TE Vfgh Erkenntnis 2014/11/29 G30/2014 ua

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Veröffentlicht am 29.11.2014
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG Art20 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Allg
VfGG §20 Abs2, §83 Abs1
VwGG §22 aF

Leitsatz

Aufhebung einer Bestimmung des VfGG betr das verfassungsgerichtliche Verfahren bei Beschwerden mangels Einräumung einer Parteistellung des belangten Verwaltungsgerichtes; Erörterung der Verfassungsmäßigkeit einer beim Verfassungsgerichtshof angefochtenen Entscheidung mit dem entscheidungserlassenden Organ verfassungsrechtlich geboten

Spruch

I. §83 Abs1 des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 – VfGG, BGBl Nr 85, in der Fassung des Art4 des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetzes 2013, BGBl I Nr 33, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. Juni 2015 in Kraft.

III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1.       Beim Verfassungsgerichtshof sind auf Art144 B-VG gestützte Beschwerden zu B40/2014 und B41/2014 anhängig. Diese wenden sich gegen Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland vom 18. November 2013 und vom 26. November 2013, dem Beschwerdeführer zugestellt am 27. November 2013, mit denen die Berufungen des Beschwerdeführers gegen Straferkenntnisse der Bezirkshauptmannschaft Mattersburg vom 1. August 2012 und vom 10. Oktober 2012 wegen Verwaltungsübertretungen nach §28 Abs1 Z1 lita iVm §3 Abs1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl 218/1975, idF BGBl I 91/2009, abgewiesen wurden.

2.       Bei der Behandlung der gegen diese Bescheide gerichteten Beschwerden sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §83 Abs1 des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 – VfGG, BGBl 85, in der Fassung des Art4 des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetzes 2013, BGBl I 33, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 11. März 2014 beschlossen, diese Gesetzesbestimmung von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

3.       Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"3. Die vom Verfassungsgerichtshof gemäß §9 Abs2 VwGbk-ÜG sinngemäß anzuwendende Bestimmung des §83 Abs1 VfGG sieht vor, dass eine Ausfertigung der Beschwerde samt Beilagen der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht, gegen dessen Erkenntnis Beschwerde erhoben wird (Beschwerdegegner), mit der Mitteilung zuzustellen ist, dass es dem Beschwerdegegner freistehe, innerhalb einer Frist, die mindestens drei Wochen zu betragen hat, eine Gegenschrift zu erstatten. In sinngemäßer Anwendung der Bestimmung hat der Verfassungsgerichtshof daher mit der belangten Behörde im Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat, dessen Bescheid angefochten wurde, das Vorverfahren zu führen.

4. Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen diese Bestimmung das Bedenken, dass sie gegen Art144 B-VG und gegen Art7 B-VG verstoßen dürfte:

4.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 19.636/2012 festgestellt hat, entfalten die Bestimmungen des Siebenten Hauptstücks des B-VG auch Wirkungen und Grenzen für die Ausgestaltung der einfachgesetzlichen Verfahrensbestimmungen. Dies gilt auch für Art144 B-VG.

4.1.1. Der Verfassungsgerichtshof erkennt gemäß Art144 Abs1 B-VG über Beschwerden gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes, soweit der Beschwerdeführer durch das Erkenntnis in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, einer gesetzwidrigen Kundmachung über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes (Staatsvertrages), eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet. Bis zum 31. Dezember 2013 erkannte der Verfassungsgerichtshof über Bescheide von Verwaltungsbehörden.

4.1.2. Gegenstand der Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes im Rahmen von Art144 B-VG ist nicht das Verwaltungsverfahren (und nunmehr auch das verwaltungsgerichtliche Verfahren) insgesamt. Durch Art144 B-VG wird ein System geschaffen, das von der Annahme ausgeht, dass das jeweils belangte Gericht die von ihm erlassene Entscheidung im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zu verteidigen hat. Seit Bestehen der Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit hatte der Verfassungsgerichtshof zu prüfen, ob ein Beschwerdeführer durch einen Bescheid, nämlich den letztinstanzlichen Bescheid im Verwaltungsverfahren, in seinen (verfassungsgesetzlich gewährleisteten) Rechten verletzt wurde (grundlegend Korinek, Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Verwaltung in Österreich, in: Ress [Hrsg.], Entwicklungstendenzen im Verwaltungsverfahrensrecht und in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1990, 287 [298 f.] unter Hinweis auf Ringhofer, Über verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte und die Kompetenzgrenze zwischen Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof, FS Melichar, 1983, 161 ff.). Dem musste kraft ausdrücklicher verfassungsgesetzlicher Anordnung die Beschwerdebehauptung entsprechen und die Beschwerde musste gegen den 'Bescheid' gerichtet sein. Verfahrensmängel oder rechtswidrige Inhalte in Bescheiden unterer Instanzen im Verwaltungsverfahren waren nicht Gegenstand der verfassungsrechtlichen Kontrolle.

4.1.3. Daran haben auch die B-VG-Novelle BGBl I 2/2008 mit der Einführung des Art144a B-VG betreffend Beschwerden gegen Entscheidungen des Asylgerichtshofes und die B-VG-Novelle BGBl I 51/2012 mit dem neu gefassten Art144 B-VG für die nunmehrige Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz nichts geändert. Im Gegenteil: Art144 B-VG nimmt nun auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Bezug, das jedenfalls gegenüber dem Verwaltungsverfahren verselbständigt ist. Im Übrigen fördert ein Vergleich mit der seit 1. Jänner 2014 bestehenden Revision nach Art133 Abs1 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof erhebliche Unterschiede zu Tage. Die Revision ist ein Rechtsmittel, über das der im Instanzenzug den Verwaltungsgerichten übergeordnete Verwaltungsgerichtshof entscheidet. Nur so dürfte es zu rechtfertigen sein, dass das unterinstanzliche (Verwaltungs-)Gericht in der Entscheidung über die Revisionszulassung – ähnlich der Rechtslage im Zivilprozess – zunächst über den Zugang zum Höchstgericht befindet und die Beschwerde vorbehandelt (Art133 Abs4 B-VG idF BGBl I 51/2012 iVm §§25a, 30a, 30b VwGG idF BGBl I 33/2013; vgl. Holzinger, Verfassungsgerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, in: Holoubek/Lang [Hrsg.], Die Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2013, 381 [388]) und dass diese Entscheidung ihrerseits wieder einem Rechtsmittel an den Verwaltungsgerichtshof unterliegt.

4.1.4. Die Beschwerde nach Art144 B-VG an den Verfassungsgerichtshof unterscheidet sich von der Revision grundlegend. Sie ist kein Rechtsmittel an ein im Instanzenzug übergeordnetes Höchstgericht, sondern ein Rechtsbehelf, der direkt beim Verfassungsgerichtshof eingebracht wird und in dem nicht die Rechtswidrigkeit schlechthin, sondern nur ein eingeschränkter Kreis von Rechtswidrigkeiten geltend gemacht werden kann, nämlich Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen Norm. Ob eine solche qualifizierte Rechtswidrigkeit vorliegt, ist vom Verfassungsgerichtshof nur anhand des angefochtenen Aktes des Verwaltungsgerichtes (einschließlich des zu ihm führenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens) und nicht auch des Bescheides und des Verfahrens der Verwaltungsbehörde zu prüfen.

4.1.5. Mit dieser vom Verfassungsgesetzgeber in Kontinuität mit der bisherigen Bescheidbeschwerde vorgenommenen rechtlichen Einordnung der Erkenntnisbeschwerde in das Rechtsschutzsystem der Bundesverfassung dürfte es nicht vereinbar sein, wenn der Gesetzgeber wie in einem Verfahren vor einer Revisionsinstanz zwar die Parteien des Verfahrens vor der Unterinstanz (hier: die Bezirkshauptmannschaft Mattersburg), deren Entscheidung in Revision gezogen wird, offensichtlich aber nicht das belangte Verwaltungsgericht selbst (Holzinger, aaO 388; arg. '[nur]') zur Partei des verfassungsgerichtlichen Verfahrens macht, und die Behörde zum 'Beschwerdegegner' erklärt (Holoubek/Fuchs, Der VfGH im neuen Gefüge der Verwaltungsgerichtsbarkeit, ecolex 2013, 598 [599]).

4.2. §83 Abs1 VfGG dürfte auch dem aus dem Gleichheitsgrundsatz erfließenden Sachlichkeitsgebot widersprechen.

4.2.1. Der Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Gesetzgeber (s. etwa VfSlg 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl. zB VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s. etwa VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002). Diese Schranken scheinen im vorliegenden Fall jedoch überschritten zu sein.

4.2.2. Wie oben ausgeführt wurde, sind Gegenstand des verfassungsgerichtlichen Verfahrens nach Art144 B-VG Erkenntnisse und Beschlüsse der Verwaltungsgerichte. Vor dem Hintergrund dieser verfassungsgesetzlichen Vorgabe erscheint es dem Verfassungsgerichtshof vorderhand unsachlich, wenn nicht – wie nach alter Rechtslage – jene Behörde bzw. jenes Gericht (Art144 bzw. 144a B-VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung), die bzw. das in letzter Instanz entschieden hat, sondern nunmehr die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren belangte Behörde dazu berufen ist, als Beschwerdegegner die beim Verfassungsgerichtshof angefochtene Entscheidung zu verteidigen. Diese Unsachlichkeit dürfte nach vorläufiger Ansicht des Verfassungsgerichtshofes umso schwerer wiegen, als die Verwaltungsgerichte grundsätzlich 'in der Sache selbst zu entscheiden' haben (Art130 Abs4 B-VG, §28 Abs2 VwGVG). Damit wäre die Behörde aber auch zur 'Verteidigung' von Entscheidungen berufen, deren Ergebnis sie gerade nicht geteilt hat.

4.2.3. Aber auch in Fällen, in denen – wie im Anlassfall – das Beschwerdevorbringen vor dem Verfassungsgerichtshof ausschließlich eine Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten durch das Verfahren oder die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes (im Anlassfall: des Unabhängigen Verwaltungssenates) geltend macht, dürfte es unsachlich sein, die Verwaltungsbehörde zur Erstattung einer Gegenschrift zu berufen."

4.       Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:

Die Bundesregierung stimmt zunächst der Annahme des Verfassungsgerichtshofes zu, dass Art144 B-VG dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung auch des Verfahrensrechts Grenzen setzt. Allerdings würden weder Art144 B-VG noch die sonstigen Bestimmungen des Siebenten Hauptstücks des B-VG nach Ansicht der Bundesregierung regeln, wer im Verfahren nach Art144 B-VG Partei sei. Sie konzentriert ihre weiteren Ausführungen auf die Aussagen in Punkt 4.1.2. des Prüfungsbeschlusses. Art144 B-VG habe seine geltende Fassung durch Art1 Z77 der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 51, erhalten. Die entsprechenden Erläuterungen zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, 1618 BlgNR 24. GP, 19 f., schwiegen zur Frage, ob ein mit Beschwerde gemäß Art144 B-VG angefochtenes Erkenntnis "verteidigt" werden müsse und gegebenenfalls von welchem Organ.

Zu Punkt 4.1.5 des Prüfungsbeschlusses (siehe oben 3.) sieht die Bundesregierung ein historisch-systematisches Argument, das sie wie folgt zusammenfasst: "Wenn und weil im Verfahren über Bescheidbeschwerden gemäß Art144 B-VG aF die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid zu 'verteidigen' hatte, habe dies nunmehr gemäß Art144 B-VG das Verwaltungsgericht zu tun." Mit dieser vorläufigen Annahme des Verfassungsgerichtshofes werde unterstellt, dass auch die "Verteidigungsfunktion" der belangten Behörde gemäß Art144 B-VG aF von Verfassungs wegen geboten war und "bejahendenfalls", dass seit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 ein entsprechendes verfassungsrechtliches Gebot für das Verwaltungsgericht (weiterhin) gelte. Für diese Prämissen ergäben sich keine Anhaltspunkte aus dem Wortlaut des Art144 B-VG, den entsprechenden Erläuterungen zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 sowie der gesamten Entstehungsgeschichte des Art144 B-VG. Nach Ansicht der Bundesregierung könnte man zwar die Auffassung vertreten, die einfachgesetzlichen Ausführungsbestimmungen zu Art144 B-VG brächten in Bezug auf das zur Erstattung der Gegenschrift berufene Organ lediglich explizit zum Ausdruck, "was, ohne dass dies dort an- oder gar ausgesprochen wäre, der ausgeführten Verfassungsbestimmung inhärent sei." Eine solche Annahme sei jedoch methodisch problematisch, weil sie dazu führen könne, dass der Verfassungsbestimmung ein normativer Inhalt unterstellt werde, den diese tatsächlich nicht habe.

Der belangten Behörde sei es von 1921 bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 offen gestanden, im Verfahren nach Art144 B-VG eine Gegenschrift zu erstatten oder nicht. Es könne daher nicht die Auffassung vertreten werden, die Erstattung einer Gegenschrift durch das Organ, das den angefochtenen Rechtsakt erlassen habe, stelle ein dem Art144 B-VG immanentes Gebot bzw. eine conditio sine qua non für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens nach dieser Bestimmung dar.

Auch die sonstigen Bestimmungen des Siebenten Hauptstücks des B-VG regelten nicht, wer im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nach Art144 B-VG Partei sei, noch hätten sie dies in ihrer bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung getan. Insbesondere stütze weder die Verfassungsrechtslage noch die einfachgesetzliche Rechtslage die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes, ein bei ihm angefochtener oder von ihm von Amts wegen in Prüfung gezogener Rechtsakt sei von Verfassungs wegen immer von jenem Organ zu verteidigen, das diesen Rechtsakt erlassen habe. Die Art137, 138, 139, 140, 140a und 141 B-VG sowie die entsprechenden Bestimmungen im VfGG, jeweils in ihrer bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 in Geltung stehenden Fassung, sprächen gegen diese Annahme des Verfassungsgerichtshofes. Die Bestimmungen des Siebenten Hauptstücks des B-VG böten "ein sehr heterogenes Bild", hätten aber eines gemeinsam, sie regelten nach Ansicht der Bundesregierung nämlich "ebenso wenig wie Art144 B-VG, ob eine 'Verteidigung' zu erfolgen hat und gegebenenfalls durch welches Organ, sondern überlassen die Regelung dieser Frage erkennbar der Ausführungsgesetzgebung."

Die "Verteidigung" eines Rechtsaktes durch das Organ, das diesen Rechtsakt gesetzt hat, sei nicht die Konsequenz eines "normlogischen" Prinzips. Ob ein Rechtsakt überhaupt zu "verteidigen" sei und gegebenenfalls von welchem Organ, richte sich nach dem positiven Recht.

Der Verfassungsgerichtshof sei bestrebt, im Einleitungsbeschluss Unterschiede zwischen der Beschwerde gemäß Art144 B-VG und der Revision (Art133 Abs1 Z1 B-VG) herauszuarbeiten, die eine konträre verfassungsrechtliche Beurteilung der Funktionsverteilung im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof einerseits und im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof andererseits rechtfertigten. Weder der Umstand, dass eine Beschwerde nach Art144 B-VG direkt beim Verfassungsgerichtshof einzubringen sei, noch der im Verfahren nach Art144 B-VG anzuwendende Prüfungsmaßstab seien aber für die Frage nach der Organzuständigkeit zur "Verteidigung" eines nach Art144 B-VG angefochtenen Rechtsaktes relevant.

Die Bundesregierung erwidert auf die Ausführungen in den Punkten 4.1.2 und 4.1.4 des Prüfungsbeschlusses, dass es nicht zutreffe, dass sich das Beschwerdeverfahren nach Art144 B-VG und das Revisionsverfahren nach Art133 B-VG hinsichtlich des Prüfungsgegenstandes grundlegend unterschieden. Im formengebundenen öffentlich-rechtlichen Rechtsschutzsystem des B-VG richteten sich Rechtsmittel grundsätzlich immer gegen bestimmte Verwaltungs- oder Gerichtsakte. Das diesen vorangehende (Verwaltungs- oder Gerichts-)Verfahren sei für die zu treffende Entscheidung nach Maßgabe des Prüfungsgegenstands mittelbar von Relevanz. Es sei jedoch nicht selbst Prüfungsgegenstand. In dieser Hinsicht bestehe zwischen dem Verfassungsgerichtshof einerseits und den Verwaltungsgerichten bzw. dem Verwaltungsgerichtshof andererseits "kein wie immer gearteter Unterschied." Sowohl die Beschwerde als auch die Revision richteten sich in der Regel gegen eine meritorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, die an die Stelle des Bescheides der Verwaltungsbehörde getreten sei. Im Verwaltungsverfahren unterlaufene Verfahrensmängel oder allfällige Rechtswidrigkeiten des Bescheides seien im Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof rechtlich ebenso unerheblich, wie sie dies im Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof seien.

Die verfassungsrechtlichen Unterschiede zwischen dem Beschwerdeverfahren nach Art144 B-VG und dem Revisionsverfahren nach Art133 B-VG reduzierten sich auf drei Kriterien: auf die unterschiedlichen Rechtsmittelbehauptungen bzw. Prüfungsmaßstäbe, auf Unterschiede in den Zugangsbeschränkungen (Zulassungs- versus Ablehnungsmodell) und auf die unterschiedliche Bezeichnung der Rechtsmittel. Keines dieser Kriterien vermöge jedoch plausibel zu erklären, warum die "Verteidigung" der angefochtenen Entscheidung durch das Verwaltungsgericht einmal verfassungsrechtlich geboten sein solle und einmal nicht.

Die im Prüfungsbeschluss aufgeworfene Frage, welches "System" Art144 B-VG zugrunde liege, sei nach Ansicht der Bundesregierung primär anhand des Inhalts der ganzen Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 zu beurteilen und nicht unter Rekurs auf die Beschwerden gemäß Art144 B-VG aF bzw. Art144a B-VG aF und damit auf Bestimmungen, die durch die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vollständig neu gefasst oder aufgehoben worden seien. Es sei in erster Linie eine Analyse der grundlegenden Änderungen erforderlich, die mit der Umstellung vom früheren System des Verwaltungsrechtsschutzes zu einem System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes verbunden seien:

"Zwar sind die Verwaltungsgerichte vergleichbar einer Berufungsbehörde dazu berufen, über Beschwerden in bestimmten Rechtssachen grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden. Als unabhängige und unparteiliche Rechtsschutzeinrichtungen sollen diese Verwaltungsgerichte jedoch gerade keine Interessen haben, die es von ihnen im Rechtsmittelverfahren in irgendeiner Form zu 'verteidigen' gilt. Aus eben diesem Grund hatten und haben ordentliche Gerichte, gegen deren Entscheidung ein Rechtsmittel erhoben wird, im Verfahren vor dem jeweiligen Rechtsmittelgericht keine Parteistellung, und zwar unabhängig vom Modell der Zugangsbeschränkungen. Dies gilt insbesondere auch für Gerichte, gegen deren Entscheidung ein Rechtsmittel beim Obersten Gerichtshof erhoben wird (vgl. zB die Zulassungsrevision gemäß den §§502 ff. der Zivilprozessordnung – ZPO, RGBl. Nr 113/1895; […] vgl. ferner die der Beschwerde gemäß Art144 B-VG vergleichbare Nichtigkeitsbeschwerde auf Grund der Strafprozeßordnung 1975 – StPO, BGBl Nr 631/1975).

Für das verfassungsgerichtliche Verfahren gilt dies sogar in besonderem Maße, ist es doch ein dem Zivilprozess vergleichbares streitiges Verfahren […]. Dieses Verfahren zeichnet sich dadurch aus, dass einander Parteien gegenüberstehen, und zwar auch im Rechtsmittelverfahren. Wenn überhaupt, kann daher als für die 'Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit' gemäß Art144 B-VG 'systembildend' nur jenes Modell angesehen werden, wie es seit jeher in der ordentlichen Gerichtsbarkeit verwirklicht war und mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 auch für die Verwaltungsgerichtsbarkeit verwirklicht wurde: ein Modell, in dem einander im Rechtsmittelverfahren ausschließlich Parteien gegenüberstehen (in der Verwaltungsgerichtsbarkeit: die Parteien des Verwaltungsverfahrens und Verwaltungsbehörden) und nicht Parteien und ein Untergericht."

Zu den Bedenken in Hinblick auf den Gleichheitssatz bringt die Bundesregierung vor, dass der Verfassungsgerichtshof zwar in ständiger Rechtsprechung annehme, der Gesetzgeber sei an den Gleichheitssatz auch bei der Frage gebunden, wem er in einem Verfahren Parteistellung zuerkenne. Zugleich beharre der Verfassungsgerichtshof aber in seiner jüngeren Judikatur darauf, dass staatliche Organe keine verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte im Sinne des Art144 B-VG geltend machen könnten. Dass der Gesetzgeber einem Verwaltungsgericht im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof keine Parteistellung einräume, könne von diesen Prämissen ausgehend von vornherein kein Gleichheitsproblem sein.

Keinesfalls sei es nach Ansicht der Bundesregierung gleichheitsrechtlich geboten, zur Vermeidung von unsachlichen Ergebnissen das Verwaltungsgericht am Verfahren zu beteiligen, wenn die Behörde zur "Verteidigung" von Entscheidungen berufen sein könnte, deren Ergebnis sie nicht geteilt habe.

Es bestehe kein Grund, §83 Abs1 VfGG als verfassungswidrig aufzuheben, da diese Bestimmung den Verfassungsgerichtshof selbst im Anlassverfahren nicht daran gehindert habe, auch das Landesverwaltungsgericht Burgenland anzuhören. Das Verwaltungsgericht könne so seine Entscheidung vor dem Verfassungsgerichtshof verteidigen.

Die Bundesregierung stellt den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird.

5.       Die Bezirkshauptmannschaft Mattersburg, das Landesverwaltungsgericht Burgenland und der Beschwerdeführer im Anlassverfahren erstatteten keine Äußerungen.

II.      Rechtslage

§83 VfGG, BGBl 85/1953, idF BGBl I 33/2013, lautet wie folgt (die in Prüfung gezogene Bestimmung ist hervorgehoben):

"§83. (1) Eine Ausfertigung der Beschwerde samt Beilagen ist der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht, gegen dessen Erkenntnis Beschwerde erhoben wird (Beschwerdegegner), mit der Mitteilung zuzustellen, dass es dem Beschwerdegegner freisteht, innerhalb einer Frist, die mindestens drei Wochen zu betragen hat, eine Gegenschrift zu erstatten.

(2) Der Verfassungsgerichtshof kann die Parteien auffordern, binnen angemessener Frist weitere schriftliche Äußerungen und Gegenäußerungen zu erstatten. Die Parteien können auch unaufgefordert schriftliche Äußerungen und Gegenäußerungen erstatten."

III.    Erwägungen

1.       Zur Zulässigkeit des Verfahrens

Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich das Gesetzesprüfungsverfahren insgesamt als zulässig.

2.       In der Sache

2.1.    Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes konnten im Gesetzesprüfungsverfahren nicht zerstreut werden. Die vorläufige Annahme, dass §83 Abs1 VfGG gegen Art144 B-VG verstoßen dürfte, hat sich als zutreffend erwiesen.

2.2.    Die vom Verfassungsgerichtshof gemäß §9 Abs2 VwGbk-ÜG sinngemäß anzuwendende Bestimmung des §83 Abs1 VfGG sieht vor, dass eine Ausfertigung der Beschwerde samt Beilagen der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht, gegen dessen Erkenntnis Beschwerde erhoben wird (Beschwerdegegner), mit der Mitteilung zuzustellen ist, dass es dem Beschwerdegegner freisteht, innerhalb einer Frist, die mindestens drei Wochen zu betragen hat, eine Gegenschrift zu erstatten. In sinngemäßer Anwendung der Bestimmung hat der Verfassungsgerichtshof daher mit der belangten Behörde im Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat, dessen Bescheid angefochten wurde, das Vorverfahren zu führen.

2.3.    Der Verfassungsgerichtshof hegte gegen diese Bestimmung zunächst das Bedenken, dass sie gegen Art144 B-VG verstößt:

2.3.1.  Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 19.636/2012 festgestellt hat, entfalten die Bestimmungen des Siebenten Hauptstücks des B-VG auch Wirkungen und Grenzen für die Ausgestaltung der einfachgesetzlichen Verfahrensbestimmungen. Dies gilt auch für Art144 B-VG.

2.3.2.  Der Verfassungsgerichtshof erkennt gemäß Art144 Abs1 B-VG über Beschwerden gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes, soweit der Beschwerdeführer durch das Erkenntnis in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, einer gesetzwidrigen Kundmachung über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes (Staatsvertrages), eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Mit der Bundesregierung ist davon auszugehen, dass diese Bestimmung dem Gesetzgeber Grenzen (auch) bei der Erlassung von Vorschriften über das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof setzt. Mit der Anordnung des §83 Abs1 VfGG, dass die Beschwerde zwar der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht (Beschwerdegegner) mit der Mitteilung über die Möglichkeit der Erstattung einer Gegenschrift zuzustellen ist, nicht aber dem Verwaltungsgericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, werden diese Grenzen überschritten. Der Verfassungsgerichtshof geht dabei davon aus, dass die Bestimmung des §83 VfGG (zwingend) die Parteistellung (nur) der Verwaltungsbehörde, nicht aber des Verwaltungsgerichtes vorsieht (siehe unten 2.5.3).

2.3.3.  Ausgangspunkt der Begründung der Verfassungswidrigkeit ist die bereits im Prüfungsbeschluss dargelegte Einsicht, dass Gegenstand der Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes im Rahmen von Art144 B-VG nicht das Verwaltungsverfahren ist, sondern die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Dem Art144 B-VG liegt das verfassungsrechtliche Konzept zugrunde, dass die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof grundsätzlich mit jenem Organ erörtert wird, das diese Entscheidung erlassen hat. Damit ist gemeint, dass das belangte Gericht jene Gründe ins Treffen führt, die für die Verfassungsmäßigkeit der Entscheidung und gegebenenfalls auch die Verfassungsmäßigkeit der angewendeten Rechtsvorschriften sprechen.

2.4.    Die gegen diese Annahme von der Bundesregierung vorgebrachten Einwände tragen nicht:

2.4.1.  Die Bundesregierung wendet zunächst ein, dass das VfGG es dem belangten Gericht freistelle, ob es eine Gegenschrift erstatte, und dass Gleiches zuvor für die belangten Behörden seit Beginn des Bestehens des Verfahrens nach Art144 B-VG gegolten habe. Dieser Einwand schlägt nicht durch. Zwar ist es zutreffend, dass es der belangten Behörde freisteht, ob sie eine Gegenschrift erstattet. Wenn aber eine Gegenschrift erstattet wird und auf diese Weise von dem Recht Gebrauch gemacht wird, muss wie nach alter Rechtslage das die Entscheidung erlassende Organ (früher die belangte Behörde, nunmehr das erkennende Verwaltungsgericht) tätig werden.

2.4.2.  Sodann tritt die Bundesregierung der im Prüfungsbeschluss hinsichtlich des Prüfungsgegenstands getroffenen Unterscheidung zwischen dem Revisionsverfahren und dem verfassungsgerichtlichen Verfahren mit dem Hinweis entgegen, dass im vorangegangenen Verfahren unterlaufene Verfahrensmängel im Revisionsverfahren vor dem Hintergrund des Verhältnisses zwischen dem Verwaltungsverfahren und dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren rechtlich unerheblich seien. Dieser Hinweis ist nicht nachvollziehbar. Für die Frage, ob eine allenfalls vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Rechtswidrigkeit (§42 Abs2 Z1 und 3 VwGG) vorliegt, sind Mängel nach alter Rechtslage im letztinstanzlichen Verwaltungsverfahren oder nach neuer Rechtslage im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ohne Zweifel relevant (vgl. bereits zur insoweit vergleichbaren alten Rechtslage Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1983, 167, 172 ff.).

2.4.3.  Auch der Verweis der Bundesregierung auf andere Zuständigkeiten des Verfassungsgerichtshofes und die jeweils unterschiedliche Regelung über die Verfahrensparteien zum Nachweis der Vielfalt der Regelung der Zuständigkeit zur Verteidigung von angefochtenen Rechtsakten geht ins Leere, und zwar schon allein deshalb, weil der Gegenstand und das Ziel der einzelnen Verfahrensarten ganz unterschiedlich sind und zum Teil gar kein Akt eines Staatsorgans vorliegt, der "verteidigt" werden könnte (so insbesondere im Fall der von der Bundesregierung an erster Stelle genannten Kausalgerichtsbarkeit).

2.4.4.  Die Bundesregierung verweist schließlich darauf, dass es nach der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Rechtslage im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gemäß §22 VwGG aF die Möglichkeit eines Eintritts eines obersten Organs an Stelle der belangten Behörde gegeben habe und dies auf der Grundlage der Bedenken des Verfassungsgerichtshofes verfassungswidrig gewesen wäre. Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlass dieses Gesetzesprüfungsverfahrens zu Vorschriften des Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, ob eine bereits außer Kraft getretene Vorschrift des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof verfassungswidrig gewesen sein könnte. Die Bundesregierung verweist an anderer Stelle selbst darauf, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle eine grundlegende Umstellung vom früheren System des Verwaltungsrechtsschutzes zu einem System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes gebracht habe und aus den Ausführungsbestimmungen zu den alten Verfassungsbestimmungen nichts für die Bildung des neuen Rechtsschutzsystems folge.

Das Eintrittsrecht oberster Organe auf Seiten der belangten Behörde nach alter Rechtslage hatte den Zweck, sicherzustellen, dass ein (gegebenenfalls im Weisungsweg erzwungener) Bescheid auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof überhaupt und mit den aus der Sicht der obersten Organe relevanten Argumenten verteidigt wurde (vgl. die Erläut. zur RV der VwGG-Novelle 1990, 1092 BlgNR 17. GP, 4; VwSlg. 14.603 A/1997; Grabenwarter, in: Korinek/Holoubek [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art131 B-VG, 8. Lfg., 2007, Rz 76; Lenneis, Die Rolle der belangten Behörde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, in: Holoubek/Lang [Hrsg.], Das verwaltungsgerichtliche Verfahren in Steuersachen, 1999, 123 [131 f.] – dieser Zusammenhang wird auch dadurch bestätigt, dass in Fällen eines weisungsfrei gestellten Organs gemäß §22 Z2 VwGG kein Eintrittsrecht des obersten Organs besteht). Dieser Zweck ist nicht maßgeblich, wenn es – in einer Situation, in der das oberste Organ mangels Weisungszusammenhangs keinen Einfluss auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung hatte – zu prüfen gilt, ob es verfassungskonform ist, dass das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes durch die im vorangegangenen Verfahren bei diesem belangte Behörde verteidigt wird.

Der Gesetzgeber trug genau dieser Änderung im Verantwortungszusammenhang Rechnung, indem er ein Eintrittsrecht der obersten Organe – abgesehen von den unberührt gebliebenen Fällen der Amtsbeschwerde – konsequent von der belangten Behörde im Bescheidbeschwerdeverfahren nunmehr für das Revisionsmodell auf die belangte Behörde im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht umstellte. Bei einem gesamthaften Verständnis der verfassungsrechtlichen Organisationsgrundsätze der Verwaltung, dh. der Berücksichtigung der Unterschiede im Weisungs- und Verantwortungszusammenhang bei weisungsgebundener Verwaltung einerseits und weisungsfreier Verwaltungsgerichtsbarkeit andererseits, vermögen die Hinweise auf Änderungen im Bereich des Eintrittsrechts oberster Organe im Verwaltungsgerichtshofverfahren keinen Hinweis zur Begründung der Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen gesetzlichen Bestimmung zu erbringen.

2.5.    Schließlich verweist die Bundesregierung darauf, dass Verwaltungsgerichte anders als Verwaltungsbehörden als unabhängige und unparteiliche Rechtsschutzeinrichtungen keine öffentlichen Interessen zu wahren hätten; dies sei vielmehr den Verwaltungsbehörden übertragen.

2.5.1.  Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, dass eine Verwaltungsbehörde andere Aufgaben hat als ein Verwaltungsgericht. Auch wenn die Wahrung öffentlicher Interessen je nach Zuständigkeitsbereich, Handlungsformen und Organisation einer Verwaltungsbehörde stark variiert (etwa im Fall der Behörden, die gemäß Art20 Abs2 B-VG weisungsfrei gestellt sind), ist festzuhalten, dass die Verwaltungsgerichte nicht in vergleichbarer Weise öffentliche Interessen zu wahren haben. Mit ihrem Hinweis vermag die Bundesregierung zwar zu begründen, warum die Parteistellung der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde sachlich (oder möglicherweise verfassungsrechtlich geboten sein könnte) ist, nicht aber warum es verfassungskonform sein soll, das Verwaltungsgericht selbst als Partei auszuschließen. Gerade wenn es – ähnlich wie in den Anlassfällen zu G30-31/2014 – darum geht, das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht (hier noch vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat) zu rechtfertigen, ist nicht erkennbar, inwieweit dies im Rahmen der von der Verwaltungsbehörde wahrzunehmenden öffentlichen Interessen gelegen sein soll.

2.5.2.  Der Verfassungsgerichtshof bleibt daher bei seiner im Prüfungsbeschluss vorläufig getroffenen Annahme, dass es mit Art144 B-VG nicht vereinbar ist, wenn der Gesetzgeber zwar die Parteien des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht, dessen Entscheidung in Beschwerde gezogen wird, aber nicht das belangte Verwaltungsgericht selbst zur Partei des verfassungsgerichtlichen Verfahrens macht.

2.5.3.  Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass die Festlegung der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht als Beschwerdegegnerin in §83 VfGG zwingend und eindeutig ist. Die Regelung ist daher auch einer verfassungskonformen Interpretation nicht zugänglich, derzufolge das Verwaltungsgericht – etwa gestützt auf §20 Abs2 VfGG – (zusätzlich) dem Verfahren beigezogen wird. Das Verwaltungsgericht wird dadurch weder zum Beschwerdegegner noch sonst zur Partei des verfassungsgerichtlichen Verfahrens.

IV.      Ergebnis

1.       §83 Abs1 VfGG ist wegen Verstoßes gegen Art144 B-VG als verfassungswidrig aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken.

2.        Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG.

3.       Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

4.       Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.

5.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Verfahren, VfGH / Parteien, Verwaltungsgericht, Parteistellung, Auslegung verfassungskonforme, Verwaltungsgerichtshof Revision

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:G30.2014

Zuletzt aktualisiert am

15.03.2016
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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