Index
L1030 GemeindestrukturNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Keine Unsachlichkeit der Vereinigung der Gemeinde Saifen-Boden mit der Marktgemeinde Pöllau und anderen Gemeinden; Zulässigkeit des Individualantrags trotz Verlusts der Rechtspersönlichkeit der antragstellenden GemeindeSpruch
I. Der Antrag wird insoweit abgewiesen, als er sich gegen §3 Abs4 Z7 des Gesetzes vom 17. Dezember 2013 über die Neugliederung der Gemeinden des Landes Steiermark (Steiermärkisches Gemeindestrukturreformgesetz – StGsrG), LGBl für die Steiermark Nr 31/2014 (berichtigt durch LGBl für die Steiermark Nr 36/2014), richtet.
II. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anträge und Vorverfahren
1. Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litc B-VG begehrt die antragstellende Gemeinde Folgendes:
"[D]er Verfassungsgerichtshof möge das StGsrG (idF LGBl Nr 31/2014) zur Gänze als verfassungswidrig aufheben.
in eventu
der Verfassungsgerichtshof möge die gesamte Wortfolge in §3 Abs4 Z7 StGsrG (idF LGBl Nr 31/2014) '7. die Marktgemeinde Pöllau mit den Gemeinden Rabenwald, Saifen-Boden, Schönegg bei Pöllau und Sonnhofen zur Marktgemeinde Pöllau.' als verfassungswidrig aufheben.
in eventu
der Verfassungsgerichtshof möge das StGsrG (idF LGBl Nr 31/2014 berichtigt durch LGBl 36/2014) zur Gänze als verfassungswidrig aufheben.
in eventu
der Verfassungsgerichtshof möge die gesamte Wortfolge in §3 Abs4 Z7 StGsrG (idF LGBl Nr 31/2014 berichtigt durch LGBl 36/2014) '7. die Marktgemeinde Pöllau mit den Gemeinden Rabenwald, Saifen-Boden, Schönegg bei Pöllau und Sonnhofen zur Marktgemeinde Pöllau.' als verfassungswidrig aufheben.
in eventu
der Verfassungsgerichtshof möge das StGsrG (idF LGBl Nr 36/2014) zur Gänze als verfassungswidrig aufheben.
in eventu
der Verfassungsgerichtshof möge die gesamte Wortfolge in §3 Abs4 Z7 StGsrG (idF LGBl 36/2014) '7. die Marktgemeinde Pöllau mit den Gemeinden Rabenwald, Saifen-Boden, Schönegg bei Pöllau und Sonnhofen zur Marktgemeinde Pöllau.' als verfassungswidrig aufheben". (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
2. Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
"4.1. Bestandsgarantie der Institution Gemeinde
[…]
4.1.3. Nach Rechtsprechung des VfGH enthält das B-VG […] eine Bestandsgarantie für die Gemeinde als Institution; somit ist es dem Landesgesetzgeber verwehrt, anstelle der Gemeinde eine andere Art von (kleinster) Organisationsstruktur zu schaffen.
4.1.4. Durch die umfassenden Gemeindezusammenlegungen aufgrund des StGsrG und die Reduzierung der Anzahl der Gemeinden um rund 47 % wird im Ergebnis ein völlig anderes Bundesland Steiermark geschaffen. Denn eben diese kleinste Organisationsstruktur der Ortsgemeinde wird weitgehend aufgehoben und durch den (weiteren) Regelfall der 'Großgemeinde' ersetzt. Auch wenn der Steiermärkische Landesgesetzgeber die Begrifflichkeiten der GemO und des B-VG beibehält, ändert dies nichts daran, dass die Institution / das Prinzip der Ortsgemeinde verfälscht wird. Durch das StGsrG wird die Rechtsnatur der 'Gemeinde' flächendeckend geändert und der Verband mehrerer ehemals selbstständiger Ortschaften – wenn auch unter dem Legalbegriff 'Gemeinde' – wird zum Regelfall. Dass der Steiermärkische Landesgesetzgeber einen umfassenden Eingriff in die Institution der Gemeinde beabsichtigt, zeigte sich bereits anhand der – im thematischen Zusammenhang mit der Gemeindestrukturreform erfolgten – Novelle zur GemO 2012[…], mit der die Bestimmung der Bestellung eines Ortsteilbürgermeisters neu in die GemO eingefügt wurde. Gemäß §48 Abs1 GemO kann für Gemeinden, die von einer Gebietsänderung gemäß §§8 bis 10 leg cit (ua Gemeindevereinigungen) betroffen sind, ein Ortsteilbürgermeister bestellt werden. Werden diese nun flächendeckend anstelle der bisherigen Bürgermeister eingesetzt, stellt sich die Gemeindeorganisation in der Steiermark faktisch so dar, dass auf unterster Ebene (anstelle der verfassungsrechtlich vorgesehenen Ortsgemeinde) eine ehemals selbstständige Ortsgemeinde als Ortsverwaltungsteil mit eigenem Ortsteilbürgermeister besteht, die der 'Großgemeinde' als nächsthöhere Verwaltungseinheit ungeordnet [sic!] ist. Dass der Steiermärkische Landesgesetzgeber nicht die Errichtung einer Gebietsgemeinde im Sinne des Art120 B-VG zum Ziel hatte, ist aufgrund der Auflösung der bisherigen Gemeinden ersichtlich;[…] jedoch entsprechen die vorgesehenen 'Großgemeinden' nicht dem verfassungsrechtlich vorgesehene[n] Regelfall der Ortsgemeinde und nähern sich dem Konzept des Art120 B-VG an.
4.1.5. Folgt man der Rechtsansicht des Steiermärkischen Landesgesetzgebers[,] könnte – überspitzt formuliert – auch dann eine Ortsgemeinde iSd Art115 B-VG vorliegen, wenn sämtliche Gemeinden der Steiermark (mit Ausnahme der Statu[t]arstadt Graz) in einer einzigen Gemeinde vereinigt werden würden (die 'Gemeinde Steiermark'), wenn es lediglich darauf ankommt, dass der Formalbegriff der Gemeinde weiterverwendet wird. Für die ehemaligen Gemeinden könnten zur Herstellung einer engeren Verbindung zwischen der Bevölkerung und den Organen und Einrichtungen der Gemeinde Ortsteilbürgermeister im Sinne des §48 GemO bestellt werden, die finanziellen Ersparnisse aufgrund von Personalabbau und Reduzierung des Verwaltungsaufwandes wären (vermutlich) enorm. Ein[…] sich diesem Extrem annähender Fall ist aber bereits durch das StGsrG gegeben, da der Steiermärkische Landesgesetzgeber in das Wesen der Institution Gemeinde eingreift.
4.1.6. Darüber hinaus wird durch die beinahe durchgehende Gliederung der Steiermark in Großgemeinden eine Struktur geschaffen, welche die Strukturierung durch Gebietsgemeinden iSd Art120 B-VG durch den Bundesgesetzgeber vorwegnimmt. Die Neugliederung der Steiermark ist demnach ein verfassungsgesetzlich verbotener Vorgriff auf das Verfassungsprogramm der Bildung von Gebietsgemeinden, welches dem Bundesgesetzgeber vorbehalten bleibt.
4.1.7. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass durch das bekämpfte Gesetz in Wahrheit keine Gemeindereform im Sinne von reinen Gemeindevereinigungen herbeigeführt wird, sondern auch – unzulässigerweise – eine Reform der politischen Struktur der Steiermark erfolgt. Gemäß Art117 Abs2 B-VG wird der Gemeinderat auf Grund des gleichen, unmittelbaren, persönlichen, freien und geheimen Wahlrechtes der männlichen und weiblichen Staatsbürger, die in der Gemeinde ihren Hauptwohnsitz haben, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Die politische Zugehörigkeit der Gemeinde ist also Ausdruck des aktiven Wahlrechts der Gemeindebevölkerung.
4.1.8. Der Steiermärkische Landesgesetzgeber bewirkt mit seiner umfassenden Neuordnung des Bundeslandes Steiermark einen umfassenden Eingriff in das ausgeübte Wahlrecht der Bevölkerung sämtlicher (zwangsweise) zusammengelegter Gemeinden. Durch die Reduzierung der Anzahl der Gemeinden um rund 47 % wird im Ergebnis – auch politisch – ein völlig anderes Bundesland Steiermark geschaffen, da das Ergebnis der letzten Gemeinderatswahl konterkariert wird. Eine auf rein sachlichen Gründen beruhende, umfassend flächendeckende Gemeindevereinigungsreform würde zwangsläufig die politische Landkarte ändern, da alle Gemeinden gleich zu bewerten wären und es die Auswahl sachlicher Kriterien faktisch unmöglich machen würde, exakt dieselbe politische Struktur wie vor der Reform erneut hervorzubringen.
Andererseits ist ein Abstellen auf politische Gegebenheiten – und eine Beibehaltung der politischen Verhältnisse auch nach der durchgeführten Gemeindereform – nicht mit der Auswahl sachlicher Kriterien für die Anordnung der Gemeindevereinigungen in Einklang zu bringen und verstößt somit gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Folgt man der Vorgehensweise der Steiermärkischen Landesregierung[,] könnte jeder Landesgesetzgeber ein politisch ungewolltes Ergebnis einer Gemeinderatswahl 'beseitigen', indem er Gemeinden so zusammenlegt, dass eine politisch gewollte Gemeindelandschaft entsteht.
4.1.9. Dass politische Beweggründe für die gegenständlichen Gemeindevereinigungen eine maßgebliche Rolle gespielt haben – und der Steiermärkische Landesgesetzgeber das Ziel verfolgt hat, die politischen Verhältnisse in der Steiermark möglichst unverändert beizubehalten –, lässt sich klar daran erkennen, dass eine nach außen hin nahezu willkürlich[…] erscheinende Wahl getroffen wurde, welche Gemeinden vereinigt wurden und welche nicht. […]
4.2. Verletzung des Gleichheitssatzes
4.2.1. Verletzung des Sachlichkeitsgebots
[…]
4.2.1.2. Verbesserung der Gemeindestruktur
[…]
4.2.1.2.2. Wenngleich der Steiermärkische Landesgesetzgeber [in den Erläuternden Bemerkungen zum StGsrG] auf eine Abwägung der Vor- und Nachteile hinweist, gab er – auch gegenüber den betroffenen Gemeinden – keine Informationen preis, die eine nachvollziehbare Überprüfung möglich machen würden. Auch hinsichtlich des entwickelten Leitbildes gibt es keine konkreten Informationen darüber, inwiefern dieses auf die Antragstellerin angewendet wurde und zu der Entscheidung über die Gemeindevereinigung geführt hat.
4.2.1.2.3. Die im Leitbild angeführten Entscheidungskriterien (räumliche Situation, Bevölkerungsentwicklung, finanzielle Situation, Gemeinde-Infrastruktur), die dazu führen, dass jeweils nur 'zentrale Orte' gestärkt werden ('Lebensrealitäten – Zentrale-Orte-Konzept'[…]), [sind] aber bereits dem Grundgedanken nach unsachlich. Folgt man der Ansicht des Steiermärkischen Landesgesetzgebers, dass es auf eine Stärkung des Funktionszentrums der neuen Gemeinde ankomme, wird klar, dass die Interessen des 'Nebenortes' gar nicht adäquat berücksichtigt werden und eine Verbesserung der Gesamtsituation in der 'aufnehmenden Gemeinde' auf Kosten einer Verschlechterung der Gesamtsituation in der 'eintretenden Gemeinde' bewusst in Kauf genommen wird.
4.2.1.2.4. Auch die im Leitbild angeführten Kriterien treffen auf den Einzelfall der Antragstellerin nicht zu:
? Räumliche Situation: Die Ortskerne der beiden Ortschaften sind ca. 4,5 Kilometer voneinander entfernt. Eine durchgehende Wohnsiedlungsstruktur besteht nicht; die Orte werden durch den Gewerbepark Saifen-Boden/Pöllau getrennt. Der Ortsteil Winkl-Boden der Antragstellerin ist bis zu 14,6 Kilometer vom Ortszentrum der Marktgemeinde Pöllau entfernt. […]
? Bevölkerungsentwicklung: Die Bevölkerung der Antragstellerin ist in den letzten Jahrzehnten um insgesamt 14 % gestiegen. […]
? Finanzielle Situation: Die Antragstellerin kann einen Verschuldungsgrad von 0 % und eine kosteneffiziente Finanzgebarung aufweisen. Der Steiermärkische Landesgesetzgeber erkennt eine geordnete Haushaltsführung. […]
? Gemeinde-Infrastruktur: Dem Leitbild nach wurde die Gemeinde-Infrastruktur mit einem Punktesystem bewertet[.]
[…]
Diese Bewertungsmethode ist jedoch höchst unschlüssig und willkürlich und sie ist nicht geeignet, als sachliches Kriterium für die Zulässigkeit der Gemeindevereinigung zu dienen. So werden etwa für ein Pfarramt 10 Punkte […] vergeben, obwohl eine Gemeindevereinigung für den Pfarrsprengel keine Auswirkungen entfaltet. Freizeit-, Sport- und Kultureinrichtungen werden überhaupt nicht bewertet, obwohl gerade diese maßgeblich dafür sind, wo sich die Gemeindebevölkerung in ihrer Freizeit aufhält. Für die Rettung findet eine Punktevergabe statt, nicht jedoch für die Feuerwehr (oder Polizei). Wesentliche Infrastruktur wie Abwasser- und Abfallwirtschaft werden gänzlich außer Acht gelassen. […]
4.2.1.2.5. Das Leitbild ist folglich nicht geeignet, als Grundlage für die Beurteilung der Gemeindevereinigung zu dienen. Stattdessen muss jeweils im Einzelfall, konkret auf die betroffenen Gemeinden bezogen, eine Abwägung der zu erwartenden Vorteile und Nachteile vorgenommen werden und müsste nachvollziehbar dargelegt werden, welche volkswirtschaftlichen und kommunalwirtschaftlichen Vorteile sich konkret für die Bevölkerung der Antragstellerin durch eine Zusammenlegung ergeben würden. Es wäre weiters da[r]zulegen, warum eine Zusammenlegung mit einer anderen Nachbargemeinde nicht vorteilhaft(er) wäre und warum eine Zusammenlegung der Antragstellerin mit der Marktgemeinde Pöllau und den übrigen Gemeinden die einzig sinnhafte Form einer gesicherten kommunalen Entwicklung sein kann.
4.2.1.3. Vom Steiermärkischen Landesgesetzgeber festgelegte Kriterien der Gemeindezusammenlegung
(i) Allgemeine Grundsätze
Oberstes Ziel der Gemeindestrukturreform ist die Stärkung der zukünftigen Leistungsfähigkeit der Gemeinden zur sachgerechten und qualitätsvollen Erfüllung der eigenen und übertragenen Aufgaben und Funktionen zum Wohle der Bevölkerung.
Dieses oberste Ziel ist bereits erreicht und die Gemeindevereinigung führt zu keiner Verbesserung. Die Antragstellerin konnte bereits bisher den oben erwähnten Bedürfnissen der Bevölkerung bestens nachkommen und es bestehen keine Anzeichen und insbesondere keine konkreten Angaben darüber, dass die angestrebte Großgemeinde diese Aufgaben besser erfüllen können wird. Demgegenüber stehen erhebliche Nachteile, die der Antragstellerin und ihrer Gemeindebevölkerung durch die Gemeindevereinigung drohen.
(ii) Wirtschaftliche und leistungsfähige Gemeinden
[…]
(1) Kosten und Einsparungen
Auf Basis des Gesetzes und der Erläuternden Bemerkungen ist nicht ersichtlich, dass durch die Gemeindevereinigung Kosten vermieden und Einsparungen vorgenommen werden können. Der Steiermärkische Landesgesetzgeber verweist auf allgemeine Überlegungen, ohne konkrete Zahlen zu nennen. Diese wären aber notwendig gewesen, um eine nachvollziehbare Prognose über finanzielle Vorteile anstellen zu können.
Dazu hat auch der Rechnungshof in seinem Bericht vom 29.10.2013 […] wie folgt ausgesprochen:
'Zusammenfassend hält der RH fest, dass eine zumindest näherungsweise numerische Darstellung der finanziellen Auswirkungen geboten und wohl auch möglich gewesen wäre. Dies umso mehr, als die Erläuterungen auf Seite 6 anführen, dass während der Verhandlungsphase des Reformprozesses die relevanten Tätigkeitsbereiche der Gemeinden analysiert, u.a. Finanzanalysen vorgenommen und die Auswirkungen der Gemeindevereinigungen aufgezeigt worden wären. Dazu fehlen aber jegliche Berechnungen, es finden sich in den Erläuterungen nicht einmal jene Annahmen bzw. Parameter, auf die diese Aussagen aufbauen.
Die Erläuterungen zu den finanziellen Auswirkungen entsprechen daher insofern nicht den Anforderungen des §18 Abs3 GeoLT 2005, weshalb eine abschließende Beurteilung der vorgeschlagenen Maßnahmen insbesondere in finanzieller Hinsicht nicht möglich ist' […].
Darüber hinaus hat der VfGH ausgesprochen, dass – selbst wenn ein solches gegeben wäre – das alleinige Bewirken einer Erhöhung der Finanzkraft nicht geeignet ist, eine Gemeindevereinigung sachlich zu rechtfertigen[.]
[…]
(2) Finanzsituation der Antragstellerin
[…]
Wie der Steiermärkische Landesgesetzgeber […] selbst [in den Erläuternden Bemerkungen zum StGsrG] zugibt, stellt sich die finanzielle Lage der Antragstellerin bestens dar. Sie war trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008, die – neben Auswirkungen beim Bund und beim Land Steiermark selbst – auch Auswirkungen auf die Antragstellerin entfaltete, der Erhöhung der Sozialausgaben für die Gemeinden durch das Land Steiermark, dem Auftreten von Katastrophen-ereignissen (Unwettern), die auch die Antragstellerin betrafen, sowie der Nicht-Auszahlung der Ertragsteile des Bundes im Jahr 2010 stets in der Lage, ihren Haushalt vorbildlich zu führen und eine 'freie Finanzspitze' zu erwirtschaften. Somit stellte sie erfolgreich unter Beweis, dass selbst für die im Betrachtungszeitraum herangezogenen Jahre, die von besonderen, außergewöhnlichen Umständen negativ beeinflusst waren, die nicht von der Antragstellerin beeinflusst oder abgewendet werden konnten, aufgrund der besonderen Sorgfalt und Kompetenz der Antragstellerin ein positiver Finanzabschluss erzielt werden konnte.
Der Verschuldungsgrad der Antragstellerin betrug in den letzten Jahren 0 %; im Haushalt wurden keine Abgänge verzeichnet. Der Schuldenstand der Antragstellerin betrug per 31.12.2011 EUR 56.880,36 und auch dieser Betrag ist durch Barmittel mehrfach gedeckt.
Bei der Entwicklung der Gesamtschulden der Gemeinde wird im interkommunalen Vergleich die außerordentlich erfolgreiche Finanzgebarung der Antragstellerin deutlich.
[…]
Die Finanzsituation der Antragstellerin ist somit über den gesamten Betrachtungszeitraum von einer positiven Entwicklung gekennzeichnet. Somit ist auch aus finanzieller Sicht keine Notwendigkeit einer Gemeindevereinigung gegeben und eine solche würde zu keiner Besserung der Finanzsituation beitragen. Aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten erweist sich eine Gemeindevereinigung der Antragstellerin mit ihren Nachbargemeinden daher als unsachlich.
(3) Personalaufwand der Antragstellerin / Aufwand für Gemeindemandatare
[…]
Auch in diesem Fall gehen die Erläuterungen des Steiermärkischen Landesgesetzgebers über Allgemeinfeststellungen nicht hinaus; sämtliche konkreten Ermittlungen fehlen und die annähernd wortgleichen Ausführungen zu den Kosteneinsparungen finden sich bei sämtlichen anderen Gemeinden wieder. Es gibt keine Informationen, welche eine kurz-, mittel- oder langfristige Einsparung erkennen lassen. Auch auf die Frage hin, welche Aufwendungen welche Kosten verursachen, gibt es keinerlei nachvollziehbare Zahlen.
Der Personalaufwand der Antragstellerin ist sowohl im Innendienst als auch im Außendienst äußerst gering gehalten. Im Innendienst ist bei rund 1.050 Einwohnern lediglich ein Mitarbeiter beschäftigt. Der Außendienst (inklusive Wasser-, Kanal- und Abfallwirtschaft) wird ebenso mit einem Dienstposten bewältigt; daneben werden auch viele Tätigkeiten ehrenamtlich durchgeführt, hierfür fallen somit keine Kosten an. Bei einer Auflösung der Antragstellerin gegen den Willen der Gemeindebevölkerung wird diese ehrenamtliche Tätigkeit eingestellt werden, sodass in diesem Fall erhöhte Kosten bei der Großgemeinde anfallen würden.
Mit dem Fachpersonal der Antragstellerin werden alle Verwaltungstätigkeiten professionell durchgeführt. Das Land Steiermark kann keinerlei Beanstandungen vorweisen.
Mit dem Personal der Antragstellerin werden neben den Pflichtaufgaben zahlreiche Serviceleistungen für die Gemeindebürgerinnen und Gemeindebürger angeboten und erledigt. Gerade ältere Menschen sind wegen fehlende[n] Internetzugang[es] bzw fehlende[r] Kenntnisse[…] auf die Serviceleistung im Gemeindeamt angewiesen und es besteht eine hohe Zufriedenheit der Bevölkerung mit dem Personal der Antragstellerin.
Bei der Anzahl der Gemeindebediensteten und den Personalausgaben pro Einwohner werden im interkommunalen Vergleich die geringen Personalkosten der Antragstellerin deutlich.
[…]
Die Antragstellerin ist somit in der Lage, mit dem von ihr beschäftigten Personal, sämtliche Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit der Bevölkerung bei äußerst geringen Personalkosten zu erfüllen.
Darüber hinaus sollen im Gemeindeamt der Marktgemeinde Pöllau insgesamt acht neue Arbeitsplätze geschaffen werden (zwei je 'hinzutretender' Gemeinde), wodurch bereits vorab klar gestellt wird, dass es zu keiner Einsparung von Personalausgaben kommen wird.
Neben den dargestellten Personalkosten sind auch hinsichtlich der Gemeindemandatare keine Kosteneinsparungen aufgrund einer Gemeindevereinigung zu erwarten. Bei größeren Gemeindeeinheiten fällt die Aufwandsentschädigung der jeweiligen Mandatare in eine wesentlich höhere Besoldungsklasse. Zudem wurde vom Steiermärkischen Landesgesetzgeber beschlossen, mit 1.1.2014 die Bezüge der Steirischen Mandatare zu erhöhen. Nach §6 Steiermärkisches Gemeinde-Bezügegesetz[…] gebührt Bürgermeistern ein festgelegter Prozentsatz eines Ausgangsbetrages, der nach Gemeindegröße gestaffelt ist. Mit Wirksamkeit vom 1.1.2014 wurde der Ausgangsbetrag auf EUR 8.506,25 erhöht, mit 1.1.2015 sollen die aufgezwungenen Gemeindevereinigungen erfolgen. Dies bedeutet im Ergebnis, dass es weniger Bürgermeister gibt, diese jedoch höhere Bezüge lukrieren werden; mit anderen Worten: statt dass Mehrere weniger erhalten, erhalten Wenige mehr.
Darüber hinaus wurde durch die Novelle zur GemO 2012 die Möglichkeit eröffnet, für Gemeinden, die von Gemeindevereinigungen betroffen sind, Ortsteilbürgermeister zu bestellen. Diese sollen als politische Ansprechpartner erhalten bleiben und sollen für ihre Tätigkeit auch eine Aufwandsentschädigung erhalten. Diese Aufwandsentschädigung muss von einer allfälligen Kostenersparnis durch die Reduktion der Gemeindemandatare in Abzug gebracht werden.
Dies alles lässt erkennen, dass es dem Steiermärkischen Landesgesetzgeber nicht darauf ankommt, durch eine Senkung der Kosten der Gemeindemandatare wesentliche Einsparungen vorzunehmen.
Da durch die Gemeindevereinigung keine wesentlichen Einsparungen erzielt werden können und die Antragstellerin äußerst geringe Personalkosten aufweisen kann, ist eine Gemeindevereinigung auch aus diesem Grund unsachlich.
(4) Finanzausgleich und Stabilitätspakt
[…]
Der Steiermärkische Landesgesetzgeber übersieht […], dass die Fusionsprämie[…] nur der neuen Gemeinde zusteht, welche über den neu zu wählenden Gemeinderat über die neu gebildete Gemeinde verteilt wird. Dadurch ist aber keinesfalls sichergestellt, dass die Bevölkerung der Antragstellerin davon profitieren würde, steht es doch gerade im Sinne des Steiermärkischen Landesgesetzgebers, lediglich den 'Zentral-Ort' Pöllau zu stärken.
Darüber hinaus ist auch eine Berufung auf das Finanzausgleich[s]gesetz 2008[…] und den darin festgelegten abgestuften Bevölkerungsschlüssel ungeeignet, als Begründung für eine Gemeindevereinigung zu dienen. Der VfGH hat bereits ausgesprochen, dass eine andere Verteilung der den Gemeinden zukommenden Ertragsteile keine sachliche Rechtfertigung einer Gemeindevereinigung darstellt.[…] Zudem tritt das Finanzausgleichsgesetz 2008 gemäß §25 Abs1 FAG 2008 mit 31.12.2014 außer Kraft. Demzufolge wird das Land Steiermark in der kommenden Finanzausgleichsverhandlung mit dem Bund die Möglichkeit haben, andere Berechnungsmodelle als bisher für die Aufteilung der Ertragsteile auf die Gemeinden auszuverhandeln. Als Bemessungsgrundlage könnten etwa die Einwohnerzahlen der Kleinregionen herangezogen werden.
Weiters werden die Kriterien des Maastricht-Saldos und deren Feststellungen (Schulden und Haftungen) schon bisher von der Antragstellerin eingehalten und kann die Antragstellerin im Jahr 2013 einen positiven Rechnungsabschluss von EUR 1.108.669,31 vorweisen; der Kassenbestand konnte allein im Jahr 2014 bereits um EUR 140.377,72 erhöht werden. Darüber hinaus fand in den letzten Jahrzehnten auch kein Bevölkerungsrückgang, sondern vielmehr eine Steigerung von 14 % statt.
Dies beweist, dass die Gemeindevereinigung auch aus Sicht der Maastricht-relevanten Schulden nicht geboten ist.
(5) Mangelnde Grundlagenforschung zur Auswirkung der Rechtsnachfolge
Gemäß §8 Abs4 GemO gehen die Rechte und Pflichten der Antragstellerin mit 1.1.2015 vollständig auf die Marktgemeinde Pöllau über. Dies bedeutet – sofern diese Bestimmung entgegen der Ansicht der Antragstellerin zivilrechtliche Rechtsfolgen nach sich zieht –, dass die Marktgemeinde Pöllau ex lege in Verträge der Antragstellerin mit Dritten eintreten würde.
In diesem Fall können mit den bisherigen Vertragspartnern der Gemeinden beispielhaft Change-of-Control-Klauseln schlagend werden, die bewirken würden, dass Verträge aufgelöst werden können, wenn sich wesentliche Umstände in der Person des Vertragspartners – der Gemeinde – ändern. Ein solcher Fall liegt vor, da der Vertragspartner als Rechtsperson durch die neu geschaffene Gemeinde ersetzt wird.
Dies geschieht flächendeckend bei sämtlichen zusammengelegten Gemeinden, sodass der Steiermärkische Landesgesetzgeber angehalten gewesen wäre, zu untersuchen, welche finanziellen Auswirkungen durch den Wegfall bereits bestehender Vertragsverhältnisse und durch die erforderliche Neuverhandlung dieser Verträge zu erwarten sind.
Auch aus vergaberechtlicher Sicht können finanzielle Belastungen hinzutreten, da ein Wechsel in der Person des Auftraggebers nach der Judikatur während des Vergabeverfahrens (also aus zivilrechtlicher Sicht im sogenannten 'vorvertraglichen Stadium') nur dann zulässig ist, sofern die Zustimmung aller Bieter vorliegt.[...] Dies kann die Folge nach sich ziehen, dass Vergabeverfahren neu auszuschreiben sind, wodurch ein finanzieller Mehraufwand erforderlich ist.
Dass der Steiermärkische Landesgesetzgeber diese Überlegungen offenbar völlig außer Acht gelassen hat, zeigt erneut, dass nur eine mangelhafte Grundlagenforschung stattgefunden hat, die überdies nicht einmal auf sämtliche rechtlichen Gegebenheiten Bezug genommen hat. Hätte der Steiermärkische Landesgesetzgeber eine Untersuchung betreffend die Rechtsnachfolge angestellt, hätte er erkennen müssen, dass diese finanzielle Auswirkungen entfaltet, die bewirken, dass die Gemeindevereinigung auch aus diesem Grunde unsachlich ist.
(iii) Infrastruktur und Demografische Entwicklung
[…]
(1) Infrastruktur
In den Erläuternden Bemerkungen wird – im Gegensatz zu den Bemerkungen zu anderen Gemeindevereinigungen – gar nicht auf die vorhandene (Gemeinde-)Infrastruktur der Antragstellerin eingegangen.
Inwiefern also eine konkrete Verbesserung erreicht werden soll, lässt sich aufgrund fehlender Angaben nicht nachvollziehen.
Darüber hinaus wird die Infrastruktur der Antragstellerin bereits derzeit effizient genutzt und wurde in den letzten Jahren ohne Neuverschuldung auf neuesten Stand gebracht:
? Das gut funktionierende Gemeindezentrum wurde im Jahr 1995 erbaut. Weiters wurden im Jahr 2001 zwei Dachgeschoßwohnungen beim Gemeindeamt ausgebaut.
? Das Kindergartengebäude wurde im Jahr 1997 erbaut. Den eingruppigen Kindergarten besuchen derzeit 24 Kinder. Dem Kindergarten angeschlossen ist eine Nachmittagsbetreuung, in der Kindergarten- und Volksschulkinder betreut werden. Den eingruppigen Kindergarten besuchen derzeit 24 Kinder, die Errichtung einer zweiten Gruppe wurde bei der Einreichplanung bereits berücksichtigt und kann ohne große[…] Aufwendungen durchgeführt werden[.]
? Die Volksschule wurde im Jahr 2001 erbaut. Die Volksschule wird derzeit mit drei Lehrern zweiklassig geführt. Im laufenden Schuljahr 2013/2014 besuchen 28 Kinder die Volksschule. Im Jahr 2008 wurde im Kellergeschoß der Volksschule ein barrierefreier Jugend- und Seniorenraum umgebaut und eingerichtet.
? Im Jahr 2007 wurde in der Nähe des Gemeindezentrums ein Nahwärmeheizwerk errichtet, welches das gesamte Gemeindezentrum sowie fünf ÖWG-Wohnhäuser und weitere fünf Einfamilienwohnhäuser versorgt. Alle Gebäude wurden neu errichtet und befinden sich auf dem letzten Stand der Technik.
? Alle Freizeiteinrichtungen (Fußballplatz mit Trainingsplatz, Asphaltstockanlage, zwei Tennisplätze, ein Volleyballplatz, ein Naturbadeteich, Einrichtungen im Naherholungsgebiet Hinterbrühl) sind in den letzten Jahren ohne Schulden adaptiert worden.
? Für das Kulturleben stehen zwei Gasthäuser mit hervorragender Auslastung zur Verfügung.
? Das Feuerwehrhaus wurde im Jahr 1999 von allen sechs Gemeinden des Pöllauertals errichtet; die Ausstattung der Fahrzeuge und Gerätschaften wird laufend erneuert.
? Das Gemeindegebiet der Antragstellerin ist durch die L406 und L448 verkehrsmäßig bestens erschlossen.
? Auf Grund laufender Wegerhaltungsprogramme befindet sich das umfangreiche Gemeindestraßennetz (ca. 40 km) in sehr gutem Zustand. Die Instandhaltung der Gemeindestraßen, Gehsteige und Ortsbeleuchtung kann daher künftig ohne größere Investitionen (jährliches Sanierungsprogramm wie bisher) bewältigt werden.
? Auch die privaten Haus- und Hofzufahrtswege wurden aufgrund der großzügigen Gemeindeförderung (ca. 60 % der Schotter- und Asphaltkosten) flächendeckend ausgebaut bzw. saniert.
? Die Wasserversorgung der Gemeinde erfolgt teilweise über das Netz der Gemeindewasserleitung (derzeit ca. 150 Haushalte von 340). Um die Versorgung auch künftig sicherzustellen bzw. künftiges Bauland zu sichern, wurde ein Tiefbrunnen errichtet und zusätzlich an das Netz angeschlossen. Weitere Wassergenossenschaften, Wassergemeinschaften und Einzelbrunnenanlagen vervollständigen das Versorgungsangebot.
? Das gemeindeeigene Altstoffsammelzentrum sowie der Bauhof wurden im Jahr 2000 erbaut, ein Zubau mit Kreisverkehr erfolgte 2009.
[…]
In allen oben erwähnten Bereichen ist eine sehr gute Auslastung der Infrastruktur gegeben. Aufgrund der Neuwertigkeit der Infrastruktur ist auch kurz- und mittelfristig mit keinen besonderen finanziellen Aufwendungen in diesen Bereichen zu rechnen.
Insofern ist auch keine Effizienzsteigerung durch die Gemeindevereinigung gegeben, da die Auslastung der bisherigen, gut ausgestatteten Infrastruktur äußerst positiv ist. Der Zustand der Infrastruktureinrichtungen ist auf neuestem Stand, sodass lediglich die Betriebskosten anfallen. Bei einer Stilllegung im Falle einer Gemeindevereinigung würde der große Wertbestand nicht mehr seinem Errichtungszweck zugeführt werden können und es müssten verschiedene Infrastruktureinrichtungen im neuen Zentralort angepasst und erweitert werden (Bsp. Kindergarten, Schule, Gemeindezentrum), wodurch erneute Kosten verursacht werden würden. Andererseits besteht aufgrund der weitreichenden Versorgung der Gemeindebevölkerung der Antragstellerin sowie der großen Entfernung zwischen der Marktgemeinde Pöllau und einzelnen Ortsteilen der Antragstellerin auch keine Veranlassung, Versorgungseinrichtungen (Wasser, Kanal, Fernwärme) zwischen den beiden Gemeinden herzustellen.
Für die Gemeindebevölkerung der Antragstellerin würde eine Gemeindevereinigung zu einer wesentlichen Verteuerung ihrer Lebenserhaltungskosten führen, da diverse Gebühren in der Marktgemeinde Pöllau höher und Förderungen geringer sind[…] als in der Antragstellerin[.]
[…]
Bei infrastruktureller Betrachtung der Gemeindevereinigung erweist sich diese somit als. [sic!]
(2) Gemeindegröße und Demografische Entwicklung
[…]
Die Bevölkerungsentwicklung der Antragstellerin ist in den letzten Jahrzehnten ausgesprochen positiv verlaufen und es konnte eine Steigerung der Bevölkerungszahlen von 1981 bis 2014 um 14 % verzeichnet werden. Seit der Erhebung der Steiermärkischen Landesregierung ist die Bevölkerungsanzahl weiter gestiegen und liegt derzeit (Stand: 26.5.2014) bei 1.051 Einwohnern mit Hauptwohnsitz und 32 Einwohnern mit Nebenwohnsitz. Die Entwicklung der letzten Jahre lässt somit auf eine länger anhaltende Bevölkerungszahl von deutlich über 1.000 Einwohner[n] schließen. Um einem Bevölkerungsrückgang entgegen[…]zu[…]wirken, hat die Antragstellerin in den letzten Jahren in Zusammenarbeit mit der ÖWG (Österreichische Wohnbaugenossenschaft) fünf neue Siedlungshäuser mit insgesamt 24 modernen Mietwohnungen errichtet. Zusätzlich hat sie Bauland angekauft und aufgeschlossen, um dieses künftigen Bauwerbern günstig zur Verfügung stellen zu können.
Selbst wenn sich die Prognose der Bevölkerungsstagnation bis 2030 bewahrheiten sollte und die Antragstellerin 2030 eine Bevölkerung von 976 Einwohnern aufweisen sollte – was angesichts der Maßnahmen der Antragstellerin bestritten wird –, liegt dieser Wert zudem nur knapp unter dem nach Rechtsprechung des VfGH festgelegten Schlüsselwert von 1.000 Einwohnern.[…]
Daniel Kettiger, Rechtsanwalt, Berater und Leiter des Kompetenzzentrums für Public Management der Universität Bern (KPM)[,] führt in seinem Artikel 'Die richtige Größe einer Gemeinde', Untertitel 'Die Gemeindegröße allein ist kein Fusionskriterium' wie folgt aus:
'Soziodemografische Sicht
Eine Gemeinde ist nicht nur ein Betrieb[,] sondern ein gesellschaftliches System – ein lebender Organismus mit einer bestimmten Geschichte und Kultur. Auf diesem Hintergrund stellt sich die Frage der optimalen Gemeindegröße anders. Maßgeblich ist, ob das System Gemeinde nachhaltig aus sich heraus funktionieren kann. Dies bedingt, dass die Bevölkerungsstruktur mittelfristig in etwa erhalten bleibt, dies sowohl zahlenmäßig wie auch bezüglich der Altersstruktur. Probleme stellen diesbezüglich hohe Abwanderungsraten ebenso wie zu hohe Zuwachsraten dar. Ein Problem kann auch darin bestehen, die notwendigen ehrenamtlichen Gemeindebehörden nicht mehr besetzen zu können; ein Problem, das sich zwar zunehmend in kleinen Gemeinden, aber nicht nur dort zeigt. Das Funktionieren einer Gemeinde bedingt ein relativ homogenes Kulturverständnis der gesamten Bevölkerung. Dies betrifft auch die politische Kultur. Es nützt beispielsweise wenig, wenn eine Gemeinde aus betrieblicher Sicht eine optimale Größe aufweist, wenn die notwendigen Führungsentscheide nicht rechtzeitig gefällt werden können, weil sich in der Exekutive Ortsteilvertretungen ständig gegenseitig blockieren. Aus sozidemografischer Sicht gilt es weiter zu bedenken, dass nicht in allen Gemeinden in gleichem Maße soziale und interkulturelle Integrationsaufgaben anfallen' […].
Eine demographische Entwicklung ist für sich allein gesehen kein hinreichender Grund für eine Gemeindezusammenlegung, wenn andere Faktoren, wie die politische Kultur[,] außer Acht gelassen werden. Dass sich eine solche positiv entwickeln wird, ist aufgrund der Ablehnung der Gemeindevereinigung durch die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung der Antragstellerin nicht zu erwarten […]. Die Gemeindegröße der Antragstellerin rechtfertigt nach Rechtsprechung des VfGH bei Gleichbleiben der Bevölkerungszahl keine Gemeindevereinigung; denn dadurch ist sichergestellt, dass eine Gemeindebevölkerung gegeben ist, die sämtliche Aufgaben erfüllen kann und die für ein Funktionieren des 'Systems Gemeinde' sorgen kann.
Aus diesem Grund ist eine Gemeindevereinigung aus demographischer Sicht nicht geboten und erweist sich auch aus diesem Grunde als unsachlich.
(iv) Raumplanung und Siedlungsverflechtungen
[…]
(1) Raumplanung
[…]
Die Begründungen [in den Erläuternden Bemerkungen zum StGsrG] sind nicht ausreichend und nicht geeignet, einen konkreten Vorteil für die Gemeindestruktur der Antragstellerin darzustellen. Stattdessen beschränken sich die Erläuterungen auf Allgemeinaussagen. Folgt man den Ausführungen des Steiermärkischen Landesgesetzgebers[,] müssten sämtliche Gemeinden vereinigt werden, wenn ausschließlich durch diese Maßnahme eine koordinierte Standortentwicklung erreicht werden könnte. Dass eine größere Verwaltungseinheit besser in der Lage ist, eine strategische und räumlich abgestimmte Standortentwicklung zu gewährleisten[,] ist nicht zwangsläufig gegeben. Zudem kann auch im Bereich der Raumplanung ein abgestimmtes Vorgehen zwischen Nachbargemeinden vereinbart werden oder es kann einem Gemeindeverband die Kompetenz zur Erstellung eines gemeinsamen örtlichen Entwicklungskonzepts übertragen werden.[…]
Darüber hinaus zeigt sich, dass aufgrund der erfolgreichen bisherigen Raumplanung der Antragstellerin eine positive Entwicklung sowohl bei der Einwohnerzahl als auch bei den Betriebsansiedlungen verzeichnet werden konnte. Durch eine Gemeindevereinigung wäre auch aus Sicht einer allgemein sachlichen Raumordnung nichts gewonnen, da sie den Effekt hätte, dass sich die bereits bestehenden Industrie- und Gewerbeflächen (Gewerbepark Saifen-Boden/Pöllau) statt wie bisher in der Peripherie der Wohngebiete, […] plötzlich inmitten des Gemeindegebiets der Großgemeinde befinden würden. Dadurch wird aber zugleich verhindert, dass sich zwischen der Antragstellerin und der Marktgemeinde Pöllau eine durchgehende Siedlungsstruktur etablieren wird.
Der Steiermärkische Landesgesetzgeber führt eine Verbesserung der Raumplanung als Argument für sämtliche Gemeindevereinigungen an. Dabei hat er auch festgestellt, dass das 'Industrie- und Gewerbegebiet im Kreuzungsbereich der L 406 mit der L 448 [Anm. Gewerbepark Saifen-Boden/Pöllau] [...] bereits in der Vergangenheit in Abstimmung entwickelt' wurde.[…] Daraus folgt aber, dass durch die Gemeindevereinigung keine Verbesserung erreicht werden kann, da es zwischen der Antragstellerin und der Marktgemeinde Pöllau bereits jetzt eine intensive Koordination bei der Raumplanung gibt. Dadurch, dass sie die Flächen an der Gemeindegrenze zu Pöllau für den Gewerbepark umgewidmet hat, hat die Antragstellerin auch dazu beigetragen, dass eine überregionale Versorgungs- und Dienstleistungsfunktion der Marktgemeinde Pöllau in ihrer derzeitigen Form etabliert werden konnte.
Die Antragstellerin hat dadurch bewiesen, dass bedeutende interkommunale Maßnahmen der örtlichen Raumplanung möglich und erfolgreich sind, ohne dass es zu einer aufoktroyierten Gemeindevereinigung kommen muss.
Daraus ergibt sich, dass bereits eine koordinierte Raumplanung vorliegt, die von der Antragstellerin stets erfolgreich gehandhabt wird. Eine Verbesserung durch die Gemeindezusammenlegung ist daher nicht gegeben bzw erreicht kein Ausmaß, dass sie die Gemeindevereinigung gegen den Willen der Antragstellerin und ihrer Bevölkerung rechtfertigen würde.
Aufgrund der topographischen Lage würde die Gemeindevereinigung zudem zur völligen Aushöhlung der Siedlungsstruktur in der Antragstellerin führen und die vom Steiermärkischen Landesgesetzgeber befürchtete Ausdünnung und Schwächung des ländlichen Raumes geradezu erst bewirken:
Das Gemeindegebiet der Antragstellerin liegt zum überwiegenden Teil im Joglland, das als waldreiche Mittelgebirgsgegend qualifiziert wird. Ausgehend von der Grenze zur Marktgemeinde Pöllau im äußersten Osten des Gemeindegebiets führt die Landesstraße L 448 quer durch das Gemeindegebiet und die Ortsteile Obersaifen und Wink[…]l-Boden und verlässt im äußersten Westen das Gemeindegebiet in Richtung Birkfeld. Zwischen Ost- und Westgrenze des Gemeindegebiets der Antragstellerin liegt ein Höhenunterschied von ca. 600 Metern. Dieses starke Höhengefälle bewirkt eine natürliche Beschränkung an vorhandenen möglichen Baugründen.
Die Beendigung des Selbstverwaltungsrechts der Antragstellerin und der damit einhergehenden Möglichkeit zur Baulandwidmung würde dazu führen, dass die Widmung neuer Baugründe nicht mehr in der Antragstellerin, sondern im 'Zentral-Ort' Pöllau (vermutlich) entlang oder in der Nähe der interkommunalen Landesstraße L 406 erfolgen würde. Bereits bestehende Baulandwidmungen in der Antragstellerin würden zurückgenommen werden, um eine Bevölkerungszentralisierung im 'Zentral-Ort' Pöllau herbeizuführen. Sollte eine Rückführung in Freilandflächen erfolgen, würde der Quadratmeterpreis lediglich rund EUR 2,50 betragen. Die Widmungsflächen für Bauland würden auf Grund des Zentralisierungsgedankens und der im Gesetz vorgesehenen Stärkung der Marktgemeinde Pöllau (auf Kosten der Bevölkerung der Antragstellerin) auf ein Minimum zurückgeführt werden.
Damit würde sich der prognostizierte Bevölkerungsrückgang – der bei einer Eigenständigkeit der Antragstellerin leicht zu 'verkraften' wäre – mit großer Wahrscheinlichkeit noch verstärken und in weiterer Folge wohl auch dazu führen, dass bereits bestehende, erfolgreiche Dienstleister (Gasthäuser, Nahversorger, etc.) ihr Angebot nicht mehr aufrecht erhalten könnten. Sämtliche Bemühungen der letzten Jahre und das Zur-Verfügung-Stellen von voll aufgeschlossenem Bauland wären umsonst gewesen.
Dies alles macht es erforderlich, gerade zum Schutz des ländlichen Raumes vor Ausdünnung, die Kompetenz der Raumplanung nicht an die Nachbargemeinde Pöllau zu übertragen.
Die Raumordnung konnte von der Antragstellerin stets erfolgreich gehandhabt werden. Eine Verbesserung durch die Gemeindezusammenlegung ist nicht gegeben.
(2) Siedlungsverflechtungen
[…]
Der Steiermärkische Landesgesetzgeber lässt (auch) in Hinblick auf besondere Siedlungsverflechtungen Ausführungen, die über Allgemeinaussagen hinausgehen, vermissen.
Daneben übersieht der Steiermärkische Landesgesetzgeber in seinen Erläuterungen, dass im Gemeindegebiet der Antragstellerin selbst hinreichend Dienstleistungsunternehmen tätig sind, die eine Ausrichtung der Bevölkerung der Antragstellerin in Richtung Pöllau unnötig machen. Die in der Antragstellerin niedergelassenen Dienstleistungsunternehmen können weitreichende Bedürfnisse des täglichen Lebens abdecken und diese gehen weit über eine bloße Grundversorgung hinaus, sodass die öffentlichen und privaten Dienstleistungen, die in der Antragstellerin zu finden sind, geeignet sind, eine weitgehende Autonomie beim Bezug von Dienstleistungen in der Wohnortgemeinde zu gewährleisten; darunter fallen:
? Gastronomie: 2 Gasthäuser und das Warenhausbuffet;
? Ferienwohnung am Bauernhof;
? Finanzdienstleistungen;
? Versicherungsmakler;
? Montagebetrieb;
? Obstpresse;
? Buchhaltergewerbe;
? Bauunternehmen, Zimmerei, Baufachmarkt;
? Gipswandverspachtelungen;
? Innen-u.Aussenputz [sic], Vollwärmeschutz;
? Handel mit Holzbearbeitungsmaschinen;
? Holzhandel – Sägewerk;
? landwirtschaftliches Lagerhaus mit Einkaufsmarkt und Werkstätte;
? Baufachmarkt;
? Parketthandel;
? Erdbewegung;
? Grader-Planierarbeiten;
? Kutschenbau;
? Malermeister;
? Tischlerei;
? Geschenkartikelerzeugung;
? Schnapsbrennereien;
? Forellenzucht.
Darüber hinausgehende Dienstleistungen werden – wie der Steiermärkische Landesgesetzgeber völlig außer Acht lässt – zumeist in der Stadtgemeinde Hartberg bezogen, die sich in ca. 17 Kilometer Entfernung vom Ortszentrum der Antragstellerin befindet.
In Hinblick auf etwaige Siedlungsverflechtungen aufgrund von Dienstleistungen führt eine Gemeindevereinigung zu keiner Verbesserung für die Gemeindebevölkerung, da es für die Gemeindebevölkerung als Konsumenten dieser Dienstleistungen unerheblich ist, ob diese in der eigenen Gemeinde oder einer Nachbargemeinde bezogen werden; denn ob ein Supermarkt, eine Drogerie, eine Bank, etc. aufgrund einer Gemeindevereinigung im 'eigenen' Ort ist oder im vormaligen Nachbarort bleibt, hat naturgemäß keine Auswirkung auf die Qualität der Dienstleistung oder die Entfernung von Wohnadresse und Dienstleistungsadresse. Dass Wohnung und Supermarkt im selben Ort sind, ändert nichts an deren Entfernung zueinander und es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass etwa die Bevölkerung eines Nachbarorts bei Bezug der Dienstleistung anders behandelt wird[…] als die Bevölkerung des Dienstleistungsorts. Bestehende zentrale Einrichtungen eines Ortes können auch von der Bevölkerung des Nachbarortes genutzt werden, gleichgültig, ob die Gemeinden selbstständig sind oder nicht. Ein Vorteil für die Gemeindebevölkerung wird nach Rechtsprechung des VfGH dadurch nicht herbeigeführt.[…]
Damit scheidet der Bezug von Dienstleistung aber als Begründung für eine Gemeindezusammenlegung aus, wenn man – wie der VfGH – eine Verbesserung für die Gemeindestruktur als Zulässigkeitskriterium heranzieht.
(v) Kulturelle Faktoren
Daneben sollen auch die örtlichen Zusammenhänge, insbesondere naturräumliche und kulturelle Verhältnisse, wie auch historische Verbundenheiten sowie lokales Handeln für das Gemeinwohl und Ausüben von Ehrenämtern berücksichtigt werden.
Der Steiermärkische Landesgesetzgeber enthält sich jeglicher Aussagen darüber, inwiefern dieser Punkt bei der gegenständlichen Gemeindevereinigung berücksichtigt wurde.
Die Antragstellerin kann ein umfangreiches kulturelles Programm aufweisen, das in der Gemeinde angeboten wird:
? Gasthäuser / Volksschule mit Mehrfachnutzung für Freizeit und Kultur;
? Die Vereine und Organisationen sind die Träger des Gemeinschaftslebens in der Gemeinde Saifen-Boden. Zahlreiche Veranstaltungen werden von den verschiedenen Vereinen in der Gemeinde in ehrenamtlicher Tätigkeit unter großer Beteiligung der Gemeindebevölkerung organisiert. Die zahlreichen Veranstaltungen bieten ein breites Kulturangebot (Konzerte, Brauchtum, Ausstellungen[,] Kinderprogramm, Lesungen, Kleinkunst, Laientheatergruppe usw.) und werden von der Bevölkerung bestens unterstützt;
? Freizeiteinrichtungen in der Gemeinde:
1. Fußballplatz mit Vereinsgebäude (Union Saifen-Boden / Gschaid Sportverein)
2. Asphaltstockschießanlage
3. Zwei Tennisplätze des Tennisvereins Saifen-Boden mit Vereinshaus
4. Fischen (Karner Teiche)
5. Volleyballplatz
6. Naherholungsraum Hinterbrühl mit Naturbadesee (Gasthof Gruber)
7. Wanderwege und Mountainbike-Strecken
Diese kulturelle Eigenständigkeit der Antragstellerin wurde vom Steiermärkischen Landesgesetzgeber gänzlich ignoriert. Hätte der Steiermärkische Landesgesetzgeber sein Konzept der 'Lebensrealitäten' umgesetzt, hätte er auch kulturelle Einrichtungen und Freizeiteinrichtungen berücksichtigen müssen, da gerade diese entscheidend dafür sind, wo die Gemeindebevölkerung ihre Freizeit verbringt und folglich den 'Lebensmittelpunkt' setzt. Da die Antragstellerin ein umfangreiches Vereinsleben vorweisen kann und der Bevölkerung ein großes Angebot an Freizeiteinrichtungen zur Verfügung stellen kann, sind auch keine kulturellen Faktoren gegeben, die für eine Gemeindevereinigung sprechen würden.
Kulturelle örtliche Zusammenhänge mit der Marktgemeinde Pöllau bestehen ebenso wenig wie historische Verbundenheiten.
Hätte der Steiermärkische Landesgesetzgeber die von ihm aufgestellten Kriterien der Berücksichtigung von kulturellen und historischen Bedingungen befolgt, hätte er eine Gemeindevereinigung nicht aussprechen dürfen, da sich diese auch aus kultureller und historischer Sicht als unsachlich erweist.
4.2.1.4. Weitere Kriterien der Sachlichkeit
4.2.1.4.1. Distanz
Das Ortszentrum der Antragstellerin ist 4,5 Kilometer vom Ortszentrum der Marktgemeinde Pöllau entfernt. Ein in sich geschlossenes Siedlungsgebiet besteht innerhalb der Antragstellerin nicht. Während sich ein Teil des Ortsteiles Obersaifen an den Gewerbepark Saifen-Boden, der sich an der Gemeindegrenze befindet, anschließt, befindet sich das Ortszentrum der Antragstellerin mit dem Gemeindezentrum noch etwa drei Kilometer von der Gemeindegrenze entfernt. Der Ortsteil Winkl-Boden liegt bis zu 14,6 Kilometer vom Zentrum der Marktgemeinde Pöllau entfernt. Hinzu tritt ein Höhenunterschied von bis zu 600 Metern. Wenn der Steiermärkische Landesgesetzgeber eine Entfernung von ca. 5 Kilometern bei guter Verkehrsverbindung als zumutbar ansieht,[…] nimmt er auf die peripheren Ortsteile der Antragstellerin keinerlei Rücksicht. Im Umkehrschluss muss aus seiner Erläuterung vielmehr geschlossen werden, dass er – zu Recht – eine Entfernung von 14,6 Kilometern als unzumutbar ansieht.
Auch wenn es – folgend der bisherigen Rechtsprechung des VfGH zu Gemeindevereinigungen – eine steigende Mobilität der Bevölkerung geben sollte, werden die Nachteile für jenen Teil der Bevölkerung mit schlechterer Mobilität verstärkt. Gerade für den älteren Teil der Bevölkerung ist die Zurücklegung größerer Wegstrecken schwieriger. Wenn der Steiermärkische Landesgesetzgeber eine Überalterung der Gesellschaft als Begründung der Gemeindevereinigungen anführt, ist ihm entgegenzuhalten, dass gerade für diese Bevölkerungsgruppe die negativen Auswirkungen der Gemeindevereinigungen besonders stark ausfallen.
Somit kann durch eine Gemeindevereinigung keine Verbesserung für die Gemeindebevölkerung erwartet werden.
4.2.1.4.2. Zugehörigkeitsgefühl zur vereinigten Gemeinde
Nachdem die Pläne der Steiermärkischen Landesregierung zur Vereinigung der Antragstellerin mit der Marktgemeinde Pöllau publik wurden, bildete sich zunehmender Widerstand gegen das gegenständliche Gesetz in der Gemeindebevölkerung der Antragstellerin.
Daraufhin führte die Antragstellerin am 13.1.2013 eine Volksbefragung durch, um die Gemeindebürger als unmittelbar Betroffene der Gemeindevereinigung darüber abstimmen zu lassen, in welcher Gemeinde sie leben möchten. Bei einer Wahlbeteiligung von 65,4 % stimmten 82,4 % der Wahlberechtigten gegen die vom Steiermärkischen Landesgesetzgeber oktroyierte Gemeindevereinigung. An der ablehnenden Haltung der Bevölkerung hat sich seit der Volksbefragung nichts geändert und die Einbringung des gegenständlichen Individualantrages ist deutlichstes Zeichen für den allgemeinen, anhaltenden Widerstand gegen die Gemeindevereinigung.
Eine Volksbefragung in der benachbarten und gemäß §3 Abs4 Z7 StGsrG gleichfalls mit der Vereinigung mit der Marktgemeinde Pöllau bedrohten Gemeinde Rabenwald hat den Wunsch deren Gemeindebevölkerung nach Beibehaltung der Eigenständigkeit bestätigt. Dies zeigt umso mehr, dass von zwei von fünf beteiligten Gemeinden nicht die Chance gesehen wird, ein gemeinsames Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln.
Den demokratischen Willen der Bevölkerung ignorierend, erließ der Steiermärkische Landesgesetzgeber dennoch das gegenständliche Gesetz.
Neben diesem demokratiepolitischen Mangel kann, ausgehend vom Ergebnis der Volksbefragung (im Sinne einer Prognoseentscheidung), nicht davon ausgegangen werden, dass ein Zugehörigkeitsgefühl der Bevölkerung zu der vereinigten Gemeinde entstehen wird. Das Zugehörigkeitsgefühl der Bewohner zu einer Gemeinde ist nach Rechtsprechung des VfGH jedoch ein wesentliches Kriterium für die Beurteilung der Zulässigkeit der Gemeindevereinigung.[…] Allgemeiner Widerstand der Bevölkerung gegen eine Gemeindevereinigung kann ein Indiz dafür sein, dass die Prognoseentscheidung des Gesetzgebers unsachlich gewesen ist.[…]
Die Gemeindebevölkerung hat sich deutlich gegen die Gemeindevereinigung ausgesprochen und die Gemeindevereinigung ist auch aus dem Grund des fehlenden Zugehörigkeitsgefühls der Bevölkerung unsachlich.
4.2.1.4.3. Zahlreiche schwere Begründungsmängel
Insgesamt wird in den Erläuternden Bemerkungen nicht nachvollziehbar dargelegt, auf welchen Informationen und Daten die Gemeindevereinigung der Antragstellerin mit ihrer Nachbargemeinde beruht.
Zur Beurteilung der Sachlichkeit hätte der Steiermärkische Landesgesetzgeber jedoch darlegen müssen, welche Vorteile konkret durch die Gemeindevereinigung herbeigeführt werden können[,] und hätte er diese mit überprüfbaren Zahlen belegen müssen[.]
Die Erläuternden Bemerkungen beschränken sich großteils auf Allgemeinfeststellungen und das pauschale Zitieren von 'Stehsätzen', ohne dass auf den Einzelfall der Antragstellerin hinreichend Bezug genommen wird. Somit kann für die konkrete Gemeinde keine spezifische Notwendigkeit für eine Gemeindevereinigung abgeleitet werden. Auch nach Prüfung der vom Steiermärkischen Landesgesetzgeber aufgestellten Ziele der Reform wird ersichtlich, dass diese entweder bereits gegeben sind[…] oder dass durch die Gemeindevereinigung keine Verbesserung der Ist-Situation in Bezug auf ebendiese Ziele erreicht werden kann.
Dies wiegt umso mehr, als dass sich die Antragstellerin in den Jahren seit erstmaliger Bekanntmachung der Absicht zur Gemeindevereinigung bis zur Gesetzeskundmachung intensiv darum bemüht hat, die Gründe der Vereinigung in Erfahrung zu bringen[.]
[…]
Da die Erläuterungen zum Gesetz, wie ausführlich dargelegt, jedoch selbst mangelhaft sind und sich jeglicher konkreter Begründung enthalten, bleibt das Gesetz unbegründet und ist auch aus diesem Grunde unsachlich und damit verfassungswidrig.
4.2.2. Ungleichbehandlung vergleichbarer Gemeinden
4.2.2.1. Über die bisher angeführten Gründe hinaus hat es der Steiermärkische Landesgesetzgeber, in offenkundiger Verletzung des Gleichheitsgebots, unterlassen, aufgrund der in §1 StGsrG angeführten Ziele, weitere Gemeindevereinigungen anzuordnen.
4.2.2.2. Der Steiermärkische Landesgesetzgeber führt in den Erläuterungen zu sämtlichen Gemeindevereinigungen im Wesentlichen die gleichen Gründe an, die sich überwiegend auf Infrastruktur/Dienstleistungen ('Unterversorgung'), Demographie und finanzielle Auswirkungen beschränken. Die dabei angestellten Überlegungen lassen sich aber auf eine große Anzahl an weiteren Gemeinden umlegen, die aber aus politischen Gründen, welche nicht öffentlich gemacht wurden, von einer zwangsweisen Gemeindevereinigung verschont wurden.
Die[se] […] Gemeinden weisen teils eine mit der Antragstellerin vergleichbare, teils eine wesentlich schwächere Gemeindestruktur auf, was die Bevölkerungsanzahl sowie das Angebot an Infrastruktur und Dienstleistungen betrifft; dennoch ordnete der Steiermärkische Landesgesetzgeber keine Gemeindevereinigung an[.]
[…]
4.2.2.3. Bezüglich sämtlicher dieser nicht zusammengelegten Gemeinden könnten die gleichen allgemeinen Gründe für eine Gemeindevereinigung angeführt werden[…] wie jene, die zur Vereinigung der Antragstellerin mit der Marktgemeinde Pöllau geführt haben. Dass der Steiermärkische Landesgesetzgeber eine Zwangsvereinigung der eben angeführten Gemeinden nicht angeordnet hat, lässt erkennen, dass es andere, politische Gründe gibt, aus denen die genannten Gemeinden vor einer Zwangsvereinigung verschont wurden. Da die im Gesetz angeführten Kriterien für die Bewertung der Zusammenlegungen durch (weitere) unsachliche, ungeschriebene, politische Kriterien erweitert werden, ist das bekämpfte Gesetz schon aus diesem Grunde gleichheits- und damit verfassungswidrig.
4.2.3. Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
4.2.3.1. Wahl des schonendsten Mittels
[…]
4.2.3.1.2. Auch aufgrund der Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist §3 Abs4 Z7 StGsrG verfassungswidrig, da eine Gemeindevereinigung nicht das schonendste Mittel ist, um die in §1 StGsrG dargestellten Ziele zu erreichen. […]
Die Auflösung von Gemeinden ist die schwerwiegendste in die Rechte der betroffenen Gemeinden eingreifende Maßnahme. Die Wahl des schärfsten Mittels (Auflösung der Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungseinheit) bei Vorhandensein von gelinderen Mitteln entspricht nicht dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Gemeindezusammenlegungen, welche nicht auf freiwilliger Basis[,] sondern vielmehr unter Zwang erfolgen, sind als nicht zeitgemäß zu betrachten.
4.2.3.1.3. Zudem ist auch aus der Grundkonzeption der GemO erkennbar, dass die zwangsweise Vereinigung von Gemeinden lediglich als ultima ratio zu sehen ist und eine großflächige, landesweite Vereinigung systemwidrig ist. Wie bereits erwähnt, legt §8 Abs4 GemO fest, dass die Vereinigung den vollständigen Übergang der Rechte und Pflichten der betroffenen Gemeinden auf die neue Gemeinde zur Folge hat. Dies kann jedoch nur Rechte und Pflichten öffentlich-rechtlicher Natur betreffen. Ein landesgesetzlich festgelegter Eintritt der neuen Gemeinde in Verträge der Altgemeinde wäre als Verstoß gegen Art10 Abs1 Z6 B-VG zu qualifizieren, da der Vertragspartner der Altgemeinde gezwungen wäre, ein durch Landesgesetz geschaffenes Rechtssubjekt als Vertragspartner annehmen zu müssen[,] ohne ein gesetzliches Widerspruchsrecht oder Kündigungsrecht eingeräumt bekommen zu haben, und der Steiermärkische Landesgesetzgeber eine Regelung des Zivilrechtswesens getroffen hätte. Folglich ist das StGsrG mit dem Mangel behaftet, eine weitreichende Rechtsunsicherheit herbeizuführen, die sämtliche vom Gesetz unmittelbar betroffene Gemeinden und darüber hinaus sämtliche ihrer Vertragspartner betrifft.
4.2.3.2. Gemeindeverbände / Kleinregionen
4.2.3.2.1. Die Ziele der Gemeindestrukturreform – sofern diese in Bezug auf die Antragstellerin nicht ohnehin bereits erfüllt sind – können auch mit anderen Mitteln, etwa mit der Bildung von Gemeindeverbänden oder dem Konzept der Kleinregionen erreicht werden, ohne dass es entgegen dem Willen der betroffenen Bevölkerung zur Auflösung von Gemeinden kommt.
Wie in den Erläuternden Bemerkungen festgehalten, besteh[…]en Kooperationen als Teil des Standes[amts]- und Staatsbürgerschaftsverbandes 'Pöllau', als Teil der Kleinregion 'Naturpark Pöllauer Tal', des Reinhalteverbandes 'Pöllauer Tal' sowie des Tourismusverbandes 'Naturpark Pöllauertal'.[…]
4.2.3.2.2. Diese Aufzählung ist nicht annähernd vollständig und beweist erneut die mangelhafte Grundlagenforschung des Steiermärkischen Landesgesetzgebers. Die Antragstellerin ist über die genannten Kooperationen hinaus noch Mitglied im Löschverband FFW Pöllau, dem Sozialhilfeverband Hartberg und Mitglied beim