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66/01 Allgemeines SozialversicherungsgesetzNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine willkürliche Kündigung des kurativen Einzelvertrags sowie des Vorsorgeuntersuchungs-Einzelvertrags eines Arztes aufgrund schwerwiegender Vertrags- und Berufspflichtenverletzung infolge „Krankschreiben aus Gefälligkeit“Rechtssatz
Der Beschwerdeführer ist Arzt für Allgemeinmedizin und hat versucht, die grund- und anlasslosen Krankmeldungen jeweils dadurch vor Aufdeckung zu schützen, dass er (mangels Behauptung einer Erkrankung durch die Patienten gar nicht erforderliche) Untersuchungen vornahm und Rezepte ausstellte und diese demgemäß auch der Gebietskrankenkasse verrechnete. Insofern liegt somit in jedem dieser Fälle ein vom Vorsatz des Beschwerdeführers umfasstes, zwar mehraktiges, aber einheitliches Tatgeschehen vor, das erst mit der (versuchten) Verrechnung der Aktivitäten des Beschwerdeführers gegenüber der beteiligten Kasse durch Aufnahme in die Quartalsabrechnung als gleichsam letztem Akt sein Ende gefunden hat. Auf Grund dieses Zusammenhanges beider, zeitlich zwar auseinanderfallender, aber nach der zu unterstellenden Vorstellung des Beschwerdeführers voneinander nicht zu trennender, Komponenten der erhobenen Tatvorwürfe konnte der Lauf einer allfälligen Frist zur rechtzeitigen Geltendmachung des Kündigungsrechtes frühestens mit dem Einlangen der Quartalsabrechnung bei der beteiligten Gebietskrankenkasse ihren Anfang nehmen.
Die Zulässigkeit des von der belangten Behörde nicht beanstandeten Einsatzes von eigenen Angestellten des beteiligten Krankenversicherungsträgers als Testpatienten wird in der Beschwerde nicht begründet gerügt; der VfGH hegt nach dem von der belangten Behörde dazu festgestellten Sachverhalt auch insoweit keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Nach der Rechtsprechung des VfGH begegnet eine Auslegung des §343 Abs4 ASVG, wonach eine Vertragsverletzung vor allem dann als besonders schwerwiegend anzusehen ist, wenn dadurch - zB wegen der fehlenden medizinischen Indikation zur Verschreibung (vgl. VfSlg 15857/2000 mwH) - nicht nur die finanziellen, sondern auch die Interessen des Krankenversicherungsträgers an einer einwandfreien ärztlichen Versorgung bzw. das Vertrauen der hilfesuchenden Patienten in die Bereitstellung einer fachlich einwandfreien Behandlungsleistung in besonderer Weise beeinträchtigt werden, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (VfSlg 15818/2000). Dies trifft auch für die Vornahme und Verrechnung von Untersuchungen zu, die ohne Vorliegen einer Erkrankung vorgenommen werden.
Für eine Vertragsbeziehung, wie sie der Einzelvertrag darstellt, ist ein hohes Maß an Vertrauen erforderlich, wird doch durch die Verrechnung von ärztlichen Leistungen indirekt im eigenen wirtschaftlichen Interesse des Arztes über beträchtliche Mittel der Versichertengemeinschaft disponiert (vgl zu diesem Gesichtspunkt in einem vergleichbaren Zusammenhang VfSlg 15804/2000). Krankschreiben "auf Bestellung" ist daher auch geeignet, dieses Vertrauen des Krankenversicherungsträgers zu seinem Vertragsarzt nachhaltig zu zerstören.
Durch die Bestätigung einer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit wird schließlich bei Dienstnehmern die arbeitsrechtliche Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung sistiert, während für den Dienstgeber im Allgemeinen eine Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung besteht. Krankschreiben aus Gefälligkeit richtet daher auch materiellen Schaden beim Dienstgeber an und beeinträchtigt auch dessen Vertrauen in eine ordnungsgemäße Gestion der gesetzlichen Krankenversicherung.
Schlagworte
Sozialversicherung, ÄrzteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2015:B888.2013Zuletzt aktualisiert am
24.03.2015