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L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
AVG §52;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch sowie die Hofrätin Dr. Bayjones und den Hofrat Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Lehner, über die Beschwerde 1. des S P, 2. der J P, 3. des G M und 4. der E M, alle in N und vertreten durch Dr. Astrid Prießner, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 19/II, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 14. Juni 2012, Zl. FA13B-12.10-N110/2012-2, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei:
Marktgemeinde N, vertreten durch Dr. Erich Moser, Rechtsanwalt in 8850 Murau, Schwarzenbergsiedlung 114), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bauansuchen vom 5. April 2011 beantragte die mitbeteiligte Gemeinde (Bauwerberin) die Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung von zwei Carports mit je 6 Abstellflächen auf den Grundstücken Nr. 161/54, 161/55 und 161/50, 161/51, EZ. 465 KG N, gelegen im "Baugebiet Wohnen rein". Dieses Ansuchen wurde in weiterer Folge ("Planungsvorschlag NEU") auf vier Carports (zwei zu je vier und zwei zu je drei Abstellflächen; drei Carports sind am L-Weg, ein Carport an der S-Straße/N-Straße situiert) geändert. Das Bauvorhaben dient der Sicherstellung der erforderlichen Anzahl an PKW-Abstellflächen für vier Mehrfamilienwohnhäuser der Bauwerberin auf den genannten Grundstücken, N-Straße 1, 3, 5 und 7. Die Beschwerdeführer sind Eigentümer der westlich an die Baugrundstücke anschließenden, durch den L-Weg getrennten Liegenschaften, L-Weg 3 und 4, auf denen sich Einfamilienhäuser befinden.
In ihren Einwendungen gegen das Bauvorhaben - sowohl in der ursprünglichen als auch in der geänderten Fassung - machten die Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, die geplanten baulichen Anlagen brächten aufgrund des erhöhten Verkehrsaufkommens und durch das Zu- und Abfahren zu den Abstellflächen eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung durch Lärm und Gesundheitsgefährdung der Beschwerdeführer mit sich.
Der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde erteilte mit Bescheid vom 5. September 2011 die Baubewilligung für die Errichtung von vier Carports auf den Grundstücken Nr. 161/54, 161/55 und 161/50, 161/51, N-Straße 1, 3, 5 und 7 laut Planungsvorschlag NEU gemäß §§ 19 und 29 Stmk BauG 1995 iVm dem Flächenwidmungsplan 3.04 der mitbeteiligten Marktgemeinde, dem § 8 Stmk ROG 2010 und dem § 7 Stmk FPolG 1985 unter Auflagen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Baugrundstücke befänden sich im "Baugebiet Wohnen rein". In dieser Kategorie seien Zuwächse an Wohnraum und damit auch ein Erfordernis an Fahrzeugabstellplätzen zu erwarten und zu tolerieren. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass das Bauvorhaben keine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Beeinträchtigung in Form von Immissionen darstelle. Im Hinblick auf die bestehende Widmung bzw. die gesetzliche Verpflichtung, bei Wohnbauten ausreichend Abstellflächen für PKWs zu errichten, sei evident, dass die von der gegenständlichen Anlage bzw. den darin abgestellten PKWs bzw. auch bei deren Zu- und Abfahrt ausgehenden Immissionen innerhalb des widmungsgemäßen Umfanges liegen und keine Verletzung von Nachbarrechten bewirken. Die Beiziehung eines Sachverständigen für lärm- und gesundheitstechnische Belange sei aufgrund der Geringfügigkeit des Vorhabens nach Einschätzung der Baubehörde nicht erforderlich.
Die Berufung der Beschwerdeführer vom 22. September 2011wurde mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 21. Oktober 2011 als unbegründet abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer die Vorstellung vom 30. November 2011.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 2. März 2012 wurde der Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 21. Oktober 2011 mit der Begründung aufgehoben, dass nur der Spruch, nicht aber die Begründung des Bescheides des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 21. Oktober 2011 von der Beschlussfassung des Gemeinderates gedeckt sei.
Mit (Ersatz-)Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 7. Mai 2012 wurde die Berufung neuerlich abgewiesen.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Vorstellung der Beschwerdeführer vom 22. Mai 2012 wurde mit dem angefochtenen Bescheid vom 14. Juni 2012 als unbegründet abgewiesen.
Begründend legte die belangte Behörde im Wesentlichen dar, sowohl die N-Straße als auch der L-Weg seien Gemeindestraßen. Die Straßenbreite sei ebenso wie der Umstand, dass es sich bei der N-Straße um eine Wohnstraße handle, irrelevant.
Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes besitze der Nachbar eines Bauvorhabens keinen im baubehördlichen Bewilligungsverfahren geltend zu machenden Anspruch darauf, dass sich durch dieses Vorhaben die Verkehrsverhältnisse auf öffentlichen Verkehrsflächen und die daraus resultierenden Lärm- und Geruchsbelästigung nicht verschlechtern (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 7. Juni 1983, Zl. 83/05/0027).
Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes seien die von den Abstellflächen, die Pflichtstellplätze seien, typischerweise ausgehenden Immissionen grundsätzlich als im Rahmen der Widmung Wohngebiet zulässig anzusehen, sofern nicht besondere Umstände vorlägen, die eine andere Beurteilung geboten erscheinen ließen (Hinweis auf das hg, Erkenntnis vom 13. Oktober 2010, Zl. 2010/06/0155). Dementsprechend sei, zumal keine besonderen Umstände, die eine andere Vorgangsweise geboten erscheinen ließen, vorlägen, auch die Einholung von immissionstechnischen Gutachten nicht erforderlich und die Nichtbeiziehung von Sachverständigen als nicht rechtswidrig zu beurteilen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und - wie die mitbeteiligte Gemeinde - in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Auf den vorliegenden, mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall sind nach § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden.
Im Beschwerdefall ist folgende Rechtslage im Hinblick auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung des (zweiten) Berufungsbescheides des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde von Bedeutung:
Steiermärkisches Baugesetz 1995 (Stmk BauG 1995) idF LGBl. Nr. 13/2011
"§ 26
Nachbarrechte
(1) Der Nachbar kann gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen (subjektiv-öffentlich rechtliche Einwendungen). Das sind Bestimmungen über
1. die Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Flächenwidmungsplan und einem Bebauungsplan, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist
2.
die Abstände (§ 13);
3.
den Schallschutz (§ 77 Abs. 1)
4.
die brandschutztechnische Ausführung der Außenwände von Bauwerken an der Nachbargrenze (§ 52 Abs. 2)
5. die Vermeidung einer sonstigen Gefährdung oder unzumutbaren Belästigung bzw. unzumutbaren Beeinträchtigung (§ 57 Abs. 2, § 58, § 60 Abs. 1, § 66 zweiter Satz und § 88)
6. die Baueinstellung und die Beseitigung (§ 41 Abs. 6).
..."
Steiermärkisches Raumordnungsgesetz 2010 (Stmk ROG 2010) idF
LGBl. Nr. 49/2010
"§ 30
Baugebiete
(1) Als Baugebiete kommen in Betracht:
1. reine Wohngebiete, das sind Flächen, die ausschließlich für Wohnzwecke bestimmt sind, wobei auch Nutzungen zulässig sind, die überwiegend der Deckung der täglichen Bedürfnisse der Bewohner des Gebietes dienen (Kindergärten, Schulen, Kirchen und dergleichen) oder dem Wohngebietscharakter des Gebietes nicht widersprechen;
..."
Die Beschwerdeführer bringen im Wesentlichen vor, die Berufungsbehörde wäre berechtigt bzw. sogar verpflichtet gewesen, aufgrund ihrer aus dem AVG erfließenden Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung das Vorliegen eines besonderen Umstandes zu prüfen.
Die belangte Behörde hätte sohin der Erstbehörde (gemeint wohl: Berufungsbehörde) auftragen müssen, einen Sachverständigen aus der Schall- bzw. Lärmtechnik mit der Erstellung eines Gutachtens zu befassen. Den Beschwerdeführern sei bekannt, dass die von Abstellflächen typischerweise ausgehenden Immissionen grundsätzlich als im Rahmen der Widmung "Wohngebiet" zulässig anzusehen seien, sofern nicht besondere Umstände vorlägen.
Wenn nunmehr auch die belangte Behörde zur Ansicht gelange, dass keine besonderen Umstände vorlägen, so sei dies unrichtig:
Der L-Weg stelle sich als außergewöhnlich ruhig dar. Da der erforderliche Mindestabstand nach der schalltechnischen Beurteilung weniger als 28 m zwischen den Bauobjekten und den Häusern der Beschwerdeführer betrage, sei von einem enormen Schallpegel auszugehen, welcher durch die örtlich gegebene Hanglage noch potenziert werde. Insbesondere während der Nacht- und Ruhezeiten werde durch das Einparken bzw. Reversieren, Starten, Türenschlagen etc. die Nachtruhe der Beschwerdeführer schwer gestört und all diese Geräusche, die von den genannten Carports ausgingen, würden - den physikalischen Gesetzen folgend - im Lärm "nach oben hin" (zu den Beschwerdeführern) noch potenziert. Durch diese Schallemissionen würden die Beschwerdeführer nachts ständig aufgeweckt, wobei der ständig gestörte Schlaf zu erhöhten Stresshormonausschüttungen führe und in Folge dessen zu schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Diese Gesamtsituation rechtfertige die Annahme eines besonderen Umstands.
Im Übrigen sei das Gutachten des Amtssachverständigen für Bausachen insofern unvollständig und unschlüssig geblieben, als dieser lediglich festgestellt habe, dass die Errichtung auf Streifen bzw. Punktfundamenten, welche asphaltiert oder gepflastert worden seien, stattfinde. Die Dachabwässer würden entweder auf dem eigenen Grundstück zur Versickerung gebracht oder nach Möglichkeit in den vorhandenen Oberflächenwasserkanal eingeleitet. Diesbezüglich sei auszuführen, dass bei Autoabstellplätzen bzw. Carports oder Garagen eine gesetzliche umwelttechnische Ölabscheidereinrichtung etc. errichtet werden müsse und auch die Dach- bzw. Oberflächenwasser aufgrund der besonderen Hanglage eine besondere Vorrichtung zur Ableitung benötigten.
Im Beschwerdefall geht es um die Schaffung der erforderlichen Pflichtstellplätze, was die Beschwerdeführer auch nicht in Zweifel ziehen. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, sind die von derartigen Abstellflächen (Pflichtstellplätzen) typischerweise ausgehenden Immissionen grundsätzlich als im Rahmen der Widmung Wohngebiet zulässig anzusehen, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, die eine andere Beurteilung geboten erscheinen lassen, wobei auf das Widmungsmaß abzustellen ist und den Nachbarn kein Anspruch auf Beibehalt eines geringeren Ist-Maßes zukommt (vgl. dazu das bereits von der belangten Behörde angeführte das hg, Erkenntnis vom 13. Oktober 2010, Zl. 2010/06/0155).
Die Beschwerdeführer machen - wie bereits im Verfahren vor den Gemeindebehörden und in ihrer Vorstellung - geltend, es lägen insbesondere wegen der gegebenen Hanglage und der dadurch bewirkten Schallpotenzierung besondere Umstände vor, die die Befassung eines Sachverständigen aus dem Bereich der Lärm- und Schalltechnik erforderlich machten.
Die Gemeindebehörden haben das Vorliegen besonderer Umstände verneint, ohne sich mit diesem Vorbringen erkennbar auseinandersetzen. Das Absehen von der Einholung eines lärmtechnischen Sachverständigengutachtens wurde mit der "Geringfügigkeit" des Vorhabens begründet. Insofern ist das Verfahren vor der Baubehörde mangelhaft geblieben. Da die belangte Behörde diese Mängel der Entscheidung des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG weiter anzuwendenden §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008 (siehe § 3 Z. 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl II Nr. 8/2014). Das die Pauschalbeträge der genannten Verordnung übersteigende Begehren war abzuweisen. Die Umsatzsteuer ist in diesen Pauschalbeträgen bereits enthalten, die Zuerkennung eines Streitgenossenzuschlages ist nicht vorgesehen.
Wien, am 27. Februar 2015
Schlagworte
Planung Widmung BauRallg3Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Besonderes FachgebietEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2015:2012060129.X00Im RIS seit
01.04.2015Zuletzt aktualisiert am
23.04.2015