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E000 EU- Recht allgemein;Norm
32006L0126 Führerschein-RL Art11;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des E G in W, vertreten durch die Heinzle - Nagel Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 16. Dezember 2013, Zl. Senat-AB-13-0232, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde die dem Beschwerdeführer in Ungarn erteilte Lenkberechtigung gemäß § 30 Abs. 2 FSG entzogen.
In der Begründung stellte die belangte Behörde fest, dem Beschwerdeführer sei die Lenkberechtigung am 22. März 2013 in Ungarn erteilt worden. Der Beschwerdeführer sei "seit Juni 2001 bis laufend durchgehend in Österreich Hauptwohnsitz gemeldet". Es gebe keine Hinweise, dass er in den vergangenen eineinhalb Jahren für längere Zeit einen ordentlichen Wohnsitz in Ungarn begründet habe, derartiges werde von ihm auch nicht behauptet.
In der rechtlichen Beurteilung verwies die belangte Behörde auf § 30 Abs. 2 letzter Satz FSG, wonach die Lenkberechtigung eines anderen EWR-Staates oder eines Nicht-EWR-Staates zu entziehen ist, wenn eine Person eine Lenkberechtigung in diesem Staat zu einem Zeitpunkt erworben hat, zu dem die Person ihren Wohnsitz (§ 5 Abs. 1 Z 1) in Österreich und nicht im Ausstellungsstaat des Führerscheines hatte. Diese Bestimmung korrespondiere mit Art. 7 Abs. 5 letzter Satz der Führerscheinrichtlinie 2006/126/EG.
Den unter Hinweis auf Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vorgebrachten Einwand des Beschwerdeführers, Art. 2 Abs. 1 der genannten Richtlinie verlange die gegenseitige Anerkennung von ausgestellten Führerscheinen bzw. erteilten Lenkberechtigungen, hielt die belangte Behörde mit Blick auf Art. 7 Abs. 5 dieser Richtlinie für nicht überzeugend.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass es sich vorliegend um keinen Übergangsfall nach dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) handelt und somit gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.
Der Beschwerdeführer bringt in seiner Beschwerde zusammengefasst vor, die belangte Behörde hätte die Verweigerung der Anerkennung des ungarischen Führerscheines des Beschwerdeführers wegen Nichterfüllung des Wohnsitzerfordernisses nach der Rechtsprechung des EuGH (Hinweis u.a. auf das Urteil vom 1. März 2012, C-467/10, Akyüz) nur auf vom Ausstellermitgliedstaat herrührend unbestreitbare Informationen stützen und zur Klärung der Wohnsitzfrage nicht alle erdenklichen Beweismittel heranziehen dürfen.
Aktenkundig ist, dass die Erstbehörde (und ihr folgend die belangte Behörde) alleine aufgrund des Ergebnisses einer Abfrage des (österreichischen) Zentralen Melderegisters davon ausgegangen sind, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Erteilung der ungarischen Lenkberechtigung den Hauptwohnsitz in Österreich und nicht in Ungarn hatte.
Zwar ist gemäß § 30 Abs. 2 letzter Satz FSG eine Entziehung der Lenkberechtigung eines anderen EWR-Staates oder eines nicht EWR-Staates dann auszusprechen, wenn eine Person eine Lenkberechtigung in diesem Staat zu einem Zeitpunkt erworben hat, zu dem sie ihren Wohnsitz in Österreich und nicht im Ausstellungsstaat hatte. Wie der Verwaltungsgerichtshof aber im Erkenntnis vom 16. Dezember 2014, Zl. Ra 2014/11/0084 - auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - unter im Einzelnen dargestellter Judikatur des EuGH ausgeführt hat, muss die Anwendung des § 30 Abs. 2 letzter Satz FSG infolge Vorrangs des Unionsrechts in denjenigen Fällen der Entziehung von Lenkberechtigungen eines EWR-Staates unterbleiben, in denen nicht auf Grund von unbestreitbaren, von Behörden des Ausstellermitgliedstaates herrührenden Informationen feststeht, dass die Voraussetzung des ordentlichen Wohnsitzes anlässlich der Erteilung der Lenkberechtigung im Ausstellermitgliedstaat nicht beachtet wurde (vgl. ebenso Pkt. 4.3.1. des Erkenntnisses vom 27. Jänner 2015, Zl. 2013/11/0152).
Da sich die belangte Behörde bei ihren Feststellungen über den Wohnsitz des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Erteilung der ungarischen Lenkberechtigung nicht auf von ungarischen Behörden herrührende Informationen gestützt hat (solche sind nach der Aktenlage während des Verwaltungsverfahrens auch nicht hervorgekommen), sondern die Abfrageergebnisse des (österreichischen) Zentralen Melderegisters für ausreichend angesehen hat, ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig.
Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht (gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF der Novelle BGBl. II Nr. 8/2014) auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 26. Februar 2015
Gerichtsentscheidung
EuGH 61997CJ0212 Centros VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2015:2013110273.X00Im RIS seit
27.03.2015Zuletzt aktualisiert am
27.04.2015