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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung des Antrags auf Ausstellung einer Karte für GeduldeteSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans. Die Abweisung seines am 11. Mai 2009 gestellten Antrages auf internationalen Schutz verbunden mit einer durchsetzbaren Ausweisungsentscheidung erwuchs am 5. Jänner 2013 in Rechtskraft. Daraufhin leitete die Landespolizeidirektion Oberösterreich am 28. Februar 2013 das Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats ein.
2. Mit Ladungsbescheid vom 12. März 2013 wurde der Beschwerdeführer von der Landespolizeidirektion Oberösterreich aufgefordert, sich am 11. April 2013 zum Zwecke der Identitätsfeststellung in der Botschaft der Islamischen Republik von Afghanistan einzufinden. In einer Botschaftsmitteilung vom 2. April 2013 an das Bundesministerium für Inneres gab die Botschaft der Islamischen Republik Afghanistan bekannt, im Rahmen des Verfahrens zur Ausstellung von Heimreisezertifikaten keine Identitätsfeststellungen der Betroffenen mehr durchzuführen. Vielmehr erfolge die Überprüfung der Identität ab sofort durch die Behörden in Afghanistan selbst. Infolgedessen widerrief die Landespolizeidirektion Oberösterreich mit Schreiben vom 3. April 2013 ihren Ladungsbescheid vom 12. März 2013.
3. Auf Grund der abberaumten Ladung stellte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 16. April 2013 einen Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß §46a des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl I 100 idF BGBl I 38/2011 bei der Landespolizeidirektion Oberösterreich. Diese wies den Antrag mit Bescheid vom 30. April 2013 zurück. Unter Verweis auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (16.5.2012, 2012/21/0053; 25.10.2012, 2011/21/0256; 20.3.2012, 2010/18/0322) vertrat die Erstbehörde die Ansicht, dass aus §46a Abs1a FPG idF BGBl I 38/2011 weder ein Rechtsanspruch auf Entscheidung über einen Antrag auf Duldung selbst, noch auf Ausstellung einer Karte für Geduldete ableitbar sei. Vielmehr müsse die Behörde von Amts wegen feststellen, dass die Abschiebung des Betroffenen aus tatsächlichen, vom Fremden nicht verschuldeten Gründen unmöglich sei. Im Übrigen sei das Verfahren zur Erlangung des Heimreisezertifikats noch nicht abgeschlossen, weswegen gegenwärtig nicht von der Unmöglichkeit der Abschiebung auszugehen sei.
4. In der dagegen erhobenen Berufung vom 16. Mai 2013 machte der Beschwerdeführer geltend, nicht die Feststellung der dauernden Unmöglichkeit der Abschiebung beantragt, sondern einen Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete gestellt zu haben. Diese Differenzierung liege auch dem von der Erstbehörde angeführten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. März 2012, 2010/18/0322, zu Grunde. Auf die Ausstellung einer Geduldetenkarte bestehe sehr wohl ein Antragsrecht und wäre die Behörde daher verpflichtet gewesen, anstatt der Zurückweisung eine Sachentscheidung zu treffen. Dies ergebe sich bereits aus §9 Abs2 FPG, welcher gegen den Entzug einer Karte für Geduldete einen Rechtsweg an die Gerichthöfe des öffentlichen Rechts vorsehe. Sofern ein Rechtsweg im Zusammenhang mit dem Entzug der Karte bestehe, müsse dieser gleichermaßen auch für die Ausstellung der Karte für Geduldete gegeben sein.
5. Mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte die Landespolizeidirektion Oberösterreich den erstinstanzlichen Bescheid. Die Berufungsbehörde schloss sich in ihrer Begründung jener der Erstbehörde an. Zwar habe nach früherer Rechtslage ein Antragsrecht hinsichtlich der Ausstellung der Karte bestanden, doch sei dieses durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, BGBl I 38, beseitigt worden. Insofern der Beschwerdeführer das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. März 2012, 2010/18/0322, zur Untermauerung des Bestehens eines Antragsrechts auf Ausstellung einer Geduldetenkarte heranzieht, sei dem entgegenzuhalten, dass sich dieses auf die frühere Rechtslage beziehe. Ebenso habe früher §9 Abs2 FPG eine Berufungsmöglichkeit gegen die Versagung einer Karte für Geduldete explizit vorgesehen, doch habe der Gesetzgeber diese Möglichkeit durch BGBl I 112/2011 beseitigt. Nach Ansicht der Berufungsbehörde handle es sich dabei um eine legistische Anpassung infolge der Beseitigung des Antragsrechts auf Ausstellung einer Karte für Geduldete. Da durch den Entzug einer Geduldetenkarte in bereits erworbene Rechte des Fremden eingegriffen werde, sei die behauptete Gleichstellung mit der Versagung einer Karte für Geduldete weder zielführend, noch im Wege der Interpretation erklärbar.
6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet wird.
7. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, sah aber von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II. Rechtslage
§46a FPG in der hier maßgeblichen Fassung des BGBl I 38/2011 lautete:
"Duldung
§46a. (1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist geduldet, solange deren Abschiebung gemäß
1. §§50 und 51 oder
2. §§8 Abs3a und 9 Abs2 AsylG 2005 unzulässig ist.
(1a) Darüber hinaus ist der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet geduldet, wenn die Behörde von Amts wegen feststellt, dass die Abschiebung des Betroffenen aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich ist, es sei denn, dass nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §5 AsylG 2005 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt. Diese Duldung kann von der Behörde mit Auflagen verbunden werden, sie endet jedenfalls mit Wegfall der Hinderungsgründe. Die festgesetzten Auflagen sind dem Fremden von der Behörde mit Verfahrensanordnung (§63 Abs2 AVG) mitzuteilen. §56 gilt sinngemäß.
(1b) Vom Fremden zu vertretende Gründe liegen jedenfalls vor, wenn er
1. seine Identität verschleiert,
2. einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder
3. an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt.
(2) Die Behörde hat Fremden, deren Aufenthalt im Bundesgebiet geduldet ist, eine Karte für Geduldete auszustellen. Die Karte dient dem Nachweis der Identität des Fremden im Verfahren nach diesem Bundesgesetz oder nach Abschluss eines Verfahrens nach dem AsylG 2005 und hat insbesondere die Bezeichnungen "Republik Österreich" und "Karte für Geduldete", weiters Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Lichtbild und Unterschrift des Geduldeten sowie die Bezeichnung der Behörde, Datum der Ausstellung und Namen des Genehmigenden zu enthalten. Die nähere Gestaltung der Karte legt der Bundesminister für Inneres durch Verordnung fest.
(3) Die Karte für Geduldete gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs1 über Antrag des Fremden für jeweils ein weiteres Jahr verlängert. Die Gültigkeit der Karte für Geduldete gemäß Abs1a endet mit dem Ende der Duldung. Die Karte ist zu entziehen, wenn
1. deren Gültigkeitsdauer abgelaufen ist;
2. eine Duldung im Sinne des Abs1 nicht oder nicht mehr vorliegt;
3. das Lichtbild auf der Karte den Inhaber nicht mehr zweifelsfrei erkennen lässt oder
4. andere amtliche Eintragungen auf der Karte unlesbar geworden sind.
Der Fremde hat die Karte unverzüglich der Behörde vorzulegen, wenn die Karte entzogen wurde oder Umstände vorliegen, die eine Entziehung rechtfertigen würden. Wurde die Karte entzogen oder ist diese vorzulegen, sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und die Behörde ermächtigt, die Karte abzunehmen. Abgenommene Karten sind unverzüglich der Behörde vorzulegen, in deren örtlichen Wirkungsbereich das Organ eingeschritten ist. Diese hat die Karte an die zuständige Behörde weiterzuleiten."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1.1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
1.2. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 9. Dezember 2014, G160/2014, ausgesprochen hat, kommt einem Fremden ein Antragsrecht auf Ausstellung einer Karte für Geduldete iSv §46a Abs2 FPG zu. Wird ein solcher Antrag gestellt, hat die Behörde das Vorliegen der Duldung gemäß §46a Abs1a FPG zu prüfen, die ex lege eintritt, sobald die Voraussetzungen dafür vorliegen. Ist keine Duldung eingetreten, so hat die Behörde den Antrag auf Ausstellung der Karte mit Bescheid abzuweisen.
1.3. Im vorliegenden Fall wurde der auf Ausstellung einer Karte für Geduldete (§46a Abs2 FPG) gerichtete Antrag mit dem erstinstanzlichen Bescheid der Landespolizeidirektion keiner meritorischen Entscheidung zugeführt. Indem die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid den erstinstanzlichen Bescheid bestätigte, hat sie dem Beschwerdeführer eine Sachentscheidung verweigert.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
2. Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436, – enthalten.
Schlagworte
Fremdenpolizei, DuldungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2014:B25.2014Zuletzt aktualisiert am
14.01.2015