RS Vfgh 2014/12/1 V37/2014, G32/2014, V53/2014, G68/2014

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 01.12.2014
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Index

50/05 Kammern der gewerblichen Wirtschaft

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art120a ff
B-VG Art139 Abs1 Z3
B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
WirtschaftskammerG 1998 §15 Abs1, Abs2, Abs8, Abs9
Fachorganisationsordnung der Wirtschaftskammer Österreich, Satzung des Wirtschaftsparlaments vom 28.11.2013
EMRK Art11
EMRK Art13
StGG Art5
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
StGG Art12
EMRK 1. ZP Art1
VfGG §62 Abs1

Leitsatz

Abweisung des - zulässigen - Individualantrags eines Fachverbandes auf Aufhebung von - die Auflösung des Fachverbandes und Zusammenlegung mit einem anderen Verband verfügenden - Bestimmungen einer Satzung betr die Änderung der Fachorganisationsordnung der Wirtschaftskammer Österreich; kein Bestandschutz einzelner Einrichtungen im Rahmen der beruflichen Selbstverwaltung; kein Verstoß der gesetzlichen Regelungen über die Errichtung von Fachverbänden gegen die für die Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern geltenden Grundsätze; keine inhaltliche Gesetzwidrigkeit der bekämpften Verordnungsstellen; keine Verletzung von Verfahrensbestimmungen; Zurückweisung der Individualanträge von Fachverbandsmitgliedern; kein subjektives Recht der Mitglieder eines Selbstverwaltungskörpers auf Fortbestand dieses Selbstverwaltungskörpers; Unzulässigkeit des Gesetzesprüfungsantrags mangels Darlegung von Bedenken

Rechtssatz

Zulässigkeit des Individualantrags des Fachverbands der Gießereiindustrie auf Aufhebung von Bestimmungen der Satzung des Wirtschaftsparlaments der Wirtschaftskammer Österreich vom 28.11.2013, mit der die Fachorganisationsordnung der Wirtschaftskammer Österreich (FOO) geändert wurde, hins der Auflösung des Fachverbands der Gießereiindustrie und Zusammenführung mit dem Fachverband der Maschinen und Metallwaren.

Die Satzung des Wirtschaftsparlaments über die FOO ist als Verordnung zu qualifizieren. Mit den angefochtenen Verordnungsbestimmungen verliert der Fachverband der Gießereiindustrie seine Rechtspersönlichkeit und geht in einem neuen Fachverband auf. Es bestehen keine Zweifel daran, dass eine Verordnungsbestimmung, die im Ergebnis dazu führt, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts ihre Existenz verliert, ohne dass es hiezu eines Bescheides bedürfte, in die Rechtssphäre dieser juristischen Person unmittelbar eingreift und sie im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit verletzen würde.

Daraus ergibt sich, dass der Erstantragsteller, nämlich der von der Auflösung bedrohte Fachverband der Gießereiindustrie, in seiner Rechtssphäre jedenfalls unmittelbar betroffen ist. Angesichts der unmittelbar bevorstehenden, durch die bekämpfte Norm verfügten Auflösung dieses Fachverbands ist er auch aktuell betroffen und es wäre ihm nicht zumutbar, abzuwarten, bis diese Auflösung rechtswirksam wird.

Zurückweisung der Individualanträge von Mitgliedern dieses Fachverbands.

Es gibt kein subjektives Recht von Mitgliedern eines Selbstverwaltungskörpers, unabhängig von den den Selbstverwaltungskörper konstituierenden Normen einem bestimmten Selbstverwaltungskörper anzugehören. Daraus folgt, dass es auch kein subjektives Recht der Mitglieder eines Selbstverwaltungskörpers auf Fortbestand dieses Selbstverwaltungskörpers gibt.

Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu prüfenden Verordnungsbestimmung sind, wie der VfGH sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Verordnungsprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat, notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Verordnungsteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Verordnungsstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden. Aus dieser Grundposition folgt, dass im Verordnungsprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der für bedenklich erachteten Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Antrages nicht zu eng gewählt werden darf. Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Verordnungsbestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt.

Es ist nicht hervorgekommen, dass der Erstantragsteller die von ihm bekämpften Bestimmungen in einem zu engen Umfang zur Aufhebung beantragt.

Zwar ist grundsätzlich eine generelle Norm in jener Fassung zu bekämpfen, die durch Novellierungsanordnungen herbeigeführt wurde, und zwar auch dann, wenn nur in den Novellierungsanordnungen die behauptete Rechtswidrigkeit liegt. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn sich - wie im vorliegenden Fall - die behauptete Rechtswidrigkeit in der Erlassung der Novellierungsanordnungen erschöpft; in diesem Fall ist auch die Bekämpfung der Novellierungsanordnung als solche zulässig, weil mit ihrer Entfernung aus dem Rechtsbestand die behauptete Rechtswidrigkeit beseitigt würde.

Der Eventualantrag auf Aufhebung des §15 Abs9 WirtschaftskammerG 1998 (WKG) idF BGBl I 78/2006 bzw von Teilen des §15 Abs9 leg cit ist auf Grund mangelnder Darlegung der Bedenken gegen die angeführte Gesetzesbestimmung bzw Teile derselben unzulässig.

Kein untrennbarer Zusammenhang der angefochtenen Verordnungsbestimmungen mit der im Eventualantrag angefochtenen Gesetzesbestimmung.

Art120a B-VG schützt zwar die Einrichtung der Selbstverwaltung als solche, überlässt die Organisation der Selbstverwaltung und die Einrichtung von einzelnen Selbstverwaltungskörpern aber der Gesetzgebung. Diese Bestimmung verleiht nicht jeder einzelnen Einrichtung im Rahmen der beruflichen Selbstverwaltung Bestandschutz.

Ausgehend vom Wirkungsbereich eines Selbstverwaltungskörpers dürfen nur solche Personen in einem Selbstverwaltungskörper zusammengefasst werden, die im Hinblick auf diesen Wirkungsbereich in gleicher Weise betroffen sind. Daraus folgt im Falle einer der Interessenvertretung dienenden Selbstverwaltungseinrichtung, dass nur Personen zusammengefasst werden dürfen, die insoweit gleichartige Interessen vertreten.

Der Gesetzgeber hat die Abgrenzung der Personen, die im Selbstverwaltungskörper "Fachverband" zusammengeschlossen sind, nicht selbst vorgenommen, sondern hiefür ein besonderes Verfahren festgelegt (vgl §15 Abs1, Abs2, Abs8 und Abs9 WKG).

Der VfGH kann nicht finden, dass diese gesetzliche Regelung gegen die für die Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern geltenden Grundsätze verstößt. Dabei ist insbesondere zu bedenken, dass alle an diesem Verfahren beteiligten Organe, insbesondere das Wirtschaftsparlament und das Erweiterte Präsidium, Organe der Selbstverwaltung sind, deren Zusammensetzung jeweils durch demokratische Wahlen durch die Mitglieder der Selbstverwaltungskörper bestimmt wird.

Durch die vom Gesetz vorgesehene Entscheidungsstruktur ist gewährleistet, dass die Mitglieder durch die von ihnen demokratisch legitimierten Organe selbst eine den Kriterien des Gesetzes entsprechende Fachorganisation zu errichten haben, was jedenfalls den Grundsätzen der Selbstverwaltung entspricht.

Der VfGH kann auch nicht finden, dass im konkreten Fall die Verordnung über die Organisation der Fachverbände gesetzwidrig erlassen worden wäre. Dies gilt zunächst für den Beschluss des Erweiterten Präsidiums der Bundeskammer vom 28.06.2006, mit dem die Kriterien für die Fachorganisationen festgelegt wurden (dieser Beschluss hat selbst keinen normativen Charakter, vgl. VfGH 27.11.2013, B1129/2013 ua, eine Rechtswidrigkeit dieses Beschlusses würde aber eine Gesetzwidrigkeit der Verordnung zur Folge haben). Nach Auffassung des VfGH ist den Organen der Selbstverwaltungskörper entsprechend den Grundsätzen der Selbstverwaltung hiebei ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt, sodass von ihm nur offensichtliche Verletzungen der gesetzlichen Bestimmungen sowie eine Verletzung der Verfahrensbestimmungen zur Erlassung dieser Verordnung aufgegriffen werden können.

Angesichts der von der Wirtschaftskammer Österreich dargelegten Erwägungen sind solche offensichtlichen inhaltlichen Gesetzesverstöße nicht ersichtlich, auch die Verfahrensbestimmungen wurden eingehalten.

Bei der vom Erstantragsteller bekämpften Satzung handelt es sich um eine Verordnung, somit um eine Norm generell-abstrakten Inhalts, die als solche gemäß Art18 B-VG vom Gesetz gedeckt sein muss. Diese konstituiert im vorliegenden Fall den Normadressaten als Rechtspersönlichkeit, greift darüber hinaus aber nicht in seine subjektive Rechtssphäre ein.

Art13 EMRK gewährt ein akzessorisches Recht zum Schutz der aus der EMRK abgeleiteten Rechte; der Erstantragsteller macht in diesem Zusammenhang keine Verletzung eines durch die EMRK gewährleisteten Rechts geltend; wirksames Rechtsmittel iSd Art13 EMRK gegen den behaupteten Eigentumseingriff durch die Möglichkeit einer Antragstellung gemäß Art139 Abs1 Z3 B-VG.

Kein Eingehen auf die Argumentation betr eine Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter. Diesbezügliche Rechtsprechung ist zu Fällen ergangen, in denen in Verwaltungsverfahren durch individuelle Rechtsakte mittels konkreter Bescheide in die Rechtssphäre von Betroffenen eingegriffen wurde.

Mit den Ausführungen, dass der Fachverband der Gießereiindustrie, im Vergleich zu jenem Fachverband, mit dem er zusammengelegt werden soll, durch höhere Umlagen ein Vermögen gebildet habe, das nunmehr im Vermögen des neuen Fachverbands aufgehe, wird lediglich auf die rechtlichen Folgen und die wirtschaftlichen Reflexwirkungen der rechtlichen Auflösung des Fachverbands als selbstständige Körperschaft öffentlichen Rechts hingewiesen, sie vermögen aber keinen Eingriff in die Rechtssphäre des Erstantragstellers darzutun: Die Ausübung der Rechte gem Art5 StGG bzw Art1 1. ZPEMRK setzen die Rechtspersönlichkeit des Betroffenen voraus, bieten aber keine Bestandsgarantie für das Weiterbestehen dessen Rechtspersönlichkeit. Die genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte schützen die Eigentumsrechte (auch) einer juristischen Person, nicht aber ihren Bestand als solcher.

Aus den gleichen Gründen kommt auch eine Verletzung des Rechts auf Erwerbsausübungsfreiheit gemäß Art6 StGG nicht in Betracht.

Aus dem Recht auf Vereins- und Versammlungsfreiheit kann ebenfalls nicht das Recht auf den Bestand als öffentlich-rechtliche Körperschaft abgeleitet werden, deren Einrichtung obliegt vielmehr dem Ermessen des Gesetzgebers. Auch der EGMR hat festgestellt, dass gesetzlich errichtete Körperschaften keine Vereinigungen iSd Art11 EMRK darstellen (vgl EGMR 23.06.1981, Fall Le Compte ua, EuGRZ 1981, 551 ff).

(Ebenso hins der Auflösung des Fachverbands der Steinmetze und Zusammenführung mit dem Fachverband der Bauhilfsgewerbe: V53/2014, G68/2014 vom selben Tag).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Wirtschaftskammern, berufliche Vertretungen, Selbstverwaltung, Selbstverwaltungsrecht, Verordnungsbegriff, Rechte subjektive, Novellierung, Verordnungserlassung, Ermessen, Eigentumseingriff, Erwerbsausübungsfreiheit, Versammlungsrecht, Vereinsrecht, VfGH / Individualantrag, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Formerfordernisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:V37.2014

Zuletzt aktualisiert am

15.03.2016
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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