RS Vfgh 2015/3/3 G107/2013

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 03.03.2015
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Index

50/02 Sonstiges Gewerberecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
ÖffnungszeitenG 2003 §3, §4, §5
StGG Art5
EMRK 1. ZP Art1
EMRK Art13, Art14
EU-Grundrechte-Charta Art16, Art51 Abs1
AEUV Art34, Art35

Leitsatz

Abweisung eines weiteren Individualantrags auf Aufhebung der Regelungen über das Verbot des Offenhaltens von Verkaufsstellen an Samstagen nach 18 Uhr und an Sonntagen; kein Vorliegen einer entschiedenen Sache im Hinblick auf die vorgetragenen Bedenken zum Gleichheitssatz; normierte Ausnahmen vom allgemeinen Öffnungszeitenregime sachlich gerechtfertigt; keine unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkung; keine Prüfung einer Verletzung der "unternehmerischen Freiheit" nach der EU-Grundrechte-Charta mangels Anwendbarkeit dieser Garantie

Rechtssatz

Zulässigkeit des Individualantrags von Gesellschaften (Eigentümer von für den Kleinverkauf von Waren bestimmten Betriebseinrichtungen) auf Aufhebung des §3 zweiter Satz, §4 Abs1 und §5 Abs1 ÖffnungszeitenG 2003 idF BGBl I 62/2007.

Der Einwand der Bundesregierung, dem VfGH sei auf Grund der Rechtskraftwirkung des Erk VfSlg 19639/2012 eine Prüfung der angefochtenen Bestimmungen am Maßstab des Gleichheitssatzes verwehrt, trifft nicht zu (kein Abspruch über die inhaltlichen Schranken, die dem Gesetzgeber durch den Gleichheitssatz im Zusammenhang mit den Öffnungszeiten von Verkaufsstellen auferlegt werden).

Die Zielsetzung der Ausnahmen vom allgemeinen Öffnungszeitenregime des §3 ÖffnungszeitenG kann mit der Befriedigung besonderer Einkaufsbedürfnisse zusammengefasst werden.

Der VfGH verkennt nicht, dass die Erlaubnis zum Offenhalten bestimmter Verkaufsstellen an Samstagen nach 18 Uhr, an Sonntagen, an Feiertagen und an Montagen bis 6 Uhr unter Umständen eine nicht gerechtfertigte Bevorzugung der sie betreibenden Unternehmen darstellen kann. Halten beispielsweise Verkaufsstellen an Bahnhöfen auch an Sonntagen in jenem Ausmaß offen, das während der Woche gerechtfertigt ist, erfüllen sie allenfalls ein Bedürfnis jedermanns, auch an Sonntagen einkaufen zu können. Das wäre im Verhältnis zu jenen Unternehmen, die in dieser Zeit ihre Verkaufsstellen geschlossen halten müssen, ein deutlicher Wettbewerbsvorteil. Die bloße Lage in Bahnhöfen würde eine solche Privilegierung allein nicht rechtfertigen.

Allerdings enthalten die Ausnahmebestimmungen Vorkehrungen, die gewährleisten, dass eine allfällige Privilegierung von Betreibern von Verkaufsstellen, die an Samstagen nach 18 Uhr, an Sonntagen, an Feiertagen und an Montagen bis 6 Uhr offen halten dürfen, an sachlich begründete Voraussetzungen geknüpft und in ihrer Wirkung auf das Notwendige beschränkt ist (vgl §7 Z1 ÖffnungszeitenG).

Das ÖffnungszeitenG ist auf den "Onlinehandel" - jedenfalls sofern dieser ohne Verkaufsstellen iSd ÖffnungszeitenG abgewickelt wird - nicht anwendbar. Dieser Umstand führt jedoch nicht dazu, dass die angefochtenen Bestimmungen gegen Art7 B-VG verstoßen, weil diese Form des Handels nicht im Rahmen von Verkaufsstellen betrieben wird, die offengehalten oder geschlossen werden könnten.

Dem VfGH ist es verwehrt, die angefochtenen Bestimmungen mit ähnlichen Bestimmungen aus den Rechtsordnungen anderer Staaten zu vergleichen und daraus eine wie immer geartete "Ungleichbehandlung" (gegenüber Nachbarländern) abzuleiten.

Auch kein Zutreffen der Bedenken im Hinblick auf Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK.

Die angefochtenen Bestimmungen bewirken eine Beschränkung der Dispositionsmöglichkeiten der antragstellenden Gesellschaften über ihre Verkaufsstellen dahingehend, dass sie diese nicht zu beliebigen Zeiten offen halten dürfen, sondern an die Vorgaben des ÖffnungszeitenG gebunden sind, die durch §11 dieses Gesetzes mit Verwaltungsstrafe bewehrt sind. Da Verfügungen über ihre Betriebseinrichtungen für die Verkaufsstellen dem Schutzbereich des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Unversehrtheit des Eigentums unterliegen, liegt in der zeitlichen Beschränkung des Offenhaltens derselben eine Eigentumsbeschränkung.

Die allgemeinen Ziele, denen Ladenschluss- bzw Öffnungszeitenregelungen dienen, nämlich der Schutz der Interessen der Verbraucher, das Ziel der Wettbewerbsordnung und die sozialpolitische Funktion, liegen im öffentlichen Interesse (vgl zuletzt VfSlg 19638/2012). Für den Ladenschluss an Wochenenden tritt das besondere Ziel der Wahrung der sozial- und familienpolitischen Funktion des Wochenendes hinzu.

Der gesellschaftliche Wandel der vergangenen beiden Jahrzehnte hat nichts am öffentlichen Interesse an der (weitgehenden) Synchronisation mit dem Grundsatz der Wochenendruhe geändert. In allen europäischen Gesellschaften gibt es einen Ruhetag in der Woche, mag dieser aus religiösen Gründen, aus Gründen der Erholung für die arbeitende Bevölkerung oder aus anderen sozial- und familienpolitischen Gründen angeordnet sein und mag die Ruhe in unterschiedlichem Maße eingehalten werden. Wenn der Gesetzgeber auch mit den Mitteln des Gewerberechts zur Wahrung und Erhaltung der Wochenendruhe beitragen möchte, so verfolgt er daher jedenfalls ein im öffentlichen Interesse gelegenes Ziel.

Ladenschlussregelungen wie die angefochtenen sind zur Zielerreichung geeignet.

Entgegen der Auffassung der antragstellenden Gesellschaften ist die Eigentumsbeschränkung auch nicht unverhältnismäßig. Das Gewicht der mit den Ladenschlussregelungen verfolgten Interessen ist größer als die Schwere des dadurch bewirkten Grundrechtseingriffs. Der Eingriff bildet eine verhältnismäßige Beschränkung des Grundrechts auf Unversehrtheit des Eigentums, welche die Grenzen des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht überschreitet.

Vor diesem Hintergrund treffen die Bedenken im Hinblick auf einen Verstoß gegen Art1 1. ZPEMRK iVm Art14 EMRK schon auf Grund des bloß akzessorischen Charakters von Art14 EMRK nicht zu.

Die Behauptung eines Verstoßes gegen Art13 EMRK mangels einer Möglichkeit zur Erhebung einer wirksamen Beschwerde trifft angesichts der Möglichkeit einer Antragstellung gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG idF BGBl I 2/2008 (s nunmehr Art140 Abs1 Z1 litc B-VG idF BGBl I 114/2013) nicht zu.

Das Recht der "unternehmerischen Freiheit" (Art16 EU-Grundrechte-Charta - GRC) gleicht zwar einem Recht der Bundesverfassung in Formulierung und Bestimmtheit (vgl Art6 StGG). Die Regelungen des ÖffnungszeitenG sind aber keine solchen, die in Durchführung des Unionsrechts ergangen sind. Weder wird mit ihnen eine Richtlinie umgesetzt, noch beschränken sie eine der Grundfreiheiten des Binnenmarktes. Im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH geht der VfGH davon aus, dass das durch die Art34 und Art35 AEUV normierte Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten (Warenverkehrsfreiheit) nicht für mitgliedstaatliche Ladenschlussregelungen gilt. Auch handelt es sich bei den Vorschriften des ÖffnungszeitenG um keine produktbezogenen Regelungen, sondern um solche, die - unterschiedslos für Waren inländischen und ausländischen Ursprungs - bloß die Verkaufsmodalitäten der Waren betreffen. Insoweit bestehen keine unionsrechtlichen Vorschriften, die eine mitgliedstaatliche Verpflichtung schaffen würden. Der alleinige Umstand, dass die angefochtenen Bestimmungen unionsrechtliche Vorschriften mittelbar beeinflussen könnten, vermag keinen hinreichenden Zusammenhang zum Unionsrecht zu begründen, der den Anwendungsbereich der GRC (Art51 Abs1) eröffnen würde. Eine Prüfung der angefochtenen Bestimmungen unter dem Blickwinkel des Vorbringens im Hinblick auf das "Grundrecht der unternehmerischen Freiheit" am Maßstab der Bestimmungen der GRC kommt daher mangels Anwendbarkeit dieser Garantie nicht in Betracht.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Gewerberecht, Öffnungszeiten, Ladenschluss, Ausnahmeregelung - Regel, Eigentumsbeschränkung, EU-Recht, Erwerbsausübungsfreiheit, Geltungsbereich Anwendbarkeit, VfGH / Individualantrag, VfGH / Bedenken, VfGH / Sachentscheidung Wirkung, res iudicata, Rechtskraft, VfGH / Prüfungsmaßstab

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2015:G107.2013

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2016
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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