Index
E3R E05204020;Norm
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art1 litj;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten sowie den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätinnen Dr. Julcher und Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Pürgy als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Beschwerde der J V in G, vertreten durch Mag. Werner Purr, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Neutorgasse 49/I, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 6. Februar 2013, Zl. LGS600/SfA/0566/2013-He/S, betreffend Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) vom 17. Dezember 2012 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Arbeitslosengeld gemäß § 44 AlVG iVm Art. 65 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 mangels Zuständigkeit infolge Fehlens eines ständigen Wohnsitzes bzw. eines dauernden, gewöhnlichen Aufenthaltsortes zurückgewiesen.
1.2. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, als ungarische Staatsbürgerin über einen Hauptwohnsitz in G sowie über einen Zweitwohnsitz in Ungarn zu verfügen. Sie sei seit sechs Jahren mit Hauptwohnsitz in G gemeldet und habe seit 1998 bei verschiedenen Dienstgebern in Österreich gearbeitet. Seit 2011 beziehe sie Leistungen der Arbeitslosenversicherung unter gleichen Voraussetzungen. Der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen befinde sich in Österreich. In Ungarn habe sie nur einen Nebenwohnsitz und nicht einmal ein Bankkonto. Auch ärztliche Hilfe nehme sie in G in Anspruch. Sie stehe der Vermittlung durch das AMS nach den Bestimmungen des österreichischen Arbeitslosenversicherungsgesetzes zur Verfügung.
1.3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben.
In der Begründung gab die belangte Behörde die im Zuge des Berufungsverfahrens niederschriftlich festgehaltene Stellungnahme der Beschwerdeführerin wie folgt wieder:
"Ich habe in der regionalen Geschäftsstelle G niederschriftlich erklärt, dass ich jedes Wochenende (Samstag, Sonntag) nach Ungarn fahre, weil ich durch das Arbeiten Geld hatte und ein sehr altes Haus in Ungarn (Zweitwohnsitz) besitze, das ich am Wochenende renoviert habe. Ich organisiere alles selbst, von meiner Familie hat mir niemand beim Renovieren geholfen. Während meines letzten Dienstverhältnisses bei der Firma A(...) in G bin ich fast jedes Wochenende nach Hause gependelt. Nach Ende des Dienstverhältnisses bin ich nicht mehr nach Ungarn gependelt, weil ich zu wenig Geld hatte und ich bei einer Bekannten Deutsch lerne und zudem ja nicht versichert bin (mein Antrag auf Arbeitslosengeld wurde abgelehnt) und es zu gefährlich wäre, es könnte etwas passieren. Außer an Weihnachten, da war ich 3 Tage zu Hause. Mein Haus in Ungarn ist in V, das ist ca. 70 km von der Grenze H entfernt, insgesamt somit ca. 140-150 km eine Strecke von G entfernt. Ich habe kein Auto und fahre mit dem Zug nach Ungarn. In Ungarn wohne ich während meiner Besuche bei meiner Schwester, weil mein Haus noch nicht bewohnbar ist. Das Haus habe ich geerbt. In der Berufung habe ich angeführt, dass ich nur wenige Male nach Ungarn fahre, einmal im Monat. Dies war in der Zeit während der Beschäftigung bei der Firma B(...), von Februar 2010 bis Mai 2011 so. In G habe ich mir einen Freundeskreis aufgebaut und verbringe die Wochenende/Freizeit mit diesem Freundeskreis. Auf Seite 2 der Niederschrift vom 17.12.2012 habe ich angeführt, dass ich in G in einer Mietwohnung (Hauptmiete) von 30 m2 wohne. Dies ist korrekt. Dort wohne ich allein. In Ungarn habe ich keinen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt. Ein Bankkonto habe ich nur in Österreich. Zum Arzt gehe ich auch in Österreich. Ich habe derzeit weder in Österreich noch in Ungarn einen Lebenspartner. Früher hatte ich in Österreich einen, das war 2011. Er hat nicht bei mir gewohnt, er hatte ein eigenes Haus."
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe im Zuge der Antragstellung am 17. Dezember 2012 niederschriftlich bekannt gegeben, jedes Wochenende nach Ungarn zu fahren. Wenn sie nach Erhalt des ablehnenden Bescheides behaupte, dass sie nur wenige Male (einmal im Monat) nach Ungarn fahre, geschehe das offensichtlich nur deshalb, um doch noch eine Leistung aus der österreichischen Sozialversicherung zu erhalten. Es entspräche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die jeweils erste Aussage einer Partei in einem Verfahren der Wahrheit am nächsten komme. Die Beschwerdeführerin habe am 17. Jänner 2013 hinsichtlich ihrer Berufungseinwendungen, wonach sie nur wenige Male (einmal im Monat) nach Ungarn fahre, niederschriftlich erklärt, dass sie in der Zeit während der Beschäftigung bei der Firma B von Februar 2010 bis Mai 2011 einmal im Monat nach Ungarn gefahren sei. Weiters habe sie angegeben, während ihres letzten Dienstverhältnisses bei der Firma A in G fast jedes Wochenende nach Hause gependelt zu sein und erst nach Ende des Dienstverhältnisses nicht mehr nach Ungarn gefahren zu sein. Da auch ihre Familie in Ungarn lebe, gebe es keinen Zweifel, dass sie ihre zumindest wöchentliche Pendelbewegung zwischen dem Wohnsitzstaat Ungarn und dem Beschäftigungsstaat Österreich in ihrer Arbeitslosigkeit weiter fortführe.
Trotz ihres Wohnsitzes in Österreich gelte die Beschwerdeführerin gemäß Art. 1 lit. f in Verbindung mit Art. 65 Abs. 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 als "echte Grenzgängerin". Ein Wechsel der Einstufung von einer "echten" zu einer "unechten" Grenzgängerin sei erst dann anzunehmen, wenn die nicht mehr regelmäßige Rückkehr in den ursprünglichen Wohnmitgliedstaat für einen verhältnismäßig längeren Zeitraum andauere. Für die Gewährung von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sei daher nicht Österreich, sondern Ungarn zuständig.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 sind, soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) nicht anderes bestimmt ist, in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.
§ 46 Abs. 1 AlVG bestimmt, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich geltend zu machen ist.
§ 44 AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 3/2013 hat folgenden
Wortlaut:
"Zuständigkeit
§ 44. (1) Die Zuständigkeit der regionalen Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice (in den übrigen Bestimmungen 'regionale Geschäftsstellen' genannt) und der Landesgeschäftsstellen des Arbeitsmarktservice (in den übrigen Bestimmungen 'Landesgeschäftsstellen' genannt) richtet sich
1. soweit Rechte und Pflichten des Arbeitgebers betroffen sind, nach dem Sitz des Betriebes;
2. soweit Rechte und Pflichten der arbeitslosen, beschäftigten oder karenzierten Person betroffen sind, nach deren Wohnsitz, mangels eines solchen nach deren gewöhnlichem Aufenthaltsort; nach Beendigung des Bezuges einer Leistung nach diesem Bundesgesetz bleibt die bisherige Zuständigkeit auch bei Wechsel des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltsortes, insbesondere betreffend den Widerruf oder auch die Rückforderung von Leistungen, so lange aufrecht, bis ein neuer Anspruch geltend gemacht wird.
(2) Ist auf Grund internationaler Verträge bei einem Wohnsitz im Ausland der Bezug von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe im Inland zulässig, so ist die regionale Geschäftsstelle zuständig, in deren Bezirk der Arbeitslose zuletzt beschäftigt war. Dies gilt auch für die Geltendmachung des Anspruches (§ 46), die Einhaltung der Kontrollmeldungen (§ 49) und die Erfüllung der Meldepflicht (§ 50). Das gleiche gilt für den Bezug eines Pensionsvorschusses gemäß § 23. Für die Krankenversicherung des Leistungsbeziehers (§ 40 Abs. 1) ist die nach dem Sitz der regionalen Geschäftsstelle örtlich zuständige Gebietskrankenkasse zuständig."
Art. 65 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 lautet auszugsweise wie folgt:
"Arbeitslose, die in einem anderen als dem zuständigen
Mitgliedstaat
gewohnt haben
(1) Eine Person, die während ihrer letzten Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat gewohnt hat, muss sich bei Kurzarbeit oder sonstigem vorübergehendem Arbeitsausfall ihrem Arbeitgeber oder der Arbeitsverwaltung des zuständigen Mitgliedstaats zur Verfügung stellen. Sie erhält Leistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob sie in diesem Mitgliedstaat wohnen würde. Diese Leistungen werden von dem Träger des zuständigen Mitgliedstaats gewährt.
(2) Eine vollarbeitslose Person, die während ihrer letzten Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat gewohnt hat und weiterhin in diesem Mitgliedstaat wohnt oder in ihn zurückkehrt, muss sich der Arbeitsverwaltung des Wohnmitgliedstaats zur Verfügung stellen. Unbeschadet des Artikels 64 kann sich eine vollarbeitslose Person zusätzlich der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaats zur Verfügung stellen, in dem sie zuletzt eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat.
Ein Arbeitsloser, der kein Grenzgänger ist und nicht in seinen Wohnmitgliedstaat zurückkehrt, muss sich der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaats zur Verfügung stellen, dessen Rechtsvorschriften zuletzt für ihn gegolten haben.
(3) Der in Absatz 2 Satz 1 genannte Arbeitslose muss sich bei der zuständigen Arbeitsverwaltung des Wohnmitgliedstaats als Arbeitsuchender melden, sich dem dortigen Kontrollverfahren unterwerfen und die Voraussetzungen der Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats erfüllen. Entscheidet er sich dafür, sich auch in dem Mitgliedstaat, in dem er zuletzt eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, als Arbeitsuchender zu melden, so muss er den in diesem Mitgliedstaat geltenden Verpflichtungen nachkommen.
(4) (...)
(5) a) Der in Absatz 2 Sätze 1 und 2 genannte Arbeitslose erhält Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, als ob diese Rechtsvorschriften für ihn während seiner letzten Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gegolten hätten. Diese Leistungen werden von dem Träger des Wohnorts gewährt.
b) Jedoch erhält ein Arbeitnehmer, der kein Grenzgänger war und dem zulasten des zuständigen Trägers des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften zuletzt für ihn gegolten haben, Leistungen gewährt wurden, bei seiner Rückkehr in den Wohnmitgliedstaat zunächst Leistungen nach Artikel 64; der Bezug von Leistungen nach Buchstabe a) ist während des Bezugs von Leistungen nach den Rechtsvorschriften, die zuletzt für ihn gegolten haben, ausgesetzt.
(6) bis (8) (...)"
Gemäß Art. 1 lit. f der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ist ein "Grenzgänger" eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt und in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, in den sie in der Regel täglich, mindestens jedoch einmal wöchentlich zurückkehrt. Art. 1 lit. j leg. cit. definiert den "Wohnort" als den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person.
2.2. Die Beschwerdeführerin bringt vor, die belangte Behörde habe die Bestimmungen des Meldegesetzes, denen zu Folge der Hauptwohnsitz eines Menschen an jener Unterkunft begründet sei, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen habe, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen, unrichtig ausgelegt. Aus dem Versicherungsdatenauszug der österreichischen Sozialversicherung lasse sich ableiten, dass die Beschwerdeführerin bereits im Jahr 2011 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen habe. Folglich sei die belangte Behörde selbst davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in G habe. Seither hätten sich die Lebensumstände der Beschwerdeführerin nicht geändert.
Die belangte Behörde habe im vorliegenden Fall den Sachverhalt nur unzureichend ermittelt und allein aus der Angabe der Beschwerdeführerin, sie fahre jedes Wochenende nach Ungarn, wo sie Geschwister und ein Haus habe, auf einen Lebensmittelpunkt in Ungarn geschlossen. Die belangte Behörde sei ihrer Verpflichtung zu einer Gesamtbetrachtung nicht nachgekommen. Selbst bei einem wöchentlichen Pendeln nach Ungarn sei in weiterer Folge zu prüfen, in welchem Umfang Lebensinteressen in Ungarn vorliegen.
2.3. Die Beschwerde ist berechtigt.
Aus Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 geht hervor, dass sich ein vollarbeitsloser Grenzgänger, der in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat gewohnt hat und weiterhin in diesem Mitgliedstaat, dem Wohnmitgliedstaat, wohnt, dessen Arbeitsverwaltung zur Verfügung stellen muss. Nach dieser Bestimmung kann er sich zusätzlich der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaats zur Verfügung stellen, in dem er zuletzt eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2014, Zl. 2012/08/0283).
Gemäß Art. 65 Abs. 5 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 erhält der Arbeitnehmer Leistungen - und somit Arbeitslosenunterstützung - nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates, als ob diese Rechtsvorschriften für ihn während seiner letzten Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit gegolten hätten (vgl. das Urteil des EuGH vom 11. April 2013, Rs C-443/11, Jeltes, ua., Rn 31).
Voraussetzung für den in Art. 65 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vorgesehenen Statutenwechsel ist allerdings, dass der Ort der letzten Beschäftigung und der Wohnort der (voll)arbeitslosen Person auseinanderfallen. Als Wohnort gilt nach der Definition des Art. 1 lit. j der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person. Dieser ist nach der Rechtsprechung des EuGH dadurch gekennzeichnet, dass es sich um den Ort handelt, in dem sich der gewöhnliche Mittelpunkt der Interessen der betreffenden Person befindet. Ein Indiz zur Feststellung dieses Ortes ist etwa der Wohnort der Familie (vgl. das Urteil des EuGH vom 17. Februar 1977, Rs 76/76, Di Paolo, Rn 17 und 20 sowie Felten in Spiegel (Hrsg), Kommentar zum Zwischenstaatlichen Sozialversicherungsrecht, Art. 65 VO 883/2004, Rz 7 (2013)). Neben den familiären Verhältnissen sind, um festzustellen, ob ein Mitgliedstaat der Wohnstaat eines Arbeitnehmers ist, obwohl dieser in einem anderen Mitgliedstaat im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt ist, die Dauer und Kontinuität des Wohnorts bis zur Abwanderung des Arbeitnehmers, die Dauer der Abwesenheit - unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände jedes Einzelfalls - und deren Zweck, die Art der in dem anderen Mitgliedstaat aufgenommenen Beschäftigung sowie die Absicht des Arbeitnehmers, wie sie sich aus den gesamten Umständen ergibt, zu berücksichtigen (vgl. die Urteile des EuGH vom 13. November 1990, Rs C-216/89, Reibold, und vom 11. November 2004, Rs C-372/02, Adanez-Vega, Rn 37 sowie die hg. Erkenntnisse vom 10. Juni 2009, Zl. 2009/08/0066, und vom 22. Februar 2012, Zl. 2009/08/0293).
Für die Anwendung des Art. 65 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 kommt es somit nicht bloß - wie von der belangten Behörde offensichtlich angenommen - darauf an, ob der Arbeitnehmer mindestens einmal wöchentlich in den anderen Mitgliedstaat zurückkehrt. Vielmehr sind auch die konkreten Lebensumstände des Arbeitsnehmers mit in die Beurteilung einzubeziehen. Folglich hätte sich die belangte Behörde im vorliegenden Fall mit den oben wörtlich wiedergegebenen Vorbringen im Berufungsverfahren auseinandersetzen und Feststellungen zu den tatsächlichen Lebensverhältnissen der Beschwerdeführerin, nämlich sowohl was ihre familiäre Situation und soziale Integration in Ungarn betrifft, als auch hinsichtlich ihrer sozialen Integration und der Dauer ihres Aufenthalts in G, treffen müssen.
2.4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
2.5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 28. Jänner 2015
Gerichtsentscheidung
EuGH 61976CJ0076 Di Paolo VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2015:2013080056.X00Im RIS seit
27.02.2015Zuletzt aktualisiert am
01.03.2018