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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FSG 1997 §24 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Schick sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des D O in T, vertreten durch Dr. Karl Hepperger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Müllerstraße 27, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 6. Juni 2013, Zl. uvs- 2013/22/1336-5, betreffend § 24 Abs. 4 Führerscheingesetz (weitere Partei: Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 9. April 2013 forderte die Bezirkshauptmannschaft Schwaz (BH) den Beschwerdeführer auf, gemäß § 24 Abs. 4 Führerscheingesetz (FSG) innerhalb einer Frist von drei Wochen, gerechnet ab Rechtskraft dieses Bescheides, ein amtsärztliches Gutachten gemäß § 8 FSG vorzulegen. Begründend wurde ausgeführt, laut Anzeige der Landespolizeidirektion Tirol sei der Beschwerdeführer geständig, sich am 1. November 2012 in unmittelbarer Nähe eines Unfallortes aufgehalten und dort lautstark sogenannte "Schmähgesänge" gesungen und amtshandelnde Polizeibeamte beschimpft zu haben, die ihn mehrmals aufgefordert hätten, die Unfallstelle zu verlassen. Auf Grund seines anhaltenden Benehmens sei der Beschwerdeführer vorläufig festgenommen worden. Am 7. Jänner 2013 habe er sich im Gesundheitsreferat der BH einer amtsärztlichen Untersuchung unterzogen, bei der von der Amtsärztin klärungsbedürftige Bedenken hinsichtlich der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen geäußert worden seien. Die Behörde habe Bedenken gehegt, ob beim Beschwerdeführer die geistige und körperliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen noch gegeben sei. Das gegenständliche Verhalten sei in unmittelbarem Zusammenhang mit einem schweren Verkehrsunfall an den Tag gelegt worden und von einer besonderen Rücksichtslosigkeit gekennzeichnet gewesen. Weiters sei die Tätigkeit der Helfer durch lautstarkes Gejohle und provokantes Verhalten gestört worden. Einem Besitzer einer Lenkberechtigung dürfe ein entsprechend situationsangepasstes Verhalten abverlangt werden. Die Bedenken gegen die Verkehrstauglichkeit bestünden unabhängig davon, ob der Beschuldigte im Zeitpunkt des Vorfalles ein Fahrzeug gelenkt oder am Verkehr teilgenommen habe. Bereits 2011 sei der Beschwerdeführer durch eine begangene Ordnungsstörung und durch Fahruntauglichkeit (Sekundenschlaf) auffällig geworden, was die Ansicht der Behörde bestätige.
In seiner dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass der Vorfall - der ausdrücklich bestritten werde - maximal eine Störung der öffentlichen Ordnung bzw. ein aggressives Verhalten dargestellt habe und nur nach dem SPG tatbildlich sei. Der Beschwerdeführer sei zwar als Zeuge am Unfallort gewesen, jedoch sei er weder am Unfall beteiligt gewesen noch hätte er den Rettungseinsatz behindert oder die Absperrungen überschritten. Das Vorgeworfene sei nicht tatbildlich im Sinne des § 8 FSG. Zu dieser Aufforderung sei es nur gekommen, da der Sachbearbeiter sowohl für Verkehr als auch für Sicherheit zuständig sei. Hätte er gewusst, dass ein Verfahren nach dem FSG eingeleitet werde, hätte er die Strafe betreffend Übertretung des § 81 Abs. 1 SPG nicht bezahlt.
Zu der vom Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Tirol (UVS) durchgeführten mündlichen Verhandlung vom 4. Juni 2013 erschien der Beschwerdeführer nicht.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der erstbehördliche Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass der Beschwerdeführer anstelle zur Vorlage eines amtsärztlichen Gutachtens dazu aufgefordert wird, binnen einer Frist von sechs Wochen, gerechnet ab der mündlichen Verkündung dieses Bescheides, eine verkehrspsychologische Stellungnahme, eingeschränkt auf die Überprüfung der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung, beizubringen. Begründend führte der UVS nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens, des Berufungsvorbringens und der maßgeblichen Bestimmungen aus, dass er sich der Begründung der BH vollinhaltlich anschließe. Die in § 18 Abs. 3 FSG-GV aufgezählten Charaktermerkmale des sozialen Verantwortungsbewusstseins, der psychischen Stabilität und der Selbstkontrolle würden dem Beschwerdeführer fehlen und dieser lege eine Tendenz zu aggressiver Interaktion im Straßenverkehr und einen von der Norm kritisch abweichenden Bezug zum Autofahren an den Tag. Auch wenn der Beschwerdeführer die Absperrmaßnahmen nicht körperlich überschritten habe, so habe er mit seiner ungebührlichen Verhaltensweise die Amtshandlung der einschreitenden Polizeibeamten doch massiv behindert.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und den Antrag gestellt hat, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1. Auf den vorliegenden, mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall sind nach § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 33/2013 weiter anzuwenden.
2. In der Beschwerde wird im Wesentlichen wortgleich die Berufung wiederholt. Darüber hinaus brachte der Beschwerdeführer nur vor, dass ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot vorliegen würde.
3.1. Die vorliegend maßgeblichen Bestimmungen des FSG lauten auszugsweise:
"§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:
...
3. gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),
...
Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung
Allgemeines
§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit
1.
die Lenkberechtigung zu entziehen oder
2.
die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. Diesfalls ist gemäß § 13 Abs. 5 ein neuer Führerschein auszustellen.
...
(4) Bestehen Bedenken, ob die Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung noch gegeben sind, ist ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung einzuschränken oder zu entziehen. Bei Bedenken hinsichtlich der fachlichen Befähigung ist ein Gutachten gemäß § 10 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung zu entziehen. Leistet der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der festgesetzten Frist einem rechtskräftigen Bescheid, mit der Aufforderung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, die zur Erstattung des amtsärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde zu erbringen oder die Fahrprüfung neuerlich abzulegen, keine Folge, ist ihm die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen.
..."
3.2. Die vorliegend maßgeblichen Bestimmungen der FSG-GV lauten auszugsweise:
"Verkehrspsychologische Stellungnahme
§ 17. (1) Die Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle gemäß § 8 Abs. 2 FSG ist im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten insbesondere dann zu verlangen, wenn der Bewerber um eine Lenkberechtigung oder der Besitzer einer Lenkberechtigung Verkehrsunfälle verursacht oder Verkehrsverstöße begangen hat, die den Verdacht
1.
auf verminderte kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit oder
2.
auf mangelnde Bereitschaft zur Verkehrsanpassung erwecken. Mangelnde Bereitschaft zur Verkehrsanpassung ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn einem Lenker innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren die Lenkberechtigung dreimal entzogen wurde, oder wenn ein Lenker wegen einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b oder c StVO 1960 bestraft wurde.
..."
4.1. Ein Aufforderungsbescheid nach § 24 Abs. 4 FSG ist jedenfalls nur dann zulässig, wenn begründete Bedenken in der Richtung bestehen, dass der Inhaber der Lenkberechtigung die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Klassen, die von seiner Lenkberechtigung erfasst werden, nicht mehr besitzt. Hierbei geht es zwar noch nicht darum, konkrete Umstände zu ermitteln, aus denen bereits mit Sicherheit auf das Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung geschlossen werden kann, es müssen aber genügend begründete Bedenken in dieser Richtung bestehen, die die Prüfung des Vorliegens solcher Umstände geboten erscheinen lassen. Im vorliegenden Zusammenhang wäre der Aufforderungsbescheid dann rechtens, wenn ausreichende Anhaltspunkte für den Verdacht bestanden hätten, dem Beschwerdeführer ermangle es wegen Fehlens der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung an der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 30. September 2002, Zl. 2002/11/0120, und vom 13. August 2003, Zl. 2002/11/0103). Dies ist jedoch bei der gegenständlichen Sachverhaltsdarstellung nicht der Fall.
Dass das Verhalten des Beschwerdeführers als unmoralisch und ungehörig zu qualifizieren ist, steht außer Zweifel. Dies allein rechtfertigt jedoch noch nicht Bedenken in Hinblick auf einen Mangel der - als Teil der gesundheitlichen Eignung eines Inhabers einer Lenkberechtigung zu verstehenden - Bereitschaft zur Verkehrsanpassung (vgl. zur fehlenden Eignung eines grob ungehörigen Verhaltens, begründete Bedenken hinsichtlich der geistigen und körperlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen hervorzurufen, das zur Rechtslage nach dem KFG 1967 ergangene hg. Erkenntnis vom 21. April 1998, Zl. 96/11/0170). Die mangelnde Bereitschaft zur Verkehrsanpassung wird zwar in der FSG-GV nicht definiert, aus § 17 Abs. 1 zweiter Satz FSG-GV ergibt sich aber hinlänglich, dass von einer mangelnden Bereitschaft zur Verkehrsanpassung nur bei einem Verhalten gesprochen werden kann, bei dem es zu relativ schwerwiegenden Verstößen gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften gekommen ist oder das bereits innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu mehreren Vorentziehungen geführt hat (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 30. September 2002, Zl. 2002/11/0120, mwN). Allenfalls ungehöriges Verhalten des Besitzers einer Lenkberechtigung rechtfertigt für sich allein noch nicht den Verdacht, ihm fehle die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung (siehe dazu die hg. Erkenntnisse vom 21. April 1998, Zl. 96/11/0170 und vom 13. August 2003, Zl. 2002/11/0103, mwN). Das Verhalten des Beschwerdeführers mag als Störung der öffentlichen Ordnung im Sinne des § 81 Abs. 1 SPG und darüber hinaus als moralisch verwerflich zu qualifizieren sein, es weist jedoch keinen ausreichenden Bezug zu kraftfahrrechtlichem oder straßenverkehrsrechtlichem Fehlverhalten auf, welches einen Mangel der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung indiziert. Allfällige zusätzliche Feststellungen, aus denen sich Hinweise auf einen Mangel der gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers ergeben könnten, hat die belangte Behörde nicht getroffen.
5. Der angefochtene Bescheid war aus diesen Erwägungen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Auf das übrige Beschwerdevorbringen war bei diesem Ergebnis nicht mehr einzugehen.
6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff iVm § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014. Das Mehrbegehren auf Ersatz der Umsatzsteuer war abzuweisen, weil ein gesonderter Ersatz für Umsatzsteuer neben dem pauschalierten Ersatz für Schriftsatzaufwand nicht vorgesehen ist.
Wien, am 26. Februar 2015
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2015:2013110172.X00Im RIS seit
27.03.2015Zuletzt aktualisiert am
05.10.2017