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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §6 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Grubner, über die Beschwerde 1. des F und 2. der I, beide in A, vertreten durch Dr. N und Dr. W, Rechtsanwälte in G, gegen den Gemeinderat der Marktgemeinde St. Anna am Aigen, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit nach dem Steiermärkischen Kanalgesetz, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Beschwerdeführer haben der Marktgemeinde St. Anna am Aigen Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheiden der zuständigen Gemeindebehörden vom 26. Mai 1992 bzw. 3. Juni 1992 wurde die Verpflichtung der Beschwerdeführer zum Kanalanschluss nach § 4 Abs. 1 Steiermärkisches Kanalgesetz festgestellt. Die Beschwerdeführer erhoben dagegen Vorstellung, deren Abweisung sie mit Verwaltungsgerichtshofbeschwerde bekämpften. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Jänner 1993, Zl. 92/06/0248, wurde diese Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Mit Eingabe vom 19. April 1993 beantragten die Beschwerdeführer nach § 4 Abs. 5 Steiermärkisches Kanalgesetz die Ausnahme von der Verpflichtung nach § 4 Abs. 1 leg. cit. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde St. Anna am Aigen vom 27. September 1993 wurde dieser Antrag wegen entschiedener Sache unter Hinweis auf das bereits genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Jänner 1993 zurückgewiesen. Der dagegen gerichteten Berufung der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde St. Anna am Aigen vom 13. März 1994 mit der gleichen Begründung keine Folge gegeben. Mit Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 26. Mai 1994 wurde die von den Beschwerdeführern dagegen erhobene Vorstellung als unbegründet abgewiesen. Infolge der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 17. November 1994, Zl. 94/06/0147, den angefochtenen Bescheid der Vorstellungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf. Tragende Begründung dieses Erkenntnisses war der vom Verwaltungsgerichtshof für beachtlich befundene Umstand, dass sich seit Erlassung des letzten im ersten Verfahren ergangenen gemeindebehördlichen Bescheides (vom 3. Juni 1992) der entscheidungswesentliche Sachverhalt durch die tatsächliche Errichtung der Kläranlage geändert habe, weshalb die Baubehörden nicht mehr von einer rechtskräftig entschiedenen Sache im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG hätten ausgehen dürfen, sondern inhaltlich zu entscheiden gehabt hätten.
Auf Grund der somit vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochenen und gemäß § 63 Abs. 1 VwGG die Verwaltungsbehörden bindenden Rechtsansicht erließ die Steiermärkische Landesregierung als Vorstellungsbehörde ihren Bescheid vom 16. März 1995, mit dem sie den Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde St. Anna am Aigen vom 13. März 1994 behob und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Marktgemeinde St. Anna am Aigen zurück verwies.
Mit Schriftsatz vom 6. Oktober 1995 (eingelangt am 9. Oktober 1995) stellten die Beschwerdeführer den an den Gemeinderat der Marktgemeinde St. Anna am Aigen gerichteten Antrag auf Übergang der Entscheidungspflicht gemäß § 73 AVG.
Nach weiteren Ermittlungsschritten behob der Gemeinderat der Marktgemeinde St. Anna am Aigen mit Bescheid vom 12. November 1997 gemäß § 66 Abs. 4 AVG den Bescheid des Bürgermeisters vom 27. September 1993 ersatzlos. Mit Bescheid vom gleichen Tag (12. November 1997) wies der Gemeinderat der Marktgemeinde St. Anna am Aigen des Weiteren den Antrag der Beschwerdeführer auf Übergang der Entscheidungspflicht nach § 73 AVG mit der - auf das Wesentliche zusammengefassten - Begründung zurück, die (angeblich verletzte) Entscheidungspflicht sei nicht beim Bürgermeister, sondern bei der angerufenen Behörde selbst (nämlich beim Gemeinderat) gelegen gewesen, der beim Gemeinderat eingebrachte Devolutionsantrag sei daher bei der unzuständigen Behörde eingebracht worden.
Mit der vorliegenden, am 29. September 1998 zur Post gegebenen Säumnisbeschwerde machen die Beschwerdeführer die Verletzung der Entscheidungspflicht durch die belangte Behörde geltend, weil diese über ihren Antrag vom 19. April 1993 noch nicht entschieden habe. Die Beschwerdeführer beantragen, der Verwaltungsgerichtshof möge in Stattgebung der Säumnisbeschwerde gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in der Sache selbst entscheiden und ihrem Antrag vom 19. April 1993 stattgeben.
Gemäß § 27 VwGG in der Fassung BGBl. Nr. 470/1995 kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, oder der unabhängige Verwaltungssenat, der nach Erschöpfung des Instanzenzuges, sei es durch Berufung oder im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten, wenn aber das einzelne Gebiete der Verwaltung regelnde Gesetz für den Übergang der Entscheidungspflicht eine längere Frist vorsieht, nicht binnen dieser in der Sache entschieden hat.
Nach § 4 Abs. 5 des Gesetzes über die Ableitung von Wässern im bebauten Gebiet für das Land Steiermark, LGBl. Nr. 79/1988 - (Steiermärkisches) Kanalgesetz 1988, ist die Baubehörde zur Entscheidung über die Ausnahmen von der Anschlussverpflichtung nach Abs. 1 leg. cit. berufen. Gemäß § 2 Abs. 1 Steiermärkisches Baugesetz - Stmk BauG, ist der Bürgermeister Baubehörde erster Instanz. Gemäß Abs. 2 leg. cit. geht der Instanzenzug gegen Bescheide des Bürgermeisters in Bauangelegenheiten an den Gemeinderat. Gemäß § 93 Abs. 1 der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967 - GemO, LGBl. Nr. 115/1967, übt dieser auch die in den verfahrensgesetzlichen Bestimmungen vorgesehenen oberbehördlichen Befugnisse aus.
Durch die mit dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. November 1997, Zl. 94/06/0174, ausgesprochene und den Verwaltungsbehörden insoweit im Sinne des § 63 Abs. 1 VwGG überbundene Rechtsansicht hatten die Verwaltungsbehörden die (Formal-)Bescheide der ihr jeweils nachgeordneten Behörde zu beheben und - auf der Grundlage eines neu zu schaffenden Sachverhaltssubstrates - eine Sachentscheidung zu fällen.
In diesem Sinne zutreffend hat der Gemeinderat der Marktgemeinde St. Anna am Aigen auch in seinem Bescheid vom 12. November 1997 zugestanden, dass er als Baubehörde zweiter Instanz (im Berufungsverfahren) selbst säumig geworden sei, weshalb gegen diese Säumigkeit nur eine Säumnisbeschwerde beim Verwaltungsgerichtshof hätte eingebracht werden können. Der von den Beschwerdeführern entgegen der Bestimmung des § 73 Abs. 2 zweiter Satz AVG bei der säumigen Behörde (direkt) eingebrachte und sonst an die unzuständige Behörde gerichtete Antrag konnte aus diesem Grunde keinen Übergang der Entscheidungspflicht bewirken (vgl. dazu die unter E 195 und E 199 in Walter-Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I2, zu § 73 AVG abgedruckte hg. Judikatur). Erst mit der (mit Bescheid vom 12. November 1997 erfolgten) ersatzlosen Behebung des Bescheides des Bürgermeisters der betroffenen Gemeinde als Baubehörde erster Instanz wurde dieser wiederum zur Entscheidung über den ursprünglichen Antrag der Beschwerdeführer berufen.
Im Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Säumnisbeschwerde gegen die belangte Behörde bestand keine Entscheidungspflicht dieser Behörde, da das gegenständliche Verfahren gemäß § 4 Abs. 5 Stmk. KanalG nach der erwähnten Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides mit Bescheid der belangten Behörde vom 12. November 1997 wieder bei der erstinstanzlichen Behörde anhängig war. Es lag somit auch im Zeitpunkt der Erhebung der Beschwerde keine Säumigkeit der belangten Behörde vor. Der Umstand, dass während des anhängigen Beschwerdeverfahrens die Entscheidungspflicht der belangten Behörde eingetreten ist (am 15. Dezember 1998) und diese nicht innerhalb von 6 Monaten entschieden hat (Bescheid vom 27. Jänner 2000), ändert daran nichts, da eine Säumnisbeschwerde nur dann zulässig ist, wenn die sechsmonatige Säumnis der obersten Behörde im Sinne des § 27 VwGG im Zeitpunkt der Erhebung der Säumnisbeschwerde vorgelegen sein muss.
Die Beschwerde war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 21. September 2000
Schlagworte
Anrufung der obersten BehördeVerletzung der Entscheidungspflicht Diverses Zurückweisung - EinstellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1998060188.X00Im RIS seit
24.01.2001Zuletzt aktualisiert am
08.04.2011