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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)Norm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Aufhebung von Bestimmungen des ABGB und des Gesetzes über die eingetragene Partnerschaft betreffend das Verbot der gemeinsamen Adoption durch eingetragene Partner; keine sachliche Rechtfertigung einer Differenzierung nach der sexuellen Orientierung und der Ungleichbehandlung eingetragener Partner gegenüber gleich- oder verschiedengeschlechtlichen Lebenspartnern bei der Stiefkindadoption; Ausschluss eingetragener Partner von der Möglichkeit der gemeinsamen Annahme eines Wahlkindes auch im Hinblick auf das Kindeswohl nicht gerechtfertigt; Zulässigkeit des Individualantrags der durch das Verbot unmittelbar und aktuell betroffenen eingetragenen PartnerinnenRechtssatz
Aufhebung des ersten Satzes des §191 Abs2 ABGB idF BGBl I 15/2013 sowie des §8 Abs4 Eingetragene Partnerschaft-Gesetz - EPG idF BGBl I 179/2013.
Unzulässigkeit des Individualantrags, soweit er sich gegen die Sätze 2 und 3 des §191 Abs2 ABGB richtet.
Die Antragstellerinnen hegen verfassungsrechtliche Bedenken gegen jene gesetzlichen Bestimmungen in §191 Abs2 ABGB, die ihnen als eingetragene Partnerinnen die gemeinsame Annahme eines Wahlkindes verwehren, weil sie eine gemeinsame Adoption verheirateten Annehmenden vorbehalten. Dies ergibt sich ausschließlich aus §191 Abs2 Satz 1 ABGB. Es ist ausgeschlossen, dass die Antragstellerinnen durch den zweiten und dritten Satz des §191 Abs2 ABGB (Regelungen für Ehegatten) in ihrer Rechtssphäre betroffen sind.
Zulässigkeit des Individualantrags hins §191 Abs2 Satz 1 ABGB und §8 Abs4 EPG.
§191 Abs2 erster Satz ABGB und §8 Abs4 EPG verbieten eingetragenen Partnern die gemeinsame Annahme eines Wahlkindes an Kindesstatt.
Das in §8 Abs4 EPG auch enthaltene Verbot der Sukzessivadoption steht mit dem Verbot der gemeinsamen Adoption in einem untrennbaren Zusammenhang.
Die Antragstellerinnen sind eingetragene Partnerinnen und somit Normadressatinnen des in §191 Abs2 Satz 1 ABGB und §8 Abs4 EPG enthaltenen gesetzlichen Verbotes. Dieses ist nach Art und Ausmaß eindeutig bestimmt und greift somit unmittelbar in die Rechtssphäre der Antragstellerinnen ein. Das Verbot betrifft die Antragstellerinnen auch aktuell. Die Antragstellerinnen bringen vor, mit ihrer - von der Zweitantragstellerin geborenen und von der Erstantragstellerin an Kindesstatt angenommen - gemeinsamen Tochter im Familienverband zu leben und (auch im Interesse des gemeinsamen Kindes) gemeinsam ein weiteres Kind adoptieren zu wollen. Die Antragstellerinnen haben damit ausreichend dargetan, dass sie die ernsthafte Absicht haben, gemeinsam einen Adoptionsvertrag mit einem Wahlkind abzuschließen.
Den Antragstellerinnen steht auch kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung.
Die Adoption kommt durch schriftlichen Vertrag zwischen dem Annehmenden und dem Wahlkind und durch gerichtliche Bewilligung dieses Vertrages auf Antrag eines Vertragsteils zustande. Wenn (eine) adoptionswillige Person(en), wie im vorliegenden Fall die Antragstellerinnen, ein ihr (ihnen) vorher nicht bekanntes Kind an Kindesstatt annehmen möchte(n), der potentielle Partner des abzuschließenden Adoptionsvertrages somit noch nicht ausfindig gemacht ist, ist (sind) sie in Bezug auf die Suche nach einem Wahlkind im Inland auf die gemäß §31 Abs2 Bundes-Kinder- und JugendhilfeG 2013 iVm den Ausführungsbestimmungen in den Kinder- und Jugendhilfegesetzen der Länder (zB §36 ff Oö Kinder- und JugendhilfeG 2014) allein vom Kinder- und Jugendhilfeträger durchzuführende Adoptionsvermittlung angewiesen.
Ziel der Adoptionsvermittlung ist es, Kindern und Jugendlichen die am besten geeigneten Adoptiveltern oder Adoptivelternteile zu verschaffen.
Die Bestimmungen über die Prüfung der Eignung von Adoptivwerbern durch den Kinder- und Jugendhilfeträger sind im Lichte der vorrangigen Beachtung des Kindeswohls dahingehend zu verstehen, dass Personen, die die gesetzlichen Voraussetzungen zur Annahme an Kindesstatt von vorneherein nicht erfüllen (können), weil sie gesetzlich von der Adoption ausgeschlossen sind, vom Kinder- und Jugendhilfeträger ohne Durchführung einer individuellen Eignungsprüfung grundsätzlich nicht als geeignete Adoptiveltern angesehen werden dürfen. Die Vermittlung von Inlandsadoptionen erfolgt nach der Rechtsprechung des VwGH und des OGH im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung. Auf die Beantragung eines Feststellungsbescheides über ihre Eignung können die Antragstellerinnen daher nicht verwiesen werden.
Der Antrag ist auch nicht zu eng gefasst.
Die auf einen Mangel beim Abschluss des Adoptionsvertrages gerichtete Bestimmung des §200 Abs1 Z3 ABGB (rückwirkender Widerruf der gerichtlichen Bewilligung der Adoption) verlöre bei einer allfälligen Aufhebung der zulässigerweise angefochtenen Bestimmungen in Bezug auf eingetragene Partner von vorneherein ihren Anwendungsbereich.
Die Bestimmungen über die Auswirkungen der Adoption auf die rechtlichen Verhältnisse zwischen dem Wahlkind und seinen leiblichen Eltern (vgl §197 ABGB) stehen nicht in einem untrennbaren Zusammenhang mit den zulässigerweise angefochtenen Bestimmungen.
Auch die das Mindestalter des Wahlvaters bzw der Wahlmutter regelnde Bestimmung des §193 Abs2 ABGB steht einer gemeinsamen Adoption durch eingetragene Partner nicht entgegen, weil diese Altersregelung im Zusammenhang mit §193 Abs1 ABGB als eine für den jeweiligen Elternteil geltende zu verstehen ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte enthält die EMRK, insbesondere Art8 EMRK, kein Recht auf Adoption. Weil die bestehenden gesetzlichen Regelungen aber die Adoption durch Einzelpersonen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und die durch eine Adoption begründete gleichzeitige Elternschaft gleichgeschlechtlicher Partner gegenüber einem Kind bei der Stiefkindadoption zulassen, fallen auch bezüglich dieser Personen (und von ihnen zu adoptierender Kinder) die gesetzlichen Regelungen über die Adoption in den Anwendungsbereich des Art8 EMRK, womit sie den Anforderungen des Art14 EMRK entsprechen müssen.
Mit der angefochtenen Regelung, die eine gemeinsame Annahme an Kindesstatt nur für Ehegatten zulässt und eingetragene Partner als gemeinsame Adoptiveltern von vorneherein ausschließt, differenziert der Gesetzgeber für die Möglichkeit der gemeinsamen Annahme an Kindesstatt nach dem Merkmal der sexuellen Orientierung. Des weiteren schafft der Gesetzgeber damit eine Ungleichbehandlung zwischen eingetragenen Partnern als annehmende Vertragsteile eines Adoptionsvertrages und eingetragenen Partnern oder (gleich- oder verschiedengeschlechtlichen) Lebenspartnern im Fall der Stiefkindadoption. Während das angefochtene Verbot eine gemeinsame Adoptivelternschaft eingetragener Partner auch dann ausschließt, wenn beide ein Kind in Pflege haben oder ein Partner das Kind bereits adoptiert hat, ermöglicht das Gesetz bei der Stiefkindadoption durch Hinzutreten der vertraglichen Adoptionsbeziehung zum selben Kind die gleichzeitige rechtliche Elternschaft des leiblichen und des Adoptivelternteils.
Eine sachliche Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlungen ist - insbesondere aus dem auch im Lichte des Art1 des BVG über die Rechte von Kindern gebotenen Blickwinkel des Wohles des Kindes - nicht gegeben. Weder nach Art8 iVm Art14 EMRK noch nach Art7 Abs1 B-VG ist es sachlich gerechtfertigt, eingetragene Partner grundsätzlich als gemeinsame Vertragspartner eines Adoptionsvertrages auszuschließen.
Das Kindeswohl vermag den grundsätzlichen Ausschluss eingetragener Partner von der Möglichkeit der gemeinsamen Annahme eines Wahlkindes nicht zu rechtfertigen, ja es steht mit diesem Ausschluss in bestimmter Hinsicht geradezu in einer Spannungslage.
Grundsätzliche Bedenken, dass es dem Kindeswohl schlechthin abträglich sei, wenn es mit gleichgeschlechtlichen Eltern aufwächst, sind angesichts der bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen von vorneherein ungeeignet, die angefochtene Regelung zu rechtfertigen.
Unter Beachtung der gesetzlichen Ausgestaltung der eingetragenen Partnerschaft, die ähnlich wie die Ehe auf die Institutionalisierung einer auf Dauer angelegten stabilen Beziehung zweier Menschen abzielt, ist es auch zur Wahrung des Kindeswohls im Hinblick auf eine vorhandene Stabilität der Beziehung der Wahleltern zueinander nicht notwendig und damit sachlich nicht gerechtfertigt, eingetragenen Partnern die Begründung der gemeinsamen rechtlichen Elternschaft nur insofern zu erlauben, als ein Partner das leibliche Kind des anderen Partners adoptiert, die eingetragenen Partner aber sonst von der gemeinsamen Elternschaft für ein Wahlkind - auch das Wahlkind des Partners - von vorneherein auszuschließen.
Die angefochtenen Bestimmungen können auch nicht mit dem Schutz der Ehe oder der traditionellen Familie gerechtfertigt werden, stehen eingetragene Partnerschaften doch gesellschaftlich gesehen nicht in einem Substitutionsverhältnis zu Ehen und vermag die gemeinsame Annahme eines Wahlkindes durch im Einzelfall geeignete eingetragene Partner die Ehe nicht zu gefährden.
Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstellen (31.12.2015).
Ungeachtet des Umstandes, dass sich die Bundesregierung am vorliegenden Verfahren nicht beteiligt hat, ist davon auszugehen, dass die Aufhebung weitere Maßnahmen des Gesetzgebers erfordert, dem durch die Fristsetzung die erforderliche Zeit eingeräumt werden soll.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Zivilrecht, Adoption, Lebensgemeinschaft, Homosexualität, Ehe und Verwandtschaft, Kinder, Privat- und Familienleben, VfGH / Individualantrag, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / FristsetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:G119.2014Zuletzt aktualisiert am
17.03.2016