ihr Zweck ist nicht die Abwicklung von beiderseitigen Leistungspflichten (den geschädigten Anleger trifft keine Herausgabepflicht), sondern die Schadensberechnung durch sogenannte „Naturalrestitution“. Dabei soll eine ungerechtfertigte Bereicherung des Geschädigten dadurch vermieden werden, dass er Zug um Zug gegen Ersatz der wegen Fehlberatung aufgewendeten Ankaufskosten oder – wie hier – des wegen Fehlberatung entgangenen Verkaufserlöses zur Übertragung des Finanzprodukts verpflichtet wird. Die „Naturalrestitution“ bzw der „Naturalersatz“ ist beim Anlegerschaden somit eine besondere (Berechnungs-)Form des Geldersatzes (vgl 8 Ob 66/14k).
Die Zug-um-Zug-Abwicklung eröffnet auch bei einem der Höhe nach schwankenden Schadensbetrag die Leistungsklage. Mit den Wertpapieren werden das Kursrisiko, aber auch die Chance auf eine Wertsteigerung dem Schädiger überlassen, der dann selbst entscheiden kann, ob und wann er die Zug um Zug übertragenen Wertpapiere zu Geld machen will. Der Geschädigte muss sich dadurch nicht dem Vorwurf aussetzen lassen, Schadenminderungspflichten durch Verkauf zur Unzeit verletzt zu haben, umgekehrt wird ein verpöntes Spekulieren auf Kosten des Schädigers verhindert (6 Ob 28/12d; 8 Ob 66/14k; RIS-Justiz RS0120784 [T22, s auch T41, T42, T43]).
Die von der Klägerin ins Treffen geführten Entscheidungen 3 Ob 230/12p und 2 Ob 241/12y stehen dem nicht entgegen, wurde darin doch nur ausgesprochen, dass bei Wertlosigkeit der Anlage ein Verkauf des Produkts zur Ermittlung des Differenzschadens weder möglich noch erforderlich sei.
3. Eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO wird damit nicht aufgeworfen, sodass die Revision der Klägerin zurückzuweisen ist.
II. Zur Revision der Beklagten
1. Die Beklagte vertritt im Hinblick auf § 156 Abs 3 VersVG den Standpunkt, dass jedenfalls bei Bestehen einer gesetzlichen oder berufsrechtlichen Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung und Bestehen einer zulässigen Haftungsbegrenzung für die Befriedigung übersteigender Forderungen das Quotenmodell (kridamäßige Verteilung des Höchstbetrags) angewandt werden müsse. Es trete sonst der Fall ein, der trotz Deckung des Haftungshöchstbetrags in der Versicherungssumme zur Existenzvernichtung des Abschlussprüfers führe.
2. Die Frage nach der Verteilung der Haftungshöchstsumme des § 275 Abs 2 UGB nach dem Prioritätsprinzip oder dem Quotenmodell war Gegenstand der Entscheidung 8 Ob 94/16f.
2.1. Zur Bedeutung der Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung und der Bestimmung des § 156 Abs 3 VersVG für die Auslegung des § 275 Abs 2 UGB wurde darin zunächst ausgeführt, dass das Bestehen einer deckungspflichtigen Haftpflichtversicherung, egal ob freiwillig abgeschlossen oder verpflichtend, den Ersatzpflichtigen jedenfalls günstiger stellt als er bei Nichtvorhandensein einer Haftpflichtversicherung stünde. Weshalb es vom Bestehen einer gesetzlichen oder berufsrechtlichen Versicherungspflicht abhängen sollte, deren Zweck gerade in der Bereitstellung eines präsenten Haftungsfonds für potentielle Schäden liegt, ob Geschädigte ihren gesamten Schaden zugesprochen erhalten oder nur einen Quotentitel gegen den Schädiger erlangen, erschloss sich aus jenen Revisionsausführungen nicht. Abgesehen vom Neuerungsverbot stellten sich die erstmals in jenem Rechtsmittel konkret dargestellten Fragen der internen Abwicklung zwischen ersatzpflichtigem Schädiger und Haftpflichtversicherung(en) insoweit nicht, als ein Versicherer sich auf den Deckungskonkurs nach § 156 Abs 3 VersVG nur nach Maßgabe des Abs 2 leg cit berufen kann. In diesem Fall wäre es auch nicht Sache der Beklagten, sondern der Versicherung, einen Verteilungsplan vorzulegen (arg § 156 Abs 3 letzter Satz VersVG; RIS-Justiz RS0121651).
Schon mangels entsprechendem erstinstanzlichen Vorbringen der Beklagten kann auch im vorliegenden Fall nichts anderes gelten.
2.2. Zur Frage der Verteilung der Haftungshöchstsumme führte der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 8 Ob 94/16f unter ausführlicher Darstellung des Meinungsstands der Literatur aus, dass für die Bezahlung von Verbindlichkeiten außerhalb eines Insolvenzverfahrens im Allgemeinen das Prioritätsprinzip gilt. Ein von diesem Prinzip abweichender Anspruch auf eine quotenmäßige Aufteilung bedarf einer besonderen gesetzlichen Regelung, die für den Fall der Abschlussprüferhaftung nach § 275 UGB nicht normiert ist, sondern allenfalls auf dem Weg der Analogie gefunden werden könnte. Für einen Fall, der in tatsächlicher Hinsicht Parallelen zur hier relevanten Rechtsfrage aufweist, nämlich das Nichtzulangen des begrenzten Haftungsfonds nach § 23b Abs 2 Satz 3 WAG 1996 (§ 75 Abs 2 Satz 3 WAG 2007), wird seit der Entscheidung 2 Ob 171/12d in ständiger Rechtsprechung judiziert, dass die Befriedigung der Entschädigungsberechtigten nach dem allgemeinen Prioritätsprinzip zu erfolgen hat (RIS-Justiz RS0128845): Normiere das Gesetz nicht ausdrücklich eine quotenmäßige Befriedigung, sodass nur eine Gesetzes- oder Rechtsanalogie in Betracht kommt, bedürfe es dafür einer hinreichenden Grundlage, die in den in Betracht kommenden Regelungen der § 16 Abs 2 EKHG, § 156 Abs 3 VersVG und § 336 ASVG nicht zu finden sei. Die Anlegerentschädigung unterscheide sich von den dort geregelten typischen Haftpflichtfällen insbesondere durch eine zunächst kaum überschaubare Vielzahl von Geschädigten, deren Schäden auch aus keinem singulären Ereignis resultieren. Die Entscheidung 8 Ob 94/16f kam daher auch in der Frage der Aufteilung des Haftungsbetrags nach § 275 Abs 2 UGB zum Ergebnis, dass keine hinreichende rechtliche Grundlage für ein Abgehen vom allgemeinen Prioritätsprinzip besteht.
Weiter wurde ausgeführt, soweit mit der Nähe der Problematik zum Deckungskonkurs nach § 156 Abs 3 VersVG argumentiert wird, handelt es sich um eine Sonderregel des Versicherungsvertragsrechts, wogegen es im vorliegenden Verfahren (8 Ob 94/16f) – unabhängig von Bestehen und Höhe einer Haftpflichtversicherung – auf das Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem ankommt. Im Übrigen hat der historische Gesetzgeber des § 156 Abs 3 ASVG das Prioritätsprinzip aus der Überlegung abgelehnt, dass es „dem sozialen Grundgedanken der Haftpflichtversicherung widerspricht“. Diese Überlegung gilt auch für die ebenfalls dem Haftpflichtrecht zuzuordnenden §§ 15 Abs 2 und 16 Abs 2 EKHG sowie § 336 S 1 ASVG. Unfallgeschädigte, die auf die Haftpflichtversicherungssumme angewiesen sind, wenn der Schädiger selbst über kein ausreichendes Vermögen verfügt, sollen bei unzureichender Versicherungssumme mit ihren Forderungen gleich behandelt werden und nicht bei Zuspätkommen völlig leer ausgehen. Eine vergleichbare soziale Funktion kann aber § 275 Abs 3 UGB, der primär als Haftungsnorm gegenüber der geprüften Gesellschaft konzipiert ist, nicht zugesonnen werden. Die Situation von Anlegern, die im Vertrauen auf die veröffentlichten Jahresabschlüsse eines Unternehmens Investitionen getätigt haben, ist eher derjenigen der Gläubiger eines nach § 1409 ABGB haftenden Unternehmens- bzw Vermögenserwerbers vergleichbar, für deren Befriedigung aber das Prioritätsprinzip gilt.
Schließlich wurde darauf verwiesen, dass die Mittel des Zivilprozesses für eine endgültige Quotenberechnung nicht ausreichen. Selbst bereits festgestellte Ersatzansprüche Dritter können nachträglichen Veränderungen unterliegen. Geschädigten Anlegern stehen oft weitere potentiell Haftpflichtige, zB Anlageberater oder die Gesellschaft selbst, zur Verfügung, sodass für denselben Vermögensschaden unter Umständen aus mehreren Haftungstöpfen geschöpft werden kann. Sind die anspruchsberechtigten Dritten gleichzeitig Insolvenzgläubiger der Gesellschaft, ist auch die im Insolvenzverfahren der Gesellschaft ausgeschüttete Quote zu berücksichtigen. Eine verbindliche Berechnung der Anteile an der Haftungshöchstsumme nach § 275 Abs 2 UGB, die nach der Auffassung der Revisionswerberin in jedem einzelnen Titelverfahren gesondert erfolgen müsste, wäre praktisch zum Scheitern verurteilt. Die Erschöpfung des Haftungsfonds durch erfolgte Auszahlungen kann im Titelverfahren nach der Methodik des Zivilprozesses nur dann als anspruchsvernichtender Einwand berücksichtigt werden, wenn sie bereits vor Schluss der Verhandlung in erster Instanz eingetreten und nachgewiesen ist. In allen anderen Fällen kann das Erreichen der Haftungsgrenze im Streitfall nur mehr im Exekutionsverfahren durch Oppositionsklage geklärt werden.
2.3. Da diese Erwägungen im vorliegenden Fall nicht anders gelten, ist am Prioritätsprinzip festzuhalten. Mangels Anwendbarkeit des Quotenmodells kommt es auf die von der Beklagten vermissten Feststellungen zur Anspruchssumme aus der Anspruchsperiode 7. 7. 2006 bis 29. 6. 2007 und der zu tilgenden Quote nicht an. Es bedarf aber auch keiner weiteren Feststellungen zur Ausschöpfung des Höchstbetrags, hat die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren doch nicht eingewendet, dass die Haftungshöchstsumme durch von anderen Anlegern geltend gemachte oder (rechtskäftig) zugesprochene Beträge bereits erschöpft wäre.
2.4. Die Revisionsausführungen, dass nur der Bestätigungsvermerk des Jahresabschlusses der A***** Gruppe AG zum 31. 12. 2005 (vor dem Kauf zuletzt veröffentlichter Jahresabschluss) für die Haftung der Beklagten maßgeblich sein könne, findet keine Deckung in den erstgerichtlichen Feststellungen. Festgestellt wurde (Ersturteil vom 18. 12. 2013, ON 10 S 193), dass die Erteilung eines unbeschränkten Bestätigungsvermerks ab dem Wirtschaftsjahr 2001 aus fachlicher Sicht nicht lege artis war. In der Entscheidung 8 Ob 93/14f (S 26) wurde ausgeführt, die (bis zum Geschäftsjahr 2007) ohne Einschränkung von der Beklagten erteilten Bestätigungsvermerke vermittelten Anlegern, die eine Genussscheinbeteiligung ins Auge fassten, das Bild formal makellos organisierter und dokumentierter Unternehmen, deren publizierte Daten von Fachleuten geprüft und für richtig und vollständig befunden wurden. Aufgrund dieser Bestätigungsvermerke durften Anleger darauf vertrauen, dass der Sicherheit ihrer Investition wenigstens in dieser Hinsicht keine Gefahr drohen werde. Weiter steht fest, dass ein Versagen des Bestätigungsvermerks hohe Wellen in den Medien und bei den diversen Vermögensberatern geschlagen und den Genussscheinhandel zum Erliegen gebracht hätte (Ersturteil vom 18. 12. 2013, S 225). Die Kausalitätserwägungen der Beklagten überzeugen insofern nicht. Es bleibt aber auch unklar, was für sie daraus rechtlich zu gewinnen wäre, behauptet sie doch nicht, dass der Klagsbetrag in der Haftungssumme für die Prüfung des Jahresabschlusses der A***** Gruppe AG 2005 keine Deckung fände.
3. Angesichts der Entscheidung 8 Ob 94/16f wirft die Revision der Beklagten keine neue Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO mehr auf. Auch ihre Revision ist daher zurückzuweisen.
III. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Revision der Klägerin auf den §§ 40, 50 ZPO, hinsichtlich der Revision der Beklagten auf den §§ 41, 50 ZPO; die Klägerin hat auch auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen (s RIS-Justiz RS0035979).
Textnummer
E119644European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:0090OB00070.16H.0927.000Im RIS seit
30.10.2017Zuletzt aktualisiert am
12.06.2018