TE Vfgh Erkenntnis 2014/12/10 B609/2013

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Veröffentlicht am 10.12.2014
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
FremdenpolizeiG 2005 §46a Abs1a, Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung des Antrags auf Ausstellung einer Karte für Geduldete

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.              Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.              Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 21. April 2010 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen das Bundesasylamt mit Bescheid vom 30. September 2010 gemäß §§3 Abs1 und 8 Abs1 Asylgesetz 2005 abwies; gleichzeitig wies das Bundesasylamt den Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Niger aus. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Entscheidung vom 17. Dezember 2010 ab; diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

Am 21. Jänner 2011 wurde der Beschwerdeführer von Sicherheitsorganen aufgegriffen und in der Folge der Bundespolizeidirektion Wien vorgeführt, welche über den Beschwerdeführer mit Bescheid vom selben Tag gemäß §76 Abs1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung anordnete. Der Beschwerdeführer befand sich daraufhin von 21. bis 24. Jänner 2011 in Schubhaft, aus der er auf Grund eines Hungerstreiks entlassen wurde.

2.              Am 1. Oktober 2012 beantragte der Beschwerdeführer die Ausstellung einer Karte für Geduldete nach §46a Abs2 FPG und brachte vor, dass er gegenüber den Behörden stets kooperativ gewesen sei und stets gleichlautende Angaben zu seiner Identität gemacht habe, weshalb kein rationaler Grund erkennbar sei, an seiner Identität zu zweifeln. Eine Abschiebung seiner Person sei aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen unmöglich.

Die Landespolizeidirektion Wien wies diesen Antrag mit Bescheid vom 11. März 2013 ab. Begründend führte die Landespolizeidirektion Wien aus, dass im Fall des Beschwerdeführers mehrere Ausschlussgründe iSd §46a Abs1b FPG vorlägen. Der Beschwerdeführer habe zB an der Identitätsfeststellung nicht mitgewirkt, indem er die Durchführung einer Sprachanalyse, ein Telefoninterview mit einem Konsularmitarbeiter der Botschaft von Niger (welche vermute, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger von Nigeria sei) sowie eine Vorsprache vor einer Delegation der nigerianischen Botschaft verweigert bzw. verhindert habe.

Mit Berufungsbescheid vom 10. April 2013 bestätigte die Landespolizeidirektion Wien, Büro II. Instanz, den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass der Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß §46a FPG zurückgewiesen werde. Begründend führte die Landespolizeidirektion Wien unter Berufung auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Mai 2012, 2012/21/0053, aus, dass durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, BGBl I 38/2011, die Antragsmöglichkeit in Bezug auf die Ausstellung der Karte für Geduldete beseitigt worden sei. Es sei die zum Entscheidungszeitpunkt geltende Rechtslage anzuwenden, zumal hinsichtlich §46a leg.cit. keine Übergangsregelungen vorgesehen seien. Demnach sei der Antrag des Beschwerdeführers mangels Antragsmöglichkeit richtigerweise zurückzuweisen gewesen.

3.              Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

4.              Die Landespolizeidirektion Wien legte die Verwaltungsakten vor, sah aber von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

5.              Mit Beschluss vom 23. Juni 2014 leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 litb B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §46a Abs1a des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100 idF BGBl I 38/2011, ein.

6.              Mit Erkenntnis vom 9. Dezember 2014, G160/2014 ua., sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass §46a Abs1a FPG, BGBl I 100 idF BGBl I 38/2011, nicht verfassungswidrig war.

II.              Rechtslage

§46a FPG in der hier maßgeblichen Fassung des BGBl I 38/2011 lautete:

"Duldung

§46a. (1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist geduldet, solange deren Abschiebung gemäß

1. §§50 und 51 oder

2. §§8 Abs3a und 9 Abs2 AsylG 2005 unzulässig ist.

(1a) Darüber hinaus ist der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet geduldet, wenn die Behörde von Amts wegen feststellt, dass die Abschiebung des Betroffenen aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich ist, es sei denn, dass nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §5 AsylG 2005 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt. Diese Duldung kann von der Behörde mit Auflagen verbunden werden, sie endet jedenfalls mit Wegfall der Hinderungsgründe. Die festgesetzten Auflagen sind dem Fremden von der Behörde mit Verfahrensanordnung (§63 Abs2 AVG) mitzuteilen. §56 gilt sinngemäß.

(1b) Vom Fremden zu vertretende Gründe liegen jedenfalls vor, wenn er

1. seine Identität verschleiert,

2. einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder

3. an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt.

(2) Die Behörde hat Fremden, deren Aufenthalt im Bundesgebiet geduldet ist, eine Karte für Geduldete auszustellen. Die Karte dient dem Nachweis der Identität des Fremden im Verfahren nach diesem Bundesgesetz oder nach Abschluss eines Verfahrens nach dem AsylG 2005 und hat insbesondere die Bezeichnungen 'Republik Österreich' und 'Karte für Geduldete', weiters Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Lichtbild und Unterschrift des Geduldeten sowie die Bezeichnung der Behörde, Datum der Ausstellung und Namen des Genehmigenden zu enthalten. Die nähere Gestaltung der Karte legt der Bundesminister für Inneres durch Verordnung fest.

(3) Die Karte für Geduldete gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs1 über Antrag des Fremden für jeweils ein weiteres Jahr verlängert. Die Gültigkeit der Karte für Geduldete gemäß Abs1a endet mit dem Ende der Duldung. Die Karte ist zu entziehen, wenn

1. deren Gültigkeitsdauer abgelaufen ist;

2. eine Duldung im Sinne des Abs1 nicht oder nicht mehr vorliegt;

3. das Lichtbild auf der Karte den Inhaber nicht mehr zweifelsfrei erkennen lässt oder

4. andere amtliche Eintragungen auf der Karte unlesbar geworden sind.

Der Fremde hat die Karte unverzüglich der Behörde vorzulegen, wenn die Karte entzogen wurde oder Umstände vorliegen, die eine Entziehung rechtfertigen würden. Wurde die Karte entzogen oder ist diese vorzulegen, sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und die Behörde ermächtigt, die Karte abzunehmen. Abgenommene Karten sind unverzüglich der Behörde vorzulegen, in deren örtlichen Wirkungsbereich das Organ eingeschritten ist. Diese hat die Karte an die zuständige Behörde weiterzuleiten."

III.              Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1.              Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

2.              Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 9. Dezember 2014, G160/2014 ua., ausgesprochen hat, kommt einem Fremden ein Antragsrecht auf Ausstellung einer Karte für Geduldete iSv §46a Abs2 FPG zu. Wird ein solcher Antrag gestellt, hat die Behörde das Vorliegen der Duldung gemäß §46a Abs1a leg.cit. zu prüfen, die ex lege eintritt, sobald die Voraussetzungen dafür vorliegen. Ist keine Duldung eingetreten, so hat die Behörde den Antrag auf Ausstellung der Karte mit Bescheid abzuweisen. Ein solcher Bescheid ist im Rechtsmittelweg auch dahin zu überprüfen, ob die Behörde zurecht davon ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen für eine Duldung gemäß §46a Abs1a leg.cit., also die Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen, nicht vorlagen.

3.              Im vorliegenden Fall wurde der auf Ausstellung einer Karte für Geduldete (§46a Abs2 FPG) gerichtete Antrag mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Landespolizeidirektion Wien keiner meritorischen Erledigung zugeführt, sodass dem Beschwerdeführer verweigert wurde, die Beurteilung der erstinstanzlichen Behörde über das Vorliegen der Duldung in einem entsprechenden Verfahren, das mit einer Sachentscheidung endet, überprüfen zu lassen.

IV.              Ergebnis

1.              Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

2.              Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.              Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

4.              Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5.              Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Fremdenpolizei, Duldung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:B609.2013

Zuletzt aktualisiert am

14.01.2015
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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