TE Vfgh Erkenntnis 2015/2/23 B1044/2012

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Veröffentlicht am 23.02.2015
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Index

55/01 Wirtschaftslenkung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
DirektzahlungsV §12, §13
Verordnung (EG) 1122/2009 Art2 Z24

Leitsatz

Willkürliche Nichtauszahlung der Mutterkuhprämie für drei auf eine Alm aufgetriebene Mutterkühe mangels Unterschrift des Almobmannes auf der Alm/Weidemeldung; Fehlen eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens hins der Erfüllung der Voraussetzungen für die Gewährung einer Förderung

Spruch

I.                                                                                     Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.              Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.              Der Beschwerdeführer betreibt eine Landwirtschaft in Eisentratten im Bundesland Kärnten. Mit dem landwirtschaftlichen Betrieb sind Weiderechte für 8 Stück Vieh auf dem Almweidegebiet Heitzelsberger Alpe verbunden. Der Beschwerdeführer ist Mitglied der Agrargemeinschaft Heitzelsberger Alpe.

2.               Im Jahr 2010 hielt der Beschwerdeführer 33 Mutterkühe. Drei dieser Tiere trieb er im Sommer dieses Jahres auf die Heitzelsberger Alpe auf und meldete das Verbringen der Tiere der Agrarmarkt Austria (im Folgenden: AMA) unter Verwendung des von der AMA dafür vorgesehenen Formulars "Alm/Weidemeldung RINDER". Der Beschwerdeführer unterschrieb als Inhaber des Herkunftsbetriebs das Meldeformular, das für den Almobmann als "BewirtschafterIn" vorgesehene Unterschriftsfeld blieb leer. Mit Schreiben vom 6. Juli 2010 forderte die AMA den Almobmann der Agrargemeinschaft Heitzelsberger Alpe auf, die Vollständigkeit und Richtigkeit der vom Beschwerdeführer für die drei Rinder gemeldeten Daten zu prüfen und mit seiner Unterschrift zu bestätigen. Der Almobmann teilte daraufhin mit, dass er das nicht tun könne, weil er weder eine Weidezeugnis noch eine Alm/Weidemeldung erhalten habe, obwohl der Vollversammlungsbeschluss der Agrargemeinschaft Heitzelsberger Alpe vom 22. Mai 2010 jeden Auftreiber verpflichte, ein Weidezeugnis und die Alm/Weidemeldung bei ihm binnen einer Woche abzugeben. Er wisse nicht, ob die in der Aufforderung angegebene Stückzahl oder die Ohrmarkennummern der Rinder des Betriebs des Beschwerdeführers richtig seien.

3.              Mit Bescheid des Vorstands für den Geschäftsbereich II der AMA vom 23. Februar 2011 wurde dem Beschwerdeführer eine Rinderprämie in Höhe von € 6.364,80 gewährt. Dies entsprach einem Prämienbetrag für 30 Stück Mutterkühe.

4.              Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft im Wesentlichen mit der Begründung, dass dem Bescheid jegliche Begründung fehle. Der Beschwerdeführer habe in Wirklichkeit 33 Mutterkühe gehalten, er habe für diese die vorgeschriebene Haltefrist eingehalten und diese auch ordnungsgemäß gemeldet. Er sei sich "keines Verstoßes gegen eine Richtlinie, die zur Nichtauszahlung der Mutterkuhprämie für die drei Tiere geführt [habe], bewusst".

5.               Mit Bescheid vom 9. Juli 2012 wies der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft die Berufung des Beschwerdeführers ab. Nach Art2 Z24 der Verordnung (EG) Nr 1122/2009 gelte ein Tier nur dann als "ermittelt", wenn es alle in den Vorschriften für die Beilhilfegewährung festgelegten Voraussetzungen erfülle. Eine fehlende, fehlerhafte oder verspätete Meldung an die Rinderdatenbank der im Hinblick auf eine Prämiengewährung relevanten Daten führe dazu, dass ein Tier nicht als ermittelt gelte und keine Prämie gewährt werden könne. Nach Art2 der Entscheidung der Kommission Nr 2001/672/EG sei die Alm/Weidemeldung von der für die Weide zuständigen Person zu unterschreiben. Eine korrekte Meldung des Almauftriebs liege – trotz Verbesserungsauftrags an den Almobmann – mangels Unterschrift des Almobmanns nicht vor, sodass für drei Kühe die Mutterkuhprämie nicht gewährt werden könne.

6.               Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der u.a. die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) und auf Unversehrtheit des Eigentumes (Art5 StGG, Art1 1. ZPEMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

7.              Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentritt und beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

II.              Rechtslage

1.              Die Begriffsbestimmung des Art2 Z24 Verordnung (EG) Nr 1122/2009 lautet:

"24. 'ermitteltes Tier': Tier, das allen in den Vorschriften für die Beihilfegewährung festgelegten Voraussetzungen genügt;"

2.              Art1 und 2 der Entscheidung der Kommission Nr 2001/672/EG, die jedenfalls gegenüber den Betroffenen den Charakter einer generellen Rechtsvorschrift hat, vgl. Art249 EGV bzw. Art288 AEUV, lauten (auszugsweise):

"Artikel 1

Diese Entscheidung gilt in den im Anhang genannten Mitgliedstaaten oder Teilgebieten derselben für die Bewegungen von Rindern von verschiedenen Haltungsorten zu Weideplätzen in Berggebieten in der Zeit vom 1. Mai bis zum 15. Oktober.

Artikel 2

(1) Jeder der in Artikel 1 genannten Weideplätze muss eine spezifische, in der nationalen Datenbank zu erfassende Registriernummer erhalten.

(2) Die für die Weideplätze zuständige Person erstellt eine Liste der Rinder, die für eine Bewegung im Sinne von Artikel 1 vorgesehen sind. Diese Liste muss mindestens enthalten:

?     die Registriernummer des Weideplatzes;

und für jedes Rind

?     die individuelle Kennnummer des Tieres;

?     die Kennnummer des Herkunftsbetriebes;

?     das Datum der Ankunft auf dem Weideplatz;

?     den voraussichtlichen Zeitpunkt des Abtriebs.

(3) die unter Ziffer 2 genannte Liste wird von dem für die Überwachung der Rinderbewegung zuständigen Tierarzt bestätigt.

(4) Die Daten der unter Ziffer 2 genannten Liste werden spätestens sieben Tage nach dem Datum des Auftriebs auf die Weide in der nationalen Datenbank erfasst.

(5) [...]"

III.              Erwägungen

1.              Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2.               Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

3.              Ein solcher Fehler ist der belangten Behörde unterlaufen.

3.1. Der Beschwerdeführer bringt u.a. vor:

"Aus den zitierten Rechtsgrundlagen kann auch nicht entnommen werden, dass der Antragsteller, der sämtlichen ihm auferlegten Meldepflichten nachkommt, nur dann einen Anspruch auf Zuteilung von Prämien hat, wenn eine dritte Person für ihn Meldungen vornimmt bzw. dessen Meldungen bestätigt. Diese von der belangten Behörde und den Unterinstanzen offenbar vertretene Ansicht, die sich auch darin widerspiegelt, dass in den Meldeformularen darauf hingewiesen wird, dass bei Gemeinschaftsalmen/-weiden die Unterschrift des Obmannes bzw. der Obfrau zwingend erforderlich ist, ist verfehlt. Die Leistung einer Unterschrift wird im Zusammenhang mit der für einen Weideplatz zuständigen Person nirgends gefordert."

3.2. Die belangte Behörde hält dem entgegen:

"Der Beschwerdeführer vertritt die Meinung, dass die Leistung einer Unterschrift des Almobmannes auf den Meldeformularen nirgends gefordert wird.

Der Beschwerdeführer verkennt aber, dass entsprechend Art2 Abs2 der Entscheidung der Kommission Nr 2001/672/EG die für die Weideplätze zuständige Person, somit der Almobmann, eine Liste der Rinder, die für eine Bewegung im Sinne von Artikel 1 vorgesehen sind, zu erstellen hat. Somit ist die Alm/Weidemeldung Rinder vom Almobmann zu erstellen und damit auch zu unterschreiben. Eine Alm/Weidemeldung Rinder, die nur von einem einzelnen Auftreiber vorgenommen wird, ohne den Almobmann zu befassen, widerspricht eindeutig dieser Regelung."

3.3. Die belangte Behörde steht also – kurz zusammengefasst – auf dem Standpunkt, dass wegen des Fehlens der Unterschrift des Almobmanns auf der Alm/Weidemeldung des Beschwerdeführers die Mutterkuhprämie nicht gewährt werden könne; sie legt damit der Unterschrift des Almobmanns gleichsam eine konstitutive Wirkung bei, weswegen sie jegliches weitere Ermittlungsverfahren unterlassen hat.

Damit ist die belangte Behörde aber nicht im Recht, denn die von der belangten Behörde zur Stützung ihrer Rechtsansicht herangezogene Bestimmung des Art2 Abs2 der Entscheidung der Kommission Nr 2001/672/EG vermag den angefochtenen Bescheid nicht zu tragen: In dieser Bestimmung ist normiert, dass die für die Weideplätze zuständige Person eine Liste der Rinder, die für eine Bewegung zu Weideplätzen in Berggebieten vorgesehen sind, erstellt. Diese Liste ist zwar gemäß Art2 Abs3 leg.cit. von dem für die Überwachung der Rinderbewegung zuständigen Tierarzt zu bestätigen, eine Bestätigung der Liste durch die Unterschrift des Almobmanns wird aber weder in der Entscheidung der Kommission Nr 2001/672/EG verlangt, noch nennt die belangte Behörde andere Rechtsvorschriften, aus denen sich eine derartige Verpflichtung ergäbe.

Ausgehend von dieser verfehlten Rechtsansicht hat die belangte Behörde grundlegende rechtsstaatliche Forderungen an ein derartiges verwaltungsbehördliches Verfahren verletzt: Aus der sich aus der Entscheidung der Kommission ergebenden Notwendigkeit, dass die für die Weideplätze zuständige Person (im konkreten Fall der "Almobmann") eine Liste der auf die Weide aufgetriebenen Tiere, die Grundlage für die Berechnung einer Förderung für diese Tiere ist, erstellt, lässt sich keinesfalls ableiten, dass dies die alleinige Voraussetzung für die Gewährung einer derartigen Förderung ist. Beim Almobmann handelt es sich um eine Person, die Funktionen im Zusammenhang mit der Agrargemeinschaft ausübt, sie hat aber keinerlei behördliche Funktion gegenüber den Personen, die zum Almauftrieb berechtigt sind (vgl. VfSlg 12.279/1990). Ihre Handlungen genießen daher auch keine erhöhte Glaubwürdigkeit (zur Stellung von Personen, die Wahrnehmungen in ihrer amtlichen Eigenschaft machen, vgl. etwa VwGH 31.10.1979, 2090/79; 17.06.1987, 87/03/0074; 28.06.1989, 88/02/0043; 28.04.1992, 88/05/0255; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Betrauung von Privaten mit hoheitlichen Aufgaben vgl. VfSlg 3847/1960).

Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, ein ordentliches Ermittlungsverfahren durchzuführen. Dazu hätte sie mit den üblichen verfahrensrechtlichen Elementen (Sachverhaltserforschung, Beweiswürdigung, Parteiengehör) ermitteln müssen, ob die vom Beschwerdeführer genannten Tiere die Voraussetzungen für die Gewährung einer Förderung erfüllen oder nicht.

Da die belangte Behörde dies unterlassen hat, hat sie ihren Bescheid mit Willkür belastet.

4.              Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob die Daten der Alm/Weidemeldung im Hinblick auf eine Prämiengewährung für Mutterkühe überhaupt relevant sind, und es erübrigt sich auch, auf weitere Bedenken des Beschwerdeführers einzugehen.

IV.              Ergebnis

1.              Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

2.              Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben.

3.              Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.              Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in der Höhe von € 220,– enthalten.

Schlagworte

Wirtschaftslenkung, EU-Recht, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2015:B1044.2012

Zuletzt aktualisiert am

25.03.2015
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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