TE Vfgh Erkenntnis 2014/12/9 B1353/2012 ua

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Veröffentlicht am 09.12.2014
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
FremdenpolizeiG §46a Abs1a, Abs2

Leitsatz

Abweisung der Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin im Anlassfall; kein Antragsrecht auf Feststellung der Duldung; Zurückweisung der Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers

Spruch

I. 1. Die Beschwerdeführerin zu B1353/2012 ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

2. Die Beschwerde dieser Beschwerdeführerin wird abgewiesen.

II. Die Beschwerde des Beschwerdeführers zu B1357/2012 wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.              Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.              Die Beschwerdeführerin im Verfahren zu B1353/2012 (in der Folge: Erstbeschwerdeführerin) ist eine Staatsangehörige der Slowakischen Republik. Der Beschwerdeführer zu B1357/2012 (in der Folge Zweitbeschwerdeführer) ist deren minderjähriger Sohn. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 25. September 2008 wurde über die Erstbeschwerdeführerin wegen mehrfacher strafgerichtlicher Verurteilungen ein unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt. Der gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (im Folgenden: UVS Wien) vom 6. April 2009 keine Folge gegeben. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Juni 2009 sowie mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. November 2009 wurde jeweils die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.

2.              Der am 5. Juli 2010 gestellte Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 12. Jänner 2011 abgewiesen. Der gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung wurde mit Bescheid des UVS Wien vom 12. September 2011 insofern Folge gegeben, als die Dauer des verhängten Aufenthaltsverbotes mit acht Jahren festgesetzt wurde. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Dezember 2011 sowie mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Jänner 2012 wurde jeweils die Behandlung auch der gegen diese Bescheide gerichteten Beschwerden abgelehnt.

3.              Am 15. Dezember 2010 stellte die Erstbeschwerdeführerin einen Antrag auf Feststellung des Status einer Geduldeten im Sinne des §46a Fremdenpolizeigesetz 2005 (im Folgenden: FPG). Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 26. November 2011, III-683.312/FrB/12, abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass keiner der Sachverhalte nach §46a Abs1 und Abs1a FPG vorliege. Ab der Entlassung aus der Strafhaft sei eine Abschiebung tatsächlich möglich.

4.              Der gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung wurde mit Bescheid des UVS Wien vom 17. September 2012, UVS-FRG/56/11923/2012-1, keine Folge gegeben und der bekämpfte Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass der Spruch zu lauten habe: "Ihr Antrag vom 15.12.2010 betreffend Feststellung des Status einer Geduldeten im Sinne des §46a FPG wird zurückgewiesen". Begründend wurde ausgeführt, dass der Antrag auf Feststellung des Status einer Geduldeten im Sinne des §46a FPG zurückgewiesen hätte werden müssen, da das Gesetz diesbezüglich kein Antragsrecht vorsehe.

5.              Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, nach Art3 EMRK, Art8 EMRK, Art83 Abs2 B-VG, Art13 EMRK und nach Art6 EMRK geltend gemacht wird. Weiters wird eine Verletzung des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte der Kinder und eine Verletzung des Art45 GRC behauptet. Schließlich rügt die Beschwerdeführerin die Verfassungswidrigkeit des §46a Abs1a FPG und regt eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union an. Zur behaupteten Verfassungswidrigkeit des §46a Abs1a FPG wird begründend ausgeführt, es sei unsachlich, dass der Status eines Geduldeten gemäß §46a Abs1a FPG lediglich amtswegig festgestellt werden könne und ein Antragsrecht verneint werde.

6.              Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

7.              Zu den behaupteten Verletzungen in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes sowie zu den aufgeworfenen unionsrechtlichen Fragen erstattete die Bundesregierung eine Stellungnahme, in der sie zu dem Ergebnis gelangte, dass §46a Abs1a FPG weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen Art13 EMRK, gegen das Sachlichkeitsgebot, gegen das Bestimmtheitsgebot oder gegen Art45 GRC verstoße.

8.              Mit Beschluss vom 23. Juni 2014 leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 litb B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §46a Abs1a des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100 idF BGBl I 38/2011, ein.

9.              Mit Erkenntnis vom 9. Dezember 2014, G160-162/2014, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass §46a Abs1a FPG, BGBl I 100 idF BGBl I 38/2011, nicht verfassungswidrig war.

II.              Rechtslage

1.              §46a FPG in der hier maßgeblichen Fassung des BGBl I 38/2011 lautete:

"Duldung

§46a. (1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist geduldet, solange deren Abschiebung gemäß

1. §§50 und 51 oder

2. §§8 Abs3a und 9 Abs2 AsylG 2005 unzulässig ist.

(1a) Darüber hinaus ist der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet geduldet, wenn die Behörde von Amts wegen feststellt, dass die Abschiebung des Betroffenen aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich ist, es sei denn, dass nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §5 AsylG 2005 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt. Diese Duldung kann von der Behörde mit Auflagen verbunden werden, sie endet jedenfalls mit Wegfall der Hinderungsgründe. Die festgesetzten Auflagen sind dem Fremden von der Behörde mit Verfahrensanordnung (§63 Abs2 AVG) mitzuteilen. §56 gilt sinngemäß.

(1b) Vom Fremden zu vertretende Gründe liegen jedenfalls vor, wenn er

1. seine Identität verschleiert,

2. einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder

3. an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt.

(2) Die Behörde hat Fremden, deren Aufenthalt im Bundesgebiet geduldet ist, eine Karte für Geduldete auszustellen. Die Karte dient dem Nachweis der Identität des Fremden im Verfahren nach diesem Bundesgesetz oder nach Abschluss eines Verfahrens nach dem AsylG 2005 und hat insbesondere die Bezeichnungen 'Republik Österreich' und 'Karte für Geduldete', weiters Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Lichtbild und Unterschrift des Geduldeten sowie die Bezeichnung der Behörde, Datum der Ausstellung und Namen des Genehmigenden zu enthalten. Die nähere Gestaltung der Karte legt der Bundesminister für Inneres durch Verordnung fest.

(3) Die Karte für Geduldete gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs1 über Antrag des Fremden für jeweils ein weiteres Jahr verlängert. Die Gültigkeit der Karte für Geduldete gemäß Abs1a endet mit dem Ende der Duldung. Die Karte ist zu entziehen, wenn

1. deren Gültigkeitsdauer abgelaufen ist;

2. eine Duldung im Sinne des Abs1 nicht oder nicht mehr vorliegt;

3. das Lichtbild auf der Karte den Inhaber nicht mehr zweifelsfrei erkennen lässt oder

4. andere amtliche Eintragungen auf der Karte unlesbar geworden sind.

Der Fremde hat die Karte unverzüglich der Behörde vorzulegen, wenn die Karte entzogen wurde oder Umstände vorliegen, die eine Entziehung rechtfertigen würden. Wurde die Karte entzogen oder ist diese vorzulegen, sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und die Behörde ermächtigt, die Karte abzunehmen. Abgenommene Karten sind unverzüglich der Behörde vorzulegen, in deren örtlichen Wirkungsbereich das Organ eingeschritten ist. Diese hat die Karte an die zuständige Behörde weiterzuleiten."

III.              Erwägungen

1.              Die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG vorgenommene Verbindung der zu B1353/2012 und B1357/2012 bzw. zu B751/2013 protokollierten Beschwerden zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung wird gemäß §192 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG wieder aufgehoben.

2.              Die Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers ist nicht zulässig.

2.1.              Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt eingenommen, dass die Beschwerdelegitimation nach Art144 Abs1 B-VG nur dann gegeben ist, wenn durch den bekämpften Bescheid irgendein subjektives Recht der beschwerdeführenden Partei verletzt worden sein kann, das heißt, wenn die bescheidmäßigen Anordnungen oder Feststellungen die subjektive Rechtssphäre des Beschwerdeführers berühren, der Bescheid demgemäß subjektive Rechte begründet (verändert) oder feststellt (VfSlg 9423/1982, 9771/1983, 10.576/1985, 11.764/1988, 13.289/1992, 13.433/1993, 14.413/1996).

 

2.2.              Der angefochtene Bescheid richtet sich ausschließlich an die Erstbeschwerdeführerin als Bescheidadressatin. Er gestaltet ausschließlich Rechte der Mutter des Zweitbeschwerdeführers und greift nicht in die Rechtssphäre des Zweitbeschwerdeführers ein.

2.3.              Die Beschwerde ist daher, soweit sie vom Zweitbeschwerdeführer erhoben wurde, mangels Legitimation als unzulässig zurückzuweisen (vgl. VfSlg 17.047/2003, 18.980/2010).

3.              Die – zulässige – Beschwerde durch die Erstbeschwerdeführerin ist nicht begründet.

3.1.              Hinsichtlich der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschrift des §46a Abs1a FPG, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 38/2011, wurde zu G160-162/2014 ein Gesetzesprüfungsverfahren durchgeführt und festgestellt, dass diese Bestimmung nicht verfassungswidrig war.

3.2.              Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

3.3.              Keiner dieser Mängel liegt hier jedoch vor:

3.3.1.              Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 9. Dezember 2014, G160-162/2014, ausgesprochen hat, kommt einem Fremden ein Antragsrecht auf Ausstellung einer Karte für Geduldete iSv §46a Abs2 FPG zu. Wird ein solcher Antrag gestellt, hat die Behörde das Vorliegen der Duldung gemäß §46a Abs1a FPG zu prüfen, die ex lege eintritt, sobald die Voraussetzungen dafür vorliegen. Ist keine Duldung eingetreten, so hat die Behörde den Antrag auf Ausstellung der Karte mit Bescheid abzuweisen. Ein solcher Bescheid ist im Rechtsmittelweg auch dahin zu überprüfen, ob die Behörde zu Recht davon ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen für eine Duldung gemäß §46a Abs1a FPG, also die Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen Gründen, nicht vorlagen.

3.3.2.              Bei diesem Verständnis des §46a Abs2 FPG gebietet es das Rechtsstaatsprinzip nicht, §46a Abs1a FPG so zu interpretieren, dass dem Fremden auch ein Antragsrecht auf Feststellung der Duldung zukommt, um einen Weg zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung sicherzustellen. Einen solchen sieht das Gesetz nämlich mit dem Antragsrecht auf Ausstellung einer Karte für Geduldete vor. Es ist daher der Behörde kein willkürliches Verhalten vorzuwerfen, wenn sie davon ausging, dass der Beschwerdeführerin ein solches Antragsrecht auf Feststellung der Duldung nicht zukommt.

IV.              Ergebnis

1.              Die Beschwerde ist daher, soweit sie vom Zweitbeschwerdeführer erhoben wurde, mangels Legitimation als unzulässig zurückzuweisen.

2.              Die von der Erstbeschwerdeführerin behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass die Erstbeschwerdeführerin in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass sie in ihren Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde. Die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin ist daher abzuweisen.

3.              Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG bzw. gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Anlassfall, Fremdenpolizei, Duldung, VfGH / Legitimation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:B1353.2012

Zuletzt aktualisiert am

16.01.2015
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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