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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §6 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des FL alias A in Wien, geboren am 5. Mai 1978, vertreten durch Dr. Christa Homan, Rechtsanwältin in 1190 Wien, Scheimpfluggasse 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. November 1998, Zl. 205.793/0-XI/35/98, betreffend Abweisung eines Asylantrages gemäß § 7 AsylG und Feststellung gemäß § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, verließ am 15. Juni 1998 sein Heimatdorf, gelangte unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte am 20. August 1998 einen Antrag auf Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 25. August 1998 gab er an, dass er von Rebellen aus seinem Heimatdorf entführt und aufgefordert worden sei, sich an Kampfhandlungen zu beteiligen. Er habe dies unter Hinweis auf sein christliches Glaubensbekenntnis abgelehnt. Als ihm aber Personen vorgeführt worden seien, denen die Hände abgehackt und die Ohren abgeschnitten worden wären, sei er mit den Entführern aus Angst drei Tage lang mitgegangen, um danach wieder zur Farm seines Vaters zu flüchten. Als die - vom Beschwerdeführer mit "Jäger" bezeichneten - Rebellen zurückgekommen seien, um ihn zu holen, sei ihm zwar die Flucht gelungen, die Rebellen hätten jedoch die Farm angezündet und seinen Vater getötet.
Der vernehmende Beamte hielt im Protokoll fest, dass der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme sehr müde und angestrengt wirke. Er besitze einen Wortschatz auf Englisch von nicht mehr als 500 Wörtern und beantworte viele Fragen nur mit Gesten. Im Übrigen erscheine er gesundheitlich und geistig stark angeschlagen. Eine detaillierte Befragung sei auf Grund der sprachlichen Schwierigkeiten nicht möglich gewesen.
Bei einer ergänzenden Einvernahme am 16. September 1998 gab der Beschwerdeführer an, dass er nicht wisse, ob die Rebellen Leute von Koroma oder Mitglieder der RUF seien. Auf Vorhalt, dass der Bürgerkrieg in Sierra Leone beendet sei, erwiderte der Beschwerdeführer, dass die Leute kämpften und ihnen die Hände abgehackt würden. Im Busch sei ihm erzählt worden, egal wohin er laufe, die Rebellen würden ihn finden.
Mit Bescheid vom 28. September 1998 wies das Bundesasylamt den Asylantrag ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei.
In der dagegen erhobenen Berufung wandte sich der Beschwerdeführer gegen die Auffassung, dass aus seinen für glaubwürdig erachteten Angaben zu seinen Fluchtgründen keine asylrelevante Verfolgung ableitbar sei. Die Behörde stelle fest, dass die Macht in Sierra Leone wieder vollständig in der Hand der demokratisch gewählten Regierung sei. Sie habe aber verabsäumt, die Quellen dieser Information anzuführen. Die Lage sei bei weitem nicht geklärt. Es sei keineswegs so, dass die Regierung die Rebellen bereits im Griff hätte und die Bevölkerung schützen könnte. Sein Heimatstaat sei nicht in der Lage, ihn vor der Verfolgung von Dritten zu schützen. Er sei bei einer Rückkehr nach Sierra Leone vor weiteren Angriffen der Rebellen so lange nicht sicher, so lange diese Übergriffe noch täglich stattfänden und von der Regierung nicht gestoppt werden könnten.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab und sprach in einem zweiten Spruchpunkt aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei.
Die belangte Behörde folgte den Angaben des Beschwerdeführers und folgerte daraus rechtlich, dass die Bedrohung des Beschwerdeführers durch nichtstaatliche Milizen und die erfolgte Zwangsrekrutierung nicht dem Heimatstaat des Beschwerdeführers zugerechnet werden könne, weshalb keine asylrechtlich relevante Verfolgung vorliege. Das in keiner Weise konkretisierte, ohne Bezugnahme auf seine persönliche Situation erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers zur allgemeinen Situation in Sierra Leone sei nicht geeignet, einen drohenden Nachteil im Sinne des § 57 FrG darzulegen. Von einer mündlichen Verhandlung habe Abstand genommen werden können, weil der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung zur Beurteilung ausreichend geklärt erscheine.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, dem Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Juni 1999 zur Entscheidung abgetretene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
1) Gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76, in der Fassung BGBl. I Nr. 4/1999, (im Folgenden: AsylG) hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. schon Steiner, Österreichisches Asylrecht (1990) 30; ferner etwa die hg. Erkenntnisse vom 27. Juni 1995, Zl. 94/20/0836; vom 24. Oktober 1996, Zl. 95/20/0231; vom 28. März 1995, Zl. 95/19/0041, u.v.a.) liegt eine dem Staat zuzurechnende Verfolgungshandlung nicht nur dann vor, wenn diese unmittelbar von staatlichen Organen aus Gründen der Konvention gesetzt wird, sondern es kann eine dem Staat zuzurechnende asylrelevante Verfolgungssituation u.a. auch dann gegeben sein, wenn der Staat nicht gewillt ist, von "Privatpersonen" ausgehende Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, sofern diesen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - Asylrelevanz zukommen sollte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1999, Zl. 99/20/0208).
Die zuletzt genannte Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers kann nicht entnommen werden, dass er von den Rebellen aus einem der spezifischen, in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe verfolgt würde. Soweit die Beschwerde behauptet, der Beschwerdeführer sei "aus Gründen der Religion verfolgt" worden, handelt es sich um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 41 VwGG unzulässige Neuerung. Zwangsrekrutierungen, die nicht an andere Kriterien als Alter und Geschlecht geknüpft sind, kommt daher ohne Hinzutreten weiterer konkreter Umstände im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (Flkonv) keine Asylrelevanz zu (vgl. den hg. Beschluss vom 22. April 1999, Zl. 98/20/0280). Ebenso liegt in dem Umstand, daß im Heimatland des Beschwerdeführers Bürgerkrieg herrscht, für sich allein nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 26. November 1998, Zl. 98/20/0309, 0310).
In Ermangelung eines asylrelevanten Verfolgungsgrundes sind auch die vom Beschwerdeführer in seinem ergänzenden Schriftsatz an den Verwaltungsgerichtshof vom 27. August 1999 gerügten Verfahrensmängel nicht von Relevanz.
2) Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat nach § 57 FrG zulässig ist; diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden (§ 8 AsylG).
Gemäß § 57 Abs. 1 FrG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie Gefahr liefen, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.
Gemäß § 57 Abs. 2 und 4 FrG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung oder - mit einer für den vorliegenden Fall nicht in Betracht kommenden Einschränkung - Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 FlKonv).
Die belangte Behörde hat dazu Feststellungen über die allgemeine politische und militärische Lage in Sierra Leone getroffen, aus denen sie rechtlich ableitete, dass auch eine Gefährdung des Beschwerdeführers im Sinn des § 57 FrG nicht vorliege. Gemäß Artikel II Abs. 2 Z 43a EGVG hat der unabhängige Bundesasylsenat § 67d AVG mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Im Sinne dieser Bestimmung ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat etwa dann nicht als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn der unabhängige Bundesasylsenat im Berufungsverfahren entscheidungswesentliche Feststellungen zu treffen hat, die über jene der erstinstanzlichen Behörde hinausgehen.
Die belangte Behörde traf Feststellungen über die "derzeitige Situation in Sierra Leone", die über die Feststellungen der erstinstanzlichen Behörde hinausgehen und den Zeitraum vom 25. Mai 1997 bis zum 20. März 1998 umfassen. Für den Zeitraum danach (bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides) lagen keine Meldungen über nennenswerte Kampfhandlungen zwischen (nunmehrigen) Regierungstruppen und Anhängern Koromas mehr vor. Sie räumte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 30. Oktober 1998 die Möglichkeit ein, zu diesen Feststellungen Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer äußerte sich am 16. November 1998 dahin, dass in seiner Heimatregion zur Zeit seiner Flucht sehr wohl Kampfhandlungen stattgefunden hätten. Wie sich die Lage seit seiner Flucht entwickelt habe, könne er nicht angeben.
Die belangte Behörde nahm ferner auf ihre Ausführungen zur "inländischen Fluchtalternative" Bezug, wonach - auch unter Verweis auf die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden - weite Teile des Landes, insbesondere Freetown, unter staatlicher Kontrolle stünden.
Die grundsätzliche Pflicht der belangten Behörde zur Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung ist auch dann zu beachten, wenn die Voraussetzungen für ein Absehen von einer Verhandlung nur in Bezug auf die zu treffende Entscheidung über den Abschiebungsschutz nicht gegeben sind. Allerdings führt nicht jede Verfahrensverletzung zur Aufhebung eines damit belasteten Bescheides, sondern dazu kommt es nur dann, wenn die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Ist die Relevanz eines solchen Verfahrensfehlers nicht offenkundig, so ist sie in der Beschwerde konkret darzulegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1999, Zl. 98/20/0579).
In Bezug auf ihre Begründung für die Entscheidung über die Zulässigkeit einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone ist der belangten Behörde in der Ansicht beizupflichten, "alleine die Angst, bei seiner Rückkehr nach Sierra Leone möglicherweise eines Tages von Milizen gefunden und Opfer eines Verbrechens zu werden" sei noch kein hinreichender Grund für die Annahme einer Gefährdung im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG (vgl. die Refoulementbeurteilung im Hinblick auf die Situation in Sierra Leone zum Zeitpunkt 24. August 1998 im hg. Erkenntnis vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0021). In diesem Zusammenhang stünde allerdings eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in den Staat, in dem diese Gefahrenlage herrscht, abgeschoben wird, auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei der konkreten Gefahr einer Verletzung im Besonderen der auch durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegen. Das Vorliegen einer solchen extremen Gefahrenlage in Sierra Leone zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides ist weder notorisch (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0465, das sich mit den notorischen Entwicklungen des Bürgerkrieges auseinandersetzt, der mit der Einnahme Freetowns durch die "Revolutionäre Vereinigte Front" im Jänner 1999 in eine Phase besonders exzessiver und unkontrollierter Gewaltanwendung, vor allem auch gegenüber der Zivilbevölkerung, getreten war), noch vom Beschwerdeführer konkret behauptet worden. Es ist daher nicht ersichtlich, inwieweit die belangte Behörde nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung - deren Unterbleiben in der Beschwerde auch nicht gerügt wurde - zu einer anderen Entscheidung über die Zulässigkeit einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone hätte kommen können. Das gleiche gilt für die in der ergänzenden Beschwerdeschrift vom 27. August 1999 gerügte Beiziehung eines ungeeigneten Dolmetschers durch die Behörde erster Instanz, die Unterlassung einer neuerlichen Einvernahme des Beschwerdeführers und die Einvernahme eines namentlich genannten Zeugen aus Sierra Leone.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Wien, am 21. September 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999200373.X00Im RIS seit
18.04.2001