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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art140 Abs7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Mayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde des Mag. W H in S, vertreten durch Dr. Christian Puchner, Rechtsanwalt in 8700 Leoben, Franz-Josef-Straße 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 19. Juli 2012, Zl. UVS 43.4-1/2012-7, betreffend Betrieb eines Gastgartens nach § 76a GewO 1994 (weitere Partei: Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft; mitbeteiligte Partei:
R GmbH in S, vertreten durch Mag. Leopold Zechner, Rechtsanwalt in 8600 Bruck/Mur, Mittergasse 6), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Spruchpunkt 2. des erstinstanzlichen Bescheides der Bezirkshauptmannschaft B (BH) vom 20. Jänner 2012 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Beschränkung der Betriebszeiten des Gastgartenbetriebes der mitbeteiligten Partei gemäß § 76a Abs. 8 GewO 1994 abgewiesen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde - soweit beschwerdegegenständlich - die gegen diesen Spruchpunkt erhobene Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde hiezu im Wesentlichen aus, in der Berufung sei vorgebracht worden, das amtsärztliche Gutachten sei sehr wohl zum Schluss gekommen, dass gesundheitliche Auswirkungen bezüglich des Beschwerdeführers zu befürchten wären. Der Beschwerdeführer sei jedoch den im erstinstanzlichen Verfahren erstatteten Emissionsgutachten und dem medizinischen Gutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Aus dem vorliegenden Gutachten ergebe sich zwar, dass der Beschwerdeführer durch den Betrieb des Gastgartens belästigt werde, eine Unzumutbarkeit oder Gesundheitsgefährdung sei dem Gutachten nicht zu entnehmen. Das Rauchen einschränkende Bestimmungen seien der GewO 1994 nicht zu entnehmen. Daraus ergebe sich, dass weitere Betriebseinschränkungen aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens im Sinne der Anträge des Beschwerdeführers nicht erforderlich seien.
Die vorliegende Beschwerde richtet sich ausdrücklich gegen "den Spruch II. des erstinstanzlichen Bescheides" und somit gegen den angefochtenen Bescheid in dem oben angeführten Umfang.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Aus Anlass des Beschwerdefalles stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 16. Oktober 2013, Zl. A 2013/0008, an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, die Wortfolge "zur Vermeidung einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit dieser Personen" in § 76a Abs. 8 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994), BGBl. Nr. 194 in der Fassung BGBl. I Nr. 66/2010, als verfassungswidrig aufzuheben.
In diesem Beschluss führte der Verwaltungsgerichtshof unter anderem aus, die vom Verwaltungsgerichtshof angenommene Verfassungswidrigkeit könnte bereits damit beseitigt werden, dass die angefochtene Wortfolge in § 76a Abs. 8 GewO 1994 als verfassungswidrig aufgehoben wird. Der dann bestehen bleibende Teil dieser Bestimmung würde lediglich normieren, dass Auflagen und Einschränkungen der Betriebszeit zugunsten von Nachbarn im Sinne des § 75 Abs. 2 und 3 GewO 1994 nur soweit vorzuschreiben sind, als diese notwendig sind, und damit nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes eine Notwendigkeit im Sinne des Einleitungssatzes des § 79 Abs. 1 GewO 1994 normieren und die als verfassungsrechtlich bedenklich zu qualifizierende Ungleichbehandlung zwischen § 76a Abs. 8 und § 79 Abs. 1 GewO 1994 beseitigen.
Mit Erkenntnis vom 16. Juni 2014, G 94/2013-13, hat der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "zur Vermeidung einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit dieser Personen" in § 76a Abs. 8 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994), BGBl. Nr. 194 in der Fassung BGBl. I Nr. 66/2010, als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten.
Dieser Ausspruch wurde vom Bundeskanzler am 4. August 2014 im BGBl. I Nr. 60/2014 kundgemacht.
Gemäß Art. 140 Abs. 7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 2014, Zl. 2013/04/0173, mwN).
Der vorliegende Beschwerdefall bildet den Anlassfall für die Aufhebung der Wortfolge "zur Vermeidung einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit dieser Personen" in § 76a Abs. 8 GewO 1994.
Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid auf § 76a Abs. 8 GewO 1994 in der Fassung vor der Aufhebung der genannten Wortfolge durch den Verfassungsgerichtshof gestützt. Diese Wortfolge ist nach dem Gesagten im Beschwerdefall nicht (mehr) anzuwenden. Der bestehen bleibende Teil dieser Bestimmung normiert lediglich, dass Auflagen und Einschränkungen der Betriebszeit zugunsten von Nachbarn im Sinne des § 75 Abs. 2 und 3 GewO 1994 nur soweit vorzuschreiben sind, als diese notwendig sind, und damit nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes eine Notwendigkeit im Sinne des Einleitungssatzes des § 79 Abs. 1 GewO 1994. Mit dieser Notwendigkeit hat sich die belangte Behörde nicht beschäftigt.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht (gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014) auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die verzeichnete Umsatzsteuer in dem in der angeführten Verordnung vorgesehenen Pauschalbetrag bereits enthalten ist.
Wien, am 21. Oktober 2014
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2014:2014040001.X00Im RIS seit
08.01.2015Zuletzt aktualisiert am
09.01.2015