TE Vfgh Beschluss 2015/3/3 G47/2015

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Veröffentlicht am 03.03.2015
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)

Norm

B-VG Art90a
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
VfGG §62a Abs1
StPO §210 Abs2, §213 Abs6, §214, §215

Leitsatz

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen der StPO mangels Legitimation; Anklageschrift keine Entscheidung eines ordentlichen Gerichts in einer Rechtssache in erster Instanz

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1.       Die Staatsanwaltschaft Feldkirch legte dem Einschreiter mit ihrer beim Landesgericht Feldkirch eingebrachten Anklageschrift vom 10. Dezember 2014 unter näherer Darstellung des ihm vorgeworfenen Verhaltens das Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach §202 Abs1 StGB zur Last. Dagegen brachte der Einschreiter am 11. Februar 2015 den Rechtsbehelf des Einspruchs gegen die Anklageschrift (vgl. Fabrizy, StPO12, §212, Rz 1) ein, in dem er deren Zurückweisung bzw. die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens begehrt.

2.       Ebenfalls mit Schriftsatz vom 11. Februar 2015 stellte der Einschreiter beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG unter Anschluss einer Ausfertigung der Anklageschrift sowie seines Einspruchs den Antrag, die das Verfahren über den Anklageeinspruch regelnden Bestimmungen der §§213 Abs6, 214 und 215 StPO als verfassungswidrig aufzuheben: Bei der Anklageschrift handle es sich um einen Verwaltungsakt, mit dem eine Behörde – die Staatsanwaltschaft – im Rahmen der ordentlichen Gerichtsbarkeit den Strafanspruch des Staates wahrnehme; zur Entscheidung über den Anklageeinspruch sei hingegen das zuständige Oberlandesgericht berufen. Dass über Rechtsmittel gegen Verwaltungsakte nicht die übergeordnete Strafverfolgungsbehörde (die Oberstaatsanwaltschaft), sondern ein Gericht zu erkennen habe, stelle einen "fundamentalen Systembruch" dar; der Anklageschrift werde damit "fälschlich der Charakter einer gerichtlichen Entscheidung zuerkannt". Wenngleich die Anklageschrift kein abschließendes gerichtliches Urteil sei, sondern lediglich Verdachtsmomente aufzeige, entfalte sie für den Angeklagten weitreichende rechtliche und gesellschaftliche Folgen. Der Grundsatz der Trennung der Justiz von der Verwaltung (Art94 B-VG) sowie das Recht auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) würden erfordern, dass über den Einspruch gegen die Anklageschrift eine der Staatsanwaltschaft zugehörige Behörde zu befinden habe, damit der Anschein vermieden werde, die Oberlandesgerichte würden im Verfahren über den Anklageeinspruch auch über die Schuld des Angeklagten entscheiden.

3.       Dem mit BGBl I 114/2013 in das B-VG eingefügten, mit 1. Jänner 2015 in Kraft getretenen Art140 Abs1 Z1 litd zufolge erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen "auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels". Voraussetzung einer Antragstellung auf Normenkontrolle ist nach dieser Bestimmung des B-VG u.a. die Einbringung eines Rechtsmittels gegen eine "von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedene Rechtssache" (s. auch §62a Abs1 VfGG idF BGBl I 92/2014).

Gemäß Art90a B-VG sind Staatsanwälte (weisungsgebundene) Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die in Verfahren wegen mit gerichtlicher Strafe bedrohter Handlungen die Ermittlungs- und Anklagefunktion wahrnehmen. Trotz ihrer organisatorischen Zuordnung zur Staatsfunktion Gerichtsbarkeit sind Staatsanwälte keine Richter bzw. Staatsanwaltschaften keine Gerichte (VfSlg 19.350/2011); eine Anklageschrift, mag gegen sie auch ein Rechtsbehelf an das zuständige Oberlandesgericht zulässig und vom Einschreiter auch ergriffen worden sein, ist daher weder eine – wie von Art140 Abs1 Z1 litd B-VG und §62a Abs1 VfGG gefordert – Entscheidung eines ordentlichen Gerichts noch wird mit ihr eine Rechtssache in erster Instanz entschieden (vgl. §210 Abs2 StPO, wonach durch das Einbringen der Anklage das Hauptverfahren beginnt).

4. Dem Einschreiter fehlt daher die Legitimation zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG. Der Antrag ist daher zurückzuweisen.

Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Parteiantrag, Strafprozessrecht, Anklage, Staatsanwaltschaft, VfGH / Legitimation, Gesetzesbeschwerde siehe VfGH / Parteiantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2015:G47.2015

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2016
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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