RS Vfgh 2014/12/3 G156/2014

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 03.12.2014
beobachten
merken

Index

58/02 Energierecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
GaswirtschaftsG 2011 §5, §22, §105 Abs1 Z6, §159 Abs2 Z11

Leitsatz

Aufhebung einer Bestimmung des GaswirtschaftsG 2011 über die Verpflichtung von Speicherunternehmen zur Umsetzung der Projekte der genehmigten langfristigen Planung wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Rechtsstaatsprinzip mangels einer Möglichkeit zur Wahrnehmung der Parteirechte und zur Durchsetzung der Gesetzmäßigkeit der regulierungsbehördlichen Genehmigung; Ausschluss einer Parteistellung des Speicherunternehmens im Verfahren zur Genehmigung der langfristigen Planung im Hinblick auf überwiegende öffentliche Interessen im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers

Rechtssatz

Zulässigkeit des von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahrens auch hinsichtlich jener Bestimmungen in §105 Abs1 Z6 GWG 2011, die sich auf den Netzentwicklungsplan beziehen.

Die in §105 Abs1 Z6 GWG 2011 enthaltene Regelung der Verpflichtung der Speicherunternehmen zur Umsetzung der genehmigten Projekte der langfristigen Planung ist von derjenigen der entsprechenden Verpflichtung hinsichtlich des Netzentwicklungsplans inhaltlich nicht trennbar.

Der VfGH hat bei der Beurteilung der Speicherunternehmen aus §105 Abs1 Z6 GWG 2011 treffenden Umsetzungsverpflichtung im Lichte seiner Bedenken auch die aus §105 Abs1 Z6 GWG 2011 für Speicherunternehmen folgende Mitwirkungspflicht zu beurteilen und diese Bestimmungen insoweit anzuwenden.

Aufhebung der Wortfolge "und Projekte der genehmigten langfristigen Planung bzw des Netzentwicklungsplans, die von ihnen betriebenen Anlagen betreffen, umzusetzen" in §105 Abs1 Z6 GaswirtschaftsG 2011 - GWG 2011, BGBl I 107/2011.

§22 GWG 2011 liegt die Vorstellung eines Einparteienverfahrens zugrunde, dessen Ablauf der Verteilergebietsmanager bestimmt. Dabei ist das Verfahren zur Genehmigung der langfristigen Planung, wie sich aus den Genehmigungskriterien gem §22 Abs6 iVm Abs1 GWG 2011 ergibt, ausschließlich auf die Durchsetzung öffentlicher Interessen gerichtet.

§22 GWG 2011 räumt anderen Marktteilnehmern, insbesondere auch Netzbetreibern oder Speicherunternehmen, im Verfahren zur Genehmigung der langfristigen Planung keine subjektiven Rechte und damit keine Parteistellung ein. Diese sind nur zur Mitwirkung bei der Erstellung der langfristigen Planung insbesondere durch Zurverfügungstellen der erforderlichen Daten verpflichtet. Die Verpflichtung zur Mitwirkung wird für Netzbetreiber in §58 Abs1 Z15 GWG 2011 und für Speicherunternehmen in §105 Abs1 Z6 GWG 2011 - als jeweils wichtige, regelmäßig nach §22 GWG 2011 zur Mitwirkung heranzuziehende Marktteilnehmer - auch gesondert festgelegt.

Der Gesetzgeber knüpft in §105 Abs1 Z6 GWG 2011 an das Vorliegen einer regulierungsbehördlich nach §22 GWG 2011 genehmigten langfristigen Planung auch eine Verpflichtung des Speicherunternehmens, die Projekte in dieser genehmigten langfristigen Planung, die von ihnen betriebene Anlagen betreffen, umzusetzen. Wenn nun der Gesetzgeber angesichts dieses Regelungszusammenhangs §22 GWG 2011 ausschließlich als Genehmigungsverfahren mit dem Verteilergebietsmanager ausgestaltet und Speicherunternehmen (wie Verteilernetzbetreiber) auf eine Mitwirkung beschränkt, so bringt er zum Ausdruck, dass er im Verfahren nach §22 GWG 2011 ausschließlich die dort verankerten öffentlichen Interessen und nicht auch die individuellen rechtlichen Interessen des Speicherunternehmens berücksichtigt wissen, also diesem keine Parteistellung einräumen will. Dieser gesetzliche Ausschluss einer Parteistellung des Speicherunternehmens liegt, soweit es die insbesondere aus seiner Eigentumsposition an den Speicheranlagen folgenden rechtlichen Interessen anlangt, im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.

Die durch §105 Abs1 Z6 GWG 2011 angeordnete Verpflichtung für Speicherunternehmen, Projekte der genehmigten langfristigen Planung, die von ihnen betriebene Anlagen betreffen, umzusetzen, stellt eine Konkretisierung der Speicherunternehmen in §5 Abs2 GWG 2011 auferlegten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen dar. Angesichts der Bedeutung der mit der langfristigen Planung verfolgten öffentlichen Interessen, die vor dem Hintergrund der konkreten Marktstrukturen die dargestellten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen der Speicherunternehmen rechtfertigen, liegt es grundsätzlich im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, das Verfahren zur Erstellung und Genehmigung der langfristigen Planung und die damit einhergehende Konkretisierung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen der Speicherunternehmen so zu gestalten, dass dieses Verfahren nicht auf den Schutz individueller, insbesondere auch eigentumsrechtlicher Interessen der Speicherunternehmen gerichtet ist, sondern ausschließlich der Festlegung der öffentlichen Interessen dient. Der Gesetzgeber kann hier sachlich gerechtfertigt davon ausgehen, dass die so konkretisierten öffentlichen Interessen allfällige gegenläufige Individualinteressen des Speicherunternehmens überwiegen und die dementsprechend konkretisierten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen des Speicherunternehmens rechtfertigen, ohne dass es auf eine individuelle Beurteilung im Einzelfall ankommt.

Wenn nun aber der Gesetzgeber über eine in §159 Abs2 Z11 GWG 2011 auch verwaltungsstrafrechtlich sanktionierte Umsetzungsverpflichtung aus den durch die Regulierungsbehörde im Verfahren nach §22 GWG 2011 im Zusammenwirken mit dem Verteilergebietsmanager festgelegten Projekten der langfristigen Planung Folgen für die vom Speicherunternehmen betriebenen Anlagen - etwa hinsichtlich einer gebotenen Ertüchtigung dieser Anlagen im Hinblick auf Kapazitätsanforderungen an den Ein- und Ausspeisepunkten des Verteilernetzes zu Speicheranlagen gem §22 Abs1 Z1 litc GWG 2011 - ableitet, dann muss er dem Speicherunternehmen unter rechtsstaatlichen wie Sachlichkeitsgesichtspunkten die Möglichkeit eröffnen, die Gesetzmäßigkeit dieser langfristigen Planung und der damit verbundenen Festlegung der das Speicherunternehmen treffenden gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen zum Gegenstand letztlich gerichtlicher Kontrolle machen zu können. Es geht nicht an, dass das Gesetz die Regulierungsbehörde in einem Planungsverfahren mit einem Dritten dazu bestimmt, konkrete Projekte im öffentlichen Interesse zu genehmigen, zu deren Umsetzung das Gesetz das Speicherunternehmen strafbewehrt mitverpflichtet, ohne einen Weg zur Durchsetzung der Gesetzmäßigkeit dieser Verpflichtung zu eröffnen.

Ein solcher Weg steht dem Speicherunternehmen aber nach dem Regelungssystem des GWG 2011 nicht zur Verfügung (keine Parteistellung im Verfahren gemäß §22 GWG 2011; auch Verfahren zur Genehmigung der Errichtung oder Änderung einer Verteilerleitungsanlage keine Grundlage; Projekte und sich daraus ergebende Anpassungen an den Speicheranlagen im Verfahren über den Netzzugang bzw bei Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die aus diesem Verhältnis folgenden Verpflichtungen vorgegeben und kein Gegenstand der vertraglichen Disposition).

Da der Gesetzgeber im GWG 2011 dem Speicherunternehmen keine Möglichkeit einräumt, in Bezug auf die Gesetzmäßigkeit der Genehmigung der (Projekte der) langfristigen Planung, zu deren Umsetzung §105 Abs1 Z6 GWG 2011 das Speicherunternehmen aber, soweit dessen Anlagen betroffen sind, verpflichtet, Parteirechte wahrzunehmen und damit die Gesetzmäßigkeit der Genehmigung gerichtlicher Kontrolle zu unterwerfen, trifft die damit bewirkte Verfassungswidrigkeit die Anordnung der Umsetzungspflicht in §105 Abs1 Z6 GWG 2011 selbst.

Ohne diese Umsetzungsverpflichtungen begegnet die in §105 Abs1 Z6 GWG 2011 geregelte Mitwirkungsverpflichtung in ihrer konkreten Ausgestaltung keinen Bedenken. Der verbleibende Teil der Bestimmung erfährt auch keine wesentliche Veränderung seiner Bedeutung. Daher Ausspruch, dass §105 Abs1 Z6 GWG 2011 im übrigen Umfang nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird.

(Anlassfall B1503/2013, E v 03.12.2014, Abweisung der Beschwerde).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Energierecht, Gasrecht, Parteistellung, Rechtsstaatsprinzip, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:G156.2014

Zuletzt aktualisiert am

16.03.2016
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten