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72/01 HochschulorganisationNorm
B-VG Art139 Abs1 / PrüfungsmaßstabLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Abweisung des Antrags eines deutschen Staatsangehörigen auf Zulassung zum Diplomstudium Humanmedizin nach genderspezifischer Auswertung des Eignungstests mangels eines Studienplatzes innerhalb der sogenannten "EU-Quote"; keine Verletzung des Diskriminierungsverbotes wegen des Geschlechts; kein Verstoß der Bestimmungen des Universitätsgesetzes 2002 und der Zulassungsverordnung über die Quotierung der zur Verfügung stehenden Studienplätze gegen das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit angesichts einer tatsächlichen Gefährdung des öffentlichen Gesundheitssystems in Österreich durch einen absehbaren Mangels an Ärztinnen und Ärzten in naher ZukunftRechtssatz
Hinweis auf die Erk zu V5/2014 und B530/2013, beide E v 27.09.2014, zur sachlichen Rechtfertigung des §10 Abs1 der ZulassungsV und zur Zuständigkeit des Rektorats zur Erlassung der Verordnung.
Das in Art21 Abs1 GRC unter anderem enthaltene Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts (vgl VfGH 12.03.2014, B166/2013) ist durch die Regelung des §10 Abs1 der ZulassungsV nicht verletzt. Angesichts ihrer begrenzten Wirkung als punktuelle Übergangsregelung und des nachgewiesenen Fehlschlagens anderer (Begleit-)Maßnahmen, um die nachgewiesenen Geschlechterunterschiede bei der Auswertung des Eignungstests für das Medizinstudium (EMS) hintanzuhalten, handelt es sich bei der in §10 Abs1 der ZulassungsV vorgesehenen genderspezifischen Auswertung um eine angemessene und - auch im Hinblick auf Art23 Abs2 GRC - gerechtfertigte Maßnahme.
Die Regelungen des §124b Abs5 UG 2002 (wonach 95% der Studienplätze EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern vorbehalten sind, 75% zu Gunsten von Inhabern in Österreich ausgestellter Reifezeugnisse) und auf dieser Grundlage §4 Abs2 der ZulassungsV sind im Gefolge der Entscheidung des EuGH zum österreichischen Hochschulzugang vom 07.07.2005 (Rs C-147/03, Kommission/Österreich, Slg 2005, I-5969) ergangen und verfolgen die Zielsetzung, diesen im Einklang mit den vom EuGH aus dem einschlägigen Unionsrecht abgeleiteten Vorgaben für die Studien der Human- und Zahnmedizin zu regeln. Nach der Rechtsprechung des EuGH und des VfGH sind diese Regelungen daher eine "Durchführung des Rechts der Union" im Sinne von Art51 Abs1 GRC, sodass die GRC auf die von diesen Regelungen erfassten Sachverhalte Anwendung findet.
Art21 Abs2 GRC verbietet Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Dieses Grundrecht entspricht seinem Inhalt nach Art18 Abs1 AEUV. Demzufolge sind Ungleichbehandlungen wie die in §124b Abs5 UG 2002 vorgesehene Quotenregelung zu Gunsten von Inhabern in Österreich ausgestellter Reifezeugnisse, die lediglich mittelbar an die Staatsangehörigkeit anknüpfen, einer Rechtfertigung durch objektive, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängige Erwägungen zugänglich, wenn diese Regelung verhältnismäßig ist.
Bei Art21 Abs2 GRC handelt es sich - schon auf Grund der strukturellen Gleichartigkeit dieses Diskriminierungsverbotes zu den in Art7 Abs1 B-VG oder Art14 EMRK enthaltenen - um eine Garantie der GRC, die in ihrer Formulierung und Bestimmtheit verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten der österreichischen Bundesverfassung gleicht, mithin keine völlig unterschiedliche normative Struktur als diese aufweist. Art21 Abs2 GRC kann daher gemäß Art144 B-VG vor dem VfGH als verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht geltend gemacht werden und bildet einen Prüfungsmaßstab im Verfahren der generellen Normenkontrolle, insbesondere nach Art139 und Art140 B-VG.
Im Urteil vom 13.04.2010 (Rs C-73/08, Bressol, Slg 2010, I-2735) geht der EuGH davon aus, dass eine Ungleichbehandlung grundsätzlich mit Erfordernissen der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt werden kann, wenn bestimmte, vom EuGH näher dargelegte Voraussetzungen erfüllt sind.
Der Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft hat dargelegt, dass zum derzeitigen Zeitpunkt - und nur zu dem hat der VfGH im vorliegenden Verfahren diese Fragen zu beurteilen - eine tatsächliche Gefährdung des öffentlichen Gesundheitssystems in Österreich durch einen absehbaren Mangel an Ärztinnen und Ärzten, die diesen Beruf in Österreich ausüben, in naher Zukunft besteht und somit der Schutz der öffentlichen Gesundheit tatsächlich gefährdet ist, sowie, dass die Regelung des §124b Abs5 UG 2002 geeignet, erforderlich und angemessen ist, um das im allgemeinen Interesse liegende Ziel der Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen, ausgewogenen und allgemein zugänglichen Gesundheitsversorgung in Österreich zu erreichen.
Darlegung, dass der in Zukunft prognostizierte Ärztebedarf nur gedeckt werden kann, wenn die Zahl jener Absolventinnen und Absolventen, die nach ihrem Studium den Arztberuf auch tatsächlich in Österreich ausüben, jährlich erhöht wird; weitere Erhöhung der Studienplätze im Hinblick auf Anforderungen der Lehrqualität nicht möglich; relativ sehr hoher Anteil deutscher Studierender, die aus Gründen der Attraktivität ihres Heimatstaats für Mediziner zu einem sehr großen Teil nach dem Studium dorthin zurückkehren.
Aus dem Umstand, dass auch in Deutschland ein vergleichbarer Ärztemangel künftig prognostiziert wird, aus dem im Vergleich zu Österreich restriktiveren Zulassungssystem des Numerus Clausus in Deutschland und aus den im Wege von Befragungen erhobenen persönlichen Präferenzen der Absolventinnen und Absolventen des Studiums der Humanmedizin in Österreich mit deutschem Reifezeugnis folgert der Bundesminister, dass realistisch mögliche Anreizmaßnahmen nicht zum Erfolg führen, so unter anderem, weil schon jetzt das Gehaltsniveau für Mediziner in Deutschland über jenem in Österreich liegt. Andere mögliche Maßnahmen (wie beispielsweise eine durch entsprechende Abschlagszahlungen effektuierte Verweilverpflichtung von Studienabsolventen in Österreich) würden jedenfalls nicht weniger einschränkend wirken als die bestehende Quotenregelung.
Diese Darlegungen, die in Verbindung mit der Notwenigkeit eines verlängerten Beobachtungszeitraums für eine definitive Einschätzung des Bleibeverhaltens und der Migrationsbewegungen von Jungärzten auch die Europäische Kommission zur Aufrechterhaltung ihres Moratoriums bestimmt haben, führen den VfGH zu der Auffassung, dass der Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft in ausreichender Weise dargetan hat, dass zum derzeitigen Zeitpunkt die Regelung des §124b Abs5 UG 2002 dem Schutz der öffentlichen Gesundheit vor einer tatsächlichen Gefährdung dient und dass diese Maßnahme der Quotenregelung zur Gewährleistung der Gesundheitsversorgung in Österreich als geeignet, erforderlich und angemessen anzusehen ist.
Der VfGH kommt damit zum selben Ergebnis wie die Europäische Kommission. Wie der Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft in seiner Stellungnahme ausführt, besteht im Zusammenhang mit dem Vertragsverletzungsverfahren, das zum Urteil des EuGH vom 07.07.2005 (Rs C-147/03, Kommission/Österreich) geführt hat, ein laufender Dialog mit der Europäischen Kommission, in dessen Rahmen Österreich unter anderem jährlich einen Bericht über die Situation im Zusammenhang mit den Studien der Human- und Zahnmedizin an die Europäische Kommission erstellt, in dem auf Basis statistischer Daten die Frage der Notwendigkeit und Erforderlichkeit der Regelung des §124b Abs5 UG 2002 beurteilt werden soll. In diesem Prozess hat die Europäische Kommission zuletzt mit Schreiben vom 18.12.2012 ein Moratorium für das angesprochene Vertragsverletzungsverfahren und somit zum Ausdruck gebracht, dass zum derzeitigen Zeitpunkt eine Verletzung von Unionsrecht durch Österreich nicht festgestellt werden kann.
Angesichts dessen ist der Beschwerdeführer durch die Anwendung des §124b Abs5 UG 2002 bzw des darauf beruhenden §4 Abs2 der ZulassungsV nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht aus Art21 Abs2 GRC verletzt worden.
Auch keine Verletzung in dem durch Art18 StGG bzw Art2 1. ZPEMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Berufsausbildungsfreiheit und auf Bildung.
Schlagworte
Hochschulen, Gleichheit Frau - Mann, geschlechtsspezifische Differenzierungen, EU-Recht, EU-Recht Richtlinie, Gleichbehandlung, Geltungsbereich Anwendbarkeit, Rechte verfassungsgesetzlich gewährleistete, VfGH / Prüfungsmaßstab, BerufsausbildungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2015:B533.2013Zuletzt aktualisiert am
09.11.2016