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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des am 12. Jänner 1955 geborenen F in S, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 9. Juli 1998, Zl. 203.438/0-VIII/24/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, reiste am 4. Mai 1998 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet ein und stellte am 5. Mai 1998 einen Antrag auf Gewährung von Asyl.
Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 13. Mai 1998 gab er an, 23 Jahre lang Berufssoldat, zuletzt Unteroffizier, gewesen zu sein. Er habe von Anfang an beim Militär Probleme gehabt, so habe man von ihm verlangt, sich einen Bart wachsen zu lassen, zum Freitagsgebet zu gehen und ein religiöser Mensch zu sein. Er sei nicht auf der Linie des Regimes gewesen und deshalb benachteiligt worden. Zum Schluss habe er Probleme mit seinem Vorgesetzten gehabt, der von ihm verlangt habe, als Spitzel tätig zu sein und die anderen Soldaten, die auch nicht "auf der Linie" seien, auszuhorchen. Schließlich sei es zu Auseinandersetzungen mit dem Vorgesetzten gekommen und er habe von ihm einen Fußtritt und einen Schlag auf die Nase bekommen. Schließlich sei er am 1. August 1997 vom Militär entlassen worden. Danach habe er keine Probleme oder sonstige Schwierigkeiten gehabt. Eine freiwillige Dienstquittierung bei der Armee wäre nicht akzeptiert worden. Jetzt habe er kein Geld mehr, weshalb er hierher gekommen sei.
Der Beschwerdeführer legte während der Einvernahme einen Brief vor, aus welchem seine Mitgliedschaft bei der Saltanat-Partei hervorgehe und gab auf Nachfrage an, sich für diese Partei politisch nicht aktiv betätigt zu haben. Auf die Frage, was ihm im Falle seiner Rückkehr passieren würde, gab der Beschwerdeführer an, sein Leben dort sei schwer, er habe alles verkauft um hierher zu kommen.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 19. Mai 1998 unter Spruchpunkt I den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997, ab und sprach unter Spruchpunkt II aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran zulässig sei. Die Behörde erster Instanz stellte fest, der Beschwerdeführer sei 23 Jahre hindurch Berufssoldat gewesen und habe gemeinsam mit seiner Familie ungefähr am 20. April 1998 den Iran verlassen und sei über ihm unbekannte Länder bis nach Österreich gelangt. Den sonstigen Angaben des Beschwerdeführers werde kein Glaube geschenkt bzw. fehle der zeitliche Konnex zwischen seiner Ausreise und der Entlassung aus dem Militärdienst. Daher sei sowohl der Asylantrag abzuweisen als auch - mangels Behauptung einer im Fall der Rückkehr drohenden Gefahr - von der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Iran auszugehen.
Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung, in der er die Vorfälle während des Militärdienstes im Wesentlichen mit den gleichen Worten schilderte wie bei der Ersteinvernahme. Erstmals brachte er vor, seine Entlassung vom Militärdienst sei in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Mitgliedschaft in der Saltanat-Partei gestanden und seine Probleme beim Militärdienst seien richtig eskaliert, als seine Vorgesetzten von dieser Mitgliedschaft erfahren hätten. Er sei als normales Mitglied der Saltanat-Partei mit dem Verteilen und Anbringen von Antipropaganda-Material beschäftigt gewesen. Als Armeeangehöriger, der der Bewachergruppe für das Waffenarsenal angehört habe, habe er diese Erfahrungen in die Partei einbringen können. Nach seiner Entlassung habe er mehr Zeit gehabt, sich der Parteiarbeit zu widmen. Am 10. April 1998 sei er von einem Parteimitglied aus Teheran informiert worden, dass seine Gruppe verraten worden sei und sich nun in Regierungshand befinde. Viele seiner Parteifreunde seien verhaftet worden und er wisse bis heute nicht, was mit ihnen passiert sei. Man habe ihm gesagt, er solle sich in Sicherheit bringen. So habe er dann so schnell als möglich die Flucht organisiert und habe einen seiner Söhne, welcher sich zu dieser Zeit zu Besuch bei den Großeltern befunden habe, gar nicht mitnehmen können.
Der Feststellung des Bescheides der Behörde erster Instanz, wonach er im Zuge des mit ihm durchgeführten Interviews ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Artikulation gehabt und allfällige Verfolgungstatbestände hätte schildern können, was aber unterblieben sei, müsse er entgegenhalten, dass es Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher gegeben habe, und er all diese Aussagen in seiner Vernehmung vor dem Bundesasylamt nicht habe machen können. So sei ihm auch keine Gelegenheit gegeben worden, auf die im Bescheid des Bundesasylamtes enthaltenen Vorhalte mit einer ausführlichen Stellungnahme inklusive der dafür notwendigen Konkretisierungen einzugehen.
Zu Spruchpunkt II brachte der Beschwerdeführer in seiner Berufung vor, im Falle der Rückkehr in seine Heimat drohe ihm eine unmenschliche Behandlung oder Strafe oder gar die Todesstrafe. Als Beweismittel nannte er neben seiner nochmaligen Einvernahme die Einholung von Stellungnahmen des UNHCR, von Amnesty International und des Ludwig Boltzmann-Institutes für Menschenrechte.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies der unabhängige Bundesasylsenat die Berufung des Beschwerdeführers gemäß den §§ 7 und 8 AsylG ab. Nach Wiedergabe des Vorbringens des Beschwerdeführers während des erstinstanzlichen Verfahrens und in seiner Berufung traf die belangte Behörde hinsichtlich der Dauer des Militärdienstes und des Zeitpunktes der Flucht des Beschwerdeführers die gleichen Feststellungen wie die Behörde erster Instanz; auch hinsichtlich der Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Mitgliedschaft bei der Saltanat-Partei, der angeblich damit im Zusammenhang stehenden Schwierigkeiten bei der Armee, der Entlassung sowie der angeblich aus diesen Gründen erfolgten Flucht schloss sich die belangte Behörde den beweiswürdigenden Erwägungen der Behörde erster Instanz an und machte weiters geltend, auch die Berufungsausführungen seien nicht geeignet, Zweifel an der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers hervorzurufen. Die erstmaligen Angaben in der Berufung seien schließlich als gesteigertes Vorbringen zu bewerten und aus diesem Grunde nicht glaubwürdig. Auch der Einwand der Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetsch führe nicht zum Ziel, weil der Beschwerdeführer mit seiner Unterschrift bestätigt habe, den Inhalt der Niederschrift nach Rückübersetzung mit dem Dolmetsch verstanden und dem nichts mehr hinzuzufügen zu haben. Es lägen somit keine Hinweise auf einen Sachverhalt, der eine Asylgewährung rechtfertigen könne, vor, weshalb die Berufung hinsichtlich des Spruchpunktes I abzuweisen sei.
Zu Spruchpunkt II erklärte die belangte Behörde, bereits die Erstbehörde habe eine Glaubhaftmachung einer dem Beschwerdeführer drohenden Gefahr im Sinn des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG 1997 zutreffenderweise nicht angenommen. Auch in der Berufung würden keine konkreten Umstände aufgezeigt, welche diese Auffassung als unrichtig erschienen ließen. Mangels Konkretisierung der allgemeinen Behauptungen des Beschwerdeführers erübrige es sich auch, die vom Beschwerdeführer angeregten weiteren Ermittlungen in Form seiner Einvernahme oder der Einholung der von ihm beantragten Gutachten durchzuführen.
Schließlich habe auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG unterbleiben können.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:
Das Verfahren ist mangelhaft geblieben, weil die belangte Behörde eine mündliche Verhandlung hätte durchführen müssen.
Der unabhängige Bundesasylsenat ist gemäß Art. 129 und 129 c B-VG in der Fassung BGBl. I Nr. 87/1998 ein unabhängiger Verwaltungssenat. Er hat gemäß § 23 AsylG 1997 das AVG anzuwenden. Deshalb finden für das Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat zwar auch die Bestimmungen des AVG für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten, insbesondere die Bestimmung des § 67d AVG Anwendung, sofern im AsylG 1997 oder in einem anderen Gesetz keine spezielle Bestimmung normiert ist. Im AsylG 1997 findet sich zu § 67d AVG keine spezielle Regelung. Gemäß Art. II Abs. 1 Z 43a EGVG hat der unabhängig Bundesasylsenat § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Im Sinne dieser Bestimmung ist der Sachverhalt vor dem unabhängigen Bundesasylsenat allerdings (nur) dann als geklärt anzusehen, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmals und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. insoweit dazu das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308).
Dadurch, dass es die belangte Behörde trotz des umfangreichen neuen Vorbringens in der Berufung und trotz der Notwendigkeit, sich eingehend beweiswürdigend mit den Angaben des Beschwerdeführers auseinander zu setzen - womit der Sachverhalt nicht als geklärt erscheinen kann - unterlassen hat, eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen, hat sie gegen Verfahrensvorschriften verstoßen, bei deren Einhaltung sie möglicherweise zu einem anderen Bescheid gelangt wäre.
Hätte die belangte Behörde mit dem Beschwerdeführer eine mündliche Verhandlung durchgeführt, auf Grund deren sie zur Ansicht gelangt wäre, den Angaben des Beschwerdeführers in seiner Berufung und in seiner Ersteinvernahme komme Glaubwürdigkeit zu, so hätte sie gegebenenfalls feststellen müssen, der Beschwerdeführer sei für die gegen das Regime gerichtete Saltanat-Partei tätig gewesen, viele seiner Parteifreunde seien mit ungewissem Schicksal auf Grund ihrer oppositionellen Tätigkeit verfolgt worden, und er habe sich einer drohenden Verhaftung im April 1998 nur durch überstürzte Flucht retten können. Diesfalls wäre aber nicht auszuschließen, dass dem Beschwerdeführer als einem aus politischen Gründen Verfolgten Asyl zu gewähren gewesen wäre.
Die Aufhebung des Ausspruches betreffend die Asylgewährung hat zur Folge, dass für die Feststellung gemäß § 8 AsylG die gesetzlich notwendige Voraussetzung des Vorliegens einer den Asylantrag abweisenden Entscheidung nicht (mehr) gegeben ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1999, Zl. 99/20/0208), weshalb sich der auf § 8 AsylG gestützte Ausspruch als Folge der Aufhebung des Bescheides hinsichtlich der Entscheidung über den Asylantrag ebenfalls als rechtswidrig erweist.
Da die belangte Behörde bei Vermeidung des aufgezeigten Verfahrensfehlers somit zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 21. September 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1998200460.X00Im RIS seit
04.12.2000