Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung des Antrags auf Ausstellung einer Karte für GeduldeteSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, dessen Staatsangehörigkeit nicht festgestellt werden konnte, stellte am 25. Juli 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 12. September 2012 wurde seine Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem sein Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen und der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen wurde, abgewiesen. Der Beschwerdeführer beantragte am 28. November 2012 bei der Landespolizeidirektion Steiermark die Ausstellung einer Karte für Geduldete. Er gab an, dass seine Abschiebung aus tatsächlichen Gründen nicht möglich sei. Er sei den Behörden gegenüber stets kooperativ gewesen und habe stets gleichlautende Angaben zu seiner Identität gemacht. Die Ausstellung einer Duldungskarte sei zur Teilnahme am Rechtsleben, zB zur Behebung von behördlichen Schriftstücken, sowie für Polizeikontrollen unbedingt notwendig. Der Antrag wurde mit Bescheid der Landespolizeidirektion Steiermark vom 23. Jänner 2013 mit der Begründung abgewiesen, dass eine allfällige Unmöglichkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers seinem Verhalten zuzuordnen sei, da er durch falsche Angaben zu seiner Person die Ausstellung eines Heimreisezertifikates durch die Vertretungsbehörde verhindere. Es werde daher nicht von Amts wegen festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich sei, weshalb auch die Ausstellung einer Karte für Geduldete zu versagen sei.
2. Mit Berufungsbescheid vom 18. Februar 2013 änderte die Landespolizeidirektion Steiermark den erstinstanzlichen Bescheid in zweiter Instanz dahingehend ab, dass der Antrag gemäß §46a Abs1a Bundesgesetz über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 38/2011, zurückgewiesen werde. Begründend führt die Landespolizeidirektion Steiermark u.a. aus, dass die Duldung in Bezug auf die tatsächliche Unmöglichkeit einer Abschiebung deren von Amts wegen vorgenommene Feststellung voraussetze. Diese Feststellung sei jedoch nicht erfolgt, weshalb der Beschwerdeführer nicht nach §46a Abs1a FPG geduldet sei und ihm die Legitimation zur Stellung eines Antrags auf Ausstellung einer Karte für Geduldete fehle.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Begründend führt der Beschwerdeführer u.a. aus, dass die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften, insbesondere der Mangel einer Antragslegitimation in Bezug auf die Feststellung der Duldung, dermaßen widersprüchlich seien, dass sie gegen das Grundrecht auf ein faires Verfahren und das Rechtsstaatsprinzip verstoßen würden. Weiters habe die belangte Behörde kein ausreichendes Ermittlungsverfahren durchgeführt und sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht auseinandergesetzt.
4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, sah aber von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
5. Mit Beschluss vom 23. Juni 2014 leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 litb B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §46a Abs1a FPG ein.
6. Mit Erkenntnis vom 9. Dezember 2014, G160/2014, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass §46a Abs1a FPG, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 38/2011, nicht verfassungswidrig war.
II. Rechtslage
§46a FPG in der hier maßgeblichen Fassung des BGBl I 38/2011 lautete:
"Duldung
§46a. (1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist geduldet, solange deren Abschiebung gemäß
1. §§50 und 51 oder
2. §§8 Abs3a und 9 Abs2 AsylG 2005 unzulässig ist.
(1a) Darüber hinaus ist der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet geduldet, wenn die Behörde von Amts wegen feststellt, dass die Abschiebung des Betroffenen aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich ist, es sei denn, dass nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §5 AsylG 2005 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt. Diese Duldung kann von der Behörde mit Auflagen verbunden werden, sie endet jedenfalls mit Wegfall der Hinderungsgründe. Die festgesetzten Auflagen sind dem Fremden von der Behörde mit Verfahrensanordnung (§63 Abs2 AVG) mitzuteilen. §56 gilt sinngemäß.
(1b) Vom Fremden zu vertretende Gründe liegen jedenfalls vor, wenn er
1. seine Identität verschleiert,
2. einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder
3. an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt.
(2) Die Behörde hat Fremden, deren Aufenthalt im Bundesgebiet geduldet ist, eine Karte für Geduldete auszustellen. Die Karte dient dem Nachweis der Identität des Fremden im Verfahren nach diesem Bundesgesetz oder nach Abschluss eines Verfahrens nach dem AsylG 2005 und hat insbesondere die Bezeichnungen 'Republik Österreich' und 'Karte für Geduldete', weiters Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Lichtbild und Unterschrift des Geduldeten sowie die Bezeichnung der Behörde, Datum der Ausstellung und Namen des Genehmigenden zu enthalten. Die nähere Gestaltung der Karte legt der Bundesminister für Inneres durch Verordnung fest.
(3) Die Karte für Geduldete gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs1 über Antrag des Fremden für jeweils ein weiteres Jahr verlängert. Die Gültigkeit der Karte für Geduldete gemäß Abs1a endet mit dem Ende der Duldung. Die Karte ist zu entziehen, wenn
1. deren Gültigkeitsdauer abgelaufen ist;
2. eine Duldung im Sinne des Abs1 nicht oder nicht mehr vorliegt;
3. das Lichtbild auf der Karte den Inhaber nicht mehr zweifelsfrei erkennen lässt oder
4. andere amtliche Eintragungen auf der Karte unlesbar geworden sind.
Der Fremde hat die Karte unverzüglich der Behörde vorzulegen, wenn die Karte entzogen wurde oder Umstände vorliegen, die eine Entziehung rechtfertigen würden. Wurde die Karte entzogen oder ist diese vorzulegen, sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und die Behörde ermächtigt, die Karte abzunehmen. Abgenommene Karten sind unverzüglich der Behörde vorzulegen, in deren örtlichen Wirkungsbereich das Organ eingeschritten ist. Diese hat die Karte an die zuständige Behörde weiterzuleiten."
III. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
2. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 9. Dezember 2014, G160/2014, ausgesprochen hat, kommt einem Fremden ein Antragsrecht auf Ausstellung einer Karte für Geduldete iSv §46a Abs2 FPG zu. Wird ein solcher Antrag gestellt, hat die Behörde das Vorliegen der Duldung gemäß §46a Abs1a FPG zu prüfen, die ex lege eintritt, sobald die Voraussetzungen dafür vorliegen. Ist keine Duldung eingetreten, so hat die Behörde den Antrag auf Ausstellung der Karte mit Bescheid abzuweisen. Ein solcher Bescheid ist im Rechtsmittelweg auch dahin zu überprüfen, ob die Behörde zurecht davon ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen für eine Duldung gemäß §46a Abs1a FPG, also die Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen, nicht vorlagen.
3. Im vorliegenden Fall wurde der auf Ausstellung einer Karte für Geduldete (§46a Abs2 FPG) gerichtete Antrag mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Landespolizeidirektion Steiermark keiner meritorischen Erledigung zugeführt, sodass dem Beschwerdeführer verweigert wurde, die Beurteilung der erstinstanzlichen Behörde über das Vorliegen der Duldung in einem entsprechenden Verfahren, das mit einer Sachentscheidung endet, überprüfen zu lassen.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
2. Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Fremdenpolizei, DuldungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:B319.2013Zuletzt aktualisiert am
27.03.2015