TE OGH 2017/10/12 12Os114/17g

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Veröffentlicht am 12.10.2017
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Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Oktober 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Dr. Hassan M***** und andere Beschuldigte wegen des Vergehens der Untreue nach §§ 153 Abs 1 und Abs 3 erster Fall, 12 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 616 St 4/16g der Staatsanwaltschaft Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Dr. Hassan M***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 16. August 2017, AZ 19 Bs 233/17d, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Dr. Hassan M***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Das Landesgericht für Strafsachen Wien verhängte mit Beschluss vom 12. Februar 2017 (ON 123) über Dr. Hassan M***** die Untersuchungshaft aus den Gründen der Verdunkelungs- und der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 2 und Z 3 lit b StPO und setzte diese mehrfach (ON 171, 214, 306), zuletzt mit Beschluss vom 31. Juli 2017 (ON 391) aus den Haftgründen der Flucht- und der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit b StPO fort.

Mit der angefochtenen Entscheidung gab das Oberlandesgericht Wien der Beschwerde des Beschuldigten (ON 396) gegen den letztgenannten Beschluss nicht Folge und ordnete erneut die Haftfortsetzung aus den bisherigen Gründen an.

Dabei erachtete es Dr. Hassan M***** dringend verdächtig, er habe in W*****

I./ in noch festzustellenden Zeiträumen, jedenfalls jedoch von Jänner 2013 bis zum 23. April 2016 im bewussten und gewollten Zusammenwirken (§ 12 StGB) mit Fatma Mo*****

1./ in seiner Funktion als Präsident und Fatma Mo***** in ihrer Funktion als erste Stellvertreterin des Präsidenten des Vereins „E*****“ sowie des Vereins „A*****“ ihre jeweils eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, dadurch wissentlich missbraucht und den genannten Vereinen einen zumindest 5.000 Euro übersteigenden Vermögensnachteil zugefügt, indem sie Schul- und Kindergartengelder eingehoben und diese nicht für die vorgesehenen, sondern für ihre privaten Zwecke verwendet hätten;

2./ die den in Punkt 1./ genannten Vereinen seitens der Magistratsabteilung 10 der Stadt W***** (W***** Kindergärten) gewährten Förderungen in noch festzustellender Höhe, jedenfalls jedoch in einem Betrag zwischen 2.000.000 Euro und 2.500.000 Euro, missbräuchlich für ihre Privatausgaben, somit zu anderen Zwecken als zu jenen, zu denen sie gewährt wurden, verwendet;

3./ als Schuldner mehrerer Gläubiger einen Bestandteil ihres Vermögens beiseite geschafft, indem sie private Geldentnahmen und Überweisungen auf andere, ihnen zugängliche Bankkonten in bislang unbekanntem Umfang vorgenommen und dadurch die Befriedigung ihrer Gläubiger, nämlich die Bezahlung der Arbeitnehmergehälter und der Sozialversicherungsbeiträge der Wiener Gebietskrankenkasse in Höhe von zumindest 197.532,39 Euro vereitelt hätten;

II./ alleine zu noch festzustellenden Zeitpunkten in den Jahren 2016 und 2017 als faktischer Machthaber des Vereins „Be*****“, der R***** GmbH und des Vereins „A*****“ (A*****), nachstehende organschaftliche Vertreter dazu bestimmt (§ 12 zweiter Fall StGB), ihre Befugnis über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, wissentlich zu missbrauchen und dadurch den genannten Vereinen bzw dem genannten Unternehmen einen 5.000 Euro übersteigenden Vermögensnachteil zugefügt, und zwar

i./ zu einem noch festzustellenden Zeitpunkt vor dem 12. Dezember 2016, indem er Mag. Johann H***** und Bianca V***** als vertretungsbefugte Organe des Vereins „Be*****“ angewiesen habe, seine privaten Anwaltskosten in Höhe von insgesamt 5.036,22 Euro zu überweisen;

ii./ zu einem noch festzustellenden Zeitpunkt vor dem 22. Dezember 2016, indem er Mag. Johann H***** als Geschäftsführer der R***** GmbH angewiesen habe, Honorare in Höhe von jeweils 2.000 Euro an sich selbst, seine Ehefrau Claudia M***** und Fatma Mo*****, somit insgesamt 6.000 Euro auszuzahlen, obwohl die Genannten keine Leistungen für die R***** GmbH erbracht hätten;

iii./ am 31. Jänner 2017 die vertretungsbefugten Organe des Vereins „A*****“ (A*****) angewiesen, einem für den Verein nachteiligen Räumungsvergleich zuzustimmen, um die Liegenschaft *****, deren Eigentümer die R***** GmbH ist, zu veräußern und einen Teil des lukrierten Kaufpreises zu erhalten, um diesen nach Ägypten zu transferieren, wodurch ein noch festzustellender (Vermögens-)Schaden entstanden sei;

III./ zu einem noch festzustellenden Zeitpunkt im Herbst 2016 mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Mag. Johann H*****, Mag. Robert W***** und Bianca V***** als vertretungsbefugte Organe des gemeinnützigen Vereins „Be*****“ dazu bestimmt (BS 9, 20), Verfügungsberechtigte der Magistratsabteilung 10 der Stadt W***** durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch Verschweigen des Umstands, dass Dr. Hassan M***** als Finanzier bzw faktischer Machthaber die Entscheidungsfindung der vertretungsbefugten Organe des genannten Vereins leitet und die gewährten Förderungen in weiterer Folge zweckwidrig verwendet werden sollen, zur Gewährung einer Vollförderung für diesen Verein und Auszahlung der Förderungen in Höhe von 382.282,94 Euro verleitet, welche die Stadt W***** in einem noch festzustellenden Betrag an ihrem Vermögen geschädigt habe, bzw zu verleiten versucht, wobei es nur deshalb beim Versuch geblieben sei, weil Dr. Hassan M***** durch Verhängung der Untersuchungshaft eine weitere Bestimmung zur zweckwidrigen Auszahlung nicht mehr möglich gewesen sei.

In rechtlicher Hinsicht subsumierte das Oberlandesgericht dieses Verhalten dem Vergehen der Untreue nach §§ 153 Abs 1 und Abs 3 erster Fall, 12 zweiter Fall StGB (I./1./ und II./), dem Verbrechen des Förderungsmissbrauchs nach § 153b Abs 1 und Abs 4 StGB (I./2./), dem Verbrechen der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB (I./3./) sowie dem Verbrechen des schweren Betrugs nach §§ 12 zweiter Fall, 146, 147 Abs 3, 15 Abs 1 StGB (III./).

Rechtliche Beurteilung

In seiner gegen diese Entscheidung gerichteten Grundrechtsbeschwerde macht Dr. Hassan M***** geltend, das Oberlandesgericht Wien als Kontrollinstanz habe verfehlt eine Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen (§§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO) in Zusammenhang mit der Einholung des Sachverständigengutachtens Mag. Wolfgang G***** verneint.

Unabhängig von der Frage der Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft erachtet der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung das Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt, wenn er nach Maßgabe eigener Beweiswürdigung zum Ergebnis kommt, dass die Gerichte nicht im Sinn des § 177 Abs 1 StPO alles ihnen mögliche zur Abkürzung der Haft unternommen haben (RIS-Justiz RS0120790; Kier, WK-StPO § 9 Rz 49; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 11.98).

Unter Berücksichtigung der Komplexität der aufzuklärenden Sachverhalte und des Umfangs der bisher vorliegenden Beweismittel (33 Aktenbände) sowie im Hinblick darauf, dass die Staatsanwaltschaft insbesondere

./ nach Anregung der Bestellung eines Sachverständigen zur Befundaufnahme und Gutachtenserstellung durch die Landespolizeidirektion W***** mit Bericht vom 27. Juli 2016 (ON 36 S 9) die Sachverständigenbestellung am 22. März 2017 (ON 240) nicht wie in der Beschwerde substanzlos behauptet „verzögert“ vornahm, sondern zu einem Zeitpunkt, in dem die dafür relevanten Erhebungsergebnisse – wie etwa im Rahmen der Anordnungen der Bankauskunft übermittelte Kontounterlagen (vgl ON 240 S 6 ff) – vorlagen,

./ in Ansehung der fristgerechten Erstellung des Gutachtens – entgegen der Beschwerdekritik einer bloßen „Kalendierung der Frist“ – mit dem Sachverständigen Kontakt hielt (vgl ON 1 S 205, ON 261),

./ entsprechend zweier Ersuchen des Beschwerdeführers, eingelangt am 3. Mai 2017 (ON 295) und am 10. Mai 2017 (ON 299), dessen Stellungnahmen zur Berücksichtigung bei der Gutachtenserstattung jeweils unverzüglich, nämlich bereits am 4. Mai 2017 (ON 296) und am 11. Mai 2017 (ON 302), an den Sachverständigen übermittelte,

./ aufgrund neuer Erhebungsergebnisse (vgl ON 322) am 28. Juni 2017 eine Erweiterung der Sachverständigenbestellung hinsichtlich des Tatzeitraums vornahm (ON 350),

./ mit Schreiben vom 31. Juli 2017 unter ausdrücklichem Hinweis auf das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen beim Landeskriminalamt W***** die – trotz mehrfacher Aufforderung bislang nicht erfolgte – Übergabe von Daten an den Sachverständigen urgierte (ON 392),

./ am 8. August 2017 eine ergänzende Aktenkopie („ab ON 319“) an den Sachverständigen übermittelte (ON 409) und

./ die von der Beschwerde kritisierten Fristerstreckungen (ON 341, 380, 425) gewährte, weil dem Sachverständigen jeweils noch nicht sämtliche – zum Teil auch erst durch die Erweiterung des Gutachtensauftrags (ON 350) zusätzlich – erforderlichen Unterlagen vorlagen (vgl ON 337, 376, 424),

hat das Oberlandesgericht Wien die Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen durch die Staatsanwaltschaft zutreffend verneint (BS 24).

Die keine Verletzung des verfassungsmäßig geschützten Rechts auf persönliche Freiheit aufzeigende Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

Schlagworte

Strafrecht,Grundrechtsbeschwerden

Textnummer

E119627

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:0120OS00114.17G.1012.000

Im RIS seit

25.10.2017

Zuletzt aktualisiert am

25.10.2017
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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