TE Vwgh Erkenntnis 2014/11/5 2012/10/0005

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Veröffentlicht am 05.11.2014
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
74/01 Kirchen Religionsgemeinschaften;

Norm

RRBG 1998 §4 Abs1 Z2;
RRBG 1998 §5 Abs1 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl, die Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der Föderation der Aleviten Gemeinden in Österreich in Wien, vertreten durch Schwartz Huber-Medek & Partner Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Stubenring 2, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur vom 16. Dezember 2010, Zl. BMUKK-12.056/0006-KA/2010, betreffend Erwerb der Rechtspersönlichkeit für eine religiöse Bekenntnisgemeinschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf Erwerb der Rechtspersönlichkeit als religiöse Bekenntnisgemeinschaft der beschwerdeführenden Partei ab. Begründend führte die Behörde nach Darstellung des Verfahrensganges im Wesentlichen aus, dass über Antrag eines sich von der beschwerdeführenden Partei unterscheidenden Vereins mit Bescheid vom 16. Dezember 2010 der "Islamischen Alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich" der Erwerb der Rechtspersönlichkeit als religiöse Bekenntnisgemeinschaft zuerkannt worden sei. Dem sei ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom 1. Dezember 2010 in der Rechtssache B 1214/09 vorausgegangen, in welchem der VfGH klargestellt habe, dass in Österreich mehr als nur eine islamische Glaubensgemeinschaft bestehen könne, wobei entscheidend für den Bestand mehrerer Gemeinschaften der Unterschied in der Lehre sei.

Der angefochtene Bescheid fußt nun - zusammenfassend - auf der Auffassung, dass die von der beschwerdeführenden Partei mit den Statuten vorgelegte Lehre sich von jener der registrierten Bekenntnisgemeinschaft der "Islamischen Alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich" nicht unterscheide und der behauptete Unterschied auch nicht in der Stellung zum Islam, im Glaubensleben und im Auftreten nach außen gegeben sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 28. November 2011, B 194/11, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In ihrer Beschwerdeergänzung macht die beschwerdeführende Partei die Verletzung in einfachgesetzlich gewährleisteten Rechten geltend und begehrt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass gemäß dem letzten Satz des § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren - soweit (wie für den vorliegenden "Altfall") durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist - die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften (BekGG), BGBl. I Nr. 19/1998 idF BGBl. I Nr. 84/2010, lauten auszugsweise wie folgt:

"Begriff der religiösen Bekenntnisgemeinschaft

§ 1. Religiöse Bekenntnisgemeinschaften im Sinne dieses Bundesgesetzes sind Vereinigungen von Anhängern einer Religion, die gesetzlich nicht anerkannt sind.

Erwerb der Rechtspersönlichkeit für eine religiöse Bekenntnisgemeinschaft

§ 2. (1) Religiöse Bekenntnisgemeinschaften erwerben die Rechtspersönlichkeit nach diesem Bundesgesetz durch Antrag beim Bundesminister für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten nach Ablauf einer Frist von sechs Monaten nach dem Einlangen dieses Antrages, wenn nicht innerhalb dieser Frist ein Bescheid über die Versagung der Rechtspersönlichkeit (§ 5) zugestellt worden ist.

(2) Der Bundesminister für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten hat das Einlangen von Anträgen gemäß Abs. 1 im 'Amtsblatt zur Wiener Zeitung' kundzumachen.

(3) Über den Erwerb der Rechtspersönlichkeit ist ein Feststellungsbescheid zu erlassen, der den Namen der religiösen Bekenntnisgemeinschaft sowie die nach außen vertretungsbefugten Organe in allgemeiner Bezeichnung zu enthalten hat.

(4) Mit dem Feststellungsbescheid nach Abs. 3 hat der Bundesminister für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten die Auflösung jener Vereine zu verbinden, deren Zweck in der Verbreitung der Religionslehre der betreffenden religiösen Bekenntnisgemeinschaft besteht.

(5) Wird eine religiöse Bekenntnisgemeinschaft unter Auflösung eines Vereines, der der Unterstützung des betreffenden religiösen Bekenntnisses dient, neu gebildet, so ist abgabenrechtlich von einem bloßen Wechsel der Rechtsform und weiterem Fortbestehen ein und desselben Steuerpflichtigen (Rechtsträgers) auszugehen.

(6) Religiöse Bekenntnisgemeinschaften mit Rechtspersönlichkeit nach diesem Bundesgesetz haben das Recht, sich als 'staatlich eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft' zu bezeichnen.

Antrag der religiösen Bekenntnisgemeinschaft auf Erwerb der Rechtspersönlichkeit

§ 3. (1) Der Antrag der religiösen Bekenntnisgemeinschaft auf Erwerb der Rechtspersönlichkeit hat durch die Vertretung der religiösen Bekenntnisgemeinschaft zu erfolgen. Die Vertretungsbefugnis ist glaubhaft zu machen. Ferner ist eine Zustelladresse anzugeben.

(2) Dem Antrag sind Statuten und ergänzende Unterlagen beizulegen, aus denen sich Inhalt und Praxis des Religionsbekenntnisses ergeben.

(3) Zusammen mit dem Antrag ist der Nachweis zu erbringen, daß der religiösen Bekenntnisgemeinschaft mindestens 300 Personen mit Wohnsitz in Österreich angehören, welche weder einer religiösen Bekenntnisgemeinschaft mit Rechtspersönlichkeit nach diesem Bundesgesetz noch einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft angehören.

(4) Im Bundesgebiet bestehende Vereine, deren Zweck in der Verbreitung der Religionslehre der religiösen Bekenntnisgemeinschaft besteht, haben im Verfahren Parteistellung; sie sind mit dem Antrag namhaft zu machen.

Statuten

§ 4. (1) Die Statuten haben zu enthalten:

1. Name der religiösen Bekenntnisgemeinschaft, welcher so beschaffen sein muß, daß er mit der Lehre der religiösen Bekenntnisgemeinschaft in Zusammenhang gebracht werden kann und Verwechslungen mit bestehenden religiösen Bekenntnisgemeinschaften mit Rechtspersönlichkeit und gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften oder deren Einrichtungen ausschließt,

2. Darstellung der Religionslehre, welche sich von der Lehre bestehender religiöser Bekenntnisgemeinschaften nach diesem Bundesgesetz sowie von der Lehre gesetzlich anerkannter Kirchen und Religionsgesellschaften unterscheiden muß,

3. Darstellung der sich aus der Religionslehre ergebenden Zwecke und Ziele der religiösen Bekenntnisgemeinschaft sowie Rechte und Pflichten der Angehörigen der religiösen Bekenntnisgemeinschaft,

4. Bestimmungen betreffend den Beginn der Mitgliedschaft und die Beendigung der Mitgliedschaft, wobei die Beendigung jedenfalls gemäß § 8 Abs. 1 gewährleistet sein muß,

5. Art der Bestellung der Organe der religiösen Bekenntnisgemeinschaft, deren sachlicher und örtlicher Wirkungskreis, Sitz und Verantwortlichkeit für den staatlichen Bereich,

6.

Vertretung der religiösen Bekenntnisgemeinschaft nach außen,

7.

Art der Aufbringung der für die Erfüllung der wirtschaftlichen Bedürfnisse erforderlichen Mittel,

              8.              Bestimmungen für den Fall der Beendigung der Rechtspersönlichkeit, wobei insbesondere sicherzustellen ist, daß Forderungen gegen die religiöse Bekenntnisgemeinschaft ordnungsgemäß abgewickelt werden und das Vermögen der religiösen Bekenntnisgemeinschaft nicht für Zwecke verwendet wird, die ihrer Zielsetzung widersprechen.

...

Versagung des Erwerbs der Rechtspersönlichkeit

§ 5. (1) Der Bundesminister für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten hat den Erwerb der Rechtspersönlichkeit zu versagen, wenn

1.

...

2.

die Statuten dem § 4 nicht entsprechen.

(2) Die Versagung der Rechtspersönlichkeit ist im 'Amtsblatt zur Wiener Zeitung' kundzumachen."

Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zugrunde, dass der gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 BekGG erforderliche Inhalt der Statuten, nämlich die Darstellung der Religionslehre, welche sich von der Lehre bestehender religiöser Bekenntnisgemeinschaften nach diesem Bundesgesetz unterscheiden muss, nicht vorliegt. Vielmehr sei die mit dem Antrag der beschwerdeführenden Partei mit den Statuten vorgelegte Lehre in weiten Teilen nicht nur gleichartig, sondern wortident mit jener der bereits registrierten Bekenntnisgemeinschaft der "Islamischen Alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich".

Zwar finde sich in § 2 Z 1 der von der beschwerdeführenden Partei vorgelegten Statuten ein Unterschied, wenn es hier laute:

"Das Alevitentum ist ein eigenständiger und synkretischer Glaube mit besonderen Bezügen zum Islam. In diesem Sinn geht der Ursprung des Alevitentums (auf) den von Mohammed und Ali begründeten Ur-Islam zurück."

Das Alevitentum von der registrierten Bekenntnisgemeinschaft werde demgegenüber wie folgt definiert:

"Das Alevitentum ist eine islamische Glaubensrichtung. Alevitentum bezeichnet die Islamauffassung, die im Rat der Vierzigen gereift, durch die Zwölf Imame weiterentwickelt wurde und das Kriterium des Verstandes von Imam Cafer-i Sadik zu seiner Richtschnur gemacht hat."

In den schriftlichen Quellen der alevitischen Lehre, im Gottesverständnis, dem Selbstverständnis bzw. den Eigenschaften eines Aleviten, im Glaubensbekenntnis, im Gottesdienst, in der Sichtweise der Geistlichen und Trägerfamilien und in den Feier- und Gedenktagen bestehe jedoch kein Unterschied. Insbesondere die Darstellung der Geistlichen, das Anerkenntnis von Haci Bektas Veli und des Vorstehers des Klosters als geistiges Oberhaupt zeige, dass es sich um eine identische Lehre handle. Des Weiteren würden Vertreter der beschwerdeführenden Partei auch als Vertreter einer muslimischen Organisation an Veranstaltungen, beispielsweise im Rahmen eines vom Bundesministerium für Inneres veranstalteten "Islam.Menschen.Dialogs", als Experten teilnehmen.

Der von der beschwerdeführenden Partei behauptete Unterschied in der Lehre in der Stellung zum Islam und im Glaubensleben sei daher nicht gegeben. Wenn die beschwerdeführende Partei behaupte, sich nicht als Glaubensrichtung des Islam zu verstehen, sondern als eigenständiger synkretischer Glaube, so stünden dem die wiederholten Änderungen im Vorbringen, die Möglichkeit von Beifügungen zur Bezeichnung der einzelnen (regionalen) Religionsgemeinden, die auch eine Beifügung "islamische alevitische Gemeinde" zuließen, sowie das tatsächliche Verhalten von Vertretern der beschwerdeführenden Partei nach außen, entgegen. Die Behauptung des Unterschiedes in der Lehre sei lediglich zum Zweck der Erfüllung des Tatbestandes des § 4 Abs. 5 Z 1 BekGG aufgestellt worden und stehe eben im Widerspruch zu anderen Vorbringen und in den Statuten bestehenden Möglichkeiten sowie dem tatsächlichen Verhalten von Vertretern der beschwerdeführenden Partei, und liege daher nicht vor.

In ihrer ergänzten Beschwerde wendet die beschwerdeführende Partei dagegen ein, dass der Staat durch Art. 9 Abs. 1 EMRK bei der Prüfung einer Glaubenslehre zur Neutralität und Unparteilichkeit verpflichtet sei. Diesem Grundsatz werde vor dem Hintergrund des BekGG nur dann entsprochen, wenn bei der Prüfung des Gehaltes einer Religionslehre ausschließlich auf eine organisatorische Selbständigkeit und eine Namensführung Bedacht genommen werde, die sowohl dem religiösen Selbstverständnis gerecht werde als auch eine Verwechslung mit anderen Organisationen ausschließe. Der Staat dürfe keine Bewertung einer Glaubenslehre vornehmen. Gegen dieses Verbot habe die belangte Behörde verstoßen, wenn sie im beschwerdegegenständlichen Bescheid die Zugehörigkeit zu einer Religion inhaltlich bewerte.

Soweit die beschwerdeführende Partei damit die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes (Art. 9 Abs. 1 EMRK) geltend macht, ist auf das vorangegangene verfassungsgerichtliche Verfahren zu verweisen, in welchem der Beschwerde diesbezüglich mangelnde Aussicht auf Erfolg attestiert worden ist.

Allerdings ist der angefochtene Bescheid deshalb mit Rechtswidrigkeit behaftet, weil die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage eine Beurteilung der Religionslehre der beschwerdeführenden Partei iSd § 5 Abs. 1 Z 2 BekkG nicht nur an Hand der vorgelegten Statuten vorgenommen hat, sondern aufgrund des tatsächlichen Auftretens und Verhaltens von Vertretern der beschwerdeführenden Partei nach außen zur Auffassung gelangt ist, es liege keine Religionslehre vor, die sich von jener anderer Bekenntnisgemeinschaften bzw. Religionsgemeinschaften unterscheide.

Demgegenüber sieht die von der belangten Behörde zur Abweisung des Antrages auf Erwerb der Rechtspersönlichkeit herangezogene Bestimmung des § 5 Abs. 1 Z 2 BekGG vor, dass der Erwerb der Rechtspersönlichkeit zu versagen ist, wenn die Statuten dem § 4 leg. cit. nicht entsprechen. Die Beurteilung, ob eine eigenständige religiöse Bekenntnisgemeinschaft vorliegt, hat daher in diesem Punkt ausschließlich durch Vergleich der Statuten zu erfolgen. Dabei ist es Sache des Antragstellers, die Statuten so konkret und deutlich zu formulieren, dass nicht nur eine Religionslehre dargestellt wird, sondern vielmehr eine solche, die sich von der Lehre bestehender religiöser Bekenntnisgemeinschaften nach dem BekGG sowie von der Lehre gesetzlich anerkannter Kirchen und Religionsgesellschaften unterscheidet (§ 4 Abs. 1 Z 2 leg. cit., dazu die Erl. 938 BlgNR XX. GP; vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 15. September 2003, Zl. 2001/10/0139, und idS auch das o.e. Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Dezember 2010, B 1214/09).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 5. November 2014

Schlagworte

Besondere RechtsgebieteAuslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2014:2012100005.X00

Im RIS seit

14.01.2015

Zuletzt aktualisiert am

15.01.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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