RS Vfgh 2014/11/29 G30/2014 ua

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Veröffentlicht am 29.11.2014
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG Art20 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Allg
VfGG §20 Abs2, §83 Abs1
VwGG §22 aF

Leitsatz

Aufhebung einer Bestimmung des VfGG betr das verfassungsgerichtliche Verfahren bei Beschwerden mangels Einräumung einer Parteistellung des belangten Verwaltungsgerichtes; Erörterung der Verfassungsmäßigkeit einer beim Verfassungsgerichtshof angefochtenen Entscheidung mit dem entscheidungserlassenden Organ verfassungsrechtlich geboten

Rechtssatz

Aufhebung des §83 Abs1 VfGG idF des Art4 des Verwaltungsgerichtsbarkeits-AusführungsG 2013, BGBl I 33, wegen Verstoßes gegen Art144 B-VG.

Gegenstand der Kontrolle des VfGH im Rahmen von Art144 B-VG ist nicht das Verwaltungsverfahren, sondern die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Dem Art144 B-VG liegt das verfassungsrechtliche Konzept zugrunde, dass die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung im Verfahren vor dem VfGH grundsätzlich mit jenem Organ erörtert wird, das diese Entscheidung erlassen hat. Damit ist gemeint, dass das belangte Gericht jene Gründe ins Treffen führt, die für die Verfassungsmäßigkeit der Entscheidung und gegebenenfalls auch die Verfassungsmäßigkeit der angewendeten Rechtsvorschriften sprechen.

Der Verweis der Bundesregierung auf andere Zuständigkeiten des VfGH und die jeweils unterschiedliche Regelung über die Verfahrensparteien zum Nachweis der Vielfalt der Regelung der Zuständigkeit zur Verteidigung von angefochtenen Rechtsakten geht ins Leere, und zwar schon allein deshalb, weil der Gegenstand und das Ziel der einzelnen Verfahrensarten ganz unterschiedlich sind und zum Teil gar kein Akt eines Staatsorgans vorliegt, der "verteidigt" werden könnte (so insbesondere im Fall der von der Bundesregierung an erster Stelle genannten Kausalgerichtsbarkeit).

Das Eintrittsrecht oberster Organe auf Seiten der belangten Behörde nach alter Rechtslage (vgl §22 VwGG aF) hatte den Zweck, sicherzustellen, dass ein (gegebenenfalls im Weisungsweg erzwungener) Bescheid auch im Verfahren vor dem VwGH überhaupt und mit den aus der Sicht der obersten Organe relevanten Argumenten verteidigt wurde. Dieser Zweck ist nicht maßgeblich, wenn es - in einer Situation, in der das oberste Organ mangels Weisungszusammenhangs keinen Einfluss auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung hatte - zu prüfen gilt, ob es verfassungskonform ist, dass das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes durch die im vorangegangenen Verfahren bei diesem belangte Behörde verteidigt wird.

Der Gesetzgeber trug genau dieser Änderung im Verantwortungszusammenhang Rechnung, indem er ein Eintrittsrecht der obersten Organe - abgesehen von den unberührt gebliebenen Fällen der Amtsbeschwerde - konsequent von der belangten Behörde im Bescheidbeschwerdeverfahren nunmehr für das Revisionsmodell auf die belangte Behörde im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht umstellte. Bei einem gesamthaften Verständnis der verfassungsrechtlichen Organisationsgrundsätze der Verwaltung, dh der Berücksichtigung der Unterschiede im Weisungs- und Verantwortungszusammenhang bei weisungsgebundener Verwaltung einerseits und weisungsfreier Verwaltungsgerichtsbarkeit andererseits, vermögen die Hinweise auf Änderungen im Bereich des Eintrittsrechts oberster Organe im Verwaltungsgerichtshofverfahren keinen Hinweis zur Begründung der Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen gesetzlichen Bestimmung zu erbringen.

Der VfGH verkennt nicht, dass eine Verwaltungsbehörde andere Aufgaben hat als ein Verwaltungsgericht. Auch wenn die Wahrung öffentlicher Interessen je nach Zuständigkeitsbereich, Handlungsformen und Organisation einer Verwaltungsbehörde stark variiert (etwa im Fall der Behörden, die gemäß Art20 Abs2 B-VG weisungsfrei gestellt sind), ist festzuhalten, dass die Verwaltungsgerichte nicht in vergleichbarer Weise öffentliche Interessen zu wahren haben. Mit ihrem Hinweis vermag die Bundesregierung zwar zu begründen, warum die Parteistellung der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde sachlich (oder möglicherweise verfassungsrechtlich geboten sein könnte) ist, nicht aber warum es verfassungskonform sein soll, das Verwaltungsgericht selbst als Partei auszuschließen. Gerade wenn es - ähnlich wie in den Anlassfällen - darum geht, das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht (hier noch vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat) zu rechtfertigen, ist nicht erkennbar, inwieweit dies im Rahmen der von der Verwaltungsbehörde wahrzunehmenden öffentlichen Interessen gelegen sein soll.

Es ist daher mit Art144 B-VG unvereinbar, wenn der Gesetzgeber zwar die Parteien des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht, dessen Entscheidung in Beschwerde gezogen wird, aber nicht das belangte Verwaltungsgericht selbst zur Partei des verfassungsgerichtlichen Verfahrens macht.

Keine verfassungskonforme Interpretation des §83 VfGG möglich, derzufolge das Verwaltungsgericht - etwa gestützt auf §20 Abs2 VfGG - (zusätzlich) dem Verfahren beigezogen wird. Das Verwaltungsgericht wird dadurch weder zum Beschwerdegegner noch sonst zur Partei des verfassungsgerichtlichen Verfahrens.

(Anlassfall B40/2014 ua, B v 29.11.2014; Ablehnung der Beschwerden).

Entscheidungstexte

  • G30/2014 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 29.11.2014 G30/2014 ua

Schlagworte

VfGH / Verfahren, VfGH / Parteien, Verwaltungsgericht, Parteistellung, Auslegung verfassungskonforme, Verwaltungsgerichtshof Revision

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:G30.2014

Zuletzt aktualisiert am

15.03.2016
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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