TE Vwgh Erkenntnis 2015/2/27 2013/06/0109

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Veröffentlicht am 27.02.2015
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Index

L37151 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Burgenland;
L82001 Bauordnung Burgenland;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
10/10 Grundrechte;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §8;
BauG Bgld 1997 §8 Abs1;
BauG Bgld 1997 §8 Abs2;
BauG Bgld 1997 §8 Abs3;
MRKZP 01te Art1;
StGG Art5;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):2013/06/0110

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz, die Hofrätin Mag.a Merl sowie den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Lehner, über die Beschwerden 1. der L H, 2. des W P, beide in E, sowie 3. des Dr. O M in C, alle vertreten durch die Hajek/Boss/Wagner Rechtsanwälte OG in 7000 Eisenstadt, Blumengasse 5, gegen die Bescheide der Burgenländischen Landesregierung vom 28. Mai 2013, zu 1. und 2. Zl. 5-BB-100/688/1- 22 (protokolliert zu Zl. 2013/06/0109) und zu 3. Zl. 5-BB-100- 688/1-21 (protokolliert zu Zl. 2013/06/0110), jeweils betreffend eine Grundabtretung (mitbeteiligte Partei in beiden Verfahren: Landeshauptstadt Freistadt Eisenstadt), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Das Land Burgenland hat den erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien zusammen Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 und dem Drittbeschwerdeführer ebenfalls Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 jeweils binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin ist Eigentümerin des Grundstückes Nr. 5498/2; gemeinsam mit dem Zweitbeschwerdeführer hat sie Miteigentum am Grundstück Nr. 5502/2; der Drittbeschwerdeführer ist Eigentümer der Grundstücke Nr. 5514 und Nr. 5504; alle Grundstücke liegen in der KG 30003 E. Die Grundstücke Nr. 5502/2 (157 m2) und Nr. 5504 (72 m2) sollen enteignet werden.

Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 12. Juli 2012, Zl. 2012/06/0057, verwiesen. Demnach wurden die beschwerdeführenden Parteien mit Bescheiden des Magistrates der mitbeteiligten Landeshauptstadt vom 27. April 2011 gemäß § 8 Abs. 1 bis 3 des Burgenländischen Baugesetzes (Bgld BauG) verpflichtet, "für die Aufschließung von Baugrundstücken und die Errichtung einer öffentlichen Verkehrsfläche" näher umschriebene Flächen unentgeltlich an das öffentliche Gut abzutreten. Die gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen wurden mit Bescheiden des Stadtsenates der mitbeteiligten Landeshauptstadt vom 11. Juli 2011 als unbegründet abgewiesen. Die von den beschwerdeführenden Parteien erhobenen Vorstellungen wurden von der belangten Behörde mit Bescheiden vom 22. Februar 2012 als unbegründet abgewiesen.

Auf Grund der dagegen erhobenen Beschwerden hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 12. Juli 2012, Zl. 2012/06/0057, diese Bescheide wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes auf. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass § 8 Abs. 1 Bgld BauG, der eine Möglichkeit eines entschädigungslosen Eigentumseingriffes eröffne, vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Schutzes des Eigentums restriktiv auszulegen sei. Die belangte Behörde habe sich nicht darauf gestützt, dass die Enteignung der strittigen Grundflächen zur Verbreiterung der öffentlichen Verkehrsfläche erforderlich sei. Hinsichtlich des Tatbestandes der Aufschließung von Grundstücken habe sich die belangte Behörde nicht mit dem Beschwerdevorbringen, dass die Grundstücke bereits gehörig aufgeschlossen seien, auseinandergesetzt. Es sei auch nicht dargelegt worden, was mit dem Begriff "provisorische Zufahrten" gemeint sei.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden (vom 28. Mai 2013) wies die belangte Behörde die Vorstellungen der beschwerdeführenden Parteien weitestgehend wortgleich ab. Zu dem Vorbringen in den Vorstellungen, dass nicht sämtliche Voraussetzungen für eine Abtretungsverpflichtung im Sinn des § 8 Abs. 1 Bgld BauG vorlägen, führte die belangte Behörde aus:

"Abgesehen von der erforderlichen Flächenwidmung die auch nie in Frage gestellt wurde, sind die - entgegen der Behauptung der Vorstellungswerber - in Anspruch genommenen Flächen für die Aufschließung der Baugrundstücken durchaus zweckmäßig und erforderlich. Einerseits erscheint die Grundabtretung für die Sicherstellung vernünftiger und nachhaltiger Zufahrtsmöglichkeiten in der F(...)gasse für den Personenverkehr sowie für Einsatzfahrzeuge und für die Erledigung der oben angeführten öffentlichen Aufgaben als abgestimmt und sinnvoll.

Bezüglich der Behauptung über die bereits vorliegende Erschließung der Grundstücke in diesem Bereich, wird festgehalten, dass das Grundstück Nr. 5514, welches im rechtskräftigen Flächenwidmungsplan der Stadtgemeinde (...) als 'Bauland-Wohngebiet' gewidmet ist, keine verkehrsmäßige Erschließung im Sinn des § 3 Bgld. Baugesetz aufweist und diese nur durch die Grundabtretung der Grundstücke Nr. 5504 mit 72 m2 und von 5502/2 mit 157 m2 an das öffentliche Gut erfolgen kann.

Hingegen erfolgt derzeit die verkehrsmäßige Erschließung des Grundstückes Nr. 5498/2 provisorisch durch die L(...) Gasse. Auf Grund der Ausgestaltung dieser Gasse als Stichstraße ist nicht nur die problemlose Durchführung der Schneeräumung und Straßenreinigung (Stadtgemeinde), sowie eine problemlose Durchführung der Müllentsorgung in Frage gestellt, sondern auch aus Gründen der Sicherstellung einer Zufahrtsmöglichkeit für Einsatzfahrzeuge, v.a. für die Feuerwehr die ordnungsgemäße Erschließung dringend erforderlich, zumal das Verkehrskonzept (siehe Flächenwidmungsplan der Freistadt (...) sowie Parzellierung der Grundstücke) auf eine durchgehende öffentliche Verkehrsfläche in Form einer gleichmäßig breiten Verlängerung des Bestandes der F(...)gasse in Richtung L(...) Gasse abstellt.

Da die von den Vorstellungswerbern abzutretende Fläche zur Herstellung einer öffentlichen Verkehrsfläche, eine für das Grundstück Nr. 5514 unabdingbare Voraussetzung für deren verkehrsmäßige Erschließung darstellt und für das eigene Grundstück Nr. 5498/2 eine ordnungsgemäße und verbesserte Aufschließung bedingt, wird auch unter dem Aspekt des Eigentumsrechts kein Eingriff in das subjektive Recht der Vorstellungswerber gesehen, zumal der § 8 Abs. 1 Bgld. Baugesetz 1997 auch unter Berücksichtigung des Eigentumsschutzes des Einzelnen davon ausgeht, dass die Aufschließung von Grundstücken, die als Teil eines zusammengehörenden Siedlungsgebietes anzusehen sind, nicht isoliert voneinander beurteilt werden können."

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in einer gemeinsamen Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, beide Beschwerdeverfahren wegen des sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung zu verbinden, und hat erwogen:

Auf die vorliegenden, mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefälle sind gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden.

Im Beschwerdefall ist das Burgenländische Baugesetz 1997 - Bgld BauG, LGBl. Nr. 10/1998, in der Fassung LGBl. Nr. 7/2010 anzuwenden.

"§ 8

Grundabtretung für öffentliche Verkehrsflächen

(1) Die Eigentümer von Grundstücken haben Grundflächen, die als Bauland, als Verkehrsfläche oder als Grünfläche-Hausgärten im Sinne des Burgenländischen Raumplanungsgesetzes, LGBl. Nr. 18/1969, in der jeweils geltenden Fassung, gewidmet sind, und die für die Aufschließung von Baugrundstücken oder zur Verbreiterung bestehender öffentlicher Verkehrsflächen benötigt werden, nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen in das öffentliche Gut der Gemeinde abzutreten.

(2) Die Grundabtretung hat bis zur Mitte der Verkehrsfläche, höchstens jedoch bis zu einer Breite von 6 m unentgeltlich zu erfolgen; für darüber hinausgehende Abtretungen ist von der Gemeinde eine Entschädigung zu leisten (Abs. 7).

(3) Die Abtretungsverpflichtung entsteht mit der Beschlußfassung des Gemeinderates über die Errichtung oder Verbreiterung der öffentlichen Verkehrsfläche und ist mit der Baubewilligung oder mit gesondertem Bescheid auszusprechen.

(4) ..."

Die beschwerdeführenden Parteien brachten wortgleich im Wesentlichen vor, die belangte Behörde habe wiederum keine konkreten Feststellungen zur Notwendigkeit der Aufschließung von Baugrundstücken getroffen und nicht ausgeführt, was unter "provisorischer Aufschließung" zu verstehen sei. Das Grundstück der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien sei über die L(...) Gasse (Zufahrt über das Grundstück Nr. 5544 als Sackgasse) ausreichend aufgeschlossen, die Grundstücke Nr. 5514 und 5513 bildeten in natura eine Einheit. Über die Sackgasse gelangten problemlos Fahrzeuge, Einsatzfahrzeuge, die Müllabfuhr sowie Personen auf die Grundstücke der beschwerdeführenden Parteien. Tatsächlich solle für die Müllabfuhr und die Schneeräumung eine bequemere Abfahrtsmöglichkeit geschaffen werden, damit diese nicht wenden müssten; für einen solchen Sachverhalt sei eine Enteignung gemäß § 8 Bgld BauG jedoch nicht gerechtfertigt. Die geplanten Enteignungen dienten auch nicht der "Aufschließung von Baugrundstücken" und es sei - im Hinblick auf die restriktive Auslegung in Zusammenhang mit einem Eigentumseingriff - weder ein konkreter Bedarf dargelegt noch sei begründet worden, dass dieser nur durch Enteignung der beschwerdeführenden Parteien gedeckt werden könne.

In dem der Enteignung zugrunde liegenden Beschluss des Gemeinderates vom 23. März 2010 seien gerade nicht die in den Bescheiden angeführten Gründe für die Enteignung angeführt (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 11. Mai 2010, Zl. 2008/05/0144). Bereits aus diesem Grund seien die angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Beschwerden sind berechtigt.

Der Verfassungsgerichtshof führte in seiner Judikatur (vgl. etwa das Erkenntnis vom 28. September 2009, B 1779/07, VfSlg 18890, mwN) zu Eigentumseingriffen in Gestalt von Enteignungen aus, dass diese nur zulässig seien, wenn die Enteignung durch das öffentliche Interesse geboten sei; dies sei nur dann der Fall, wenn ein konkreter Bedarf vorliege, dessen Deckung im öffentlichen Interesse liege, das Objekt der Enteignung überhaupt geeignet sei, den Bedarf unmittelbar zu decken und es unmöglich sei, den Bedarf anders als durch Enteignung zu decken.

Mit der Formulierung, die Grundabtretung sei "für die Sicherstellung vernünftiger und nachhaltiger Zufahrtsmöglichkeiten ... für die Erledigung der oben angeführten öffentlichen Aufgaben (der Schneeräumung, Straßenreinigung und Müllentsorgung) als abgestimmt und sinnvoll", wird im Sinne der oben dargestellten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes jedenfalls nicht dargelegt, dass die Enteignung durch das öffentliche Interesse geboten ist.

Sofern die belangte Behörde einen Bedarf damit zu begründen versucht, dass das Grundstück Nr. 5514 (im Eigentum des Drittbeschwerdeführers) derzeit nicht und das Grundstück Nr. 5498/2 (im Eigentum der Erstbeschwerdeführerin) nur "provisorisch" verkehrsmäßig erschlossen sei, lässt sie zunächst offen, aus welchen Gründen die bestehende "provisorische" Zufahrt künftig nicht genutzt werden kann. Nach dem in den Verfahrensakten einliegenden Plan der Vermessung Sommer ZT-GmbH vom 5. Oktober 2007 reicht das Grundstück Nr. 5544 (L-Gasse, öffentliches Gut) bis direkt an das im Eigentum des Drittbeschwerdeführers stehende Grundstück Nr. 5504, das unmittelbar an das Grundstück Nr. 5514 grenzt, heran. Ein öffentliches Interesse an der Enteignung eines Grundstückes des Drittbeschwerdeführers zu dem Zweck, eine Anbindung eines anderen Grundstückes desselben Eigentümers an den öffentlichen Verkehr herzustellen, wurde jedenfalls nicht dargelegt.

Abgesehen von der Frage des Bedarfes ist weiter unklar, ob ein solcher nicht anders als durch Enteignung gedeckt werden kann. Die beschwerdeführenden Parteien rügen zutreffend, dass nach wie vor unklar ist, was mit dem Begriff "provisorische Zufahrt" gemeint ist. Das Grundstück Nr. 5514 betreffend wird darauf hingewiesen, dass die Sicherstellung einer verkehrsmäßigen Erschließung auch in Form einer zivilrechtlichen Berechtigung erfolgen kann (vgl. die Ausführungen bei Pallitsch/Pallitsch, Burgenländisches Baurecht, 2. Auflage, Anm. 31 zu § 3 BgldBauG).

Dadurch, dass die belangte Behörde neuerlich nicht nachvollziehbar begründete, weshalb die Grundflächen im Sinne des § 8 Abs. 1 Bgld. BauG "benötigt" werden, belastet sie die angefochtenen Bescheide mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Diese waren daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Im Übrigen treffen auch die Beschwerdevorbringen hinsichtlich des nicht entsprechend begründeten Gemeinderatsbeschlusses zu (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. Mai 2010, Zl. 2008/05/0144). In diesem Erkenntnis wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Abtretungsverpflichtung an das Vorliegen eines Gemeinderatsbeschlusses über die Errichtung oder Verbreitung der betreffenden öffentlichen Verkehrsfläche gebunden ist. Fehlt ein solcher Gemeinderatsbeschluss, entsteht keine Abtretungsverpflichtung.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG weiter anzuwendenden §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008 (siehe § 3 Z 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014).

Wien, am 27. Februar 2015

Schlagworte

Besondere RechtsgebieteEnteignung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2015:2013060109.X00

Im RIS seit

03.04.2015

Zuletzt aktualisiert am

23.04.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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