TE Vwgh Erkenntnis 2015/2/17 Ra 2014/09/0016

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Veröffentlicht am 17.02.2015
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E1E;
E6J;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
59/04 EU - EWR;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

11997E043 EG Art43;
62007CJ0161 Kommission / Österreich;
AuslBG §2 Abs4 idF 2011/I/025;
AuslBG §28 Abs1 Z1 lita;
AuslBG §28 Abs1 Z1 litd idF 2011/I/025;
AuslBG §3 Abs1;
AuslBG §32a Abs7a idF 2009/I/091;
AuslBG §32a Abs8 idF 2011/I/025;
EURallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):Ro 2014/09/0058 E 17. Februar 2015

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok sowie die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Doblinger und Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die außerordentliche Revision des Bundesministers für Finanzen gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 19. Mai 2014, Zl. LVwG- 2013/28/2664-8, betreffend Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens wegen Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (mitbeteiligte Partei: N S in I, vertreten durch Dr. Hannes Wiesflecker, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Wilhelm-Greil-Straße 14/2, belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeisterin der Stadt Innsbruck), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag der Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Innsbruck auf Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bürgermeisterin der Stadt Innsbruck vom 30. August 2013 wurde der Mitbeteiligte für schuldig erkannt, er habe es als unbeschränkt haftender Gesellschafter und somit als satzungsgemäß zur Vertretung nach außen berufenes Organ (§ 9 Abs. 1 VStG) der NT-OG (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof) zu verantworten, dass die NT-OG mit Sitz der Unternehmensleitung in 6020 Innsbruck, als Arbeitgeberin in der Zeit vom 27. März 2013 bis zum 5. Juni 2013 fünf namentlich genannte bulgarische Staatsangehörige im Rahmen deren Unternehmung auf der damaligen Baustelle in X als Trockenausbauer beschäftigt habe, obwohl für diese Ausländer weder eine Beschäftigungsbewilligung noch eine Zulassung als Schlüsselkraft oder eine Entsendebewilligung erteilt noch eine Anzeigebestätigung ausgestellt gewesen sei und die Ausländer eine für diese Beschäftigung gültige Arbeitserlaubnis oder einen Befreiungsschein oder eine "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" oder einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EG" oder einen Niederlassungsnachweis nicht besäßen bzw. nicht besessen hätten und somit keine der in § 3 Abs. 1 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) für die gesetzeskonforme Beschäftigung festgelegten Voraussetzungen vorgelegen sei. Der Mitbeteiligte habe dadurch als unbeschränkt haftender Gesellschafter und somit als satzungsgemäß zur Vertretung nach außen berufenes Organ der NT-OG, welche Arbeitgeberin gewesen sei, jeweils eine Verwaltungsübertretung nach § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a iVm § 3 Abs. 1 AuslBG begangen. Wegen dieser Verwaltungsübertretungen wurden über den Mitbeteiligten gemäß § 28 Abs. 1 Z. 1 dritter Strafsatz AuslBG Geldstrafen von jeweils EUR 2.000,-- und Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils drei Tagen verhängt und ihm die Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens auferlegt.

Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die fünf Ausländer gemeinsam mit dem Mitbeteiligten an der von ihm vertretenen Gesellschaft beteiligt seien. Der Beschuldigte habe keinen Antrag beim Arbeitsmarktservice auf Feststellung, dass die anderen Gesellschafter einen wesentlichen Einfluss auf die Geschäftsführung ausübten, gestellt. Die Behörde gehe davon aus, dass es sich im gegenständlichen Fall um eine Umgehung des AuslBG handle.

Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde hat das Landesverwaltungsgericht Tirol mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 19. Mai 2014 gemäß § 50 VwGVG iVm § 24 VStG Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Mitbeteiligten gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG eingestellt.

Das Landesverwaltungsgericht stellte fest, dass der Mitbeteiligte gemeinsam mit fünf weiteren Gesellschaftern die NT-OG gegründet habe. Beim gegenständlichen Projekt handle es sich um den ersten Auftrag dieser OG. Bei der Baustelle seien die Gesellschafter der OG beschäftigt gewesen. Ein vom Firmenbuch initiiertes Verfahren nach § 32a Abs. 8 AuslBG habe in dieser Angelegenheit nicht stattgefunden und dementsprechend sei die Beschäftigung der bulgarischen Staatsangehörigen auch nicht von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice nach § 32a Abs. 8 AuslBG untersagt worden.

Bei den Gesellschaftern der NT-OG handle es sich um EU-Bürger, doch gelte die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG auf Grund der Übergangsbestimmungen des § 32a Abs. 1 AuslBG nicht für Staatsangehörige der Republik Bulgarien. Gemäß § 2 Abs. 4 AuslBG sei für die Beurteilung, ob eine Beschäftigung im Sinne des Abs. 2 AuslBG vorliege, der "wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes maßgebend". Als EU-Bürger seien die Gesellschafter nicht verpflichtet, vor Aufnahme ihrer Tätigkeit für die Gesellschaft einen Antrag gemäß § 2 Abs. 4 zweiter Satz AuslBG zu stellen. Der EuGH habe in seinem Urteil vom 22. Dezember 2008, C- 161/07, festgestellt, dass die Bestimmungen des § 2 Abs. 4 AuslBG gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß § 43 EG-Vertrag verstoßen, indem sie Arbeitsgesellschafter aus den neuen Mitgliedstaaten verpflichten, vor ihrer Eintragung im Firmenbuch ihre Selbständigkeit auf Antrag vom Arbeitsmarktservice feststellen zu lassen. Dieses Urteil sei auch für Arbeitsgesellschafter aus Bulgarien und Rumänien maßgeblich.

Die gesetzliche Vermutung und Verpflichtung zur Einholung eines Feststellungsbescheides gemäß § 2 Abs. 4 AuslBG gälten daher gemäß § 32a Abs. 8 AuslBG nicht für Gesellschafter, die Staatsangehörige der Republik Bulgarien und Rumänien sind. Die Firmenbuchgerichte hätten die Eintragung solcher Gesellschafter in das Firmenbuch der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zu melden, sofern sie Grund zur Annahme hätten, dass die Gesellschafter Arbeitsleistungen im Sinne des § 2 Abs. 4 leg. cit. für die Gesellschaft erbringen. Stelle die regionale Geschäftsstelle fest, dass die Tätigkeit der Bewilligungspflicht nach dem AuslBG unterliege, oder wirke der Gesellschafter trotz schriftlicher Aufforderung nicht binnen angemessener Frist an der Ermittlung des Sachverhaltes mit, so habe sie - sofern keine entsprechende Bewilligung vorliege - die Beschäftigung zu untersagen und die zuständige Abgabenbehörde zu verständigen.

Eine Bestrafung sei bei Beschäftigung von bulgarischen Staatsangehörigen, die jeweils 17 % der Geschäftsanteile halten, im Sinne der angeführten EuGH-Judikatur nur nach § 28 Abs. 1 lit. d AuslBG zulässig, nämlich wenn entgegen einer Untersagung gemäß § 32a Abs. 8 durch das Arbeitsmarktservice keine Beschäftigungsbewilligung erteilt und keine Anzeigebestätigung oder keine Arbeitserlaubnis oder keine Freizügigkeitsbestätigung ausgestellt worden sei. Ein solches von dem Firmenbuchgericht initiiertes Verfahren nach § 32a Abs. 8 AuslBG habe im vorliegenden Fall nicht stattgefunden.

Da es sich bei den Ausländern, wegen deren Beschäftigung der Mitbeteiligte von der Behörde bestraft worden sei, um Arbeitsgesellschafter eines EU-Mitgliedstaates handle, dürfe im vorliegenden Fall entsprechend der angeführten Rechtsprechung des EuGH nicht verlangt werden, dass der Arbeitgeber vor Arbeitsaufnahme einen Feststellungsbescheid nach § 2 Abs. 4 AuslBG erwirke oder gar eine Beschäftigungsbewilligung oder sonstige Genehmigung nach dem AuslBG beantragen müsse.

Die "ordentliche" Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht Tirol für nicht zulässig, weil im vorliegenden Fall eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht zu beurteilen gewesen sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete eine Revisionsbeantwortung, in welcher sie sich den Ausführungen des Revisionswerbers vollinhaltlich anschloss.

Nach Vorlage der Akten durch das Verwaltungsgericht hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Revisionswerber sieht die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG als gegeben an, weil die Auffassung des Verwaltungsgerichts Tirol von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche und kein bekanntes Judikat zu diesem Thema existiere, dass eine Bestrafung eines Beschuldigten bei Beschäftigung von bulgarischen Staatsangehörigen, die jeweils 17 % der Geschäftsanteile halten, deswegen nur nach § 28 Abs. 1 lit. d AuslBG zulässig sei, weil die Verpflichtung zur Einholung eines Feststellungsbescheides gemäß § 2 Abs. 4 nicht für Gesellschafter gelte, welche die Staatsangehörigkeit der Republik Bulgarien hätten.

Damit zeigt der Revisionswerber eine relevante Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf, weshalb die Revision zulässig ist. Sie ist auch begründet.

Das Ausländerbeschäftigungsgesetz, BGBl. Nr. 218/1975 idF BGBl. I Nr. 25/2011, lautet auszugsweise:

"§ 1. ...

(2) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sind nicht anzuwenden auf

...

l) Ausländer, die aufgrund eines Rechtsaktes der

Europäischen Union Arbeitnehmerfreizügigkeit genießen;

...

§ 2. ...

...

     (4) Für die Beurteilung, ob eine Beschäftigung im Sinne des

Abs. 2 vorliegt, ist der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht

die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes maßgebend. Eine

Beschäftigung im Sinne des Abs. 2 liegt insbesondere auch dann

vor, wenn

     1.        ein Gesellschafter einer Personengesellschaft zur

Erreichung des gemeinsamen Gesellschaftszweckes oder

     2.        ein Gesellschafter einer Gesellschaft mit

beschränkter Haftung mit einem Geschäftsanteil von weniger als 25%

Arbeitsleistungen für die Gesellschaft erbringt, die typischerweise in einem Arbeitsverhältnis geleistet werden, es sei denn, die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice stellt auf Antrag binnen drei Monaten fest, daß ein wesentlicher Einfluß auf die Geschäftsführung der Gesellschaft durch den Gesellschafter tatsächlich persönlich ausgeübt wird. Den Nachweis hiefür hat der Antragsteller zu erbringen. Nach Ablauf dieser Frist darf die Tätigkeit auch ohne den erforderlichen Feststellungsbescheid aufgenommen werden. Wird der Antrag nach Ablauf der Frist abgewiesen, ist die bereits begonnene Tätigkeit umgehend, spätestens jedoch binnen einer Woche nach Zustellung des Bescheides, zu beenden.

...

§ 3. (1) Ein Arbeitgeber darf, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, einen Ausländer nur beschäftigen, wenn ihm für diesen eine Beschäftigungsbewilligung, eine Zulassung als Schlüsselkraft oder eine Entsendebewilligung erteilt oder eine Anzeigebestätigung ausgestellt wurde oder wenn der Ausländer eine für diese Beschäftigung gültige Arbeitserlaubnis oder einen Befreiungsschein oder eine 'Rot-Weiß-Rot - Karte plus' oder einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt-EG' oder einen Niederlassungsnachweis besitzt.

...

§ 28. (1) Sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde zu bestrafen

1. wer,

a) entgegen § 3 einen Ausländer beschäftigt, für den weder eine Beschäftigungsbewilligung (§§ 4 und 4c) oder Zulassung als Schlüsselkraft (§§ 12 bis 12c) erteilt noch eine Anzeigebestätigung (§ 3 Abs. 5) oder eine Arbeitserlaubnis (§ 14a) oder ein Befreiungsschein (§§ 15 und 4c) oder eine 'Rot-Weiß-Rot - Karte plus' (§ 41a NAG) oder ein Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt-EG' (§ 45 NAG) oder ein Niederlassungsnachweis (§ 24 FrG 1997) ausgestellt wurde, oder

b) entgegen dem § 18 die Arbeitsleistungen eines Ausländers, der von einem ausländischen Arbeitgeber ohne einen im Bundesgebiet vorhandenen Betriebssitz im Inland beschäftigt wird, in Anspruch nimmt, ohne dass für den Ausländer eine Beschäftigungsbewilligung oder Entsendebewilligung oder Anzeigebestätigung erteilt wurde, oder

c) entgegen der Untersagung der Beschäftigung eines

Inhabers einer Arbeitserlaubnis (§ 14g) diesen beschäftigt, oder

d) entgegen der Untersagung gemäß § 32a Abs. 8 einen Ausländer beschäftigt, für den weder eine Beschäftigungsbewilligung (§ 4) erteilt noch eine Anzeigebestätigung (§ 3 Abs. 5) oder eine Arbeitserlaubnis (§ 14a) oder eine Freizügigkeitsbestätigung (§ 32a Abs. 2 oder 3) ausgestellt wurde,

bei unberechtigter Beschäftigung von höchstens drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafe von 1 000 Euro bis zu 10 000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 2 000 Euro bis zu 20 000 Euro, bei unberechtigter Beschäftigung von mehr als drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafe von 2 000 Euro bis zu 20 000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 4 000 Euro bis zu 50 000 Euro;

...

§ 32a. (1) Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die am 1. Jänner 2007 aufgrund des Vertrages über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union (Beitrittsvertrag von Luxemburg), Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 157 vom 21. Juni 2005, Seite 11, der Europäischen Union beigetreten sind, genießen keine Arbeitnehmerfreizügigkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 lit. l, es sei denn, sie sind Angehörige eines gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigten Staatsangehörigen eines anderen EWR-Mitgliedstaates gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 NAG.

...

(8) Die gesetzliche Vermutung und die Verpflichtung zur Einholung eines Feststellungsbescheides gemäß § 2 Abs. 4 gelten nicht für Gesellschafter, die Staatsangehörige der in Abs. 1 genannten Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind. Die Firmenbuchgerichte haben jedoch die Eintragung solcher Gesellschafter in das Firmenbuch der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zu melden, sofern sie Grund zur Annahme haben, dass die Gesellschafter Arbeitsleistungen im Sinne des § 2 Abs. 4 für die Gesellschaft erbringen. Die regionale Geschäftsstelle hat die Tätigkeit des Gesellschafters nach ihrem wahren wirtschaftlichen Gehalt zu prüfen. Die Gesellschafter haben an der Ermittlung des Sachverhaltes mitzuwirken. Stellt die regionale Geschäftsstelle fest, dass die Tätigkeit der Bewilligungspflicht nach diesem Bundesgesetz unterliegt, oder wirkt der Gesellschafter trotz schriftlicher Aufforderung nicht binnen angemessener Frist an der Ermittlung des Sachverhaltes mit, hat sie - sofern keine entsprechende Bewilligung vorliegt - die Beschäftigung zu untersagen und die zuständige Abgabenbehörde zu verständigen.

..."

Der Revisionswerber führt aus, dass der Mitbeteiligte in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht angegeben habe, dass für sämtliche Arbeiten jeder Gesellschafter verantwortlich gewesen sei, der Kontakt mit Dritten erfolge nur über ihn selbst, weil nur er deutsch spreche. Gesellschafterbeschlüsse dürften im vorliegenden Fall de facto nie stattgefunden haben. Das Material habe der Mitbeteiligte besorgt. Auf die Frage, warum der Rahmenvertrag mit der Auftraggeberfirma von der Einzelperson des Mitbeteiligten stamme, habe er geantwortet, dass es zu diesem Zeitpunkt noch keine Kontonummer der OG gegeben habe. Es sei angemerkt worden, dass sowohl das Auftragsschreiben für die besagte Baustelle als auch die erste Teilrechnung von der Einzelperson des Mitbeteiligten und nicht von der OG gestammt habe. Im Rahmen des Parteiengehörs habe die Finanzpolizei mit Schreiben vom 10. März 2014 angeführt, dass das Auftragsschreiben zur besagten Baustelle mit dem Tag nach der Kontrolle datiert gewesen sei.

Das Landesverwaltungsgericht habe die Aussagen des Beschuldigten und eines Zeugen weder im Detail angeführt noch irgendeiner Wertung unterzogen. Auf Grund der Aktenlage sei nach Auffassung der Finanzpolizei der Eindruck entstanden, dass - nach dem wahren wirtschaftlichen Gehalt - der alleinige Entscheidungsträger der Beschuldigte, also der Mitbeteiligte gewesen sei und die anderen Gesellschafter eben nur zum Arbeiten anwesend gewesen seien. Die einzige Tätigkeit der Gesellschafter dürfte in der Erbringung von einfachen und manipulativen Arbeitsleistungen für die OG bestanden haben.

In rechtlicher Hinsicht habe das Landesverwaltungsgericht Tirol zwar zutreffend angeführt, dass in Anbetracht des Umstandes, dass es sich bei den Gesellschaftern um bulgarische Staatsangehörige gehandelt habe, die gesetzliche Vermutung des § 2 Abs. 4 zweiter Satz AuslBG nicht greife und es keine Verpflichtung zur Einholung eines Feststellungsbescheides nach dieser Bestimmung gebe. Daraus aber - wie vom Landesverwaltungsgericht Tirol vorgenommen - den Schluss zu ziehen, eine Beschäftigungsbewilligung oder sonstige Genehmigung nach dem AuslBG wäre nicht nötig, weshalb die Bulgaren nicht entgegen § 3 Abs. 1 iVm § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a AuslBG beschäftigt worden seien, sei ohne Erhebung der dafür wesentlichen Sachverhaltselemente rechtswidrig. Es sei unzutreffend, dass im Fall einer Beschäftigung von bulgarischen Staatsangehörigen nur ein Delikt nach § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. d AuslBG im vorliegenden Fall vorliegen könne. Vielmehr sei nach dem wahren wirtschaftlichen Gehalt, nämlich nach § 2 Abs. 4 erster Satz zu beurteilen gewesen, ob eine Beschäftigung vorgelegen sei, zutreffendenfalls wäre eine Übertretung nach § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a AuslBG zu prüfen gewesen.

Auf Grund der Übergangsbestimmungen des Vertrages über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union (Beitrittsvertrag von Luxemburg) war für bulgarische Staatsangehörige im verfahrensgegenständlichen Zeitraum in Österreich noch keine Arbeitnehmerfreizügigkeit hergestellt (§ 32a Abs. 1 AuslBG, vgl. auch Anhang VI, Liste nach Artikel 20 des Protokolls: Übergangsmaßnahmen, Bulgarien, zum Protokoll über die Bedingungen und Einzelheiten der Aufnahme der Republik Bulgarien und Rumäniens in die Europäische Union, Amtsblatt der Europäischen Union L 157/29 vom 21. Juni 2005). Für die Beschäftigung von bulgarischen Staatsangehörigen galt daher das in § 3 Abs. 1 leg. cit. festgelegte Erfordernis des Vorliegens einer Beschäftigungsbewilligung oder eines anderen für die Zulassung zum österreichischen Arbeitsmarkt erforderlichen Papiers und die dementsprechende Strafdrohung des § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a AuslBG für die Beschäftigung bei Verletzung dieses Erfordernisses.

Zwar wurde im Hinblick auf das Urteil des EuGH vom 22. Dezember 2008, Rs. C-161/01, mit welchem der EuGH festgestellt hat, dass die Bestimmungen des § 2 Abs. 4 zweiter Satz AuslBG gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 EG-Vertrag verstoßen, indem sie Arbeitsgesellschafter aus den EU-8- Mitgliedstaaten verpflichten, vor ihrer Eintragung im Firmenbuch ihre Selbständigkeit auf Antrag vom Arbeitsmarktservice feststellen zu lassen, in § 32a ein Abs. 7a AuslBG (BGBl. I Nr. 91/2009, seit BGBl. I Nr. 25/2011: Abs. 8), und zugleich in § 28 Abs. 1 Z. 1 eine lit. d eingefügt. Damit wurde das bis dahin im Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit bedenkliche Genehmigungsregime des § 2 Abs. 4 zweiter Satz AuslBG durch das in § 32a Abs. 7a leg. cit. (nunmehr: Abs. 8) normierte Untersagungssystem ersetzt und dieses zugleich mit einer eigenen Strafdrohung versehen (vgl. dazu den Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Nationalrates, 250 BlgNR

24. GP, wo ausgeführt ist, dass die Beschäftigung trotz Untersagung demselben Strafrahmen unterliegen soll, wie die "echte" illegale Ausländerbeschäftigung).

Die Einfügung dieses Straftatbestandes der Beschäftigung trotz Untersagung gemäß § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. d AuslBG hat jedoch nicht dazu geführt, dass die unerlaubte Beschäftigung von bulgarischen Staatsangehörigen während der Übergangsfrist, deren Beschäftigung nicht gemäß § 32a Abs. 7a, bzw. nach dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 25/2011 des § 32a Abs. 8 leg. cit., untersagt wurde, nach § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a AuslBG nicht strafbar gewesen wäre. § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. d AuslBG ist im Verhältnis zu § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a AuslBG bloß die speziellere Strafnorm.

Dies hat das Landesverwaltungsgericht Tirol verkannt, weshalb das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Für das Begehren der Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Innsbruck als belangte Behörde vor dem Landesverwaltungsgericht findet sich keine Grundlage im Gesetz.

Wien, am 17. Februar 2015

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Besondere RechtsgebieteGemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2015:RA2014090016.L00

Im RIS seit

09.03.2015

Zuletzt aktualisiert am

27.04.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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