RS Vfgh 2015/3/10 G203/2014 ua

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Veröffentlicht am 10.03.2015
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Index

34/01 Monopole

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art91
B-VG Art130 Abs5
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
GlücksspielG §50, §52, §53, §56a idF AbgÄG 2014
StGB §168
EMRK Art7
EMRK 7. ZP Art4 Abs1
StGG Art2
VfGG §19 Abs3 Z4, §62 Abs1

Leitsatz

Teils Zurück-, teils Abweisung von Anträgen der Landesverwaltungsgerichte Burgenland und Tirol auf Aufhebung neu gefasster Bestimmungen des Glücksspielgesetzes betreffend Verwaltungsstrafen und Beschlagnahme von Glücksspielautomaten wegen verbotener Ausspielungen; keine Bedenken gegen die angeordnete Subsidiarität der Anwendung des gerichtlichen Straftatbestandes gegenüber den Verwaltungsstraftatbeständen im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot; präzise Regelung der Behördenzuständigkeit; kein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot; keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die vorgesehenen Mindeststrafdrohungen

Rechtssatz

Zulässigkeit der Anträge, soweit die Aufhebung des §52 Abs1 Z1, Abs2, Abs3 und Abs4 sowie des §53 Abs1 Z1 lita und Z2 GlücksspielG - GSpG idF BGBl I 13/2014 begehrt wird.

Zurückweisung der Anträge hins der Wortfolge ", 53" in §50 Abs5, der Wortfolge "Eine von der Bezirksverwaltungsbehörde oder von der Landespolizeidirektion beabsichtigte Aufhebung einer Beschlagnahme oder" in §50 Abs6, der Wortfolge "Beschlagnahme- oder" in §50 Abs10, des §52 Abs1 Z2 bis Z11, des §53 Abs1 Z1 litb, Z3, Abs2, Abs3 und Abs4 sowie der Wortfolge ", Beschlagnahmen" in §56a Abs1 GSpG mangels Präjudizialität angesichts denkunmöglicher Anwendung in den Ausgangsverfahren bzw mangels Darlegung von Bedenken.

Kein untrennbarer Zusammenhang des Verwaltungsstraftatbestands der Z1 des §52 Abs1 mit den sonstigen Verwaltungsstraftatbeständen der Z2 bis Z11 des §52 Abs1 GSpG.

Der Antrag auf Aufhebung der "jeweils aufscheinenden Wortfolge 'von Euro 3000,--' sowie der Wortfolge 'von Euro 6000,--'" in §52 Abs2 GSpG ist zulässig, obwohl sich diese Wortfolgen in der beantragten Wortstellung nicht in §52 Abs2 GSpG finden. Es besteht aber kein Zweifel, dass sich das antragstellende Landesverwaltungsgericht auf die jeweilige Wortfolge "von 3 000 Euro" und die Wortfolge "von 6 000 Euro" in §52 Abs2 GSpG bezieht, weshalb das Formerfordernis der genauen und eindeutigen Bezeichnung der bekämpften Stellen des Gesetzes gemäß §62 Abs1 VfGG erfüllt ist.

Der VfGH teilt die unter dem Aspekt des Art18 iVm Art83 Abs2 B-VG geäußerten Bedenken gegen §52 Abs3 GSpG nicht.

Aus der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zu §52 GSpG idF der Novelle BGBl I 54/2010 (vgl zB VfSlg 19754/2013) kann nichts für die Interpretation des §52 GSpG in der geltenden Fassung BGBl I 13/2014 gewonnen werden. Der Gesetzgeber hat nämlich mit der Novellierung der Verwaltungsstrafbestimmung des §52 GSpG durch BGBl I 13/2014 das Konzept einer ziffernmäßigen betragsmäßigen Trennung der Zuständigkeit der Strafgerichte einerseits und der Verwaltungsstrafbehörden andererseits aufgegeben. Der Gesetzgeber hat nun das - bei einer Scheinkonkurrenz von gerichtlichem Strafrecht und Verwaltungsstrafrecht häufig verwendete - Konzept der (ausdrücklichen oder formellen) Subsidiarität der einen gegenüber der anderen Strafbestimmung verwirklicht. Die Besonderheit besteht hier (lediglich) darin, dass der Gesetzgeber in §52 Abs3 GSpG idF BGBl I 13/2014 nicht den Vorrang der gerichtlichen Strafbestimmung, sondern der Verwaltungsstrafbestimmung vorsieht. Der Straftatbestand des §168 StGB ist demgemäß nur dann anwendbar, wenn die Handlung nicht schon nach §52 Abs1 GSpG idF BGBl I 13/2014 mit Strafe bedroht ist.

Mit der Subsidiaritätsregelung des §52 Abs3 GSpG hat der Gesetzgeber in klarer, dem Bestimmtheitsgebot des Art18 B-VG entsprechender Weise zunächst festgelegt, dass die Anwendung des §168 StGB gegenüber den Verwaltungsstraftatbeständen des §52 Abs1 GSpG subsidiär ist. Des Weiteren hat er auch klar zum Ausdruck gebracht, unter welchen Voraussetzungen eine Tat wegen der Erfüllung des Verwaltungsstraftatbestands gemäß §52 GSpG zu verfolgen ist und damit auch wer zur Verfolgung solcher Verwaltungsübertretungen zuständig ist.

Aus der - dem Bestimmtheitsgebot des Art18 B-VG entsprechenden - Umschreibung des Verwaltungsstraftatbestands des §52 Abs1 Z1 GSpG ergibt sich auch die präzise Regelung der Behördenzuständigkeit: Erfüllt jemand durch eine Handlung den Verwaltungsstraftatbestand des §52 Abs1 Z1 GSpG, ist auf Grund des §52 Abs3 GSpG nur die Verwaltungsstrafbehörde zur Verfolgung des Beschuldigten (und in der Folge das Verwaltungsgericht) zuständig. Eine Zuständigkeit der gerichtlichen Strafverfolgungsbehörde wegen des Delikts gemäß §168 StGB ist nur dann gegeben, wenn eine Strafverfolgung wegen der Übertretung des §52 Abs1 (Z1) GSpG idF BGBl I 13/2014 ausscheidet.

Die Frage, ob in Hinblick auf §52 Abs3 iVm §52 Abs2 GSpG idF BGBl I 13/2014 überhaupt noch ein Anwendungsbereich für den Straftatbestand des §168 StGB bleibt, ist letztlich von den Strafgerichten zu entscheiden. Selbst wenn auf Grund der Subsidiaritätsregel des §52 Abs3 GSpG für §168 StGB kein Anwendungsbereich mehr bleiben sollte, führte dies nicht dazu, dass §52 Abs3 GSpG gegen Art18 iVm Art83 Abs2 B-VG verstößt.

Auch kein Widerspruch des §52 Abs3 GSpG zu Art7 EMRK iVm Art18 B-VG.

Keine Bedenken in Hinblick auf das Doppelbestrafungsverbot des Art4 Abs1 des 7. ZPEMRK.

Die ausdrückliche Subsidiaritätsregelung des §52 Abs3 GSpG sieht gerade vor, dass eine Bestrafung eines Verhaltens nach beiden Straftatbeständen (Verwaltungsstraftatbestand nach dem Glücksspielgesetz und gerichtlicher Straftatbestand des §168 StGB) nicht stattfinden darf. Wird durch ein Verhalten sowohl der Tatbestand der Verwaltungsübertretung nach §52 GSpG als auch der Straftatbestand des §168 StGB verwirklicht, darf gemäß §52 Abs3 GSpG nur eine verwaltungsbehördliche Verfolgung und Bestrafung nach §52 GSpG erfolgen.

Die (zulässigerweise) angefochtenen Bestimmungen verstoßen auch nicht gegen Art91 B-VG.

Der VfGH kann im konkreten Fall nicht erkennen, dass der Gesetzgeber mit der Strafdrohung in §52 GSpG den ihm zustehenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum überschritten hat. In Hinblick auf die verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Strafbemessung der verpönten Handlungen besteht für den Gesetzgeber keine Verpflichtung, die Verfolgung und Ahndung dieser Straftaten der Strafgerichtsbarkeit zuzuweisen.

Kein Widerspruch zum Gleichheitssatz.

Es liegt innerhalb des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers, für Verstöße gegen das Glücksspielrecht (vorrangig) verwaltungsstrafrechtliche Sanktionen vorzusehen.

Das Bedenken, ein "Spieler" wäre nach §168 StGB strafbar, ein Unternehmer, der selbständig eine nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen aus der Durchführung von Glücksspielen ausübe, jedoch "nur" verwaltungsstrafrechtlich nach dem Glücksspielgesetz, richtet sich der Sache nach nicht gegen die Subsidiaritätsklausel des §52 Abs3 GSpG, sondern gegen §168 StGB. Eine allfällige Verfassungswidrigkeit des §168 StGB würde die Verfassungsmäßigkeit des §52 Abs3 GSpG nicht berühren.

Gegen die Mindeststrafdrohungen in §52 Abs2 GSpG bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken: Der Gesetzgeber hat in §52 Abs2 GSpG lediglich die Strafdrohung für Übertretungen des §52 Abs1 Z1 GSpG geregelt und in klar überprüfbarer Weise die Strafhöhe in Form einer Mindest- und Höchststrafe für bestimmte Tatbestände festgelegt, welche bei näher geregelten Qualifikationen der jeweiligen Straftat mit einem erhöhten Strafrahmen versehen ist.

Der VfGH kann nicht erkennen, dass zwischen den Mindeststrafdrohungen in §52 Abs2 GSpG und dem Unrechtsgehalt der Tat und ihren wirtschaftlichen Folgen ein Missverhältnis besteht und die Mindeststrafdrohungen daher unsachlich sind. Durch die Mindeststrafdrohungen kann das erklärte Ziel des Gesetzgebers, verbotene Ausspielungen iSd §2 Abs4 GSpG zu verhindern, effizienter erreicht werden als ohne diese Mindeststrafdrohungen.

Der VfGH teilt auch die Bedenken nicht, dass §52 Abs3 GSpG gegen Art83 Abs2 B-VG verstoßen könnte. Art83 Abs2 B-VG legt nicht fest, dass bestimmte Angelegenheiten von ordentlichen (Straf-)Gerichten oder Verwaltungsbehörden zu besorgen sind. Zudem sind die aus der Zuordnung einer Angelegenheit zum gerichtlichen Strafrecht oder zum Verwaltungsstrafrecht erfließenden unterschiedlichen Rechtsfolgen (zB Möglichkeiten der Strafbemessung oder Strafmilderung) nicht an Art83 Abs2 B-VG zu messen.

§52 Abs3 GSpG verstößt auch nicht gegen Art130 Abs5 B-VG.

Art130 Abs5 B-VG normiert keinen Vorrang der ordentlichen Gerichtsbarkeit vor der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte (und damit der Verwaltungsbehörden) oder eine "Bestandsgarantie". Art130 Abs5 B-VG normiert (vielmehr) die Abgrenzung der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte von anderen Behörden und legt nicht fest, welche Angelegenheiten der Gerichtsbarkeit oder der Verwaltung vorbehalten sind.

In den Verfahren über die Anträge zu G27/2015, G31/2015, ua, hat der VfGH gemäß §19 Abs3 Z4 VfGG davon abgesehen, ein weiteres Verfahren durchzuführen. Dies erfolgt in Hinblick darauf, dass die aufgeworfenen Rechtsfragen durch die Entscheidung über die sonstigen Anträge der beiden Landesverwaltungsgerichte bereits geklärt werden.

Entscheidungstexte

  • G203/2014 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 10.03.2015 G203/2014 ua

Schlagworte

Glücksspiel, Verwaltungsstrafrecht, Strafrecht, Beschlagnahme, Zuständigkeit, Behördenzuständigkeit, Gericht Zuständigkeit - Abgrenzung von Verwaltung, Subsidiaritätsprinzip, Determinierungsgebot, Gerichtsbarkeit Trennung von der Verwaltung, Klarheitsgebot, Doppelbestrafungsverbot, ne bis in idem, Strafgerichtsbarkeit (Kernbereich), Strafen, Strafbemessung, Mindeststrafe, Verwaltungsgericht Zuständigkeit, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Bedenken, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Verfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2015:G203.2014

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2016
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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