TE Vwgh Erkenntnis 2000/9/22 98/15/0141

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Veröffentlicht am 22.09.2000
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §20;
BAO §48;

Beachte

Besprechung in:ÖStZ 2001, S 622;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Sulyok, Dr. Fuchs und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde der N V, vertreten durch Dr. Robert Briem, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 17, gegen den Bescheid des Bundesminister für Finanzen vom 24. August 1998, N 107/2-IV/4/98, betreffend Ausnahmegenehmigung gemäß § 48 BAO u.a. hinsichtlich Umsatzsteuer 1988 bis 1991, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, so weit er sich auf Umsatzsteuer 1988 bis 1991 bezieht, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist ein in den Niederlanden ansässiger Reiseveranstalter. Mit Schreiben vom 6. September 1994 beantragte sie bei der belangten Behörde, gemäß § 48 BAO ihre in Österreich grundsätzlich der Umsatzsteuerpflicht unterliegenden Umsätze aus Reiseleistungen, die auch in den Niederlanden der Umsatzsteuerpflicht unterliegen, rückwirkend ab dem Jahr 1988 von der österreichischen Umsatzsteuerpflicht auszunehmen.

Mit Bescheid vom 16. Jänner 1995 gewährte die belangte Behörde die beantragte Steuerbefreiung für die Umsätze der Jahre 1992 bis einschließlich 1994. Das Mehrbegehren, diese Entlastungsmaßnahme auch für die Zeiträume 1988 bis einschließlich 1991 zu gewähren, wurde abgewiesen.

Mit Erkenntnis vom 29. Januar 1998, 95/15/0043, hob der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf, weil die belangte Behörde keine Feststellungen über die relevanten Regelungen des niederländischen Umsatzsteuerrechtes getroffen habe. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt, dass die "Abgabenhoheit mehrerer Staaten" sowie das "Erfordernis der Ausgleichung der in- und ausländischen Besteuerung oder der Erzielung einer den Grundsätzen der Gegenseitigkeit entsprechenden Behandlung" die Rechtsvoraussetzungen der Entsteuerung nach § 48 BAO darstellten. Daneben vermittelten sie durch die Formulierung der mit der Regelung verfolgten Ziele die Leitlinien für die Ausübung des durch die Vorschrift eingeräumten Ermessens. Die belangte Behörde habe in der Begründung des angefochtenen Bescheides nichts dargelegt, was die Ermessensausübung bei der Verweigerung einer Entsteuerungsmaßnahme unter dem Gesichtspunkt des Zieles der "Ausgleichung der in- und ausländischen Besteuerung" tragen könnte. Eine Entlastungsmaßnahme nach § 48 BAO unter dem Gesichtspunkt der "Erforderlichkeit zur Erzielung einer den Grundsätzen der Gegenseitigkeit entsprechenden Behandlung" setze keinen Notenaustausch oder ein entsprechendes Verhandlungsprotokoll voraus. Der erwähnten Anwendungsvoraussetzung sei die Herstellung der allgemeinen Gegenseitigkeit durch formelles Verfahren nicht immanent. Das Gesetz biete keinen Anhaltspunkt dafür, Gegenseitigkeit im Sinne des § 48 BAO nicht schon dann zu bejahen, wenn nach der Steuergesetzgebung des betreffenden Staates und der Praxis der dortigen Finanzverwaltung sichergestellt sei, dass im "umgekehrten" Fall keine Besteuerung erfolge. In dem Fall sei die belangte Behörde verpflichtet, eine an der Zielsetzung der "Erforderlichkeit zur Erzielung einer den Grundsätzen der Gegenseitigkeit entsprechenden Behandlung" orientierte Ermessensentscheidung zu treffen und die Ermessensausübung entsprechend zu begründen.

Die belangte Behörde erließ daraufhin den angefochtenen Bescheid, in dem sie die beantragte Steuerbefreiung wiederum für die Umsätze der Jahre 1992 bis einschließlich 1994 gewährte. Dem Mehrbegehren, diese Befreiung auch für die Zeiträume von 1988 bis einschließlich 1991 zu gewähren, wurde nicht stattgegeben. In der Begründung des angefochtenen Bescheides nimmt die belangte Behörde als Tatbestandselemente des § 48 BAO die Abgabenhoheit mehrerer Staaten, eine die Ausgleichung der in- und ausländischen Besteuerung erfordernde echte internationale Doppelbesteuerung sowie eine im Rahmen der Erzielung einer den Grundsätzen der Gegenseitigkeit entsprechende Behandlung vorausgesetzte Gegenseitigkeit im Verhältnis zu den Niederlanden als gegeben an. Auf Grund der Erfüllung dieser Tatbestandsmerkmale sei die Rechtsvoraussetzung des § 48 BAO erfüllt und liege die Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführerin im Ermessen des Bundesministers für Finanzen. Die Kriterien "zur Ausgleichung der in- und ausländischen Besteuerung" und "zur Erzielung einer den Grundsätzen der Gegenseitigkeit entsprechenden Behandlung" vermittelten die Leitlinien für die Ausübung des durch die Vorschrift eingeräumten Ermessens, das gemäß § 20 BAO innerhalb dieser Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen sei. Bei der Ermessensausübung sei die in dem Notenwechsel mit dem niederländischen Finanzministerium vom 5. Juni/10. August 1992 über die Befreiung niederländischer Reiseunternehmer von der österreichischen Umsatzsteuer getroffene Aussage, dass "alle Unternehmen gleichermaßen in die Lage versetzt werden sollen, zeitgerecht die erforderlichen Anträge zu stellen", entscheidend zu berücksichtigen, weil der Bundesminister für Finanzen damit zum Ausdruck gebracht habe, dass eine Rückwirkung zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen nicht in Betracht gezogen werde. Eine rückwirkende Befreiung über das Jahr 1992 hinaus wäre daher im Sinne des § 20 BAO weder billig im Hinblick auf die berechtigten Interessen der Partei noch zweckmäßig im Hinblick auf das öffentliche Anliegen an der Einbringung der Abgaben. Eine Unbilligkeit läge etwa in einer vor diesem Zeitpunkt erfolgten Antragstellung. Eine einzelfallbezogene Zweckmäßigkeit sei angesichts des Gebotes zur gleichmäßigen Behandlung aller Abgabepflichtigen (§ 114 BAO) ausgeschlossen. Die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Billigkeitsgesichtspunkte rechtfertigten jedenfalls keine rückwirkende Maßnahme. Die von ihr beantragte rückwirkende Steuerbefreiung wäre wettbewerbsverzerrend. So weit die Beschwerdeführerin auf den an einen anderen Abgabepflichtigen ergangenen positiven Bescheid für zurückliegende Zeiträume verweise, sei die Rechtmäßigkeit eines Bescheides nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes am Gesetz und nicht an der Behandlung anderer Abgabepflichtiger zu messen. Abgesehen davon gehe es in jenem Fall um das Verhältnis zu Deutschland, in dem seit 4. Dezember 1986 ein entsprechendes (konstitutives oder deklaratives) Gegenrechtsverhältnis bestehe. Da der Antrag der Beschwerdeführerin am 10. Januar 1994 in der belangten Behörde eingelangt sei und besondere Unbilligkeitsgründe nicht geltend gemacht worden seien, sei dem Antrag hinsichtlich der vor dem Jahr 1992 gelegenen Zeiträume nicht stattzugeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, so weit die Veranlagungszeiträume 1988 bis 1991 betroffen sind. Die Beschwerdeführerin behauptet eine Verletzung des Rechtes auf gesetzeskonforme Anwendung des § 63 Abs. 1 VwGG sowie des § 48 BAO dahingehend, dass in diesen Veranlagungszeiträumen erbrachte Umsätze von der österreichischen Umsatzsteuerpflicht ausgenommen werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Gemäß § 48 BAO kann das Bundesministerium für Finanzen bei Abgabepflichtigen, die der Abgabenhoheit mehrerer Staaten unterliegen, so weit dies zur Ausgleichung der in- und ausländischen Besteuerung oder zur Erzielung einer den Grundsätzen der Gegenseitigkeit entsprechenden Behandlung erforderlich ist, anordnen, bestimmte Gegenstände der Abgabenerhebung ganz oder teilweise aus der Abgabepflicht auszuscheiden oder ausländische, auf solche Gegenstände entfallende Abgaben ganz oder teilweise auf die inländischen Abgaben anzurechnen.

Gemäß § 20 BAO müssen sich Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen.

Die belangte Behörde hält im angefochtenen Bescheid die Rechtsvoraussetzungen des § 48 BAO als gegeben, und zwar sowohl das Erfordernis der Ausgleichung der in- und ausländischen Besteuerung als auch jenes der Erzielung einer den Grundsätzen der Gegenseitigkeit entsprechenden Behandlung. Ihre Ermessensentscheidung fällt aber - hinsichtlich des vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheidspruches - negativ aus. Diese Ermessensentscheidung stützt die belangte Behörde auf den - rechtlich nicht verbindlichen - Notenwechsel mit der niederländischen Regierung vom 5. Juni/10. August 1992 und führt hiezu aus, dass eine "Rückwirkung" auf Zeiträume vor 1992 zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen nicht in Betracht gezogen werde. Eine rückwirkende Steuerbefreiung wäre wettbewerbsverzerrend.

Zunächst sei darauf verwiesen, dass das Argument der Wettbewerbsverzerrung weder von der Beschwerdeführerin noch vom Verwaltungsgerichtshof auf seine Übereinstimmung mit den Tatsachen geprüft werden kann, weil keine nachprüfbaren Informationen darüber vorliegen, dass (und in welchem Ausmaß) konkrete Mitbewerber der Beschwerdeführerin eine doppelte Umsatzsteuerbelastung getragen haben. Die Ermessensbegründung hält somit der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht stand, weil es den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren nicht entspricht, wenn sich die Begründung auf nicht überprüfbare Umstände stützt.

Die Begründung des Ermessens lässt aber auch nicht erkennen, dass sich die Entscheidung innerhalb der vom Gesetz vorgegebenen Grenzen halten würde. Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis 95/15/0043 zum Ausdruck gebracht hat, sind die Kriterien der Ausgleichung der in- und ausländischen Besteuerung einerseits und der Erzielung einer den Grundsätzen der Gegenseitigkeit entsprechenden Behandlung andererseits Leitlinien für die Ausübung des durch § 48 BAO eingeräumten Ermessens. In welcher Weise ein Notenwechsel aus dem Jahr 1992, mit welchem die belangte Behörde Befreiungen von der Umsatzsteuer für niederländische Reiseunternehmen in Aussicht stellt, für vor dem Jahr 1992 liegende Zeiträume im Hinblick auf die genannten Kriterien (Ausgleichung einer mehrfachen Besteuerung bzw der Gegenseitigkeit entsprechende Behandlung) von Bedeutung sein könnte, ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar. Die Begründung des angefochtenen Bescheides legt sohin nicht dar, was die Ermessensübung bei der Verweigerung einer Entsteuerungsmaßnahme unter dem Gesichtspunkt der Ziele des § 48 BAO tragen könnte.

Der angefochtene Bescheid ist somit in seinem abweisenden Teil mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Er war daher insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 22. September 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1998150141.X00

Im RIS seit

18.01.2001

Zuletzt aktualisiert am

16.05.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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