TE Vfgh Erkenntnis 2015/2/20 E443/2014

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Veröffentlicht am 20.02.2015
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

B-VG Art130 Abs1 Z1
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §15 Abs4, §17 Abs9, §75 Abs20

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz und Zurückverweisung der Sache hins der Rückkehrentscheidung; willkürliche Annahme eines suggestiven Charakters der Bescheidbegründung der Behörde erster Instanz; keine Suggestivwirkung einer (allgemeinen) Rechtsbelehrung mit Hilfe eines Merkblattes

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.              Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

Der Beschwerdeführer ist ein türkischer Staatsangehöriger, der nach eigenen Angaben seinen Herkunftsstaat am 9. November 2012 verließ und anlässlich einer fremdenpolizeilichen Kontrolle am 23. Dezember 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Zur Begründung gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, in der Türkei als Aktivist gegen den Krieg in Syrien aufgetreten zu sein. Deswegen sei er durch die Polizei bedroht worden, in ein näher bezeichnetes Dorf verschleppt und dort von Mitgliedern der Al-Kaida "bestraft" zu werden. Diese Drohung habe ihn zur Flucht veranlasst.

Mit Bescheid vom 10. Juli 2013 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten und eines subsidiär Schutzberechtigten ab und verfügte die Ausweisung des Beschwerdeführers in die Türkei. Begründend führte das Bundesasylamt insbesondere aus, das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers sei nicht glaubwürdig, weil es "zu wenig konkret, detailliert und differenziert" dargelegt worden sei. Dagegen erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde, die er unter anderem damit begründete, dass das Bundesasylamt sein Vorbringen nicht hinreichend gewürdigt und es unterlassen habe, seiner amtswegigen Ermittlungspflicht nachzukommen. Ferner sei die Begründung des Bescheides in sich widersprüchlich.

Mit Erkenntnis vom 13. Mai 2014 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung internationalen und subsidiären Schutzes als unbegründet ab, hob den Bescheid betreffend die Ausweisung auf und verwies die Sache zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß §75 Abs20 AsylG 2005 an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurück. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft sei und keine Gefahr einer die Gewährung von subsidiärem Schutz gebietenden Rechtsverletzung bestehe. Auf Grund der kurzen Aufenthaltsdauer in Österreich sei eine Rückkehrentscheidung jedenfalls nicht auf Dauer unzulässig, sodass das Verfahren gemäß §75 Abs20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das BFA zurückzuverweisen gewesen sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor, sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab und verwies auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung.

II.              Rechtslage

Das Asylgesetz 2005 (AsylG), BGBl I 100 idF BGBl I 144/2013, lautet auszugsweise:

"Status des Asylberechtigten

§3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art1 Abschnitt A Z2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§2 Abs1 Z23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11) offen steht oder

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§6) gesetzt hat.

(4) Einem Fremden ist von Amts wegen und ohne weiteres Verfahren der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn sich die Republik Österreich völkerrechtlich dazu verpflichtet hat.

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

[…]

Status des subsidiär Schutzberechtigten

§8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach §3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach §7 zu verbinden.

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11) offen steht.

(3a) Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs1 oder aus den Gründen des Abs3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß §9 Abs2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

(5) In einem Familienverfahren gemäß §34 Abs1 Z2 gilt Abs4 mit der Maßgabe, dass die zu erteilende Aufenthaltsberechtigung gleichzeitig mit der des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, endet.

(6) Kann der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden, ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen. Diesfalls ist eine Rückkehrentscheidung zu verfügen, wenn diese gemäß §9 Abs1 und 2 BFA-VG nicht unzulässig ist.

(7) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten erlischt, wenn dem Fremden der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird.

[…]

Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme

§10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §5 zurückgewiesen wird,

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und in den Fällen der Z1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß §57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z1 bis 5 kein Fall der §§8 Abs3a oder 9 Abs2 vorliegt.

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß §57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des §58 Abs9 Z1 bis 3 vorliegt.

[…]

Mitwirkungspflichten von Asylwerbern im Verfahren

§15.

[…]

(4) Der Asylwerber ist zu Beginn des Verfahrens auf seine Mitwirkungspflichten und die Folgen einer allfälligen Verletzung dieser nachweislich hinzuweisen. Ihm ist darüber hinaus - soweit möglich - ein schriftliches Informationsblatt in einer ihm verständlichen Sprache auszufolgen.

[…]

Allgemeines Asylverfahren

Verfahrensablauf

§17.

[…]

(9) Der Bundesminister für Inneres hat ein Merkblatt über die einem Asylwerber obliegenden Pflichten und zustehenden Rechte aufzulegen. Dieses ist spätestens bei Antragseinbringung in der Erstaufnahmestelle in einer dem Asylwerber verständlichen Sprache zu übergeben. Dieses Merkblatt ist in jenen Sprachen bereitzuhalten, von denen anzunehmen ist, dass die Asylwerber sie verstehen. In diesem Merkblatt ist insbesondere auf die Verpflichtung des Asylwerbers, sich den Behörden für Zwecke eines Verfahrens nach diesem Bundesgesetz zur Verfügung zu halten, auf die Rechtsfolgen einer Verletzung, sowie auf Beginn und Ende der Mitwirkungspflicht gemäß §15 Abs3a durch Ausstellung der jeweiligen Verfahrenskarte (§50) hinzuweisen."

III.              Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsbestimmung enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein solcher Fehler ist der belangten Behörde unterlaufen:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft die Feststellung, das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers sei unglaubwürdig. Wenn er seine Angaben im Verfahren erster Instanz im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erläutere, suche er Ungereimtheiten im eigenen Vorbringen zu verschleiern. Konkret führt das Bundesverwaltungsgericht – als eines mehrerer Begründungselemente – Folgendes aus:

"Zu den Angaben, hinsichtlich der Aussage, dass die Polizei [die beschwerdeführende Partei] noch einmal von zu Hause abholen wollte und sie geflüchtet sei, sei nicht abzuleiten, dass die Polizei tatsächlich noch einmal mit ihr in Kontakt getreten sei, viel mehr könne hieraus abgeleitet werden, dass die bP von zukünftigen Handlungen gesprochen hätte[,] ist anzuführen, dass dieses Argument nicht schlüssig ist. Wäre es tatsächlich so gewesen, wäre es der bP frei gestanden, es in entsprechender Weise vor der belangten Behörde zu schildern. Viel mehr ist davon auszugehen, dass die bP, bzw. jene Person oder Organisation, welche sie beim Verfassen der Beschwerde unterstützte, vor dem Hintergrund des suggestiven Charakters der Beweiswürdigung für jene Person[,] welche die Beschwerde verfasst – zumal sie nunmehr die Argumente der belangten Behörde kennt –, bestrebt war, die Ungereimtheiten im Vorbringen der bP im Hinblick auf den erhofften Ausgang des Verfahrens zu verschleiern.

Wenn die Polizei regierungstreu reagieren könne, weshalb keine Unterscheidung in Bezug [auf] eine allfällige Verfolgung durch die Polizei oder eine Verfolgung durch die Regierung erblickt werden könne, ist anzuführen, dass gerade die bP zu dieser Differenzierung griff. Und daher auch hier davon auszugehen ist, dass die nunmehrigen relativierenden Ausführungen dazu dienen sollten, [d]ie Ungereimtheiten im Vorbringen der bP im Hinblick auf den erhofften Ausgang des Verfahrens zu verschleiern.

[I]m Zusammenhang mit den oa. Ausführungen weist das ho. Gericht darauf hin, dass bereits den seitens der belangten Behörde durchgeführten Belehrungen ein suggestiver Charakter zukommt, indem etwa das der bP ausgefolgte Merkblatt über die Rechte und Pflichten von Asylwerbern eine genaue Anleitung darüber enthält, unter welchen gesetzlichen und sonstigen Voraussetzungen der Status eines Asylberechtigten erlangt werden kann und wie damit das künftige Vorbringen im Asylverfahren gestaltet werden sollte, um Aussicht auf Erfolg zu haben, (vgl. auszugsweise den Inhalt des oa. Merkblattes: ' ... Voraussetzung für eine Asylgewährung in Österreich: ... Sie können glaubhaft machen, dass Sie begründete Furcht haben, in Ihrem Herkunftsstaat verfolgt zu werden. Und zwar auf Grund Ihrer Rasse, Ihrer Religion, Ihrer Nationalität, Ihrer politischen Gesinnung oder Ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Sie können sich nicht unter den Schutz Ihres Herkunftslandes begeben oder wollen es wegen Ihrer Furcht nicht tun. ...' weshalb von einer hinreichenden 'Anleitung' – die überdies die Ermittlung der materiellen Wahrheit hinsichtlich eines Sachverhaltes[,] der erst ermittelt werden soll[,] erheblich zu erschweren geeignet ist – bereits dadurch ausgegangen werden kann (vgl. die ho. kritischen Anmerkungen zur Suggestion in den Asylverfahren als eine der 'Hauptsünden' der Einvernahmetechnik v. 9.1.2012, E9420066-1/2011).

Ebenso ist festzuhalten – wie bereits angedeutet –, dass den Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid ein gewisser suggestiver Charakter zukommt, welcher sich in der Formulierung der Beschwerde durch die bP –oder wie hier durch jene Person oder Organisation[,] welche die bP bei der Formulierung der Beschwerde unterstützte[,] – niederschlägt und somit jedenfalls nicht mehr von einer freien Schilderung des behauptetermaßen ausreisekausalen Sachverhalts ausgegangen werden kann. Die bP – oder die genannte Person oder Organisation – kennt ab dem Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides die Argumente der belangten Behörde und ist in der Formulierung des Rechtsmittels bestrebt, diese Argumente zu relativieren. Hierin liegt der suggestive Charakter.

Die negativen Ausflüsse derartiger Suggestion zeigen sich sichtlich hier im konkreten Verfahren, wo offensichtlich wird, dass die bP, offenbar infolge dieser Suggestion, einerseits versucht, einen Sachverhalt als ausreisekausal darzustellen, welcher die bereits beschriebenen Ungereimtheiten enthält und sie versucht, ihr Vorbringen zu steigern bzw. modifizieren, und so sichtlich versucht[,] die so die entstandenen Ungereimtheiten zu verschleiern."

Das Bundesverwaltungsgericht übt Willkür, wenn es wie hier davon ausgeht, der Versuch des Beschwerdeführers, Schwächen in der Begründung des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen und mit Hilfe von Sachverhaltserläuterungen richtig zu stellen, sei schon deswegen nicht geeignet, eine von der angefochtenen Entscheidung abweichende Beweiswürdigung zu begründen, weil ihm durch die Begründung des angefochtenen Bescheides oder gar durch eine (allgemeine) Rechtsbelehrung über die Voraussetzungen der Gewährung von internationalem Schutz "suggeriert" werde, was vorgebracht werden müsse, um einen für ihn positiven Verfahrensausgang zu bewirken. Diese Rechtsansicht intendiert, der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art130 Abs1 Z1 B-VG die Effektivität zu nehmen. Dem Bescheid der Erstbehörde suggestiven Charakter zuzuschreiben, macht es dem Beschwerdeführer unmöglich, Mängel in den Sachverhaltsfeststellungen der Erstbehörde und deren Beweiswürdigung anzugreifen. Im Übrigen ist der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes, einer (allgemeinen) Rechtsbelehrung mit Hilfe eines Merkblattes komme suggestive Wirkung zu, welche der Glaubwürdigkeit von Asylwerbern abträglich sei, entgegenzuhalten, dass solche Belehrungen in den §15 Abs4 und §17 Abs9 AsylG 2005 vorgesehen sind. Dem Gesetzgeber kann nicht unterstellt werden, die Glaubwürdigkeit von Asylwerbern bei entsprechendem Vorbringen deshalb in Frage zu stellen. Zwar führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, doch zieht es deren Ergebnisse in keiner Weise zur Begründung heran. Stattdessen stützt sich das Bundesverwaltungsgericht lediglich auf eine von ihm als unzulänglich erachtete und Suggestion unterstellende Würdigung des Verfahrensgeschehens vor der Behörde erster Instanz.

Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.

IV.              Ergebnis

Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Bescheidbegründung, Rechtsmittel, Verwaltungsgericht, Entscheidungsbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2015:E443.2014

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2015
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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