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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §289;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer-Jenkins, über die Beschwerde der A S in G, vertreten durch die Schmid & Horn Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Kalchberggasse 6-8, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenats, Außenstelle Graz, vom 23. November 2011, Zl. RV/0732-G/09, betreffend Wiederaufnahme hinsichtlich Umsatzsteuer 2006 und Umsatzsteuer 2006, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin ist Steuerberaterin und hat im Jahr 2006 nach Auflösung einer Miteigentümergemeinschaft auf Basis eines Teilungsvertrages Grundstückseigentum an zwei Liegenschaften erworben. Dieser Vorgang ist der Eigenverbrauchsbesteuerung unterzogen worden, wobei die Umsatzsteuer aus der Eigenverbrauchsbesteuerung der Beschwerdeführerin gemäß § 12 Abs. 15 UStG 1994 in Rechnung gestellt worden ist.
Anlässlich einer abgabenbehördlichen Prüfung vertrat die Prüferin die Ansicht, der aus der Rechnung vom 30. Oktober 2006 (Eigenverbrauchsrechnung) von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Vorsteuerabzug sei zu versagen, weil die Vermietungstätigkeit der rechnungsausstellenden Miteigentümergemeinschaft vom für die Miteigentümergemeinschaft zuständigen Finanzamt als Liebhaberei gemäß § 1 Abs. 2 LVO beurteilt worden sei. Da die Liegenschaften somit nicht der Unternehmenssphäre zugehörig gewesen seien, sei ein umsatzsteuerbarer Eigenverbrauch nicht anzunehmen gewesen. Da der Vorsteuerabzug aus einem unberechtigten Steuerausweis unzulässig sei, sei die geltend gemachte Vorsteuer nicht anzuerkennen. Das Finanzamt nahm daraufhin das Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer 2006 wieder auf und erließ einen entsprechend geänderten Sachbescheid.
Gegen den Wiederaufnahmebescheid und gegen den unter Zugrundelegung der Prüfungsfeststellung erlassenen Sachbescheid hat die Beschwerdeführerin Berufung erhoben.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Berufung ab.
Begründend führte sie aus, die Wiederaufnahme des Finanzamtes sei zulässig. Die Beschwerdeführerin habe in der "Beilage zur Umsatzsteuererklärung 2006" in Aufgliederung der Umsatzsteuerbemessungsgrundlagen unter den im Einzelnen geltend gemachten Vorsteuern unter der Bezeichnung "MEG-EV-Tatbestand" den strittigen Vorsteuerbetrag angeführt. Eine nähere Erläuterung und Begründung für die Abzugsfähigkeit des geltend gemachten Betrages finde sich nicht. Da die für die umsatzsteuerliche Beurteilung der Abzugsfähigkeit der strittigen Vorsteuer jedenfalls erforderliche Kenntnis der näheren Umstände von der Abgabenbehörde erster Instanz erstmalig im Rahmen der Außenprüfung (Prüfungsbeginn: 2. Oktober 2008) erlangt worden sei, handle es sich um taugliche Wiederaufnahmsgründe, denn bei Kenntnis dieser Umstände hätte das Finanzamt bei richtiger rechtlicher Subsumtion bereits im Zuge der Erlassung des Erstbescheides vom 11. Oktober 2007 zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen können.
In der Sache sei für die Beurteilung der Abzugsfähigkeit der in der Rechnung der Beschwerdeführerin und Mitbesitzer vom 30. Oktober 2006 betreffend die Überlassung der Grundstücke an die Beschwerdeführerin gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer als Vorsteuer entscheidend, ob die Grundstücke mit den jeweils darauf befindlichen zwei Doppelhaushälften im Rohzustand im Oktober 2006 oder unmittelbar danach tatsächlich unternehmerischen Zwecken der Beschwerdeführerin gedient hätten oder dienen hätten sollen. Dabei sei festzustellen, dass die Beschwerdeführerin mit Kaufvertrag vom 15. Dezember 2006 die beiden Liegenschaften samt den beiden Doppelhäusern im Rohzustand an zwei Einzelpersonen als Miteigentümer verkauft habe.
Die Ausführungen in der Vorhaltsbeantwortung der Beschwerdeführerin vom 11. September 2009, die Umstände vor der Auflösung der Miteigentümergemeinschaft im Oktober 2006 beträfen, könnten dahingestellt bleiben, weil sie die (unternehmerische) Sphäre der Miteigentümergemeinschaft beträfen. Die von der Beschwerdeführerin daraus zwingend abgeleitete Schlussfolgerung, dass sich aus der behaupteten Vermietungsabsicht der Miteigentümergemeinschaft auch ihre Vermietungsabsicht als Alleineigentümerin der beiden Doppelhäuser ergebe, stehe im Widerspruch mit dem aktenkundigen bis 18. September 2006 befristeten Alleinvermittlungsauftrag vom 19. März 2006, in dem der Immobilienmakler "mit der Vermittlung des Verkaufes des Objektes 2 Doppelwohnhäuser/Rohbauten zum Kaufpreis inkl. Lasten Euro 79.000,-- beauftragt wird." Damit sei eindeutig als erwiesen anzunehmen, dass sie tatsächlich keine ernsthafte Vermietungsabsicht gehabt habe, sondern offensichtlich zielstrebig bemüht gewesen sei, die Liegenschaft zu veräußern. In diesem Sinn seien auch ihre Ausführungen in der Vorhaltsbeantwortung vom 11. September 2009 zu verstehen, wonach "die Veräußerung aller 4 Wohneinheiten im Rohbauzustand en bloc aus arbeitsbelastungstechnischen und wirtschaftlichen Überlegungen vollzogen wurde". Da die Beschwerdeführerin bezüglich der strittigen Liegenschaften überhaupt keine ernsthafte Vermietungsabsicht gehabt und im Übrigen auch tatsächlich keine Umsätze aus ihrer Vermietung erzielt habe, könne die Veräußerung auch nicht als Hilfsgeschäft im Rahmen der Vermietung qualifiziert werden.
Der im vorliegende Fall (einzige) Verkauf der Liegenschaften mit Kaufvertrag vom 15. Dezember 2006 stelle daher eine nicht umsatzsteuerbare, der Privatsphäre zurechenbare Vermögenstransaktion dar. Demzufolge erweise sich die strittige Vorsteuerkürzung jedenfalls als rechtmäßig. Damit erübrigten sich aber auch weitere Ausführungen zur Argumentation der Beschwerdeführerin bezüglich der umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft der Miteigentümergemeinschaft.
Die im angefochtenen Umsatzsteuerbescheid erklärungsgemäß mit dem Normalsteuersatz in Höhe von 20 % vorgenommene Versteuerung des Entgeltes aus der "Grundstücksveräußerung" durch die Beschwerdeführerin erweise sich dagegen insofern als rechtmäßig, als derjenige, der in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweise, diesen Betrag gemäß § 11 Abs. 14 UStG 1994 auch schulde, wenn er eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausgeführt habe oder nicht Unternehmer sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dazu etwa die Erkenntnisse vom 19. September 2007, 2004/13/0108, oder vom 17. April 2008, 2007/15/0062) berechtigte die Bestimmung des § 289 Abs. 1 BAO idF vor dem FVwGG 2012, BGBl. I Nr. 14/2013, die Abgabenbehörde zweiter Instanz nicht dazu, den vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmsgrund durch einen anderen - ihrer Meinung nach zutreffenden - zu ersetzen. Aufgabe der Berufungsbehörde bei Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen die amtswegige Wiederaufnahme durch das Finanzamt war es daher zu prüfen, ob dieses das Verfahren aus den von ihm gebrauchten Gründen wieder aufnehmen durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Wiederaufnahmsgründen zulässig gewesen wäre. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmsgrund nicht vor, musste die Berufungsbehörde den vor ihr angefochtenen Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben. Am Finanzamt liegt es dann, ob es etwa von der Berufungsbehörde entdeckte andere Wiederaufnahmsgründe aufgreift und zu einer (auch) neuerlichen Wiederaufnahme heranzieht.
Im Beschwerdefall ist nicht erkennbar, dass die belangte Behörde die vom Finanzamt verfügte Wiederaufnahme des Verfahrens nach Maßgabe der dafür vom Finanzamt herangezogenen Gründe bestätigt hätte.
Die Begründung der erstinstanzlichen Wiederaufnahmsbescheide verweist auf den Betriebsprüfungsbericht vom 5. März 2009, der unter der Überschrift "Wiederaufnahme" auf seine umsatzsteuerlichen Feststellungen ("Tz 2") verweist. Diese lauten:
"Tz. 2 Abziehbare Vorsteuer
Der Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit der Rechnung vom 30.10.2006 (Eigenverbrauchsrechnung) ist zu versagen, weil die Vermietungstätigkeit der rechnungsausstellenden Miteigentümergemeinschaft (Beschwerdeführerin) & Mitbes. vom Finanzamt Deutschlandsberg, Leibnitz, Voitsberg als Liebhaberei gem. § 1 Abs. 2 LVO beurteilt wurde (siehe die gesonderte Bescheidbegründung v. 11.12.2006). Da die Liegenschaften somit nicht der Unternehmenssphäre zugehörig waren, war ein umsatzsteuerbarer Eigenverbrauch nicht anzunehmen. Der Vorsteuerabzug aus einem unberechtigte(n) Steuerausweis ist unzulässig. Die Vorsteuer in Höhe von Euro 50.228,13 ist daher nicht anzuerkennen"
Damit kann aber nicht gesagt werden, dass der im angefochtenen Bescheid herangezogene Wiederaufnahmsgrund eines neuen Hervorkommens von Tatsachen, die gegen eine (geplante) unternehmerische Vermietungstätigkeit der Beschwerdeführerin als Leistungs- und Rechnungsempfängerin und für eine ausschließliche private Veräußerungsabsicht hinsichtlich der beschwerdegegenständlichen Liegenschaften sprechen, im Rahmen der abgabenbehördlichen Prüfung vom Finanzamt für die amtswegige Wiederaufnahme gebraucht worden wäre. Vielmehr hat das Finanzamt ausschließlich neu hervorgekommene Tatsachen ins Treffen geführt, die bei ihm zu Zweifeln an der Unternehmenseigenschaft der Miteigentumsgemeinschaft als Leistende und Rechnungsausstellerin geführt haben.
Damit ist der angefochtene Bescheid nach dem oben Gesagten in seinem Abspruch über die Wiederaufnahme des Verfahrens (und dem darauf beruhenden Sachbescheid) rechtswidrig, weil er die "Sache" des erstinstanzlichen Wiederaufnahmeverfahrens überschritten hat.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung anzuwenden.
Wien, am 29. Jänner 2015
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2015:2012150153.X00Im RIS seit
05.03.2015Zuletzt aktualisiert am
04.05.2015