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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Abweisung des Asylantrags eines somalischen Staatsangehörigen infolge Abgehen vom Akteninhalt und Ignorieren des Parteivorbringens hins einer Verfolgung durch die "al-Shabaab"-MilizenSpruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) und im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art47 Abs2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden.
2. Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist ein somalischer Staatsangehöriger. Er stellte am 27. Dezember 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde zwei Tage später von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstmals befragt. Am 11. Juli 2012 folgte eine Einvernahme durch das Bundesasylamt (BAA), im Zuge derer er angab, von den "al-Shabaab"-Milizen entführt und misshandelt worden zu sein. Mit Bescheid vom 18. Juli 2012 wies das BAA den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten oder eines subsidiär Schutzberechtigten ab und verfügte die Ausweisung des Beschwerdeführers nach Somalia.
2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an den Asylgerichtshof. Mit Entscheidung vom 17. April 2013 hob der Asylgerichtshof den Bescheid des BAA auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das BAA zurück. Der Beschwerdeführer sei insbesondere zu seiner Einstellung hinsichtlich der Gruppe der "al-Shabaab" zu befragen.
3. Am 22. Mai 2013 wurde der Beschwerdeführer erneut vor dem BAA einvernommen, bevor dieses am 14. August 2013 den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten oder eines subsidiär Schutzberechtigten erneut abwies und die Ausweisung des Beschwerdeführers nach Somalia verfügte.
4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Asylgerichtshof. Mit Erkenntnis vom 21. August 2014 wies das mittlerweile zuständige Bundesverwaltungsgericht mit Spruchpunkt I. die Beschwerde gegen die Abweisung des Asylantrages ab, erkannte mit Spruchpunkt II. dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm mit Spruchpunkt III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Die Abweisung des Asylantrages begründete das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen damit, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers kein Glauben geschenkt werden könne.
5. Gegen den Spruchpunkt I. dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Erkenntnisses beantragt wird.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von einer Äußerung abgesehen und auf die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses verwiesen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
7. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
1.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
1.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
8. Ein derartiger Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht anzulasten:
1.3. Die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers begründet das Bundesverwaltungsgericht wie folgt:
"Hinsichtlich der beweiswürdigenden Ausführungen des Bundesasylamtes im letztmalig in beschwerdegezogenen Bescheid ist festzuhalten, dass der Antragsteller tatsächlich ursprünglich zu Protokoll gab, von Seiten der Regierungstruppen sowie von Seiten der 'al-Shabaab'-Milizen gesucht zu werden, sowie dass er weiters Probleme aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu befürchten hätte. Des Weiteren war der Antragsteller aufgefordert, zu konkretisieren, in welcher Weise seine Probleme sich entwickelt hätten, und war dem Duktus der Antworten entnehmbar, dass eine Verfolgungsgefährdung von der Volksgruppenzugehörigkeit nicht vorliegt. Des Weiteren sind keinerlei Probleme von Seiten der Übergangsregierung zu befürchten. Im Weiteren ist hervorzuheben, dass die Angaben des Antragsteller zu einer Gefährdungsproblematik von Seiten der radikal-islamistischen Shabaab-Miliz als wenig detailreich und lebensnah und sohin nicht glaubhaft zu erkennen ist:
So vermochte der Antragsteller insbesondere die Umstände des Entkommens aus dem Camp der 'al-Shabaab'-Milizen nicht lebensnah, aus seiner persönlichen Sichtweise heraus darzulegen, bzw. lassen die Ausführungen des Antragstellers zu Einzelereignissen jegliche subjektive Wahrnehmungsperspektive vermissen.
Gleich verhält es sich mit dem auffälligen Widerspruch, dass der Antragsteller ursprünglich behauptet hatte 'ständig in seinem Elternhaus' gelebt zu haben, und auf konkrete Nachfrage er jedoch seine Angaben dergestalt modifizierte, dass er den letzten Monat vor der Ausreise bei verschiedenen Nachbarn gelebt habe und er, auf nähere Aufforderung sich genau zu erklären, keinerlei detaillierte Angaben zu machen im Stande war.
Insbesondere ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass dem Antragsteller offenbar bei gezielterer Fragestellung selbst klar geworden ist, dass die 'al-Shabaab'-Milizen zuerst zu Hause, im Elternhaus, gesucht hätten, weshalb er offenbar sein Vorbringen dann modifizierte. Zur Gesamtsicht der Angaben des Antragstellers zum Themenkreis einer Verfolgungssituation von Seiten der radikal-islamistischen Shabaab-Milizen ist festzuhalten, dass die Angaben des Antragstellers kein in sich schlüssiges und abgerundetes Bild einer Schilderung aus seiner Erlebnissicht heraus bieten. Den diesbezüglichen Angaben war sohin die Glaubhaftigkeit zu versagen."
1.4. Aus den im Erkenntnis wiedergegeben Einvernahmeprotokollen lässt sich diese Begründung nicht nachvollziehen. So gab der Beschwerdeführer nie zu Protokoll, dass er von den Regierungstruppen gesucht werde. Vielmehr gab er wiederholt und bei allen Befragungen gleichlautend an, dass er von Regierungstruppen gezwungen worden sei, sie mit seinem Minibus – der Beschwerdeführer gab an, als Busfahrer gearbeitet zu haben – mitzunehmen. Dies sei seiner Ansicht nach der Grund dafür gewesen, dass er von den "al-Shabaab"-Milizen als Kollaborateur mit den Regierungstruppen angesehen und in der Folge entführt worden sei. Daneben gab der Beschwerdeführer lediglich zu Protokoll, dass er sich vor keiner der Kriegsparteien – also auch nicht vor den Regierungstruppen – sicher fühle. Eine Verfolgung auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit hat der Beschwerdeführer, wie sich aus den Einvernahmeprotokollen ergibt, ebenfalls nicht behauptet. Er antwortete zwar während der Einvernahme am 11. Juli 2012 auf die Frage, ob er auf Grund seiner Stammeszugehörigkeit jemals Probleme gehabt hätte, zuerst mit der allgemeinen Aussage, dass er vor seiner Ausreise Probleme gehabt habe und schildert dann seine Fluchtgeschichte. Auf die Nachfrage, ob er diese Probleme auf Grund seiner Stammeszugehörigkeit gehabt habe, gab der Beschwerdeführer hingegen schon bei seiner ersten Einvernahme durch das BAA zu Protokoll: "Nein, aufgrund des Stammes hatte ich keine Probleme". Aus diesem Aussageverhalten lässt sich somit denkmöglich weder ein Widerspruch noch eine Änderung oder Steigerung des Fluchtvorbringens ableiten.
1.5. Auch das angeblich widersprüchliche Aussageverhalten zu seinem Aufenthaltsort unmittelbar vor seiner Flucht ist aus den Einvernahmeprotokollen nicht nachvollziehbar. Das Bundeverwaltungsgericht gibt die angebliche Behauptung des Beschwerdeführers unter Anführungszeichen wieder, dass er "ständig in seinem Elternhaus" gelebt habe, was darauf hindeutet, dass es sich um eine wörtliche Wiedergabe handelt. Tatsächlich findet sich eine solche Behauptung in keinem der Einvernahmeprotokolle. Auf die Frage, von wo er seine Ausreise angetreten habe, antwortete der Beschwerdeführer:
"Im Bakharo-Markt bestieg ich einen Minibus, mit diesem fuhr ich bis zur Grenze Somalia-Kenia. Bevor ich ausreiste lebte ich nur in meinem Elternhaus, sonst nirgends. Aber ich lebte auch in den Nachbarhäusern. Befragt gebe ich an, dass ich von der Al-Shabaab besucht wurde, deshalb habe ich mich bei den Nachbarn versteckt."
1.6. In der Folge gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er sich für einen Monat bei verschiedenen Nachbarn versteckt habe, dass er sich aber nicht mehr erinnern könne, bei wem er wie lange übernachtet habe. Der Beschwerdeführer gab also noch vor der Nachfrage der Einvernehmenden an, dass er sich zuletzt bei Nachbarn versteckt hielt und modifizierte sein Vorbringen nicht erst, wie das Bundesverwaltungsgericht in seiner Begründung ausführt, auf Nachfrage. Dabei ist zu beachten, dass das Bundesverwaltungsgericht seine Begründung nur auf die Protokolle der Einvernahme durch das BAA stützt, da es selbst keine mündliche Verhandlung durchgeführt hat.
1.7. Völlig unbeachtet lässt das Bundesverwaltungsgericht (und davor auch das BAA) im Zuge seiner Glaubwürdigkeitsprüfung die beiden Narben, die dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu Folge von den Misshandlungen durch die "al-Shabaab"-Milizen stammen. Zwar wurden im Zuge der Niederschrift am 11. Juli 2012 "eine ca. […] 2-3 cm große kreisrunde Narbe am linken Knie und eine ca. 3-4 cm lange Narbe schräg über der linken Augenbraue (beides seit Ende März bei Entführung der Al Shaabab – Schlag durch Metallstange)" als "besondere Merkmale" ins Protokoll aufgenommen, eine weitere Beachtung fanden diese Verletzungsfolgen aber nicht.
9. Das Bundesverwaltungsgericht ist damit leichtfertig vom Inhalt der Akten abgegangen, hat das Parteivorbringen in wesentlichen Punkten ignoriert und damit Willkür geübt. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer eine mündliche Verhandlung vor dem (damals zuständigen) Asylgerichtshof beantragt hat und in der Beschwerde an den Asylgerichtshof der im Bescheid des BAA vorgenommenen Beweiswürdigung entgegengetreten ist. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits festgestellt hat (vgl. VfGH 13.3.2013, U1175-1178/2012; VfGH 26.6.2013, U1257/2012), bewirkt das Unterbleiben einer im Lichte des §21 Abs7 BFA-VG zweifellos gebotenen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art47 Abs2 GRC.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) und im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verletzt worden.
2. Der Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, EU-Recht, Verhandlung mündliche, VerwaltungsgerichtsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2015:E1278.2014Zuletzt aktualisiert am
20.03.2015