TE Vwgh Erkenntnis 2015/2/27 2012/06/0207

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.02.2015
beobachten
merken

Index

L85007 Straßen Tirol;

Norm

LStG Tir 1989 §62 Abs1;
LStG Tir 1989 §62 Abs2;
LStG Tir 1989 §63 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch sowie die Hofrätin Dr. Bayjones und den Hofrat Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Lehner, über die Beschwerde des J in A, vertreten durch Dr. Gerhard Seirer und Mag. Herbert Weichselbraun, Rechtsanwälte in 9900 Lienz, Tirolerstraße 30/2, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 22. Mai 2012, Zl. IIb1-L-3128/22-2012, betreffend Enteignung nach dem Tiroler Straßengesetz (mitbeteiligte Partei: Land Tirol, Landesstraßenverwaltung), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 4. April 2011 wurde dem mitbeteiligten Land gemäß § 44 Abs. 3 Tiroler Straßengesetz (TStG) für das geplante Bauvorhaben die Baubewilligung nach Maßgabe des vorliegenden Projektes "L xxx V-straße, Straßen km 4,430 bis Straßen km 4,800, Ortsdurchfahrt A" erteilt. In dieses Straßenbauvorhaben sollen 137 m2 eines näher bezeichneten Grundstückes, dessen Eigentümer der Beschwerdeführer ist, eingebunden werden. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 19. April 2011 zugestellt und ist in Rechtskraft erwachsen.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22. Mai 2012 hat die belangte Behörde - soweit beschwerderelevant - nach mündlicher Verhandlung am 3. Mai 2012 ausgesprochen, dass für die Ausführung des bewilligten Straßenbauvorhabens die Notwendigkeit der Enteignung der im Grundeinlösungsplan näher angeführten Grundflächen gegeben sei, und diese Grundflächen (137 m2 des näher bezeichneten Grundstückes des Beschwerdeführers) zugunsten des "Öffentlichen Gutes, Land Tirol, für dauernd lastenfrei enteignet erklärt". In ihrer Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die an Ort und Stelle durchgeführte Verhandlung und die gutachterliche Beurteilung durch den straßenbautechnischen Amtssachverständigen habe ergeben, dass zur Durchführung des mit rechtskräftigem Baubewilligungsbescheid vom 4. April 2011 bewilligten Projektes der Landesstraßenverwaltung die im Grundeinlösungsplan dargestellten und in der Kundmachung vom 16. April 2012 angeführten Grundstücksteilflächen unbedingt benötigt würden. Die Voraussetzungen der Enteignung seien daher gegeben.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 21. September 2012, B 896/12-6, deren Behandlung abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

Der Beschwerdeführer hat seine Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzt.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Das mitbeteiligte Land hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

4.1. Hat der Verfassungsgerichtshof in einem Verfahren gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 eine Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten, hat der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 8 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, in einem solchen Verfahren die Bestimmungen des B-VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung und des VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung weiter anzuwenden.

Im Beschwerdefall ist folgende Rechtslage im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides von Bedeutung:

Tiroler Straßengesetz (TStG), LGBl. Nr. 13/1989 (Stammfassung):

"§ 61

Zweck der Enteignung

(1) Enteignet werden kann

a) für den Bau einer Straße, deren Verlauf nach der Anlage 3 bestimmt ist,

b) für den Neubau einer Straße und für bauliche Änderungen einer Straße,

...

(2) ...

§ 62

Notwendigkeit der Enteignung

(1) Eine Enteignung ist nur zulässig, wenn

a) für das Vorhaben, dessen Verwirklichung die Enteignung dienen soll, ein Bedarf besteht, dessen Deckung im öffentlichen Verkehrsinteresse gelegen ist,

b) der Gegenstand der Enteignung geeignet ist, der zweckmäßigen und wirtschaftlichen Verwirklichung des Vorhabens zu dienen,

c) der Gegenstand der Enteignung nicht anders als durch Enteignung beschafft werden kann und

d) durch die Enteignung ihr Zweck unmittelbar verwirklicht werden kann.

(2) Bei Bauvorhaben, die einer Straßenbaubewilligung bedürfen, gilt der Bedarf hiefür im Sinne des Abs. 1 lit. a mit dem Eintritt der Rechtskraft der Straßenbaubewilligung als nachgewiesen.

(3) Bei Bauvorhaben, die der Verwirklichung einer Straße dienen, deren Verlauf nach der Anlage 3 bestimmt ist, gilt der Bedarf hiefür im Sinne des Abs. 1 lit. a als nachgewiesen.

§ 63

Gegenstand und Umfang der Enteignung

(1) ...

...

(4) Eine Enteignung ist nur in dem zur Verwirklichung ihres Zweckes erforderlichen Umfang zulässig.

(5) Würden bei der Enteignung eines Teiles eines Grundstückes Grundstücksreste entstehen, die weder in der bisherigen Weise noch sonst zweckmäßig nutzbar wären, so sind auf Antrag des Enteigneten auch diese Grundstücksreste zu enteignen.

...

§ 64

Enteigner, Enteigneter, Nebenberechtigter

(1) Enteigner ist der Straßenverwalter der Straße, zu deren Gunsten enteignet wird.

(2) Enteigneter ist der Eigentümer des von der Enteignung betroffenen Grundstückes bzw. derjenige, dem das den Gegenstand der Enteignung bildende Recht zusteht.

(3) ...

...

§ 67

Einleitung des Enteignungsverfahrens

(1) Ein Enteignungsverfahren wird auf schriftlichen Antrag des Enteigners eingeleitet.

(2) Dem Enteignungsantrag sind jene Unterlagen anzuschließen, die zur Beurteilung der Zulässigkeit der Enteignung erforderlich sind. Jedenfalls anzuschließen sind:

...

d) bei einer Enteignung für Vorhaben, die einer Straßenbaubewilligung bedürfen, eine mit der Rechtskraftklausel versehene Ausfertigung des Bewilligungsbescheides;

...

(3) Parteien des Enteignungsverfahrens sind der Enteigner, die Enteigneten und, soweit es sich um die Festsetzung der Vergütung für Vermögensnachteile im Sinne des § 65 Abs. 1 handelt, die Nebenberechtigten. Bei einem Wechsel in der Person des Enteigneten oder des Nebenberechtigten tritt der Rechtsnachfolger in das Enteignungsverfahren in jenem Stand ein, in dem es sich im Zeitpunkt des Rechtsüberganges befindet.

...

Anlage 1

Landesstraßenverzeichnis L

...

L xxx V-straße      H/P-dorf (B xxx D-straße)-      A-I-K

..."

4.2. Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen vor, die Einbindung der verfahrensgegenständlichen Grundfläche würde nicht zu einer wesentlichen Erhöhung der Verkehrssicherheit führen; diese Grundfläche werde seit jeher praktisch ausschließlich als Parkfläche bzw. zur Eigennutzung des Grundeigentümers und nicht zur Ein- und Ausfahrt in die bzw. von der dort in die L xxx Vstraße (in einem spitzen Winkel) einmündende Gemeindestraße benützt, weshalb eine ständige Übung tatsächlich nicht bestehe.

Durch die Enteignung wäre es dem Beschwerdeführer nicht mehr möglich, insbesondere seine Liegenschaft im bisherigen Umfang zu nutzen. Die Straße würde direkt an seinem Stiegenaufgang zu seiner Terrasse vorbeiführen, so dass auch dieser Aufgang nicht mehr genutzt werden könnte. Das betroffene Grundstück erfahre durch die Erweiterung des Straßenverlaufes und Enteignung der gegenständlichen Teilfläche eine enorme wirtschaftliche Abwertung, weshalb eine Enteignung nicht verhältnismäßig wäre.

Die "Einfahrt Alte Schule" in A stelle eine ähnliche bzw. gleiche Verkehrs-/Straßensituation dar, bei der eine Gemeindestraße spitzwinkelig in die L xxx V-straße einmünde. Auch dort wäre eine - wie im gegenständlichen Straßenbauprojekt geplante - Straßenführung in Form einer Schleife möglich. Diese werde offensichtlich nicht für notwendig (insbesondere im Hinblick auf die Verkehrssicherheit) erachtet, sodass eine straßenbauliche Veränderung dort bisher (zu Recht) unterblieben sei. Im Hinblick auf die verfassungs- bzw. gleichheitskonforme Interpretation bzw. Anwendung der Enteignungsvorschriften des TStG wäre die Enteignung des Beschwerdeführers im Hinblick auf die gegenständliche Grundfläche gesetzeswidrig. Aus den vorgenannten Gründen bestehe insbesondere keine Notwendigkeit der Enteignung gemäß § 62 TStG.

4.3. Im Enteignungsverfahren ist nicht mehr die Notwendigkeit der Straße (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. November 1998, Zl. 96/06/0102), sondern im Wesentlichen nur mehr die Frage zu prüfen, ob die Enteignung der für die Realisierung des Straßenbauvorhabens vorgesehenen Grundstücke im beantragten Umfang erforderlich ist. Auch die (gegenständlich vom Beschwerdeführer thematisierte) Frage der Interessenabwägung ist daher nicht mehr im gegenständlichen Enteignungsverfahren zu prüfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Jänner 2012, Zl. 2011/06/0190, zum NÖ Straßengesetz 1999).

Nach § 62 Abs. 2 TStG ist der Bedarf an dem Vorhaben durch die rechtskräftige Straßenbaubewilligung nachgewiesen und der Verweis auf die erteilte Bewilligung insofern ausreichend. Der Beschwerdeführer hatte anlässlich der Erteilung der Baubewilligung die Möglichkeit, alles vorzubringen, was seiner Ansicht nach gegen die Erteilung der Straßenbaubewilligung sprach. Seine Einwendungen, dass etwa die Einbindung der gegenständlichen Grundfläche des Beschwerdeführers nicht zu einer wesentlichen Erhöhung der Verkehrssicherheit führen würde, dass eine ständige Übung tatsächlich nicht bestehe sowie dass es ihm nicht mehr möglich wäre, insbesondere seine Liegenschaft im bisherigen Umfang zu nutzen, und dass die "Einfahrt Alte Schule" in A eine ähnliche bzw. gleiche Verkehrs-/Straßensituation darstelle, sind im hier gegenständlichen Enteignungsverfahren (schon) deshalb nicht mehr zu berücksichtigen. Die belangte Behörde ist vielmehr zutreffend vom Vorliegen des Bedarfes im Sinne des TStG aufgrund der rechtskräftigen Straßenbaubewilligung ausgegangen. Dass die enteignete Grundfläche nicht der Verwirklichung des genehmigten Projektes diene, wird auch in der Beschwerde nicht vorgebracht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. November 1998, Zl. 96/06/0102).

5. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

6. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist schon aus folgenden Gründen nicht erforderlich: Der Verwaltungsgerichtshof kann gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn Art. 6 Abs. 1 EMRK dem nicht entgegensteht.

Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige.

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein), hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 18. November 2014, Zl. 2013/05/0022 mwN).

Diese Voraussetzungen liegen im Beschwerdefall vor: Dass mit Bescheid der belangten Behörde vom 4. April 2011 die straßenrechtliche Baubewilligung erfolgte und diese in Rechtskraft erwachsen ist, ist unstrittig. Dass dies eine ausreichende Grundlage für die Enteignung war, ist eine Rechtsfrage (die auch im Einklang mit der bisherigen Judikatur beantwortet wurde), zu deren Lösung im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Art. 6 EMRK steht somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen. Die Entscheidung konnte daher auch im Sinne des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

7. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG weiter anzuwendenden §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008 (siehe § 3 Z. 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl II Nr. 8/2014).

Wien, am 20. Februar 2015

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2015:2012060207.X00

Im RIS seit

02.04.2015

Zuletzt aktualisiert am

23.04.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten