Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 2005 §3 Abs1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2014/19/0051 Ra 2014/19/0052 Ra 2014/19/0055 Ra 2014/19/0054 Ra 2014/19/0053Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn sowie den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie die Hofräte Mag. Feiel und Dr. Pürgy als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lorenz, über die Revision 1. des S K, 2. der Z E, 3. der S K, 4. des R E, 5. der S K, 6. der S K, alle in M und vertreten durch Mag. Christoph Kaltenhauser, Rechtsanwalt in 5730 Mittersill, Gerlosstraße 17, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts jeweils vom 30. Mai 2014, 1. W135 2001288-1/5E (zu Ra 2014/19/0050),
2. W135 2001283-1/5E (zu Ra 2014/19/0051), 3. W135 2001284-1/3E (zu Ra 2014/19/0052), 4. W135 2001285-1/3E (zu Ra 2014/19/0053),
5. W135 2001286-1/3E (zu Ra 2014/19/0054), 6. W135 2001287-1/3E (zu Ra 2014/19/0055), jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem Asylgesetz 2005, (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind verheiratet, bei den Dritt- bis Sechstrevisionswerbern handelt es sich um deren minderjährige Kinder. Die Revisionswerber sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe. Die Revisionswerber stellten am 14. Februar 2013 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Erstrevisionswerber machte im Zuge der Erstbefragung geltend, sein getöteter (namentlich genannter) Cousin sei verdächtigt worden, ein Rebell zu sein, weil er mutmaßliche Rebellen in seinem Taxi gefahren habe. Das Taxi sei von den Behörden beschossen worden und alle Insassen seien umgekommen. Durch ein Foto habe man den Erstrevisionswerber mit dem Cousin in Verbindung gebracht und festgenommen. Später habe er eine Ladung zu einer Einvernahme erhalten und dort sei er wieder befragt worden.
Im Rahmen seiner Vernehmung vor dem Bundesasylamt (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) führte er zu seinem Fluchtgrund im Wesentlichen aus, er sei zu Hause zweimal verhaftet worden. Bei der ersten Verhaftung sei er bewusstlos geschlagen und anschließend verhört worden. Er sei zum Sohn seines Cousins befragt worden und er habe eine Verbindung zu den Rebellen gestehen sollen. Dies habe er nicht getan, sei drei Tage inhaftiert gewesen, dann aber frei gekommen. Bei der zweiten Festnahme sei er wieder, aber weniger hart geschlagen worden und wieder nach seinem Neffen befragt worden. Ihm sei auch vorgeworfen worden, er habe im ersten Tschetschenienkrieg Flüchtlinge aufgenommen. Er habe wieder zugeben sollen, mit den Rebellen zusammenzuarbeiten und sei mit dem Umbringen bedroht worden, wenn er dies nicht täte. Er sei circa eine Woche eingesperrt gewesen, dann habe sein Bruder durch Beziehungen seine Freilassung erreicht. Auf Anraten dieses Bruders hätten er und seine Familie das Land verlassen. Die Zweitrevisionswerberin gab im Wesentlichen an, auf Grund der Probleme ihres Mannes das Land verlassen zu haben. Eigene Fluchtgründe für sich oder die Dritt- bis Sechstrevisionswerber wurden nicht geltend gemacht. Das Verfahren wurde gemäß § 34 AsylG 2005 als Familienverfahren geführt.
1.2. Die Anträge auf internationalen Schutz wurden von der Verwaltungsbehörde mit Bescheiden vom 20. November 2013 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status von subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Unter einem wurden die Revisionswerber in die Russische Föderation ausgewiesen.
Die Verwaltungsbehörde führte aus, Identität, Herkunft und Volksgruppenzugehörigkeit der Revisionswerber stünden zwar fest, die vom Erstrevisionswerber angegebenen Gründe für das Verlassen des Heimatlandes seien aber unglaubwürdig. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Erstrevisionswerber von den "heimischen Behörden" als Widerstandkämpfer verdächtigt und deshalb zweimal festgenommen worden sei. Die Angaben des Erstrevisionswerbers zum Ausreisegrund seien vage, oberflächlich, kurz und allgemein gehalten gewesen, sowie darüber hinaus auch in wesentlichen Punkten grob widersprüchlich. Dabei steche besonders hervor, dass der Erstrevisionswerber anlässlich der polizeilichen Erstbefragung nur von einer Festnahme bzw. von einer Anhaltung von der Dauer von einem Tag gesprochen habe, während er vor der Verwaltungsbehörde zwei Verhaftungen im November 2012 vorgebracht habe. Die Rechtfertigungsversuche des Erstrevisionswerbers, es habe Verständigungsschwierigkeiten mit der Dolmetscherin gegeben und er habe sich bei der Erstbefragung in einem Schockzustand befunden, seien als bloße Schutzbehauptungen zurückzuweisen. Die Zweitrevisionswerberin habe zudem angegeben, der Erstrevisionswerber sei das erste Mal im Oktober 2012 und das zweite Mal im November 2012 wieder freigelassen worden. Neben weiteren Divergenzen in den Aussagen des Erstrevisionswerbers seien auch bezüglich der Zeitangaben zur Ausreise Ungereimtheiten aufgetreten. Die Zweitrevisionswerberin habe nur oberflächliche, allgemein gehaltene und widersprüchliche Aussagen getätigt und sei daher nicht in der Lage gewesen, das Fluchtvorbringen des Erstrevisionswerbers in ein glaubwürdiges Licht zu rücken.
Es sei nicht davon auszugehen, dass der Erstrevisionswerber oder die Zweitrevisionswerberin im Fall einer Rückkehr in die Heimat in eine dauerhaft aussichtslose Lage gedrängt würden, sondern dass sie in der Lage wären, zur Sicherung des Unterhaltes durch eigene Erwerbstätigkeit zumindest beizutragen und erforderlichenfalls auch Hilfeleistungen von Angehörigen zu erhalten. Auch die Dritt- bis Sechstrevisionswerber würden im Fall der Rückkehr nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage geraten.
1.3. Gegen diese Entscheidungen der Verwaltungsbehörde erhoben die Revisionswerber Beschwerde an den Asylgerichtshof. Die dort anhängigen Verfahren wurden mit 1. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht weitergeführt. In der Folge erstatteten die Revisionswerber eine (mit 28. Jänner 2014 datierte) ergänzende Eingabe.
1.4. Mit den nunmehr angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht - ohne die von den Revisionswerbern beantragte Verhandlung durchzuführen - die Beschwerden betreffend die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet ab und verwies das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung an die Verwaltungsbehörde zurück. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.
In der Begründung stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, die Revisionswerber seien Staatsangehörige der Russischen Föderation, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und moslemischen Glaubens. Der Erstrevisionswerber sei bis kurz vor seiner Ausreise als Hilfsarbeiter beschäftigt gewesen. Die Zweitrevisionswerberin habe bis zum Jahr 2010 in einer Bäckerei gearbeitet. Die Revisionswerber verfügten im Herkunftsland über eine Unterkunftsmöglichkeit im Elternhaus des Erstrevisionswerbers. Die Revisionswerber hätten noch weitere Verwandte, die im Herkunftsstaat lebten.
Dass den Revisionswerbern in der Russischen Föderation, konkret in Dagestan, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität - oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität - drohen würde, habe nicht festgestellt werden können; ebenso nicht, dass der Erstrevisionswerber auf Grund eines Verwandtschaftsverhältnisses zu einem Cousin bzw. dem Sohn seines Cousins bzw. zu einem Neffen einer staatlichen Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre oder dieser im Fall der Rückkehr ausgesetzt sein würde.
Den Revisionswerbern wäre im Fall der Rückkehr in die Russische Föderation auch nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen. Auch unter Berücksichtigung der vorgebrachten Erkrankungen und Gesundheitsbeeinträchtigungen habe nicht festgestellt werden können, dass die Revisionswerber an dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leiden würden, welche eine Rückkehr in die Russische Föderation im Sinn des Art. 3 EMRK unzulässig machen würden.
Beweiswürdigend legte das Bundesverwaltungsgericht dar, gegen die in den vorliegenden Bescheiden getroffenen individuellen Feststellungen zum Sachverhalt hinsichtlich der geltend gemachten Ausreisegründe bestünden keine Bedenken. Eine wie immer geartete Verfolgung oder Gefährdung der Revisionswerber in ihrer Heimat habe nicht festgestellt werden können. Das Fluchtvorbringen des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin sei auf Grund der aufgetretenen, massiven Widersprüche im Kernvorbringen und der Unplausibilität der Angaben nicht als glaubwürdig anzusehen. Anschließend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, worin es hinsichtlich der Angaben des Erstrevisionswerbers zu den Festnahmen, zu den vorgelegten Ladungen und zum Zeitpunkt der Ausreise die Gründe für die Unglaubwürdigkeit gelegen sah. Auch die Angaben der Zweitrevisionswerberin im Zusammenhang mit den Festnahmen hätten die Argumentation des Erstrevisionswerbers nicht untermauert. Auf das Vorbringen in der Beschwerde zu einem in der Russischen Föderation neu eingeführten Gesetz zur Kollektivbestrafung von Familienangehörigen von Rebellen sei nicht weiter einzugehen, weil die Angaben des Erstrevisionswerbers zu einem Verwandtschaftsverhältnis mit dem namentlich genannten Rebellen (der getötete "Cousin") nicht glaubwürdig sei.
Zahlreiche Verwandte des Erstrevisionswerbers, darunter vier Brüder, würden offenbar unbehelligt im Herkunftsstaat leben. Schließlich habe sich der Erstrevisionswerber in dem Zeitraum, in dem die Festnahmen stattgefunden haben sollen, einen Auslandsreisepass ausstellen lassen und die Revisionswerber hätten mit ihren Auslandsreisepässen problemlos die Russische Föderation verlassen können, was wohl nicht möglich gewesen wäre, wenn die russischen Behörden tatsächlich ein konkretes Interesse am Erstrevisionswerber gehabt hätten. Da schon das Kernvorbringen des Erstrevisionswerbers unglaubwürdig gewesen sei, sei auch das weitere Vorbringen, ihm sei im Rahmen seiner behaupteten Festnahme auch vorgeworfen worden, dass er im ersten Tschetschenienkrieg Flüchtlinge aufgenommen und mit den Rebellen zusammengearbeitet habe, nicht als glaubhaft anzusehen.
In der Beschwerde hätten die zahlreichen Widersprüche durch den Hinweis, der Erstrevisionswerber sei bei seiner Festnahme auf den Kopf geschlagen, also gefoltert worden, was seine Erinnerungs- und Wiedergabefähigkeit beeinträchtigt habe, erklärt werden sollen. Dazu sei festzuhalten, eine posttraumatische Belastungsstörung oder eine andere psychische Beeinträchtigung sei im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde nicht vorgebracht worden und auch im Beschwerdeverfahren seien keinerlei Befunde oder sonstige Unterlagen vorgelegt worden. Aber selbst das Vorliegen einer psychischen Beeinträchtigung würde zu keinem anderen Ergebnis führen, weil die Angaben der Zweitrevisionswerberin entscheidend gewesen seien und für diese sei keine psychische Beeinträchtigung behauptet worden.
Bezüglich der notwendigen medizinischen Behandlungen der Revisionswerber habe eine Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation ergeben, dass bis auf zwei Medikamente der Zweitrevisionswerberin alle Medikamente in der Russischen Föderation erhältlich seien. Die beantragte Abklärung des psychischen Gesundheitszustandes der Viert- und Fünftrevisionswerberin würde einem Erkundungsbeweis gleichkommen.
Weiters erfolgten durch das Bundesverwaltungsgericht Ausführungen zur Lage der Revisionswerber im Fall der Rückkehr sowie zu ihrem Gesundheitszustand.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe unterbleiben können, weil die Verwaltungsbehörde ihrer Ermittlungspflicht durch detaillierte Befragung nachgekommen sei und ein umfassendes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Aus der Beschwerde hätten sich keine neuen Sachverhaltselemente ergeben und für die in der Beschwerde behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens hätten sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben.
Die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG sei nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhänge. Die Entscheidung weiche weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehle es an einer solchen Rechtsprechung noch sei die Rechtsprechung uneinheitlich. Sonstige Hinweise auf die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage hätten sich nicht ergeben und seien auch in der Beschwerde nicht vorgebacht worden.
1.5. Gegen diese Erkenntnisse richtet sich die außerordentliche Revision; Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet.
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Die Revisionswerber bringen - für alle gleichlautend - zur Zulässigkeit der Revision zusammengefasst vor, das Bundesverwaltungsgericht weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich der im Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, 0018, herausgearbeiteten Kriterien für die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung ab, indem es die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, trotz substantiierten Antrages des Revisionswerbers, für nicht notwendig erachtet habe.
2.2. Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet.
§ 24 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) lautet wie
folgt:
"Verhandlung
§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
(5) Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden."
§ 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) hat folgenden Wortlaut:
"Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht
§ 21. (...)
(7) Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG."
Im gegenständlichen Fall haben die Revisionswerber in ihrer Beschwerde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Das Bundesverwaltungsgericht stützte seine Entscheidung, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen, auf den in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen ersten Tatbestand.
In seinem Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, 0018, hat der Verwaltungsgerichtshof mit umfangreicher Begründung - auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - dargelegt, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich sind:
Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.
Auf die gegenständlichen Fälle angewendet, bedeuten diese Grundsätze Folgendes:
In der Beschwerde an das Verwaltungsgericht haben die Revisionswerber unter anderem vorgebracht, dass der Erstrevisionswerber in einem schlechten psychischen Gesundheitszustand sei. Die Erinnerungen an die Erlebnisse während der Festnahme würden den Erstrevisionswerber nach wie vor belasten und wesentliches Merkmal solcher Traumata sei die Beeinträchtigung der Erinnerungs- und Wiedergabefähigkeit. Was die vorgelegten Ladungen aus Dagestan betrifft, haben die Revisionswerber darauf verwiesen, dass es durchaus glaubwürdig sei, dass bei dortigen polizeilichen Ladungen keine rechtsstaatlichen Kriterien eingehalten würden. Weiters wird in der ergänzenden Eingabe vom 28. Jänner 2014 auf das Aussehen dieser Ladungen sowie die behördliche Praxis in Dagestan eingegangen.
Das Bundesverwaltungsgericht führt in seiner Beweiswürdigung zwar aus, es habe in Anbetracht des von der Verwaltungsbehörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens sowie der diesbezüglichen Beweiswürdigung in den angefochtenen Bescheiden - unter Bedachtnahme auf die Beschwerdeausführungen - keine Bedenken gegen die in den vorliegenden Bescheiden getroffenen Feststellungen zum Sachverhalt hinsichtlich der geltend gemachten Ausreisegründe. So habe nicht festgestellt werden können, dass die Revisionswerber einer wie immer gearteten Verfolgung oder Gefährdung in ihrer Heimat ausgesetzten gewesen wären bzw. im Fall der Rückkehr ausgesetzt würden.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinen Erkenntnissen allerdings auch nicht unmaßgebliche weitere beweiswürdigende Überlegungen angestellt. So legt es unter anderem dar, dass eine psychische Beeinträchtigung im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde nicht vorgebracht worden sei und auch in der Beschwerde keine Befunde vorgelegt worden seien. Das Bundesverwaltungsgericht geht - mit näherer Begründung - davon aus, dass selbst das Vorliegen einer psychischen Beeinträchtigung des Erstrevisionswerbers insbesondere infolge der Angaben der Zweitrevisionswerberin nicht zu anderen Feststellungen geführt hätte. Zudem setzt sich das Bundesverwaltungsgericht mit den Aussagen betreffend die Vorlage der zweiten Ladung, der (vermeintlichen) Verletzung des Erstrevisionswerbers im Zuge der Festhaltung durch die Polizei in Dagestan, der nicht erfolgten Befragung des Bruders des Erstrevisionswerbers sowie dem Umstand, dass dem Erstrevisionswerber ein Reisepass und der Zweitrevisionswerberin ein Visum für Polen ausgestellt wurde, beweiswürdigend auseinander.
Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich nicht nur der Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde an, sondern zeigt darüber hinaus in seiner Beweiswürdigung noch weitere bedeutsame Aspekte auf, mit welchen es die Widersprüchlichkeit des Vorbringens begründet. Es nimmt damit eine zusätzliche Beweiswürdigung vor, die dazu führt, dass das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2015, Ra 2014/19/0085). Eine solche (ergänzende) Beweiswürdigung hat jedoch regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck von der betroffenen Person gewonnen werden kann, zu erfolgen.
Die - oben dargestellten - Voraussetzungen, um von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen zu können, lagen somit in den gegenständlichen Fällen nicht vor.
Die angefochtenen Erkenntnisse waren daher - infolge der rechtlich aufeinander aufbauenden Entscheidungen auch betreffend die Zurückverweisung nach § 75 Abs. 20 AsylG 2005 - wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit b und c VwGG aufzuheben.
2.3. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und Z 5 VwGG abgesehen werden.
2.4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 24. Februar 2015
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2015:RA2014190050.L00Im RIS seit
24.03.2015Zuletzt aktualisiert am
05.10.2017