Index
L1 GemeinderechtNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Aufhebung einer Bestimmung einer Verordnung über Hand- und Zugdienste betreffend die Leistungsverpflichtung für Mehrpersonenhaushalte wegen Widerspruchs zur Vlbg GemeindeO; kein Anhaltspunkt für eine Steigerung des Gesamtausmaßes der Gemeindeerfordernisse aufgrund konkreter BedürfnisseSpruch
I. Der zweite Satz des §3 der vom Gemeindevorstand der Gemeinde Brand am 9. Februar 1996 beschlossenen Verordnung über die Vorschreibung von Hand- und Zugdiensten, Z920/13/96/Fro, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 28. August 1998 in Kraft.
III. Die Vorarlberger Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Landesvolksanwalt von Vorarlberg stellte gemäß Art139 B-VG iVm Art148 i Abs2 B-VG und Art58 Abs2 der Vorarlberger Landesverfassung, LGBl. 30/1984, den Antrag, den zweiten Satz des §3 der Verordnung des Gemeindevorstandes der Gemeinde Brand vom 9. Februar 1996, Z920/13/96/Fro, über die Vorschreibung von Hand- und Zugdiensten wegen Gesetzwidrigkeit aufzuheben.
2. Der Gemeindevorstand der Gemeinde Brand und die Vorarlberger Landesregierung traten diesem Antrag des Landesvolksanwaltes entgegen.
3.1. Die gemäß §91 der Vorarlberger Gemeindeordnung (GemO), LGBl. 25/1935 idFd ArtII LGBl. 35/1985, erlassene Verordnung des Gemeindevorstandes der Gemeinde Brand vom 9. Februar 1996, Z920/13/96/Fro, hat folgenden Wortlaut (der vom Landesvolksanwalt angefochtene Teil ist hervorgehoben):
"§1
Die Gemeinde Brand macht von der den Gemeinden gemäß §91 der Gemeindeordnung, LGBl. Nr. 25/1935 i.d.g.F. LGBl. Nr. 35/1985, eingeräumten Berechtigung, für Gemeind(e)erfordernisse Hand- und Zugdienste zu verlangen, Gebrauch.
§2
Zur Leistung der unter §1 dieser Verordnung genannten Dienste ist jeder Haushaltsvorstand verpflichtet. Haushaltsvorstand ist jenes Haushaltsmitglied, welches in der Regel am meisten zum Haushaltseinkommen beiträgt. Tragen mehrere Haushaltsmitglieder in ungefähr gleichem Umfang zum Haushaltseinkommen bei, so gilt das älteste männliche Mitglied unter ihnen als Haushaltsvorstand. Bei Nichtvorhandensein von männlichen Haushaltsmitgliedern gilt dies sinngemäß für weibliche Haushaltsmitglieder.
§3
Umfaßt ein ganzjährig bestehender Haushalt nur eine Person, so ist der Haushaltsvorstand zur Leistung von Diensten im Ausmaß von einer Tagschicht zu je zehn Stunden jährlich verpflichtet. Besteht der Haushalt aus mehr als einer Person, beträgt das jährliche Ausmaß des Dienstes zwei Tagschichten zu je zehn Stunden (= zwanzig Stunden).
§4
Der Haushaltsvorstand kann zur Verrichtung von Arbeiten, welche im besonderen Interesse der Gemeinde Brand gelegen sind, insbesondere zur Errichtung, Instandhaltung und Erhaltung von Straßen, Brücken und Wanderwegen, von Wasserversorgungs- und Kanalanlagen der Gemeinde Brand sowie zur Beseitigung der Folgen von Elementarereignissen und Schneeschaufeldiensten herangezogen werden. Weiters können auch Arbeiten wie die Pflege der Friedhofsanlagen als Frondienst angerechnet werden.
§5
Die auferlegten Dienste sind vom Haushaltsvorstand nach besten Kräften und Fähigkeiten persönlich oder durch einen tauglichen Vertreter zu leisten.
§6
Die Gemeinde Brand hat die Leistung der zu erbringenden Hand- und Zugdienste durch eine geeignete Person beaufsichtigen zu lassen. Diese Aufsichtsperson ist verpflichtet, genaue Aufzeichnungen über Art, Umfang, Zeit und Ort der geleisteten Arbeiten zu führen. Bei Durchführung der zu leistenden Hand- und Zugdienste ist den Anweisungen des Aufsichtsorganes Folge zu leisten.
§7
a)
Der Haushaltsvorstand ist berechtigt, sich durch Bezahlung eines gemäß §8 dieser Verordnung zu berechnenden Ersatzbetrages in die Gemeindekassa von der Verpflichtung zur persönlichen bzw. durch einen tauglichen Vertreter zu erbringenden Leistung der Hand- und Zugdienste zu befreien.
b)
Leistungspflichtige(,) die infolge längerer Krankheit oder durch hohes Alter nicht mehr in der Lage sind(,) solche Leistungen für die Gemeinde zu erbringen(,) können über schriftlichen oder mündlichen Antrag von der Leistung des Frondienstes teilweise oder ganz befreit werden.
c)
Keine Leistungspflicht entsteht in jedem Fall, wenn der Leistungspflichtige das 70. Lebensjahr erreicht hat.
§8
Für jede zu leistende Arbeitsstunde wird ein Ersatzbetrag von ATS 70,-- festgesetzt.
§9
Die Gemeinde Brand hat dem Leistungspflichtigen durch Bescheid Art, Umfang und Zeitpunkt des zu leistenden Dienstes vorzuschreiben sowie den wahlweise zu bezahlenden Ersatzbetrag ziffernmäßig festzusetzen.
§10
Diese Verordnung tritt am 15.2.1996 in Kraft. Durch Inkrafttreten dieser Verordnung tritt die Verordnung vom 19.10.1988 außer Kraft."
3.2. Die §3 der oben dargestellten Verordnung entsprechende Bestimmung des §4 der am 20. April 1988 beschlossenen und am 19. Oktober 1988 in Kraft getretenen Verordnung des Gemeindevorstandes der Gemeinde Brand, Z920-13/88, lautete:
"§4
Ausmaß des Frondienstes
Der Frondienst wird in der Gemeinde Brand im Ausmaß einer Tagschicht von 10 Stunden pro Haushalt festgesetzt.
Bei Nichterbringung werden als Ersatzleistung 10 Stunden a S 70,-- eingehoben."
3.3. §91 GemO lautet:
"§91
Die Gemeinde kann für Gemeindeerfordernisse Arbeiten und Dienste verlangen. Die Dienste können in Hand- und Zugdiensten bestehen; sie sind in Geld nach den ortsüblichen Preisen abzuschätzen. Besteht in einer Gemeinde eine besondere gültige Übung hinsichtlich der Verteilung und des Ausmaßes solcher Dienste, kann die Gemeinde diese Dienste nach dieser Übung weiterhin verlangen. Wenn eine solche besondere gültige Übung nicht besteht oder wenn die Gemeinde davon keinen Gebrauch machen will, so kann sie den Haushaltungsvorstand zur Leistung von Handdiensten im Ausmaße von höchstens 3 Tagschichten jährlich heranziehen. Ob die Dienste durch den Verpflichteten selbst oder durch einen tauglichen Vertreter geleistet werden, oder ob statt dessen der geschätzte Betrag in die Gemeindekassa bezahlt wird, bestimmt der Verpflichtete."
II. 1. Über den zulässigen Antrag des Landesvolksanwalts wurde erwogen:
1.1. Die vom Landesvolksanwalt geäußerten Bedenken gründen darauf, daß das Gemeindeerfordernis im Sinne des §91 GemO nicht erhoben wurde und daher die Anordnung von Hand- und Zugdiensten in dem im §3 der Verordnung vorgesehenen Ausmaß gesetzwidrig sei.
Er verweist darauf, daß mit der angefochtenen Verordnung das jährliche Ausmaß des "Frondienstes" für Haushalte mit mehr als einer Person gegenüber der früher geltenden Rechtslage nahezu verdoppelt wurde.
Für die Beurteilung der angefochtenen Verordnung sei es daher von (mit-)entscheidender Bedeutung, wie sich die Anzahl der Haushalte auf solche mit einer Person und auf solche mit mehreren Personen verteile. Zur Zeit der Antragstellung gehörten der Gemeinde Brand 19 Haushalte mit einer Person und 138 Haushalte mit mehr als einer Person an.
Für die sich durch die am 19. Oktober 1988 in Kraft getretene Verordnung für das Jahr 1995 ergebenden 157 Tagschichten möge ein entsprechendes Bedürfnis gegeben gewesen sein. Für den Mengensprung durch das Hinzutreten von 138 Tagschichten durch Haushalte mit mehr als einer Person - also für die Erhöhung der geforderten Arbeitsleistungen um 87 % - gebe es aber keine Rechtfertigung.
In Wahrheit sei die Verordnung nicht wegen einer höheren Menge im Wege von Hand- und Zugdiensten bewältigbarer Arbeiten neu gefaßt worden, sondern allein als eine Quelle zur Stärkung der Gemeindefinanzen.
1.2. Die Gemeinde Brand weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, daß das gemäß §91 der GemO vorgesehene Höchstausmaß von drei Tagschichten jährlich nicht ausgeschöpft worden sei. Es sei bei der Vorgängerregelung sachlich nicht gerechtfertigt gewesen, Haushalte mit unterschiedlicher Personenanzahl generell gleich zu behandeln. Es sei nicht einzusehen, warum ein Einpersonenhaushalt dasselbe Ausmaß an Arbeiten zu verrichten habe wie ein Mehrpersonenhaushalt.
Schließlich seien die Gemeindeerfordernisse im §4 der angefochtenen Verordnung umschrieben. Aufgrund der jahrelang praktizierten Übung und aufgrund des Umstandes, daß der Inhalt, aber auch der Umfang der zu verrichtenden Tätigkeiten in der Verordnung bereits festgelegt sind, sei von einer zumindest in großen Umrissen feststehenden Arbeit auszugehen. Jedenfalls stelle die Vornahme von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung von Naturkatastrophen und sonstigen Schäden unzweifelhaft ein jeden Gemeindebürger treffendes Gemeindeerfordernis dar.
2. Der Verfassungsgerichtshof räumt ein, daß §91 GemO - zum Unterschied von den die Planungsnormen regelnden Gesetzen - kein konkretes, vom Verordnungsgeber einzuhaltendes Ermittlungsverfahren vorschreibt. Zur Beurteilung der Gesetzmäßigkeit ist daher der Inhalt der Verordnung heranzuziehen.
3. Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung zu den die Hand- und Zugdienste betreffenden Bestimmungen der Gemeindeordnungen (vgl. VfSlg. 2490/1953 zur Oberösterreichischen Gemeindeordnung und VfSlg. 3934/1961 zur Steiermärkischen Gemeindeordnung) ausgesprochen, daß von einem Gemeindeerfordernis, das Voraussetzung für die Ausschreibung von Handdiensten und Zugdiensten ist, nur dann gesprochen werden kann, wenn ein tatsächliches Bedürfnis nach Durchführung einer nach Inhalt, Umfang und Kosten zum mindesten in großen Umrissen bereits feststehenden Arbeit gegeben ist, nicht aber auch dann, wenn sich ein Bedürfnis nach einer solchen Arbeit bloß als zukünftig möglich herausstellt.
§4 der bekämpften Verordnung umschreibt die Gemeindeerfordernisse zunächst mit der allgemeinen Formulierung "Verrichtung von Arbeiten, welche im besonderen Interesse der Gemeinde Brand gelegen sind" und fügt dann Beispiele für solche Arbeiten an wie "Errichtung, Instandhaltung und Erhaltung von Straßen, Brücken und Wanderwegen, von Wasserversorgungs- und Kanalanlagen" sowie "Beseitigung der Folgen von Elementarereignissen und Schneeschaufeldienste".
§9 leg. cit. sieht die Konkretisierung der Verpflichtung zur Leistung der in §4 leg. cit. umschriebenen Art vor: Die Gemeinde Brand hat dem Leistungspflichtigen durch Bescheid Art, Umfang und Zeitpunkt der zu leistenden Dienste vorzuschreiben sowie den wahlweise zu bezahlenden Ersatzbetrag ziffernmäßig festzusetzen.
Bei gesetzeskonformer Interpretation ist die bescheidmäßige Verpflichtung zur Leistung von Arbeiten auf solche beschränkt, für deren Verrichtung ein tatsächliches Bedürfnis der Gemeinde gegeben ist.
Der Verfassungsgerichtshof hegt keine Bedenken gegen eine Regelung in Verordnungsform, die Mehrpersonenhaushalte in einem höheren Maß zur Leistung solcher Arbeiten heranzieht als Einpersonenhaushalte. Die Verteilung der Lasten auf die Einpersonenhaushalte und die Mehrpersonenhaushalte muß sich aber innerhalb des tatsächlichen Bedürfnisses der Gemeinde nach der Verrichtung der genannten Arbeiten halten.
Das in der bekämpften Verordnung festgelegte Ausmaß der Verpflichtung zur Leistung von Diensten, nämlich jenes von einer bzw. zwei Tagschichten pro Jahr widerspricht den oben angeführten Kriterien des §91 GemO. Bei der Verpflichtung gemäß §3 leg. cit. handelt es sich nicht etwa um ein Höchstausmaß für die bescheidmäßige Festsetzung von Diensten im Rahmen eines konkreten Bedürfnisses der Gemeinde nach Erbringung dieser Arbeiten, sondern um ein - unabhängig vom konkreten Bedürfnis der Gemeinde - absolut festgelegtes Maß. Selbst wenn man einräumt, der Verordnungsgeber des Jahres 1988 sei aufgrund von Erfahrungswerten von einem bestimmten Gesamtausmaß für die Gemeinde notwendiger Dienste ausgegangen und habe die auf den einzelnen Haushalt entfallende Verpflichtung anteilsmäßig (mit zehn Stunden pro Jahr) festgelegt, ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß das Gesamtausmaß der Gemeindeerfordernisse von (auf Basis der Haushaltsdaten zum Zeitpunkt der Antragstellung berechneten) bisher 1570 auf 2950 Stunden aufgrund konkreter Bedürfnisse gestiegen sei. Daß gegenüber den Jahren vor Erlassung der bekämpften Verordnung ein zusätzliches konkretes Bedürfnis der Gemeinde nach Arbeiten im Ausmaß von 1380 Stunden, das ist ein Mehrerfordernis von 88 %, entstanden ist, hat der Gemeindevorstand nicht einmal behauptet.
Der zweite Satz des §3 der angefochtenen Verordnung war daher wegen Widerspruchs zu §91 GemO aufzuheben (Punkt I. des Spruchs).
4. Die das Inkrafttreten der Normaufhebung und die Kundmachungsverpflichtung verfügenden Aussprüche (Punkte II. und III. des Spruchs) beruhen auf Art139 Abs5 B-VG.
Die Fristsetzung für die Aufhebung soll der Gemeinde Brand eine Regelung dahingehend ermöglichen, daß die Verpflichtung der Mehrpersonenhaushalte zur Leistung von Diensten in eine entsprechende Relation zu einer solchen der Einpersonenhaushalte gesetzt wird.
5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Gemeinderecht, Hand- und ZugdiensteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1998:V83.1997Dokumentnummer
JFT_10019772_97V00083_00