TE Vwgh Erkenntnis 2014/12/17 2013/10/0103

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.12.2014
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
82/04 Apotheken Arzneimittel;
82/05 Lebensmittelrecht;

Norm

AMG 1983 §76c;
AMG 1983 §77 idF 2012/I/110;
AMG 1983 §77;
AMG 1983 §78 Abs3 idF 2012/I/110;
AMG 1983 §78 idF 2012/I/110;
AMG 1983 §78a idF 2012/I/110;
AMG 1983 §78a;
AMG 1983 §8 Abs1 Z2;
AVG §18 Abs4;
AVG §56;
AVG §62 Abs4;
GESG 2002 §6a Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der N in Wien, vertreten durch Dr. Adrian Hollaender, Rechtsanwalt in 1190 Wien, Aslangasse 8/2/4, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen vom 15. März 2013, betreffend Beschlagnahme und Auftrag zur Vernichtung von Arzneimitteln, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit damit die Vernichtung der beschlagnahmten Arzneimittel angeordnet wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Im übrigen Umfang (Anordnung der Beschlagnahme) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid hat das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen gegenüber der beschwerdeführenden Partei die Beschlagnahme der durch die Kriminalpolizei sichergestellten 161.731 Ampullen der Arzneispezialität "Ukrain" verfügt und der beschwerdeführenden Partei aufgetragen, die beschlagnahmten Ampullen binnen vier Wochen unter Aufsicht eines Organs der belangten Behörde der Vernichtung zuzuführen.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die gegenständlichen Ampullen seien bei einer kriminalpolizeilichen Hausdurchsuchung auf Grund des Verdachts des schweren gewerbsmäßigen Betruges an den Wohnsitzen der beschwerdeführenden Partei beschlagnahmt und anschließend in den Räumlichkeiten der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit eingelagert worden. In weiterer Folge sei der belangten Behörde mit Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 13. Dezember 2012 mitgeteilt worden, dass die Sicherstellung der beschlagnahmten Arzneimittel-Bestände aufgehoben werde.

Die belangte Behörde habe diesen Sachverhalt einer arzneimittelrechtlichen Überprüfung unterzogen. Da es sich bei "Ukrain" zweifellos um eine zulassungspflichtige Arzneispezialität im Sinn von § 1 Abs. 5 Arzneimittelgesetz - AMG, BGBl. Nr. 185/1983, handle, dürfe diese grundsätzlich nur unter Einhaltung der Zulassungsbestimmungen des AMG abgegeben bzw. für die Abgabe im Inland bereitgehalten werden. Anträge auf Zulassung der Arzneispezialität "Ukrain" seien jedoch sowohl vom Bundesministerium für Gesundheit als auch von der Europäischen Kommission abgelehnt worden. Die beschwerdeführende Partei habe sich im Rahmen des ihr eingeräumten Parteiengehörs darauf berufen, die Arzneispezialität "Ukrain" nur auf Grund der Ausnahmebestimmung des § 8 Abs. 1 Z. 2 AMG in Verkehr zu bringen. Nach dieser Bestimmung bedürften Arzneimittel keiner Zulassung, wenn von bestimmten Ärzten die Erforderlichkeit zur Abwendung einer Lebensbedrohung oder schweren gesundheitlichen Schädigung bestätigt werde. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 28. Februar 1992, Zl. 92/10/0017) erfordere eine derartige Bescheinigung eine konkrete einzelfallbezogene Überprüfung durch den Arzt. Die bloße Verordnung einer nicht zugelassenen Arzneispezialität genüge nicht.

Überdies normiere diese Bestimmung lediglich eine Ausnahme vom Grundsatz, dass nur zugelassene Arzneispezialitäten angewendet werden dürften. Alle sonstigen Bestimmungen des AMG blieben davon unberührt.

Die Abgabe von Arzneimitteln an Patienten unterliege grundsätzlich dem Apothekenvorbehalt. Eine Abgabe von "Ukrain" durch Apotheken sei jedoch nicht zulässig. Überdies verfüge die beschwerdeführende Partei über keine Bewilligung zur Herstellung und Inverkehrbringung von Arzneimitteln gemäß § 63 AMG. Vielmehr sei ihr mit Bescheid der belangten Behörde vom 6. August 2009 die Herstellung und Inverkehrbringung von Arzneimitteln ausdrücklich untersagt worden. Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde sei vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 24. Oktober 2011, Zl. 2009/10/0217, abgewiesen worden.

Die gegenständlichen Ampullen der Arzneispezialität "Ukrain" seien sowohl nach den Informationen auf der Primärverpackung und der Außenverpackung als auch nach der beigegebenen Fachinformation von der beschwerdeführenden Partei hergestellt worden.

Der Argumentation der beschwerdeführenden Partei, sie sei auf Grund einer gewerberechtlichen Konzession zur Herstellung von "Ukrain" berechtigt, sei entgegen zu halten, dass für die Herstellung einer Arzneispezialität sowohl eine gewerberechtliche als auch eine arzneimittelrechtliche Bewilligung erforderlich sei.

Bei allen gegenständlichen Ampullen der Arzneispezialität "Ukrain" sei das Verfalldatum überschritten. Daher sei gemäß § 4 Abs. 3 Z. 2 AMG ein Inverkehrbringen dieser Ampullen verboten. Die beschwerdeführende Partei habe im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung angegeben, bereits "abgelaufene" Ampullen umetikettiert zu haben, um diese zum Zweck des Verkaufs mit einem gültigen Verfalldatum zu versehen. Beim überwiegenden Teil der gegenständlichen Ampullen sei das Verfalldatum überschritten; bei den wenigen Ampullen, die ein noch gültiges Verfalldatum aufwiesen, handle es sich um die bereits "abgelaufenen", die umetikettiert worden seien. Weiters gehe aus den Angaben der beschwerdeführenden Partei hervor, dass die umetikettierten Ampullen bereits an Dritte abgegeben worden seien.

Auf Grund der mit Bescheid ausgesprochenen Untersagung der Inverkehrbringung von Arzneimitteln sei es der beschwerdeführenden Partei verboten, die Arzneispezialität "Ukrain" zum Verkauf oder zur sonstigen Abgabe vorrätig zu halten, diese feilzubieten oder an andere abzugeben. Die beschwerdeführende Partei habe jedoch entgegen diesem Verbot Ampullen der gegenständlichen Arzneispezialität an Dritte abgegeben bzw. zur Abgabe an Dritte bereitgehalten. Dies ergebe sich einerseits aus den Aussagen der beschwerdeführenden Partei im Strafverfahren sowie der Darstellung auf der Website und andererseits daraus, dass mehrfach von der beschwerdeführenden Partei versendete Pakete mit der Arzneispezialität "Ukrain" vom Zoll aufgegriffen worden seien.

Auf der Website der beschwerdeführenden Partei werde u. a. Folgendes ausgeführt:

"Ich war gezwungen, die gegenständlichen Packungen zu aktivieren, zumal durch die ebenfalls vorausgegangene rechtswidrige 'vorläufige Beschlagnahme' der 5.466 Ampullen keine Ampullen mit offenem Ablaufdatum mehr vorhanden waren und ich Nothilfe für jene zu leisten und vorbereiten hatte, die zur Abwehr schwerer gesundheitlicher Schäden bzw. Behandlung von Krebs dringend auf die Verabreichung von UKRAIN angewiesen sind.

...

Es sind mit den abgelaufenen Ampullen auch bereits

Heilungserfolge erzielt worden.

...

Im Übrigen sind die Ampullen mein Eigentum und benötige ich diese auch für meinen und meiner Familie Eigenbedarf und für Freunde und Bekannte, die seit Jahren Ukrain zu ihrem gesundheitlichen Wohle frei von Nebenwirkungen konsumieren."

Auf Grund dieser Aussagen der beschwerdeführenden Partei und des Umstandes, dass sie wiederholt rechtswidrig die Arzneispezialität "Ukrain" in Verkehr gebracht habe, sei zu erwarten, dass die beschwerdeführende Partei die Ampullen, wenn sie ihr wieder ausgefolgt würden, in Verkehr bringen bzw. an Dritte abgeben werde.

Gemäß § 77 AMG sei die belangte Behörde verpflichtet, Maßnahmen zur Hinderung oder Beschränkung der Inverkehrbringung zu verfügen, wenn sie davon Kenntnis erlange, dass ein Arzneimittel dem AMG oder einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnung oder einem Verwaltungsakt nicht entspreche. Wie ausgeführt entspreche "Ukrain" in mehrfacher Hinsicht nicht den arzneimittelrechtlichen Vorschriften. Bei den Verbrauchern von "Ukrain" handle es sich zum Großteil um sachunkundige Personen, die eines besonderen Schutzes vor Täuschung, Irreführung, Übervorteilung und damit verbunden vor potenziellen Gesundheitsschädigungen bedürften. Daher seien die angeordneten Maßnahmen erforderlich.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass im vorliegenden Fall gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG anzuwenden sind.

Die Beschwerde macht geltend, dass der angefochtene Bescheid "keine Aktenzahl und keinen erkennbaren Aussteller aufweist, weil drei Ausstelleralternativen aufscheinen".

Dazu ist auszuführen, dass das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (die belangte Behörde) nach § 6a Abs. 4 Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz, BGBl. I Nr. 63/2002, aus drei Mitgliedern besteht. Nach § 12 der Geschäftsordnung des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen vom 10. September 2008 haben Bescheide dieser Behörde die Namen der Mitglieder, die an der Abstimmung teilgenommen haben, zu nennen. Schon von daher ist die Nennung der drei Mitglieder der belangten Behörde in der Fertigungsklausel des angefochtenen Bescheides nicht rechtswidrig (vgl. auch Hengstschläger/Leeb, AVG2, Rz 21 zu § 18).

Bei der Geschäftszahl handelt es sich nicht um ein für die Qualifizierung einer Erledigung als Bescheid wesentliches Merkmal. Das Fehlen der Geschäftszahl hat - ebenso wie die Nennung einer unzutreffenden Geschäftszahl (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. November 2007, Zl. 2004/06/0062) - keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides.

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes - AMG, BGBl. Nr. 185/1983 idF BGBl. I Nr. 48/2013, haben (auszugsweise) folgenden Wortlaut:

"§ 2. ...

...

(11) 'Inverkehrbringen' ist das Vorrätighalten, das Feilhalten oder die Abgabe von Arzneimitteln oder Wirkstoffen. Ein Inverkehrbringen liegt nicht vor, wenn durch geeignete Maßnahmen sichergestellt ist, dass ein Arzneimittel, das dem Gesetz nicht entspricht, nicht zum Verbraucher oder Anwender gelangt.

...

§ 4. ...

(3) Es ist verboten, Arzneimittel in Verkehr zu bringen,

1. deren Haltbarkeit nicht mehr gegeben ist,

...

§ 8. (1) Arzneispezialitäten bedürfen keiner Zulassung, wenn

...

2. ein zur selbständigen Berufsausübung im Inland berechtigter Arzt, Zahnarzt oder Tierarzt bescheinigt, dass die Arzneispezialität zur Abwehr einer Lebensbedrohung oder schweren gesundheitlichen Schädigung dringend benötigt wird und dieser Erfolg mit einer zugelassenen und verfügbaren Arzneispezialität nach dem Stand der Wissenschaft voraussichtlich nicht erzielt werden kann, oder

...

Bewilligung

§ 63. (1) In Betrieben im Sinne des § 62 Abs. 1 dürfen das Herstellen, das Inverkehrbringen und die Kontrolle von Arzneimitteln oder von Arzneimitteln und Wirkstoffen erst auf Grund einer Bewilligung des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen aufgenommen werden.

...

Probennahme

§ 76. (1) Arzneimittel sind von Organen des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen, durch Organe des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen oder von diesen beauftragten Sachverständigen zu kontrollieren.

...

§ 76c. (1) Vor Verwertung der für verfallen erklärten Waren hat die Behörde dem Beschuldigten und der durch den Verfall betroffenen Person Gelegenheit zur Äußerung zu geben.

(2) Die verfallenen Waren sind nutzbringend zu verwerten. Die verfallene Ware ist auf Kosten des Beschuldigten oder der vom Verfall betroffenen Person zu vernichten, wenn eine nutzbringende Verwertung nicht möglich ist oder die Verwertung der Ware nicht erwarten lässt, dass der erzielbare Erlös die Verwertungskosten übersteigen wird. Die Vernichtung der verfallenen Waren ist durch den Beschuldigten oder durch die vom Verfall betroffene Person auf ihre Kosten unter Aufsicht eines Aufsichtsorgans zulässig.

(3) Der Erlös der Verwertung ist nach Abzug der damit verbundenen Auslagen und der allfälligen uneinbringlichen Kosten des Strafverfahrens sowie auf der Sache allenfalls lastenden öffentlichen Verbindlichkeiten an den Bund abzuführen.

Überwachungs- und Schutzmaßnahmen

§ 77. Wird bei einer Kontrolle gemäß § 76 festgestellt oder erhält das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen sonst davon Kenntnis, dass ein Arzneimittel oder Wirkstoff diesem Bundesgesetz oder auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen oder sonstiger Verwaltungsakte nicht entspricht, hat das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen Maßnahmen zu verfügen, die das Inverkehrbringen hindern oder beschränken. Gegebenenfalls ist § 76b Abs. 10 anzuwenden.

§ 78. (1) Kommen dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen Tatsachen zur Kenntnis, auf Grund derer zu besorgen ist, dass ein im Verkehr befindliches Arzneimittel oder Wirkstoff eine Gefährdung von Leben oder Gesundheit von Mensch oder Tier darstellt, hat das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen entsprechend dem Ausmaß der Gefährdung alle notwendigen Maßnahmen zu verfügen, die das Inverkehrbringen des Arzneimittels oder Wirkstoffs oder die Anwendung des Arzneimittels hindern oder beschränken.

(2) Bei Gefahr im Verzug durch ein Arzneimittel oder einen Wirkstoff können Maßnahmen gemäß Abs. 1

1.

auch ohne vorausgegangenes Verfahren oder

2.

vor Erlassen eines Bescheides getroffen werden.

Im Fall der Z 2 ist jedoch innerhalb von zwei Wochen vom Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen ein schriftlicher Bescheid zu erlassen, widrigenfalls die getroffene Maßnahme als aufgehoben gilt.

(3) Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen hat das von ihm beschlagnahmte Arzneimittel oder den beschlagnahmten Wirkstoff als Sicherungsmaßnahme für verfallen zu erklären, wenn von ihm eine ernstliche und erhebliche Gefährdung von Mensch oder Tier ausgeht und der Verfügungsberechtigte nicht gewährleistet, dass das Arzneimittel oder der Wirkstoff nach dessen Freigabe nicht in Verkehr gebracht wird.

Vorläufige Beschlagnahme

§ 78a. Organe des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen haben unter Bedachtnahme auf die Schutzziele dieses Bundesgesetzes Arzneimittel oder Wirkstoffe vorläufig zu beschlagnahmen, wenn der begründete Verdacht besteht, dass diese

1. entgegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes oder darauf beruhender Verordnungen oder sonstiger Verwaltungsakte in Verkehr gebracht werden und

2. eine Gefährdung für das Leben oder die Gesundheit von Mensch oder Tier darstellen.

Die Regelungen des § 76b über die vorläufige Beschlagnahme durch Aufsichtsorgane und über Maßnahmen der Bezirksverwaltungsbehörden im verwaltungsbehördlichen Strafverfahren sowie § 76c sind anzuwenden. Für die zwangsweise Durchsetzung einer vorläufigen Beschlagnahme ist § 78b anzuwenden.

§ 78b. Weigert sich der Geschäfts- oder Betriebsinhaber oder sein Bevollmächtigter, die nach diesem Bundesgesetz vorgesehenen Überwachungs- oder Schutzmaßnahmen zu dulden, können diese erzwungen werden.

..."

Die beschwerdeführende Partei bestreitet nicht, die beschlagnahmten Ampullen der Arzneispezialität "Ukrain" hergestellt zu haben. Weiters bestreitet sie nicht, über keine Bewilligung gemäß § 63 Abs. 1 AMG für die Herstellung und Inverkehrbringung von Arzneimitteln zu verfügen. Auch stellt sie nicht in Abrede, dass ihr die Herstellung und die Inverkehrbringung von Arzneimitteln mit Bescheid vom 6. August 2009 ausdrücklich untersagt worden sind. Sie bringt jedoch vor, über ein (gewerberechtliches) Konzessionsdekret und ein Patent für die Herstellung von "Ukrain" zu verfügen.

Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Meinung können diese behaupteten Berechtigungen weder die Bewilligung gemäß § 63 Abs. 1 AMG ersetzen noch zur Unwirksamkeit des Untersagungsbescheides führen.

Die belangte Behörde hat ihre Feststellungen, wonach das Verfalldatum überschritten sei und die beschwerdeführende Partei die Absicht habe, die beschlagnahmten Ampullen im Fall der Ausfolgung in Verkehr zu bringen, auf die im angefochtenen Bescheid genannten Beweisergebnisse gestützt. Insbesondere hat sie darauf verwiesen, dass die beschwerdeführende Partei auf ihrer Website selbst ausführt, auf Grund einer (früheren) Beschlagnahme über keine Ampullen mit "offenem Ablaufdatum" mehr verfügt und daher eine "Umetikettierung" vorgenommen zu haben, um die Ampullen - u.a. durch Abgabe an Personen, die auf dieses Medikament angewiesen seien bzw. an Freunde und Bekannte - in Verkehr zu bringen. Weiters hat sich die belangte Behörde dazu auf den - unstrittig feststehenden - Umstand gestützt, dass vom Zoll mehrfach von der beschwerdeführenden Partei aufgegebene Sendungen mit der Arzneispezialität "Ukrain" aufgegriffen worden seien. Die bloße Behauptung, dass das Verfalldatum nicht überschritten sei und keine Absicht bestehe, die Arzneispezialität in Verkehr zu bringen, ist nicht geeignet, eine Unschlüssigkeit der behördlichen Beweiswürdigung aufzuzeigen.

In diesem Zusammenhang sei zum auf § 8 Abs. 1 Z. 2 AMG gestützten Beschwerdevorbringen ausgeführt, dass unter den Voraussetzungen dieser Ausnahmebestimmung zwar Arzneispezialitäten keiner Zulassung bedürfen, jedoch die Abgabe von Arzneispezialitäten, deren Verfalldatum überschritten ist, auch nach dieser Bestimmung nicht zulässig ist.

Die belangte Behörde ist daher zu Recht zum Ergebnis gekommen, dass die beschlagnahmten Ampullen der Arzneispezialität "Ukrain" dem AMG nicht entsprechen und bei Ausfolgung an die beschwerdeführende Partei die Gefahr bestünde, dass diese Arzneispezialität in Verkehr gebracht, also nach der Definition des § 2 Abs. 11 AMG vorrätig gehalten, feilgehalten oder abgegeben werde.

In einem solchen Fall hat die belangte Behörde gemäß § 77 AMG "Maßnahmen zu verfügen, die das Inverkehrbringen hindern oder beschränken". Bei der mit dem angefochtenen Bescheid verfügten Beschlagnahme handelt es sich um eine solche die Inverkehrbringung hindernde Maßnahme.

Aus all diesen Gründen war die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Beschlagnahme der 161.731 Ampullen der Arzneispezialität "Ukrain" richtet, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die beschwerdeführende Partei macht auch geltend, dass § 77 AMG die belangte Behörde nicht zur Anordnung der Vernichtung der beschlagnahmten Arzneispezialität berechtige.

Die Materialien zur AMG-Novelle BGBl. I Nr. 110/2012 (RV 1898 BlgNR 24. GP) führen zu den §§ 77 bis 78a AMG (auszugsweise) Folgendes aus:

"Die bisherige Vollzugserfahrung hat gezeigt, dass im Zusammenhang mit den geltenden Regelungen der §§ 77 und 78 AMG betreffend Schutzmaßnahmen rechtliche Klarstellungen hinsichtlich der Befugnisse des Bundesamtes zur Beschränkung des Inverkehrbringens von Arzneimitteln und Wirkstoffen erforderlich sind. Der überarbeitete § 77, der an die Kontrollen nach § 76 anknüpft, enthält nunmehr eine ausdrückliche Verpflichtung des Bundesamtes, durch Maßnahmen verschiedenster Art Beschränkungen des Inverkehrbringens von Arzneimitteln, die dem Arzneimittelgesetz, aber auch darauf beruhender Verordnungen oder sonstiger Verwaltungsakte nicht entsprechen, zu verfügen. Dies wird durch übliche Rechtsformen der Vollziehung erfolgen.

Dabei handelt es sich um eine Reihe von im Einzelfall zu setzenden differenzierten Maßnahmen gegen das Inverkehrbringen, wie etwa die Vorschreibung geeigneter Auflagen oder das Verbieten des Inverkehrbringens von beanstandenden Chargen bis zur Behebung festgestellter Mängel.

Erhält das Bundesamt davon Kenntnis (etwa durch Betriebsüberprüfungen, Vigilanzmeldungen, aber auch auf Grund sonstiger Wahrnehmungen), dass eine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Mensch oder Tier durch in Verkehr gebrachte Arzneimittel oder Wirkstoffe besteht, ist das Bundesamt nach § 78 Abs. 1 verpflichtet, entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit diejenigen Maßnahmen zu treffen, die zur Abwehr der jeweiligen Gefahr erforderlich sind.

...

Gemäß § 78 Abs. 3 wird der Verfall unter bestimmten Voraussetzungen subsidiär als Sicherungsmittel vorgesehen.

..."

Daraus ergibt sich, dass der Verfall von Arzneimitteln nicht bereits bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 77 AMG (Nichtentsprechung von arzneimittelrechtlichen Vorschriften) ausgesprochen werden darf, sondern nach der speziellen Bestimmung des § 78 Abs. 3 leg. cit. nur, wenn von einem Arzneimittel eine erhebliche Gefährdung von Mensch oder Tier ausgeht und der Verfügungsberechtigte nicht gewährleistet, dass das Arzneimittel oder der Wirkstoff nach dessen Freigabe nicht (weiter) in Verkehr gebracht wird.

§ 78a AMG, der (primär) die vorläufige Beschlagnahme von Arzneimitteln regelt, ordnet auch die Anwendung von

§ 76c leg. cit. auf für verfallen erklärte Arzneimittel - somit auch auf solche, die gemäß § 78 Abs. 3 AMG für verfallen erklärt wurden - an. Nach § 76c AMG sind für verfallen erklärte Waren in bestimmter Weise zu verwerten und, wenn dies nicht möglich oder unwirtschaftlich ist, zu vernichten, wobei die Vernichtung durch die vom Verfall betroffene Person auf ihre Kosten unter Aufsicht eines Aufsichtsorgans zulässig ist.

Somit ist die Anordnung der Vernichtung von Arzneimitteln nur zulässig, wenn diese - gemäß § 78 Abs. 3 AMG - für verfallen erklärt wurden und darüber hinaus eine Verwertung nicht möglich oder nicht wirtschaftlich ist. § 77 AMG bietet daher keine Grundlage für die Erlassung eines Auftrages zur Vernichtung von Arzneimitteln.

Die belangte Behörde hat in Verkennung dieser Rechtslage die Vernichtung von nicht für verfallen erklärten Arzneimitteln angeordnet, weshalb der angefochtene Bescheid insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 17. Dezember 2014

Schlagworte

FertigungsklauselBesondere RechtsgebieteAuslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Grundsätzliches zur Rechtmäßigkeit und zur RechtsverletzungsmöglichkeitRechtmäßigkeit behördlicher Erledigungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2014:2013100103.Y00

Im RIS seit

11.02.2015

Zuletzt aktualisiert am

02.10.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten